Was tun bei sozialer Inkompetenz?

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  • Hallo allerseits,


    da ich beim besten Willen nicht mehr weiter weiß, versuche ich es nun noch hier mit einer Fragestellung in die Runde:


    Hat irgendjemand eine brauchbare Idee, was man für oder mit eine(r) zunehmend dement werdende(n) Person anfangen soll, die sich auf nichts und niemanden einläßt und der man einfach nichts recht machen kann?


    Ich versuche seit Jahren, für meine Mutter die Weichen so zu stellen, daß sie noch etwas Lebensqualität hat und vor allem für die Zukunft, wo sie immer weiter abbbauen wird, versorgt ist. Aber es ist völlig egal, wen oder was ich (oder andere) vorschlage(n), nichts paßt bzw. gefällt ihr und sie zieht sich immer auf's Alleinsein in ihrem Haus zurück. Wo sie natürlich einsam und unglücklich ist. Früher hat sie immer gesagt, wenn sie nicht mehr könnte, würde sie sich jemand zur Betreuung ins Haus holen. Jetzt, wo dies nötig ist, weiß sie davon nichts mehr und hat schon äußerst vehement meine Versuche unterbunden, solche Personen bei ihr einzuquartieren.


    Ich habe schon bestimmt ein Dutzend Personen in unterschiedlichen Konstellationen ausprobiert (stundenweise bis rund-um-die-Uhr), aber niemand ist ihr recht.


    Ich habe schon selber eine Angehörigenschulung für Demenzerkrankte besucht, sämtliche Ratschläge von Fachleuten etc. ausprobiert, aber einfach nichts funktioniert (auch nicht mit sogenannten Fachleuten, die angeblich Erfahrung mit Dementen haben und sich darauf einstellen können sollten).


    Heute war eine Dame vom Pflegedienst (die einzige vom Team, die von meiner Mutter überhaupt akzeptiert wird) mit ihr voller Enthusiasmus in einer nahegelegenen Einrichtung in der Hoffnung, meine Mutter würde sich allmählich auf eine Tagesbetreuung dort einlassen. Aber, wie nicht anders zu erwarten, gefällt ihr auch das nicht und sie will partout nicht wieder hin. Auf meine Frage, was sie sich stattdessen vorstellt und wie es mit ihr weitergehen soll, kam nur, daß sie dann eben die alten Kontakte reaktivieren müßte.


    Mittlerweile sehe ich nicht mehr die Demenz als das Problem an, sondern ihre von mir diagnostizierte nicht vorhandene Sozialkompetenz. Sie hat ihr Leben lang viel gearbeitet und geschafft, aber sich nie auf Menschen eingelassen und nie gelernt, mit anderen klarzukommen. Freundschaften hat es auch nie gegeben, nur (wie ich mittlerweile festgestellt habe) distanzierte Bekanntschaften. Insofern wird sie auch keine alten Bekanntschaften aufgewärmt bekommen, schon gar nicht in ihrem nun stark angeschlagenen Zustand. Und sie lebt seit fast drei Jahrzehnten alleine, ist es also auch gar nicht gewohnt, sich auf irgendwen einzulassen oder sich anzupassen.


    Ich habe einfach keine Nerven und keine Energie mehr, noch etwas auszuprobieren und ich habe auch überhaupt keine Lust mehr, mich ihr zu befassen, weil - und so ist es leider schon mein ganzes Leben - immer ich mich nach ihr richten muß und niemals sie sich nach anderen. Das macht sie noch einsamer, weil ich mich dadurch noch mehr zurückziehe als wenn sie etwas kooperativer wäre und irgendwen oder irgendwas anderes als MICH als Zeitvertreib akzeptieren würde.


    Fällt jemandem noch etwas ein, was in so einem Fall in Frage käme? Bitte keine "Anteilnahme", auch wenn das lieb gemeint ist, sondern konkret unsetzbare Vorschläge!

