Zwei möglicherweise demente Partner wollen zusammenziehen

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  • Frohes neues Jahr und danke schon im Voraus für dieses hilfreiche Forum!


    Obwohl ich schon einige Informationen gefunden habe, fühle ich mich noch sehr allein mit all den Entscheidungen und Planungen, die auf mich zukommen.


    Es geht um meinen Vater (79) und seine kinderlose Lebensgefährtin (78). Sie führen seit 20 Jahren eine Wochenendbeziehung. Er fährt seitdem fast jedes Wochenende 70 km hin und wieder zurück.


    Seit einigen Jahren kommen die beiden mir (und meinem Mann) immer veränderter vor, beide auf eine eigene Weise. Sie: erzählte seit wir sie kennen am liebsten von früher, von ihrer Kindheit und Jugend; wiederholte Anekdoten im Laufe der Jahre immer häufiger innerhalb eines Besuchs; bekommt jetzt sehr trübe Augen, leugnet ihre Vergesslichkeit, ist am Telefon immer kürzer angebunden. Er: kann sich keine Termine mehr merken, vergisst unsere Geburtstage und sogar mein Geburtsjahr, macht sich Notizen, liest sie, streicht sie durch, ist unruhig, fängt nun auch an, sich ständig zu wiederholen, pflegt sich weniger, kann sich nicht mehr in Ruhe zu jemandem setzen und sich unterhalten, es gibt eigentlich keine zusammenhängenden Gespräche mehr, er verliert die räumliche Orientierung und fährt schon seit längerer Zeit nur noch mit Navigationsgerät die altbekannte Strecke. Er erkennt aber die eigene Vergesslichkeit und die der Partnerin, für die er sich verantwortlich fühlt. Nun möchte er seinen Wohnort aufgeben, an dem er seit seinem 20. Lebensjahr wohnt. Er will seine privaten Dinge hergeben und zu der Lebensgefährtin ziehen, wo er sonst niemanden kennt.


    Einmal hat er eingewilligt, dass ich ihn zu seinem Hausarzt bringe. Der hat ihn grob angeschaut und gesagt, dass er ihn eigentlich kaum kennt, weil mein Vater kein Arztgänger sei. Ich habe den Arzt nicht einmal unter vier Augen sprechen oder ans Telefon bekommen können, er hat mir nur ausrichten lassen, nun sei ein MRT und ein Besuch beim Neurologen sinnvoll. Aber weder mein Vater noch die Lebensgefährtin wollen irgendwelche Untersuchungen, geschweige denn Pflege oder Betreuung. Soll und darf ich denn einfach abwarten, bis sich diese Einstellung ändert? Wird mein Vater sich in einer neuen Wohnumgebung zurechtfinden? Mit dem Umzug wird er auch noch weiter von meinem Wohnort wegziehen. Ich brauche vier Stunden für eine Strecke bis zum Wohnort der Lebensgefährtin. Ich habe keine Geschwister, mein Vater hat keine weiteren Angehörigen. Aber ich habe zwei Kinder (darunter ein kleines, das ich wegen der Ungeduld meines Vaters nicht mehr mit ihm zusammenbringen kann) und wie mein Mann einen Beruf und keine nachmittägliche Betreuung für die Kinder. Am liebsten würde ich meinen Vater hier in der Nähe in ein Pflegeheim einquartieren, wo er regelmäßige Mahlzeiten und Gesellschaft bekommt. Aber diesen Vorschlag hat er abgelehnt. Was kann ich tun?
    Ich würde mich über jede Art von Einschätzung freuen. Wir haben ja nicht einmal eine Demenz-Diagnose...

