Alte Eltern streiten nur noch

  • Hallo, willkommen hier.

    Nun stell Dir mal vor: Du hättest ihren Wunsch respektiert, sie doch im bisherigen Zuhause zu lassen und Deine Mutter hätte deshalb nach einem Sturz einen extrem komplizierten Bruch erlitten, dessen Folgen zum Tod führen könnten. Dein Vater bliebe zurück, würde durch die Belastung noch aggressiver, so dass er als Folge zwangseingewiesen werden müsste ...


    Würdest Du Dir dann nicht die größten Vorwürfe machen, weil Du diese Gelegenheit, das zu tun, was Du selbst als dringend nötig beschreibst, NICHT ERGRIFFEN hättest?


    Es zeugt von großem Verwantworungsbewusstsein, dass Du Deinen Eltern so eines oder ein ähnliches Schicksal erspart hast.

    Aus meiner Erfahrung und Sicht wäre es das Beste, Du würdest jetzt einige Zeit höchstens einmal pro Woche Deine Eltern besuchen, damit sie sich an ihr neues Zuhause gewöhnen können, damit hilfst Du ihnen, sich leichter einzugewöhnen. Das ist die größere Hilfe, als die häufigen Besuche, die die Eltern immer wieder daran erinnern, dass sie etwas aufgegeben haben (was es so, wie sie es erinnern vermutlich gar nicht mehr gab) und dass sie dafür jemandem, nämlich Dir, die Schuld geben können.

    Füttere Dein Helfersyndrom damit, dass Du ihm erklärst, wie groß die Hilfe für die Eltern ist, die neue Situation anzunehmen, wenn Du ihnen dafür Zeit und Ruhe lässt und so nicht die Wunden immer wieder aufreißt, indem Du sie besuchst.


    Vielleicht kann Dir die Betrachtung der Situation so herum helfen!


    Und wenn Du auf Dich selbst Rücksicht nimmst, kannst Du vielleicht für Deine Eltern auch länger noch in besserer Weise hilfreich sein, als wenn sie Dich durch ihre Vorwürfe aufarbeiten, um den Schlaf und die Gesundheit bringen.


    Du bist ein guter Mensch, wenn Du das tust, was nötig ist, weil es letztlich eben doch zum Besten der Eltern ist, auch wenn sie es (noch) nicht einsehen wollen.


    Eine Mutter ist ja auch nicht immer nur eine gute Mutter, wenn sie alles ermöglicht, was ihr Kind will - nein, sie muss es auch aushalten können, dass ihr Kind auf sie wütend ist, sie schimpft, weil sie zu seinem Wohl etwas verweigern musste, einfach weil sie den besseren Überblick hat. Leider ist es so, dass die dementen Eltern oft dem trotzigen Kind ähneln.

    Viel geschrieben, ich hoffe, es kann Dir helfen und andere hier haben auch noch Erfahrungen und Ideen.

  • Hallo Ecia25,

    tausend Dank für die Antwort, es waren wohltuende und auf keinen Fall zu viele Worte! Die Betrachtung von außen ist sehr hilfreich, auch Dein Beispiel mit der vermeintlich guten Mutter. Es fühlt sich ja tatsächlich so an als wären sie kleine Kinder, so streiten sie ja auch untereinander auf das Heftigste.

    Ich muss mein schlechtes Gewissen bekämpfen und wirklich nur einmal in der Woche hingehen. Ich bin ihr Trigger.

    Der ganze Streit und alles Beklagen findet nur meiner Schwester und mir gegenüber statt, nach außen wird freundliche Fassade gewahrt, auch den Pflegenden gegenüber. Man bittet um nichts, man kann ja alles alleine ...

    Was mich weiterhin umtreibt: Wie nur redet man richtig mit Demenzkranken, die auch noch unterschiedlich sind in ihren kognitiven Einschränkungen?

  • Hallo Nelly,

    Du hast Verantwortung übernommen und das ist das Wichtigste!