  • Hallo Hanne63,


    danke für Ihren Versuch der Hilfe! "Konkret" geholfen mit umsetzbaren Vorschlägen haben Sie mir zwar nicht, mir aber wieder einmal (nach all Ihren sonstigen Beiträgen, die ich gelesen habe) gezeigt, daß es erhebliche Parallelen bei uns gibt. Insofern ist es ein gewisser Trost für mich, da ich SO etwas wie mit meinen Eltern im Bekanntenkreis noch nicht erlebt habe und alle, denen ich davon erzähle, nichts sagen, außer mir viel Kraft zu wünschen. Wahrscheinlich denken die: "Dem Himmel sei Dank, daß ich nicht in der Haut von dieser armen Sau stecke."
    Letztlich kommen Sie zu dem gleichen Ergbnis wie ich: laufen lassen, anders geht es nicht. Das führt dann aber dazu, daß irgendwann (Zeitpunkt ungewiß) etwas passiert, wo unverzüglich gehandelt werden muß. Aber ob ICH dann zur Verfügung stehe, ist EBENFALLS ungewiß. Schließlich muß ich mich auch noch um MEIN Leben kümmern und das sieht kein permanentes Verweilen vor Ort vor inkl. Warten auf meinen nächsten Einsatz i. S. Mutter. Ich habe keine Langeweile; ganz im Gegenteil bräuchte ich mehr Ruhe und Muße für Denkarbeit, die mir fehlt. Ständig werde ich unterbrochen und muß mich nach irgendwem oder irgendwas richten; so kann das nichts werden.


    Und damit kommen wir an den Punkt, den Sie mit Ihrer Frage "Was wäre, wenn es mich überhaupt nicht gäbe ..... was würde mit den Eltern dann passieren und wer würde dann wie handeln?" ansprechen. In meinem Falle: meine Mutter würde ungehindert ihr Vermögen unter die Leute bringen und irgendwer hätte inzwischen längst die Behörden eingeschaltet und es wäre eine gerichtliche Betreuung angeordnet worden. Geld und Vermögen der Mutter wären weg (vielleicht nicht sofort, aber bald) und sie würde, wie unzählige andere, KOMPLETT der Solidargemeinschaft auf der Tasche liegen (noch mehr als wie sie es ohnehin schon durch ihre Rente und ihr Pflegegeld tut). Sie wäre vermutlich in einer Einrichtung untergebracht und hätte dort zwangsläufig mit Leuten zu tun, die ihr evtl. gut täten, wenigstens teilweise.


    Da es mich aber noch gibt und ich zumindest aus statistischer Sicht erst nach ihr versterbe, gilt: Kinder haften für ihre Eltern! Also müßte ich dann aus eigenem Budget für mindestens 10 Jahre (ihre zu erwartende Restlebenszeit) für die Kosten aufkommen, die, so wie ich alles eingerichtet habe, aber vollkommen problemlos aus ihrem eigenen Einkommen/Vermögen bezahlt werden können/sollen (jedenfalls solange hier nicht alles kollabiert und implodiert, siehe 2007/8). Welche Kosten bei Heimunterbringung zu erwarten sind habe ich an anderer Stelle schon erwähnt in Bezug auf meinen Vater, der seine letzten drei Lebensjahre im Heim war und erst vor einem halben Jahr verstorben ist.


    "Akzeptieren der Situation", wie Sie schreiben, kommt für mich nicht in Frage. Wenn ich alles akzeptieren würde um mich herum, wäre ich längst am Ende. So lebensmüde bin ich NOCH nicht. Wobei auch das nur eine Frage der Zeit ist. Ich habe ein verlorenes Jahrzehnt hinter mir mit Krieg (mit vielen Idioten), etlichen Gerichtsverfahren, immensem Zeitaufwand für Unerfreuliches, viel Ärger und der Begleitung meines Vaters bis weit jenseits des 90. Lebensjahres inkl. drei Jahren Heimaufenthalt. Das reicht mir; ich habe absolut keinen Bedarf, ein weiteres Jahrzehnt zu vergeuden, bis meine Mutter ablebt.
    Meine Lebensgefährtin und ich gehören zur "Babyboomer"-Generation und müssen selber zusehen, für's Alter finanziell vorzusorgen (Rente is' nich'). Das ist schon schwierig genug, auch ohne von der Vorgängergeneration über alle Maßen in Anspruch genommen zu werden.