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Planlos,
    Grundsåtzlich ist der Gedanke der Beiden zusammen zu ziehen, nicht abwegig. Immerhin bieten beide einander Sicherheit und Verlåsslichkeit.
    Ob das angesichts einer vermeintlichen Demenz auf Dauer trågt, kann man anzweifeln.
    Eine Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung nur für Ihren Vater halte ich in der jetzigen Situation jedenfalls fūr keine gute Idee.
    Gibt es denn am Wohnort der Freundin Angehörige von ihr? Falls ja, haben Sie Kontakt zu denen?
    Unter allen Umstånden sollten Sie ein Gespräch mit beiden zusammen führen, mit dem Ziel eine Untersuchung des Gesundheitsstatus zu erwirken - wobei
    Sie immer betonen sollten, dass es um eine Lõsung fūr beide geht.
    Ob diese gemeinsame Lösung am Wohnort der Freundin, am Wohnort Ihres Vaters oder gar in einer gemeinsam aufgesuchten Einrichtung zu finden ist, kann man ja dann in aller Ruhe ūberlegen.
    Wenn die beiden allerdings den Eindruck bekommen, dass sie getrennt werden sollen, wird eine gemeinsame Lösung allerdings schwierig werden.
    Soweit erst einmal meine Gedanken dazu.
    Beste Grüße von Klaus Pawletko

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Planlos, gern möchte ich noch einige Punkte ergänzen.
    Sie schreiben von dem Gedanken, in ihrer Nähe nach einem Heim zu suchen. So wie Sie Ihren Vater beschreiben, wird er in einem Pflegeheim keinen Platz bekommen, denn es ist ein politisches Ziel der Pflegereformen, dass Heime erst bei erheblicher Pflegebedürftigkeit in Frage kommen sollen, also am besten vom Pflegegrad 4 an. Heime nehmen in der Regel erst vom Pflegegrad 3 an auf.


    Als Alternative bieten sich das betreute Wohnen, Servicewohnen, Senoirenresidenzen usw an. Zu einem Mietvertrag wird dann ein Betreuungsvertrag abgeschlossen, der mehr oder weniger Leistungen beinhaltet, deshalb ist eine gute Beratung und Information unverzichtbar. Viele Angebote leisten kaum mehr als das, was ambulante Pflege in der vertrauten Häuslichkeit möglich machen kann.

    Ihr Vater hat seit 20 Jahren ein zweites zuhause und wenn die familiäre und nachbarschaftliche Hilfe über seine Partnerin tragfähig ist, könnten Sie in einer gemeinsamen Familienkonferenz abstimmen, welchen Beitrag im Hilfemix Sie aus der Entfernung leisten können. Sie könnten sich über das Hilfenetz hier auf diesem Wegweiser informieren und den Pflegestützpunkt anrufen.


    Natürlich besteht bei einem gemeinsamen Wohnen auch die Gefahr des Scheiterns, nicht zuletzt weil sich die Wohnung und die eingespielten Rituale durch den Umzug erheblich ändern können. Insofern ist es durchaus sinnvoll, wenn Sie sich gleich auch in Ihrer Stadt bei dem Pflegestützpunkt informieren und sich eine Überblick über die möglichen Wohnformen verschaffen.


    Mit der Aussage des Hausarztes wäre ich persönlich nicht zufrieden. So wie Sie Ihren Vater beschreiben spricht sehr viel für eine beginnende Demenz, aber die Ausfälle können auch andere krankheitsbedingte Ursachen haben. Deshalb ist eine gründliche internistische Untersuchung der erste Schritt bevor Sie einen Neurologen oder eine Gedächtnissprechstunde aufsuchen. Vielleicht ist Ihr Vater eher dazu bereit, wenn er weiß, dass die Einschränkungen auch durch andere Krankheiten ausgelöst werden und die Medikamente in diesem Stadium oft zu einer Verbesserung der Fähigkeiten führen.
    Viel Erfolg Ihr Martin Hamborg

  • Hallo Herr Hamborg und Herr Pawletko,
    herzlichen Dank für Ihre Gedanken und Anregungen.
    Dass sie zusammenbleiben sollten, sehe ich ein, sie brauchen sich auch.
    Die Hinweise auf die verschiedenen Formen betreuten Wohnens sind sehr nützlich. Im Moment lehnt mein Vater jedoch jedes Eindringen unbekannter Helfer ab ("Wenn eine Betreuung ins Haus käme, müsste man ja immer zur entsprechenden Uhrzeit zu Hause sein, das wäre mir eine zu große Einengung.")