    Ich kenne dein Thema sehr gut, meine Therapeutin hat mir vor drei Jahren dringend geraten nur einmal pro Woche meine Mutter zu besuchen, damit ich nicht immer und immer wieder in die Falle tappe. Es bringt weder deine Eltern dazu sich einzuleben noch dir, dich immer wieder den gleichen Diskussionen auszusetzen, da braucht es gerade einen Cut!!

    Gestehe dir zu, dass du keine übermenschlichen Kräfte hast;)

    Liebe Grüße

  • Zuerst noch ein dickes Dankeschön an Rose60 und Schwarzerkater, wie gut Euer Zuspruch tut - ich habe mich unter anderem an das Forum hier gewandt, weil ich langsam die Befürchtung habe, meinen Freund*innen auf die Nerven zu gehen. An diversen Reaktionen kann ich es erkennen.

    Ja, das ist etwas, was mich enorm beschäftigt: Was wollen und brauchen die Eltern wirklich (außer dem Standard, "nach Hause und dann können wir auch wieder laufen" ...). Ich habe ihnen einen kleinen Kühlschrank ins Pflegezimmer gebracht, sie hassen ungekühltes Wasser. Reaktion: Keine. War das jetzt gut oder überflüssig? Ich weiß es nicht.

    Ich glaube, man kann einfach gar nicht ermessen, wie sich Demenz in ihren tausend Ausprägungen von innen anfühlt. Das macht mich verrückt, mit meinem Hang, immer alles richtig zu machen. Das "gute Kind" und die vernunftgesteuerte Erwachsene im Clinch ...

    Liebe Grüße an alle und nochmals Danke fürs Lesen!

  • Hallo Nelly, genau so ist es: nicht Betroffene sind nur begrenzt mit unseren Sorgen belastbar ... das ist normal.


    Ich habe mir nun - angesichts deiner Fragen - ein paar Gedanken gemacht, was mir in diesem Prozess mit meiner dementen Mutter geholfen hat (und hilft, denn der Prozess läuft ja noch). Vielleicht sind ein paar passende Gedankensplitter für dich dabei.


    1. Man muss ohne Wenn und Aber akzeptieren, dass es sich bei Demenz um eine sehr schwere und fortschreitende Krankheit handelt, für die niemand etwas kann, weder die demente Person noch wir. Niemand sucht sich das aus - es ist ein schweres Schicksal. Ein wichtiges lebensnotwendiges Organ büßt seine Funktion ein. Die Symptome sind deutlich.

    Das oftmals von außen transportierte leicht-beschwingte und frohsinnige Bild über Demente ist da wenig hilfreich. Das erweckt in vielen das Gefühl, es wäre eigentlich alles so easy und man fragt sich, warum man selbst es eben nicht so easy findet.


    2. Eins der allergrößten Probleme ist, dass den Dementen eben auch die Krankheitseinsicht (die Erwachsene sonst mehr oder weniger haben) verloren geht. Sie wissen nicht mehr, wie es wirklich um sie steht, was sie brauchen, was sie nicht mehr können. Sie sind dennoch und gerade deswegen schutzlos und schutzbedürftig (wie Kleinkinder) und jemand MUSS ihnen diesen Schutz - auch gegen ihren Willen - bieten.


    3. Wir sind die engsten Angehörigen und sollten - so gut wir können und es wollen - die Verantwortung übernehmen oder sie weitergeben. Nach bestem Wissen und Gewissen müssen wir tun, was die demente Person notwendig braucht, auch wenn das nicht gern gesehen wird und Protest hervorruft (wie bei einem Kleinkind). Aber in diesem Fall sind wir die "Klügeren" und Stärkeren und müssen handeln.


    4. Man muss aushalten, dass man hierfür keinen Dank erhält sondern ggf. das Gegenteil. Es geht nicht um uns, um unsere Wünsche (uns gut zu fühlen, weil die demente Person uns gute Worte sagt). Das ist traurig und schrecklich, aber leider nicht zu ändern.