    Nun zu Sonnenblümchen und Ihren Fragen:


    Meine Mutter möchte auf jeden Fall Kontakte und "liebe" Menschen um sich rum, hat aber selber nie dafür gesorgt, daß welche da sind. Diejenigen, die ich ihr anbieten konnte, sind nicht nach ihrem Geschmack (kann ich durchaus verstehen, nur "backen" kann ich ihr eben auch niemanden). Die ganz wenigen, die ihr gefallen würden, haben aber kein Interesse an ihr bzw. nicht ansatzweise die viele freie Zeit, sich so einzubringen, wie es nötig wäre. Angst vor anderen Menschen hat sie bestimmt NICHT, sie kann sich nur nicht auf sie einlassen. Zeitlebens mußte immer alles nach ihrer Vorgabe laufen und so etwas tut sich höchstens ein Sklave an, aber kein freier Mensch.
    ICH kann theoretisch akzeptieren, daß meine Mutter keine Tagespflege will, weiß aber, daß es PRAKTISCH nicht mehr alleine geht. Was meine Mutter will? Daß alles so bleibt wie es über Jahrzehnte war, daß sie eigenständig und selbstbestimmt ihr Leben gestaltet. Wenn sie alleine ist, wird sie sich vermutlich viel langweilen, denn für ihren Haushalt und die Gartenarbeit braucht sie schließlich nicht den ganzen Tag. Lesen und Fernsehen scheint ihr nichts mehr zu bringen, Musik hören und in die (eigene) Sauna gehen ebensowenig. Also LANGEWEILE, teilweise scheint sie schon gegen 18 Uhr ins Bett zu gehen.


    Was Sie bzgl. Kind und Geschrei und KiTa schreiben, sehe ich genau so. Aber wer zwingt meine Mutter dorthin? Da sind wir ja wieder in dem Dilemma, was ich schon oft geschrieben habe: solange sie ihren Willen äußert (ICH WILL NICHT !!!!) haben alle Respekt davor und auch die Gesetzgebung beachtet dies. Niemand zwingt sie dorthin (wie auch), also sitzt sie einsam und alleine und verzweifelt zu Hause. Da ist unsere Gesetzgebung absolut SCHÄDLICH, weil sie Menschen einen freien Willen zugesteht, die die Konsequenzen ihrer Entscheidungen überhaupt nicht mehr begreifen und daher gar nicht entscheiden DÜRFEN sollten! Klar, Eltern dürfen für ihre MINDERJÄHRIGEN Kinder entscheiden. Wir als Kinder für unsere Eltern aber NICHT, jedenfalls solange sie sich noch deutlich artikulieren. Was nützt mir da meine notarielle Vorsorgevollmacht, was nützt mir das Attest der Ärztin meiner Mutter, daß Mutter nicht "testierfähig" ist? NICHTS, weil ich gegen ihren geäußerten Willen nichts tun darf und niemand sie zwangsweise irgendwo behält, wo sie nicht freiwillig bleibt.


    Was ICH will? ABSTAND! Ein Ende des ewigen "ich will nicht" von meiner Mutter. Endlich mal die Möglichkeit, mich aus der vordersten Schußlinie herauszunehmen und an jemanden abgeben zu können (so wie bei meinem Vater im Heim, wo ich zwar für das Finanzielle und die Bürokratieerledigung etc. gesorgt habe, aber eben nicht für Bespaßung, Pflege, Gesellschaft, Wäsche, Essen, medizinische Versorgung usw.).


    Ich bin NICHT täglich bei ihr; eher würde ich mich/uns umbringen!!! Einmal die Woche tue ich mir den Besuch bei ihr mindestens an, aber auch das ist mir viel zu viel. Einmal im Monat könnte notgedrungen gehen, wenn der Rest funktioneren würde. Tut es aber ja auch nicht; ich habe immens viel mit Büorarbeit für sie (und mich) zu tun (ich spare mir die Auflistung, sonst werde ich gar nicht mehr fertig mit schreiben). Es nervt mich zu Tode, daß ich immer nur im Hamsterrad stecke und funktionieren muß, und vor allem, daß ich quasi jederzeit auf Abruf bereitstehen muß, um wieder irgendwo die Feuerwehr zu spielen (wie an anderer Stelle erwähnt, wenn die Nachbarn mit ihr Amok laufen zum Notar oder zur Bank oder Mutter Anzeige gegen mich erstattet oder oder oder). Morgen habe ich wieder einen Gerichtstermin; in vier Monaten drei weitere. Alles Zeitverschwendung und unnützes Nervenaufreiben. Dazu noch das ständige Theater mit meiner Mutter; ich will das einfach nicht mehr.