    Ich habe meinen Mut zusammengenommen und gerade die beiden einzigen Kontakte angerufen, von denen ich weiß.
    Der eine ist ein Freund meines Vaters in dessen Wohnort. Dieser bringt ihn seit letztem Herbst die 70 km zu seiner Lebensgefährtin und holt ihn wieder ab (öffentliche Verkehrsmittel waren meinem Vater schon immer zu komplizierz). Er sagt, mein Vater schiebe seine momentane Fahrängstlichkeit auf die Witterungsverhältnisse. Er hat mir aber versprochen, dass er, wenn mein Vater wieder selber fahren will, mit ihm fahren und ihn beobachten würde (er, der Freund, war früher Fahrlehrer). Falls er Schwierigkeiten bemerkt, würde er mich anrufen oder sich an die Führerscheinstelle wenden. Er teilt meine Einschätzung, dass mein Vater sehr vergesslich geworden ist. Er sagt auch, dass mein Vater sich langweile, aber trotzdem nur in den anderen Ort ziehen wolle, sofern die Nichte der Lebensgefährtin aus der Haushälfte auszieht.


    Der andere Kontakt, von dem ich wusste, ist der Bruder der Lebensgefährtin, der auch ca. 100 km entfernt wohnt. Hier habe ich erfahren, dass die gesamte Familie sehr zerrüttet ist, dass eigentlich kaum Besuche oder Telefonate stattfinden würden. (Für mich klang es aus dem Mund der Lebensgefährtin immer nach einer tollen Verbundenheit unter den Geschwistern.) Der Bruder und seine Frau hätten die Lebensgefährtin bei diesen seltenen Kontakten schon darauf angesprochen, dass sie sich untersuchen lassen müsste und dass sie Hilfe bräuchte. Vor allem haben sie ihr geraten, die Nichte aus dem Haus zu werfen. Diese sei nach Angaben aller mindestens alkoholabhängig, eventuell inzwischen sogar obdachlos. Mein Vater und die Lebensgefährtin bringen es nicht übers Herz, sie rauszuschmeißen, weil sie Angst haben, sie würde sich etwas antun, wie ihre Mutter - die Schwester der Lebensgefährtin, der die andere Haushälfte gehörte, in der nun der Witwer lebt, der seine Tochter aber nicht mehr sehen will. Der besagte Bruder und seine Frau sagen, sie hätten alles getan, würden aber trotzdem versuchen, ab und an Kontakt aufzunehmen.


    So weit zur Möglichkeit einer Familienkonferenz... Es gibt auch keine Nachbarschaftshilfe. Nach Angabe des Bruders hatte die Lebensgefährtin nie richtige Freunde. Und meinen Vater fanden er und seine Frau obendrein von Anfang an unsympathisch.