    5. Ich selbst habe mich ein für alle Mal davon verabschiedet, mit meiner Mutter irgendwelche alten Rechnungen (die gibt es ja immer) von früher aufzuarbeiten. Das ist manchmal schwer, denn noch erkenne ich alte Persönlichkeitszüge meiner Mutter, aber nichts davon ist noch tragfähig. Eben noch gibt es eine einigermaßen sinnvolle Reaktion von ihr und im nächsten Augenblick ist die Brücke abgerissen und es gibt nichts Verbindendes mehr. Die Hausärztin meiner Mutter meinte zu mir: Sie müssen verstehen, dass das nicht mehr ihre Mutter ist (also die von früher).


    6. Mir hat auch geholfen, immer mal wieder den demenziellen Zustand meiner Mutter zu testen und auch die Pflegerinnen zu befragen. So sagte meine Mutter oft, dass sie nach Hause möchte (ich triggere sie sicher), aber die Pflegerinnen meinen, dass sie sonst eigentlich sehr zufrieden ist und nie nach Hause möchte. Vieles vom von ihr Gesagten hat inzwischen floskelhaften Charakter - und diese passen manchmal, manchmal auch nicht. Sie weiß auch gar nicht mehr, wo zu Hause ist.


    7. Besuche zu minimieren ist nicht unbedingt hartherzig, sondern hilft den Dementen, den Schmerz langsam zu vergessen (an den wir sie sonst immer wieder erinnern). Fällt mir selbst sehr schwer, aber die Heimleiterin sagte mir: Bitte überlegen Sie, weswegen Sie Ihre Mutter besuchen. Es muss nicht sein, dass Sie ihr damit einen Gefallen tun. Es kann sein, Sie tun das nur für sich selbst. Ich bin anfangs täglich hingegangen, gehe jetzt zweimal pro Woche und selbst das überfordert meiner Mutter - außerdem vergisst sie meinen Besuch umgehend und selbst, wenn ich zweimal täglich hingehe, wundert sie sich, warum ich so lange nicht da war.


    8. Vielen hier geht es wie dir und mir: Sie wollen der gute empathische Mensch sein, es (auch) den Eltern recht machen ... Ja, vielleicht sind manche auch weniger empathisch gepolt. Andererseits ... Ist es nicht völlig normal bzw. sehr angenehm, ein empathischer Mensch zu sein? Und ist es nicht völlig normal, dass uns dann diese unbekannte und einmalige Herausforderung völlig aus der Bahn wirft, weil wir komplett an unsere Grenzen stoßen.


    9. Diese schwere Krankheit IST einfach eine der größten Herausforderungen für alle Beteiligten. Ich wünschte mir auch, dass ich schneller gut damit umgehen kann. Aber ich erlebe es zum ersten Mal. Und ich muss einfach durch das tiefe Tal durch, in der Hoffnung, dass es auf der anderen Seite mal wieder etwas einfacher wird. Ich musste meinen Widerstand aufgeben und das Schicksal annehmen. Leicht gesagt, aber nicht leicht getan.


    10. Ich erkenne an, dass meine Mutter in einer völlig anderen Realität lebt als ich. In ihrem Ich fehlen ganze Teile und aus den Resten baut sie sich ihre Welt zusammen. Die Pflegerinnen im Heim gehen ganz selbstverständlich mit ihr um und sprechen mit ihr z.B. in einer Art, die ich manchmal seltsam finde (wenn ich an meine ehemals dominante, couragierte und kluge Mutter denke). Aber genau das funktioniert prima und meine Mutter fühlt sich angenommen. Also auch meine Maßstäbe muss ich teilweise ändern.


    11. Viel hat mir auch geholfen, hier mitzulesen (man findet immer diesen oder jenen Gesichtspunkt) oder viele Erfahrungsberichte dazu zu lesen. Ich meine nicht unbedingt diese hochgepriesenen Bücher oder Filme, sondern man muss etwas suchen, was einen anspricht. Jeder Fall ist anders, aber viele Entwicklungen sind gleich.