  • Hallo Hanne63,


    die Nichterreichbarkeit im Notfall ist für mich keine Option; ich bin IMMER erreichbar (nicht nur i. S. Mutter) und das ist auch oft gut so, weil ich sonst wieder negative Folgen ausgleichen müßte, die durch eine sofortige Reaktion aufgrund meiner Erreichbarkeit unterbleiben können.


    Aber letzten Endes können Sie mir auch nichts anderes empfehlen, als was ich ohnehin schon tue: mich distanzieren, zurückziehen, den Kontakt nur noch einseitig führen (von mir aus).
    Dadurch habe ich zwar mehr Abstand, den ich auch dringend brauche, aber das mega-schlechte Gewissen bleibt, weil ich das Gefühl habe, meine Mutter im Stich zu lassen. Und das als Dank für all das, was sie zweifellos für mich getan hat. Aus dem Dilemma werde ich wohl nie rauskommen.


    Bei meinem Vater bin ich einfach nur froh, daß er "endlich" tot ist und seitdem für mich eine immense Entlastung Realität geworden ist. Das liest sich zwar richtig übel, entspricht aber meinem Empfinden. Die jahr(zehnt)elange Belastung ist endgültig vorbei; ich danke fast jeden Tag dem Universum dafür. Und wünsche mir, daß ich i. S. Mutter auch mal Entlastung erfahre.

  • Hallo Sohn,
    ich schreibe diese Antwort ganz aus dem Bauch heraus und komme direkt auf den Punkt.


    Beim Lesen eines Buches kam ich zu der Erkenntnis, dass meine Mutter eine Narzisstin ist. Als ich mich in meiner Unsicherheit und seelischen Not an die Telefonseelsorge wandt, erhielt ich nach kurzer Schilderung meiner Vermutung und familiären Situation folgendes Resümèe: "Da hat Sie ihre Mutter ja perfekt abgerichtet!" Sofort schoß mir das Bild eines Schäferhundes in den Kopf, der von seinem Frauchen über den Übungsplatz gescheucht wurde. Mir war sterbenselend. Es fühlte sich an wie ein Hieb in die Magengrube. Das war mein Moment der Wahrheit.


    Hier nun der Titel:
    "Wenn Mütter nicht lieben" von Susan Forward.


    Kommen Ihnen diese Sätze bekannt vor?


    Ihre Mutter ...
    "Und was ist mit mir?"
    "Weil ich es sage."
    "Ich verlange doch gar nicht so viel von Dir."
    "Du bist so übersensibel."
    "Das war doch nur ein Witz. Wo bleibt Dein Sinn für Humor?"


    Wie Bindung zur Fessel wird:
    Ihre Mutter ...
    sagt oder gibt zu verstehen, dass sie ohne Sie nicht zurecht kommt und sie nur von Ihnen Hilfe will etc.


    Die Verletzung heilen:
    "Langsam erkenne ich, dass es nicht meine Schuld war."


    Grenzen setzen:
    "Ich hätte nie gedacht, dass ich das Recht habe Nein zu sagen."



    Ich las dieses Buch vor zwei Monaten. Nur seitenweise war es mir möglich, aufzunehmen, was ich dort las. Mein Leben schien von einer fremden Person so exact skizziert, dass ich einfach nur noch erschüttert und fassungslos war. Mein Körper reagiert mit Fieber und Schüttelfrost und ich fühlte mich so furchtbar, dass ich es kaum formulieren kann. Plötzlich verstand ich, dass mit mir absolut alles in Ordnung war. Am liebsten hätte ich mich total zurückgezogen, aber ich hatte ja meine Mutter und ihren Mann zu versorgen (immer schön pflichtbewußt). Dennoch nahm ich meine Bedürfnisse zum ersten Mal in meinem Leben "ohne schlechtes Gewissen" sehr ernst und reduzierte meine Besuche auf das Notwendigste (Mahlzeiten, Tabletten richten).