    Ich alleine habe bei jedem Treffen mit beiden zusammen gesprochen. Es kam jedes Mal ein anderer Entschluss dabei heraus, nur der letzte, dass mein Vater nach ... ziehen will, hält sich länger. Ich habe ihm auch angeboten, dass ich ihm bei der Umzugsorganisation helfen werde, mache mir aber wegen der "Untermieterin" noch mehr Sorgen. Diese leiht sich immerzu Geld von ihrer Tante, verliert ihr Portemonnaie (das erzählte mir der Freund meines Vaters) usw.
    - Darf ich mich als Angehörige an einen Pflegestützpunkt wenden, z.B. im Ort der Lebensgefährtin? Kann ich dort anrufen und die Situation schildern? Würde dort jemand Kontakt zu den beiden aufnehmen und sich die Wohnsituation anschauen?
    - Wissen Sie, ob ich mit meinen Vollmachten einen anderen Allgemeinarzt (nicht seinen Hausarzt) kontaktieren und einen Termin für meinen Vater vereinbaren darf? Wenn ich die Planung ihm überlasse, wird nichts passieren. Ich könnte nur versuchen, ihn von diesem Wechsel zu überzeugen, indem ich, so wie Sie es sagen, Herr Hamborg, von anderen medizinischen Untersuchungen oder vielleicht besser sogar von Vorsorgeuntersuchungen spreche. Der alte Hausarzt hat die ganze Sache nicht ernst genommen und nur festgestellt, dass der Blutdruck in Ordnung ist und dass mein Vater sich regelmäßig Rezepte für sein Bluthochdruckmittel abholt, das seiner Meinung nach nicht für den Gedächtnisnachlass (den mein Vater ihm gegenüber selbst zugegeben hat) verantwortlich ist.
    Entschuldigen Sie, dass dies so ausführlich geworden ist. Aber wie Sie sehen, habe ich bei dem Thema keine weiteren Ansprechpartner.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Planlos, gut dass Sie dranbleiben und alles in die Hand nehmen! Den Pflegestützpunkt können Sie natürlich direkt ansprechen und dann ist es sinnvoll auch die Vollmacht zu besprechen.
    Aber so wie es sich anhört, finden Sie die Entscheidungen einvernehmlich, wenn Sie immer wieder an das gemeinsame Vertrauen appellieren und Ängste ansprechen. Dabei können Formulierungen helfen wie: "Ich habe Dir versprechen, Dir in Notzeiten beizustehen und Du hast mir dafür Dein Vertrauen geschenkt. ... Du bist mir wichtig ... ich mache mir Sorgen, kann schlecht schlafen ... Du kannst mir helfen, dass es mir in meiner Situation besser geht .... "


    Ein gutes Zeichen ist, dass Ihr Vater von sich aus nicht mehr Auto fahren möchte und dass er einen Freund an der Seite hat.
    Die Wohnsituation hört sich ziemlich desolat an. Auch Angehörige können sich an eine Suchtberatungsstelle wenden, um Unterstützung dafür bekommen nicht zum Ko-Süchtigen zu werden, der durch das Leihen von Geld und andere Unterstützung sogar dafür sorgt, dass eine wirksame Suchttherapie nicht angenommen wird. Sie können natürlich die fremden Familienangelegenheiten nicht klären, aber wenn Sie am Telefon zureden, nachfragen und den richtigen Lösungsweg im Auge behalten, haben Sie aus der Entfernung schon sehr viel getan.
    Soweit erstmal, weiterhin viel Erfolg, Ihr Martin Hamborg

  • Hallo an alle Mitlesenden,


    inzwischen ist ein Monat verstrichen, ohne dass es mir gelungen ist, meinen Vater von einem Arztbesuch zu überzeugen. Es ist aber auch kein Wunder, weil er sich hauptsächlich um seine Lebensgefährtin sorgt. Heute hat er mich zweimal angerufen. Zweimal haben wir gut und gerne zwanzigmal darüber gesprochen, wie ungünstig die Situation der beiden ist. Er hat mir immer wieder erzählt, dass sein Freund gestern ihn UND seine Lebensgefährtin für ein paar Tage an den Wohnort meines Vaters bringen sollte, damit die beiden die alkoholkranke Nichte loswerden. Sie sollte vor die Tür gesetzt werden, die Tür sollte verschlossen werden, die Frau solte sich um sich selbst kümmern. Aber im allerletzten Moment ist die Lebensgefährtin meines Vaters weich geworden. Am Ende sind sie und ihre Nichte dort geblieben, mein Vater wurde zu sich nach Hause gebracht. Dort sitzt er nun und grübelt, vor allem auch, weil er merkt, dass seine Partnerin sich am Telefon und auch sonst nur noch wiederholt und oft vollkommen relevanzfreie Dinge sagt, bei denen er sich fragt, wie sie auf das Thema denn plötzlich kommt. Er sagt, er würde mit ihr gerne betreut wohnen, weil sie Hilfe brauche, die er ihr alleine nicht geben könne. Jetzt ist er gerade schon fast wieder froh, dass seine Partnerin nicht alleine im Haus ist, sondern die Nichte da hat. Ich habe ihm angeboten, ihm einen Brief zu schreiben mit Nummern der Suchtberatungsstelle und des Pflegestützpunktes vor Ort. Inzwischen findet er die Idee gut. Ich soll ihm (darum hat er mich gebeten) auch die Punkte mit aufschreiben, die er am Telefon erwähnen will (weil er weiß, dass er sie in der Situation nicht zusammenbekommt). Ich bin gespannt, wie alles läuft. Vielleicht kann ihnen ja jetzt jemand helfen. Mein Vater tut mir so leid, weil er so verzweifelt ist, weil er seiner Lebensgefährtin so wenig helfen kann. Er hat zugegeben, dass er die Nichte im Streit schon geschlagen hat... An alle diese emotionalen Aspekte erinnert er sich, aber an alles drumherum nicht mehr. Es muss einfach etwas passieren.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Planlos, so wie Sie schreiben haben Sie eine Vertrauensbeziehung zu Ihrem Vater, sodass Sie auch für und mit ihm entscheiden können.
    Schwieriger ist es für seine Partnerin, die der Nichte nicht gewachsen ist und ihren Entschluss nicht umsetzen kann. Da kann eine Suchtberatungsstelle durchaus etwas helfen, vielleicht sogar indem eine Betreuung veranlasst wird, damit die notwendigen Grenzen und Entscheidungen eingehalten werden. Manchmal ist es gut, wenn ein Außenstehender diese Aufgabe übernimmt. Die Hilfe im Konflikt mit der Nichte könnte gleichzeitig das Vertrauen für den geplanten Umzug schaffen.