    Ich könnte noch mehr schreiben, aber diese 11 Punkte sollen erst mal genügen. Vielleicht ist nicht alles logisch geordnet, aber darum geht es ja nicht. Ich weiß natürlich auch bei Weitem nicht alles, was notwendig wäre. Aber so wie mir mancher Beitrag hier der Strohhalm im Meer der Verzweiflung war, kann ich vielleicht auch diesen oder jenen Aspekt beitragen. Liebe Grüße und alles Gute!

    Einmal editiert, zuletzt von schwarzerkater () aus folgendem Grund: kleine Fehler korrigiert

  • Danke Schwarzerkater, das hast Du wunderbar und treffend zusammengefasst.

    Ich musste meinen Widerstand aufgeben und das Schicksal annehmen.

    Mir kommt vor, das ist bei allen Erkrankungen ein Schlüssel, besser damit umzugehen und gerade bei der Demenz, bei der es ja keine Heilung gibt und der frühere Zustand nie mehr wiederhergestellt werden kann, ganz besonders wichtig für die eigene Heilung der seelischen Verletzung.

    Denn das ist es, wenn einem ein sehr nahestehender, vielleicht geliebter Mensch seelisch genommen wird, v.a. in einer Phase, in der dieser Mensch körperlich noch fit wirkt.

    Danke!

  • Liebe schwarzer Kater,

    Auch ich möchte dir für diese Zusammenstellung sehr essentieller Punkte herzlich danken. Vieles weiß man ja, aber wirkt noch mehr, wenn man es von gleich betroffenen schwarz auf weiß liest - vor allem völlig egal in der Reihenfolge 😉

    Ich möchte auch betonen, dass Akzeptanz ein ganz wichtiges Schlüsselwort ist mit dem Ziel nicht immer wieder gegen die Realität anzukämpfen! Es ist bei dieser Krankheit sicher kein einmaliger Moment, sondern ein Prozess - bei mir dauert er mittlerweile immerhin mind.3 Jahre, doch seit ca.1 Jahr gelingt es mir besser, anders mit meiner Mutter, die eben auch nicht mehr die alte ist, umzugehen. Während ich anfangs oft weinend dort wegging mit schlechtem Gewissen und mir immer wieder hier oder im Heim gesagt wurde, es war richtig so zu entscheiden, bin ich nun versöhnter..

    Es erinnert mich an die Situation, als klar wurde, dass mein mittlerweile verstorbener Mann trotz aller Chemos und OPs seine Krebserkrankung nicht besiegen kann - auch da ein Moment tiefsten Schmerzes, schlimmer als der Todestag. Einzuwilligen in ein unabwendbares Schicksal, das wir Menschen eben nicht in der Hand haben, auch wenn es uns von außen oft suggeriert wird.

    Allen einen schönen Tag wünsche ich!

  • Guten Tag alle zusammen,

    auch von mir ein sehr großes Dankeschön an die wirklich gute Auflistung von Schwarzerkater! Bin wirklich froh, dieses Forum gefunden zu haben! Es ist Labsal, Beruhigung und große Hilfe. Ich konnte in den letzten Tagen zumindest für einige Stunden den ewigen Gedankenkreisel in den Griff bekommen.

    Auch habe ich es geschafft, zwei Tage Pause zwischen den Besuchen zu lassen und nur einmal am Tag einen der 10-12 Anrufe, ich solle sie abholen, anzunehmen.

    Mein Vater ist immer gleich in seiner Stimmung, herrisch, aggressiv, unfreundlich. Meine Mutter von flötend-freundlich über weinend zu gehässig und auch aggressiv, mal verwirrt, mal klar. Sie schaukelnd sich oft gegenseitig hoch. Er beleidigt sie den ganzen Tag, aber sie will keine fünf Minuten von ihm weg.