    Weitere Literatur wie "Das bleibt in der Familie" von Sandra Konrad und "Dies ist mein Leben" von Isabelle Nazare-Aga zeigten mir deutlich auf, dass ich dringend handeln musste.


    Ich glaube nun auf einem guten aber noch langem Weg zu sein, dennoch immer begleitet von unverarbeiteten Verletzungen und Gefühlen. Hätte ich nicht dieses tonnenschwere Schuldgefühl ablegen können, wäre ich vermutlich schon zusammengebrochen. Es gelingt mir, wenn auch nur in kleinen Schritten, längst Überfälliges in Angriff zu nehmen ohne Überlagerung von vollkommen fehlgeleiteten Glaubenssätzen.


    Auch wenn ich Gefahr laufe, mich in Ihrem Fall zu irren, ist es mir doch wichtig, diesen Beitrag zu veröffentlichen. Wie soll ein erwachsenes Kind in der Pflege seiner Mutter und/oder Vater die gebührende Distanz wahren und sich schützen, wenn es solche Altlasten mit sich herumschleppt. Das ist schier unmöglich.


    Ihre Äußerungen sind unter der Berücksichtigung der enormen Belastung durchaus nachvollziehbar. Hier hat sich über so viele Jahre ein entsetzlicher Druck aufgebaut. Genug ist genug.

  • Guten Abend Elisabetha,


    das tut mir leid für Sie, daß Sie so sehr in Mitleidenschaft gezogen wurden! (Für die anderen Betroffenen hier und woanders übrigens auch!!)


    Ihrem Satz "Da hat Sie Ihre Mutter ja perfekt abgerichtet" würde ich auf meine Situation bezogen BEDINGT zustimmen; zumindest versuchen tut meine Mutter, daß alle und jede(r) nach ihrer Pfeife zu tanzen haben/hat. Klappt natürlich kaum, daher die fehlenden (näheren/tragfähigen) sozialen Kontakte.


    Daß meine Mutter nicht liebt, stimmt meiner Einschätzung nach nicht. Eher das Gegenteil: viel zu viel Konzentration auf mich als einziges Kind. Ehe ein Fiasko, keine Nähe, kein Verständnis, keine menschliche Wärme. Da bleibt wohl nur die Fixierung auf das (leider einzige) Kind.


    Ob mir die Sätze aus dem Buch bekannt vorkommen, fragen Sie: nein, kein einziger.


    ABER letztendlich spannt sie mich sehr deutlich ein und verhindert, daß ich von ihr in einem für mich ERTRÄGLICHEN Maß beansprucht werde.


    Zusammenfassend würde ich meine Mutter nicht als narzistisch einschätzen, sondern einfach nur als sehr dominant und (aus Mangel an Gelegenheit sowie wahrscheinlich auch durch die eigenen, sehr strengen Eltern) nicht gewohnt, sich gleichberechtigt mit anderen Menschen zu arrangieren.


    Als mein Vater vor einem halben Jahr starb, hatte ich mal für ein paar Wochen ein sehr angenehm entspanntes Verhältnis zu ihr. Da war sie "lammfromm", hat mich von A bis Z einfach ALLES regeln lassen (Zimmer ausräumen, Formalitäten, Grab beschaffen, Beerdigung usw.) und war rundherum froh und zufrieden damit, was ich gemacht habe. Zu der Zeit bin ich auch gerne zu ihr gefahren und habe sie häufig angerufen. Wie man das so macht, wenn es für beide Seiten paßt, harmonisch und gleichberechtigt. Aber schon bald darauf kam wieder der massive Drang bei ihr durch, ihren Willen durchsetzen zu müssen und das führt zwangsläufig, da ich ihrem selbstschädigenden Verhalten Paroli geboten habe, zu argen Verstimmungen und dem schlimmen Gefühl ihrerseits, daß ich ein total mißratener Sprößling bin, der sie entmündigt hat etc.. Dazu kam in dieser unglücklichen Situation die doppelte Unterstützung meiner Mutter durch verantwortungslose (und evtl. habgierige) Nachbarn, die hinter meinem Rücken massiv gegen mich intervenierten und sie vermutlich in ihrer (total falschen) Wahrnehmung bestärkt haben.