    Welche Möglichkeiten haben Sie, um in dieser Sache zu vermitteln, denn die nächste Eskalation ist zu erwarten. Ist es eine Hilfe für Ihren Vater, wenn er dann die Polizei ruft und es nicht in die eigene Hand nehmen muss. Viele Polizisten sind bei solchen familiären Konflikten ganz gut geschult.
    Viel Erfolg, Ihr Martin Hamborg

  • Hallo Herr Hamborg, hallo Herr Pawletko,


    wie gut, dass es dieses Forum gibt, da bleibt man mit dem Sortieren der Gedanken nicht so allein. Der Tipp mit der Polizeit war gut, ich habe ihn meinem Vater weitergeben, der intuitiv schon mit dem Gedanken gespielt hatte, die Polizei zu rufen. Heute habe ich meinen Vater und seine Lebensgefährtin telefonisch unerwarteterweise in seiner Wohnung angetroffen. Die gute Nachricht: Sie konnten beide das Haus der Partnerin verlassen, ihre Nichte scheint samt Riesenschnauzer nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt ausgezogen zu sein. Wie das geschehen ist und ob tatsächlich die Polizei da gewesen ist, konnte mir keiner von beiden erzählen. Das ist die schlechte Nachricht. Außerdem müssen es die beiden irgendwie geschafft haben, zum Arzt zu gehen, jeder in seiner Kleinstadt. Bei ihr ist jetzt die Diagnose da: Demenz. Nun soll Montag am Wohnort meines Vaters herausgefunden werden, in welchem Stadium, das geht wohl in dem Städtchen besser als bei ihr, wo einfach die nötige Infrastruktur fehlt. Und mein Vater sagte wie selbstverständlich, dass auch bei ihm ein schwerer Verdacht auf Demenz bestehe. Ich war baff, wollte er doch um nichts in der Welt zu irgendeiner Untersuchung. Er muss aber noch einmal bei seinem Hausarzt gewesen sein (vielleicht weil seine Tabletten verbraucht waren). Der hat ihn für nächste Woche noch einmal zu sich bestellt oder einen Termin beim Neurologen festgelegt. Aber was der Arzt gesagt hat und wann der Termin ist etc., das kriegt er durcheinander. Er dachte auch während des Telefonierens öfter, er sei in ihrer Wohnung. Auch den Geburtstag seines Enkels hat er zum ersten Mal vergessen. Er hat nämlich seinen neuen Kalender schon wieder verloren, in den ich alle möglichen wichtigen Adressen und alle Geburtstage und andere für ihn wichtige Daten eingetragen habe... Er ist so unglücklich. Er wünschte, er könnte mit seiner Lebensgefährtin betreut wohnen, wo ihm jemand die Last abnimmt, mit Terminen und Zahlen umzugehen. Das Schwierige ist, ich kann da nichts in die Hand nehmen, solange die beiden sich nicht einig sind, wo. Heute haben sie sich, als ich am Telefon war, darüber gestritten... Kann man so einen Menschen aber nicht wenigstens davon befreien, seine Steuererklärung machen zu müssen. Er hat dieses Jahr schon x mal gefragt, was er dem Steuerberater alles einreichen muss. Ich kann ihn da gar nicht beruhigen, wenn ich sage, dass er eigentlich nichts Besonderes einreichen muss. (Ich selber bin freiberuflich tätig und habe von einer Steuererklräung für Pensionäre keine Ahnung.) Seinen Nebenjob hat er schon längst aufgegeben und sonst hat er nur seine Pension..