    Ich versuche, immer ruhig zu bleiben und gar nicht viel zu reden. Trotzdem kommt dann doch immer hinterher wieder das Gefühl, falsch reagiert zu haben. Aber wahrscheinlich gibt es da einfach kein Richtig mehr ... schwarzerkater: Darüber habe ich lange nachgedacht:

    "5. Ich selbst habe mich ein für alle Mal davon verabschiedet, mit meiner Mutter irgendwelche alten Rechnungen (die gibt es ja immer) von früher aufzuarbeiten." - Ich habe zwar schon lange vorher aufgehört, Dinge mit ihnen klären zu wollen, weil es nie zu etwas geführt hat, jedoch finde ich es sehr interessant, was mir in den letzten Wochen alles eingefallen ist an Kränkungen, merkwürdigen Aussagen, Standardsätzen und Vorwürfen meiner Mutter. Was das alles mit einem macht, ist schon auch spannend. Eine Herausforderung auf allen Ebenen - auch das eigene nahende Altwerden betreffend. Ich hatte kein Vorbild, es gab niemanden in unserer Familie, der so alt geworden ist. Und meine Eltern selbst haben immer alles, was mit Krankheit, Altwerden und Tod zu tun hat, ausgeblendet. Sie sind regelrecht vom Alter beleidigt ...

    Liebe Grüße in die Runde und alles Gute!

  • Liebe schwarzer Kater,

    So mache ich es mit meiner Mutter mittlerweile auch oft,,wenn sie fragt, wann sie denn nun nach Hause kommt- "ich frage mal den Hausarzt, wann du entlassen wirst" Man kommt sich schäbig vor, aber sie ist dann erstmal besänftigt.

    Und die letzten Male bei meinen Besuchen musste ich sie meist erst suchen und fand sie gutgelaunt im Gespräch mit Bewohnerinnen. So what..

    Liebe Grüße

    • Offizieller Beitrag

    Hallo in die Runde, erstmal vielen Dank für die hervorragenden Beiträge, Erkenntnisse und Formulierungen! Ich habe wieder viel dazugelernt.


    Nur einen Gedanken möchte ich noch beisteuern: Nelly, auch von meiner Seite "Willkommen im Club"! Wenn Sie von Ihren Eltern schreiben, bekomme ich das Bild einer Beziehung, in der sich zwei Menschen in einer Streit -Missachtungs-Versöhnungsachse umeinander drehen. Das ganze wird jetzt im Heim soweit reguliert, weil das gemeinsame heile Bild nach außen ein gemeinsames Ziel ist. Dies senkt sicher das Risiko, dass es zu Gewalt gegeneinander kommt.


    Wenn ich in Supervisionen solche Konstellationen bespreche, sage ich manchmal: Es ist nicht mein Beziehungsmodell, aber ich kann es akzeptieren, wenn Menschen so zusammenleben und zusammenbleiben.

    Wenn Sie jetzt als Tochter in dieses Muster kommen, kippt es und die ganze Beziehungsenergie richtet sich auf Sie. Der gemeinsame Feind eint. Insofern haben sie eine beziehungsstabilisierende Funktion übernommen - auf Ihre Kosten.

    Sie haben nach den richtigen Worten gefragt, wenn etwas an meinem Bild richtig ist, gibt es vielleicht gar keine richtigen Worte - sie machen ja schon das, was für Ihre Eltern richtig ist, ihre Streitenergie geht jetzt von innen nach außen und beide erleben sich als Einheit. Auch für ein erwachsenes Kind ist das furchtbar.

    Ein Profi könnte sagen: Ich bin gerne die Böse, wenn Ihr Euch dafür wieder lieb habt. Aber bei den eigenen Eltern wäre das wohl auch nicht möglich.

    In dieser Phase möchte ich den Rat der anderen bestätigen: Halten Sie sich bitte mit den Besuchen zurück, damit sich Ihre Eltern in ihrer - durch die soziale Kontrolle im Heim begrenzten - Beziehungsdynamik einleben können.