    Letzlich bin ich jetzt in der gleichen Situation wie früher auch, nämlich daß ich nie gefragt werde, was ICH möchte, sondern immer nur die Vorgaben der Eltern (inzwischen nur noch der Mutter) zu erfüllen habe. Eben wie ein Sklave, nicht wie ein Mensch, der selber Rechte hat.


    Es ist völlig egal, ob Sie sich in meinem Fall irren oder nicht; hier geht es schließlich nicht darum, Recht zu haben. Ihr Beitrag ist bestimmt für viele Leser(innen) von Bedeutung und darauf kommt es an. Ich drücke Ihnen die Daumen, daß Sie Ihre "Aufgaben" bewältigt bekommen!



    Guten Abend hanne63,


    die Schuldgefühle bekommt wohl niemand weggezaubert, ich jedenfalls nicht.


    Ja, wir scheinen nicht die einzigen zu sein, die in ähnlichen Situationen sind. Aus anderen Beiträgen, wie z. B. von Jutta 60 oder Zimt, lese ich Vergleichbares heraus.




    Guten Abend Sonnenblümchen,


    ich weiß nicht, warum ich Ihre Fragen nicht öffentlich beantworten sollte. (Ich weiß aber auch nicht, warum manche Menschen auf "Diskretion" hoffen in ihren Angehörigengruppen, was ich irgendwo hier gelesen habe. Ist doch weder schädlich, wenn etwas bekannt wird, noch gibt es einen Grund, sich zu schämen.) Und wenn ich Ihre Fragen für andere nachlesbar beantworte, kann das ja auch für diejenigen erhellend sein. Dafür schreiben wir ja hier.


    Ich verstehe auch nicht falsch, wenn Sie schreiben, meiner Mutter ginge es noch nicht schlecht genug für eine Betreuung. Ich weiß genau, was Sie meinen, und damit haben Sie vollkommen Recht. Diesen Punkt habe ich jüngst mit diversen Leuten besprochen und dabei gesagt, daß ICH fürchte, daß meine Mutter NIEMALS bereit dafür sein wird. Ihres Charakters wegen. Es muß also irgendwann irgendwas passieren; das haben MIR schon einige gesagt. Tja, teilweise ist meine Mutter noch superfit; im Grunde genommen fehlen ihr "nur" der Verstand sowie die räumliche und zeitliche Orientierung. Und vergessen tut sie in erschreckendem Ausmaß. Aber sich bewegen kann sie einwandfrei, arbeiten, sprechen, ... . Es wäre optimal, wenn sie jemanden hätte, der diese Defizite kompensiert, dann hätte sie noch richtig viel Lebensqualität. Nur: die geeignete Person steht nicht zur Verfügung.


    Deswegen müßte ich (jedenfalls vom Verantwortungsgefühl her) öfter nach meiner Mutter schauen, da haben Sie auch Recht. (Zumal ihre Essensversorgung zunehmend dürftig wird (Essen auf Rädern hat sie von Anfang an gehaßt (und nicht aufgegessen), deswegen habe ich es am zweiten Tag wieder abbestellt). )


    ABER, und hiermit beantworte ich Ihre nächste Frage, ich habe im Grunde KEINE schönen Momente mit ihr. Es ist für mich immer nur Pflichterfüllung, gibt mir aber rein gar nichts; so, wie mein ganzes Leben schon (bis auf die erwähnte kurzzeitige Ausnahme vor einem halben Jahr, als mein Vater starb). Das hat mich immer schon genervt und abgestoßen. Während für andere Familien Weihnachten eine tolle Zeit war, mußte ich immer nur schön brav sein und mich dem für mich fürchterlichen Weihnachtsbrimborium von vier Erwachsenen (Eltern und Großeltern) fügen. Dadurch ist für mich mittlerweile die schönste Art, die Weihnachtszeit zu verbringen, weit weg von zu Hause, im Warmen, vielleicht am Meer, ohne Weihnachtsbaum und -musik und ohne Kirche usw. . Für meine Mutter ist das eine Riesenenttäuschung. Daß jemand etwas so anders sieht/mag/handhabt als sie, verkraftet sie nicht. Ich sollte immer das tun/machen/mögen, was ihr gefiel. Sie hingegen hat sich NIE auf das eingelassen, was MIR gefällt. Da ist es doch kein Wunder, daß ich keinerlei Bedarf verspüre, mit ihr Zeit zu verbringen, oder?