    Traurige Grüße
    von Planlos

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Planlos, es freut mich, dass es immer ein Stück klarer und besser wird! Ganz wichtig erscheint mir, dass Ihr Vater den Gedanken an die Demenz immer mehr zulassen kann. Es kann tatsächlich sehr entlastend sein, wenn man eine gute Erklärung für das Vergessen und Verlegen hat. Damit werden pragmatische Lösungen einfacher. Vielleicht erinnern Sie sich an eine Kampagne vor einigen Jahren: "Ich bin dement" stand auf den Handinnenflächen, die zu Hilfe einluden und gleichzeitig vor Überforderung und Erwartungen (von innen und außen) schützten.
    Dazu gab es einen kleinen Flyer, wie Außenstehende unaufgeregt helfen können.


    Die Einsicht "ich gehöre jetzt zu den 1,7 Millionen Menschen mit einer schweren Krankheit und darf jetzt Hilfe von außen annehmen, um mein Leben leichter zu machen" erleichtert viele kleine pragmatische Lösungen im Alltag.
    Mit dieser Einsicht konnte Ihr Vater (vermutlich) die Polizei rufen oder damit drohen, seine Partner hat die bessere Infrastruktur der Kleinstadt genutzt, nur zwei Beispiele aus Ihrer Beobachtung.


    Nun gilt es ganz einfache Ordnungssysteme für den Kalender und die Termine zu finden. In meinen Vorträgen zeige ich gern eine Karikatur: Zwei alte Landstreicher gehen auf einem Weg. Der eine sagt, "es fing alles damit an, dass ich meinen Terminkalender verlegt habe." Häufig höre ich von Menschen mit Demenz den Satz, wir vergessen doch alle mal was...


    Vielleicht hilft es auch, wenn wir wissen, dass einige Jahre vor der Demenzdiagnose depressive Verstimmungen die Krankheit ankündigen. Ich vermute, dass der Leidensdruck für das beginnde Vergessen nicht der alleinige Grund ist, sondern der fortschreitende Verlust an Nervenzellen auch die Neurone betrifft, die die Stimmung aufhellen können.
    Deshalb lassen Sie sich bitte nicht von der Traurigkeit anstecken! Die antidepressiv wirkenden Botschaft ist: Ja es ist traurig, aber wir können etwas tun!


    Dies betrifft auch die Steuererklärung: Ihr Vater zeigt die Überforderung und er braucht für eine vermutlich unerfreuliche Tätigkeit nicht mehr das was für Menschen mit Demenz in erfreulichen Tätigkeiten sinnvoll ist: Punktuelle Hilfe um möglichst selbst das Erfolgserlebnis zu bekommen. In der Therapie würde dies so geübt, dass immer der letzte erfolgreiche Handlungsschritt, den der Mensch mit Demenz noch selbst gestalten kann, selbst erlebt werden darf und nicht durch andere abgenommen wird.


    Aber überfordernde und unangenehme Dinge dürfen auch komplett abgegeben werden.
    Also in diesem Sinne: Kennen Sie einen Steuerberater oder einen Lohnsteuerverein der es für Ihren Vater übernimmt oder können Sie sich selbst in das Feld einarbeiten?
    Viel Erfolg, Ihr Martin Hamborg

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