    Zum Glück wird - vielleicht durch die unterschiedlich entwickelnde Demenz im Kontext des Heimes - irgendwann aus der Paardynamik wieder ein positives Familienerleben wachsen. Meinen Tipp dafür haben Sie sich schon selbst gegeben: Sie bringen Ihren Eltern das was sie brauchen - am besten groß hilfreich und unverrückbar wie den Kühlschrank. Damit sind Sie mit ihrer Liebe zu Ihren Eltern quasi ohne Worte anwesend.


    Auch ich möchte Sie auf Ihrem Weg mit einem guten Gewissen bestärken, ich wünsche Ihnen dabei viel Geduld und vielleicht auch Humor. Beim Lesen der Beiträge kam mir ein flapsiger Satz, den ich aufschreiben und dann auch wieder zurücknehmen möchte: Was ist noch schlimmer als Demenz - zwei Demente, (besonders wenn sie sich gegen Ihr Kind verbünden. )


    Je stärker die Demenz zunimmt, um so mehr erlebe die Umkehrung: Was ist das Beste bei einer schlimmsten Demenz - zwei Menschen die sich in Ihrer Demenz wundervoll verstehen auch wenn Sie - von außen betrachtet - vollständig aneinander vorbeireden - oder vorbeistreiten...

    Viel Kraft, Ihr Martin Hamborg

  • Guten Tag und herzlichsten Dank für den so vielfältigen und wohltuenden Zuspruch!


    Leider haben meine Eltern sich bis jetzt nicht verbündet - mein Vater beschimpft und beleidigt meine Mutter bis sie heult. Die Hausärztin ist der Meinung, dass sich mein Vater niemals abfinden wird ...

    Ich habe im Heim noch einmal nachgefragt, nach außen ist sie sehr freundlich, er grummelig, aber nicht aggressiv. Das findet nur hinter der verschlossenen Tür statt.

    Ich bereue es, dass ich ihnen einen Telefonanschluss gegeben habe, sie rufen mich bis zu 25 Mal pro Tag an und wollen abgeholt werden. Auch da gehe ich auf Empfehlung nicht dran, aber ich höre mittlerweile, zu den Schlafstörungen, die ich sowieso schon habe, das Telefon klingeln wenn es gar nicht klingelt ... Auf der Mailbox kann ich oft hören, wie sie miteinander reden, wirklich schlimm, aber auch, wie meine Mutter mit dem Pflegepersonal flötet, nachdem sie mich Sekunden vorher beschimpft hat.

    Bis jetzt habe ich es nicht übers Herz gebracht, die Nummer zu sperren oder ihren Anschluss so zu ändern, dass sie nur noch angerufen werden können.

    Auch ich sage immer, die Ärzte entscheiden, wann Ihr nach Hause kommt, aber mein Vater "hat noch nie einen Arzt gesehen" nach zweieinhalb Wochen Krankenhaus ... (Zum Glück gibt es wirklich manchmal Aussagen, über die man im Nachhinein doch schmunzeln muss.)

    Der Kühlschrank lieber @martinhomborg wird übrigens aus Trotz nicht genutzt ...

    Zwei auf einmal mit unterschiedlichen kognitiven Einschränkungen sind wirklich ein sehr dickes Brett :|


    Ich kann es nur wiederholen: Ich bin sehr froh, dieses Forum gefunden zu haben, ich fühle mich etwas weniger alleine. Danke und liebe Grüße an alle

  • Hallo Nelly,

    Ich finde du hast genug Gründe, dich deutlich mehr zu schützen und mal eine längere Weile auf Abstand zu gehen. Das klingt nach keiner "gesunden" Bindung, wenn du so wenig deine eigenen Bedürfnisse dir zugestehst und ich kann aus Erfahrung sehr empfehlen, sich psychologisch beraten zu lassen, warum es dir so schwerfällt,was der Grund dafür ist, dass du dich nicht besser abgrenzen kannst. Bitte nimm mir diese "Bewertung" nicht übel - ich habe selbst so lange Jahre genau dieses Problem gehabt, mich schlecht abgrenzen zu können. Es ist wie ein Sog und man sitzt Zuhause oder wo auch immer mit schlechtem Gewissen und kann sich nicht des Lebens erfreuen,wenn die Eltern signalisieren, dass es ihnen schlecht geht und man zieht sich deren Anschuldigungen rein, ohne dass es für irgend jemanden nützlich ist.