    So, nachdem ich nun schon die beste Zeit mit meiner Mutter hier veröffentlicht habe, kann ich selbiges auch noch in puncto Vater tun: die mit (großem) Abstand beste Zeit mit ihm waren die beiden Nächte in seiner Sterbephase, die ich bei ihm war. Bis er es geschafft hatte. Eine ziemlich kurze Zeitspanne in Anbetracht der Jahrzehnte gemeinsamer Lebenszeit.

  • Guten Morgen an alle, die gerade hier sehr intensiv schreiben!
    Die Begleitung dementer Angehöriger ist sehr schwer und belastend. Und noch mühsamer, wenn das Verhältnis in besseren, gesunden Tagen schon konfliktbeladen war. Diese Konflikte machen alles noch viel mühsamer und oft brechen sie gerade dann mit großer Macht auf. Hanne hat dazu schon den Rat gegeben, den ich auch gehabt hätte.
    Die letzten Stunden mit meinem sterbenden Vater und später mit meiner sterbenden dementen Mutter waren übrigens wirklich die intensivsten und besten, so absurd das klingt: ich konnte ihnen danken für ihre Liebe und Fürsorge und ihnen das (sehr, sehr wenige) verzeihen, was nicht so gut gewesen war. Denn kein Mensch kann die Bedürfnisse eines anderen völlig befriedigen, auch Eltern können das nicht. Wir sind alle fehlbar und es hilft manchmal, sich auf sich selbst zurückzunehmen.
    Keine Stunde mit meiner dementen Mutter war übrigens in meinen Augen vergeudete Zeit. Sie gehört zu meinem Leben dazu und ich begreife sie nicht als verloren sondern ich habe versucht, daraus zu lernen. Und es gab sehr viel zu lernen. Z.B., dass Konflikte ausgetragen werden müssen und nicht kleingehalten werden dürfen. Oder dass für mein Glück nur ich verantwortlich bin.
    Alles Gute in die Runde!

  • Einen guten Tag in die illustre Runde,


    um mal zu einem Ergebnis in Bezug auf meine Fragestellung zu kommen, halte ich fest, daß niemand dafür ein Rezept zu haben scheint, es also vermutlich keine brauchbare Lösung gibt. Das habe ich ohnehin vermutet, aber den Versuch war es trotzdem wert.


    Vielen Dank also an alle, die sich beteiligt haben!


    Nun noch kurze Rückmeldungen zu den letzten Einträgen:



    Sonnenblümchen: Klar ist es traurig, sehr sogar, daß die beste Zeit mit meinem Vater die zwei Nächte in seiner Sterbephase waren, wo er wie im Koma dalag. Bei meiner Mutter wird es nicht ganz so kraß sein, aber ich bin sicher, daß auch da eine große Erleichterung bei mir eintritt und ich mich endlich um eine immense Last befreit fühlen werde anstatt zu trauern. Leider ist es in Bezug auf meinen Vater so, daß die ganzen Beleidsbekundungen anläßlich seines Todes total an der Realität vorbeigehen: das Beileid und den Trost hätte ich über Jahrzehne vorher gut gebrauchen können; nach seinem Ableben hätte ich mir Gratulationen zu meiner "Entlassung in die Freiheit" gewünscht, die es natürlich nicht gab. Ziemlich verkehrte Welt.


    Mir geht es aber nicht darum, meine Eltern als schlechte oder gar böse Menschen darzustellen, denn das waren sie garantiert nicht. Im Gegenteil haben sie versucht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Beste für mich zu tun. Garantiert. Nur sind sie beide Kriegskinder, mein Vater ist als Minderjähriger von der Schulbank weg als Soldat in den Krieg geschickt worden. Daß so etwas Spuren hinterläßt, braucht wohl keiner Erläuterung.