    Du könntest ja auch aus dem Abstand heraus bei den Pflegern nachfragen und dich aus dem Off notfalls kümmern. Damit waren deine Eltern eher gezwungen, sich im Heim mehr "einzurichten" und anzukommen, weil du als "Prellbock" nicht zur Verfügung stehst..

    Herzliche Grüße

  • Hallo Nelly, die Tipps von Rose kann ich nur bekräftigen, wenn Du Dich nicht selbst zerstören lassen willst.


    Hilfe von außen durch psychologische Beratung kann auch tatsächlich eine unglaubliche Erleichterung im Umgang mit derartigem "Wahnsinn" sein und manchen Blickwinkel so verändern, dass die Situation dann ganz anders verarbeitet werden kann.


    Trau Dich!

  • Liebe Nelly -


    ich kann Rose60 nur beipflichten: Telefonnummer blockieren. Meine Mutter hat mich manchmal bis zu 60x am Tag angerufen. Blockieren oder Flugmodus (ich habe nur ein Handy) war die einzige Möglichkeit, ein wenig Ruhe zu bekommen. Seitdem geht es mir so viel besser.

    Und wie SchwarzerKater schreibt: lass Dir psychologisch helfen. Ich bin seit ein paar Wochen bei einer Psychologin und es hilft so viel. Der erste Tipp: Man muss egoistischer werden und Grenzen setzen. Das dauert und geht nur schrittweise (aber jeder Schritt ist ein Erfolg!). Und dann an sich selbst denken. Sich selbst belohnen, wenn es mal wieder einen harten Tag gab. Das muss nichts Großes sein: ins Kino gehen, ein Buch lesen, spazieren gehen, sich mit Freunden treffen. Auch die Mitglieder des Forums haben mir sehr mit ihrer Unterstützung und ihren Erfahrungen geholfen.

    Liebe Grüße an alle - und Kopf hoch!

    • Offizieller Beitrag

    Hall Nelly, auch ich kann mich ganz den Gedanken und Vorschlägen anschließen. Sie können Ihren Eltern langfristig nur helfen, wenn Sie jetzt an sich denken und sich in dieser Phase schützen und Kraft tanken für die Zeit, in denen Ihre Eltern wieder aus dem Muster herausgekommen sind.


    Wenn Sie stark genug sind, um die Beobachterposition bei den 25 Telefonaten einzunehmen können Sie über eine längere Zeit beobachten, ob sich etwas verändert. Sie können auch dem Heim kurze Einschätzungen geben, wie gut die Eingewöhnung klappt und worauf die Mitarbeiter achten sollten.


    Auch ich wünsche Ihnen sehr, dass Sie in Ihrer Nähe fachliche Hilfe finden. Sie können sich z.B. bei der Psychotherapeutenkammer in Ihrem Bundesland über die Möglichkeit der psychotherapeutischen Sprechstunde und über "probatorische Sitzungen" informieren. Die Sprechstunden sind relativ neu und haben weniger Wartezeit. Gibt es in Ihrer Nähe Gruppenangebote der Alzheimer Gesellschaft?


    Ich wünsche Ihnen sehr, dass Sie direkt und vor Ort eine Unterstützung in dieser sehr schwierigen Situation finden - unser Forum ist Ihnen zusätzlich sicher. Hier sind Sie mit Ihren Beiträgen gut aufgenommen, denn wir wissen dass so etwas lange dauert und es keine schnellen Lösungen gibt! Ihr Martin Hamborg

  • Vielen herzlichen Dank an alle, die mich hier unterstützen, es ist sehr berührend!


    Ich übe, übe ... ignoriere die Anrufe, analysiere ihre Ansagen mit nur einem Thema "Hol uns ab!!!!" auf der Mailbox, habe mit den Pflegenden gesprochen, zu ihnen sind sie immer nett und freundlich, ich gehe nur noch einmal die Woche hin und denke, es sind ja erst fünf Wochen (es fühlt sich viel länger an).


    Ich habe entdeckt, dass mich Hörbücher am besten ablenken und absorbieren. Ich vermisse das Bücherlesen, aber darauf kann ich mich momentan nicht gut konzentrieren.

    Psychologische Hilfe suche ich noch.


    Immer abwechselnd wollen sie sich umbringen, "wenn sie im Heim bleiben müssen". Uff.

    Gestern wollte mein Vater laut Anrufbeantworter nie mehr etwas mit mir zu tun haben, heute hat er mich mit meiner Schwester verwechselt. Er stürzt oft, sie legt Butter vom Frühstück in den Schrank und sagt, sie habe mich noch nie angerufen. Alles Gründe, warum es richtig ist, dass sie dort sind wo sie sind. Sage ich mir. Es hilft, langsam. Ich möchte gerne damit klarkommen, dass ich ihnen - in ihren Augen - nichts Gutes tun kann ...


    schwarzerkater: Deshalb auch Dankeschön für diesen Satz:

    Selbst wenn wir uns weinend neben unsere dementen Eltern setzen und uns Seele und Herz aus dem Leib reißen würden, können wir die Demenz nicht aufhalten.


    Liebe Grüße an alle!

  • Hallo Nelly, toll dass du doch immerhin im Prozess weiterkommst. Man kann sich nicht auf Knopfdruck abnabeln. Hauptsache ist doch, dass die Pfleger damit klarkommen und den Zustand für angemessen gut befinden . Noch können deine Eltern eine gewisse Fassade aufrecht halten und kämpfen - im Kampf gegen dich - vermutlich auch gegen ihre Krankheit an. So wie meine Mutter ja auch immer noch denkt, sobald sie wieder in ihrer gewohnten Umgebung Zuhause ist, sei alles wie vor der Demenz. Ich finde das ist ein nachvollziehbarer Gedanke, wenn man mental eingeschränkt ist. Doch wir wissen es besser und müssen gegen ihren Willen entscheiden, das ist wahrlich nicht einfach.

    Meine hilfreiche Strategie ist oft eine Gedankenveränderung: anstatt den Gedanken an schlechtes Gewissen nachgeben - dankbar sein dafür, dass man einen akzeptablen Platz für die Eltern/Elternteile gefunden hat, manchmal hilft es auch, sich solche positiven aufzuschreiben und täglich vorzulesen, damit ändert sich manchmal was in unserer Stimmung.

    Liebe Grüße

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Nelly, was Sie schreiben, hört sich sehr gut an.


    Nur eine Erkenntnis teile ich nicht: Genau mit dem, was Sie jetzt (für sich) tun, tun Sie Ihren Eltern das Best-Mögliche. Die Beiden können es nur noch nicht annehmen. Es kann noch eine Zeit dauern, bis sich das toxische Muster immer weiter auflöst. Leider hilft dabei nur abwarten, Geduld üben und auf beiden Seiten Trauer zulassen. Dafür wünsche ich Ihnen ganz viel innere Stärke!

    Ihr Martin Hamborg

  • Liebe Nelly -


    Mehr als üben geht tatsächlich nicht. Und versuchen, "egoistischer" zu werden. Ich konnte ähnlich wie Du monatelang kein Buch mehr lesen oder es war x-mal hintereinander der gleiche Satz. Mittlerweile bin ich gerade dabei, meine Lieblingsbücher nacheinander zu lesen. Das ist wie alte Freunde wiedersehen, die man (zu) lange nicht gesehen hat. Also: Es war ein Weg, aber man kommt dort wieder hin.

    Happy Friday

    TanjaS

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