    Sie schreiben etwas von "Konflikte besprechen". Das klingt für mich wie Hohn (nicht wegen Ihnen, sondern wegen unserer familiären Situation!): es gab nie etwas zu besprechen. Wenn der Bedarf dazu da war, fing mein Vater an herumzuschreien wie ein Geisteskranker; mit so jemandem kann man kein Gespräch führen und erst recht zu keiner vernünftigen, gleichberechtigten Lösung kommen.



    Jutta60: Schön, daß Sie "noch da sind", wobei ich mich frage, warum Sie sich das antun, wo doch Ihre Eltern inzwischen beide tot sind. Ich jedenfalls setze keinen Fuß mehr in das Altenheim, in dem mein Vater war, weil ich einfach froh bin, dort nicht mehr hinzumüssen. Genau so wäre ich froh, wenn der Grund für meine Teilnahme an diesem Forum entfallen wäre; dann wäre ich auch da raus. Aber vielleicht brauchen Sie das einfach noch zum selber Verarbeiten Ihrer Situation und es hilft ja auch anderen, was Sie schreiben.
    Offensichtlich gehören Sie "in unseren Kreis", also zu denjenigen, bei nicht alles Friede-Freude-Sonnenschein war mit den Eltern. Freut mich, daß ich nicht der einzige bin!
    Schön für Sie, daß Sie keine Stunde mit Ihrer dementen Mutter als vergeudet empfunden haben; ich wünschte, ich würde das auch so empfinden.
    Zum Ihrem Thema "Konflikte austragen" habe ich mich bereits ein paar Zeilen weiter oben geäußert. Und wenn Sie schreiben, daß nnur Sie für Ihr Glück verantwortlich sind, dann schreibe ich, daß ich aktiv darauf hinwirke, es für mich genau so zu gestalten. Meine Mutter wird dabei leider verlieren, aber das sehe ich nicht als meine Schuld an. Sondern als ungünstige Umstände in ihrem Leben, die es ihr nicht ermöglichen, es sich so gut gehen zu lassen, wie es von den Umständen und den Finanzen etc. möglich wäre. Wenn es also nicht meine Schuld ist, warum soll ich mir mein Leben dann kaputt machen lassen? Ihr Leben ist definitiv vorbei; sie ist nur noch nicht gestorben. Ich hingegen kann vielleicht/hoffentlich noch ein Weilchen leben und mich in dieser Zeit auf meinen eigenen Abgang vorbereiten. Denn, und das halte ich für sehr wichtig, muß ich das Gefühl haben, GELEBT zu haben, um bereit zu sein, zu sterben. Im Moment bin noch überhaupt nicht bereit dazu, weil ich viel zu lange (fast) nur funktionert habe. Ich vermute, daß es fürchterlich ist, "auf dem Sterbebett zu liegen" und mit sich und seinem Leben zu hadern. Festzustellen, daß man etwas Wichtiges nicht umgesetzt hat oder sich nicht getraut hat, anders zu leben, oder gar etwas grundlegend falsch gemacht zu haben oder schlicht, sein Leben verpaßt zu haben.
    Diesbezüglich habe ich noch einiges für mich umzusetzen, und da ich nicht weiß, wie wenig Zeit mir noch bleibt, ist es "höchste Eisenbahn", damit anzufangen.


    Hanne63: Sie schreiben es: "Es ist schlimm... aber es ist, wie es ist." Genau! Was WIR ändern können, ist unser Umgang mit der Situation und unsere Einstellung dazu. Und daß Sie weniger Trauergefühle haben, weil der eigentliche Abschied schon viel früher erfolgte, ist ja nun eindeutig positiv.


    So positiv, wie das Wetter draußen, deshalb empfehle ich allen, ihre Computer auszuschalten und raus in die Sonne und Wärme zu flüchten. Ich gehe jetzt mal mit gutem Beispiel voran :-).


    Ein schönes Wochenende allerseits!

  • Hallo Hanne63, hallo Sohn,


    mein spontaner Entschluss das Thema "narzisstische Mütter" anzusprechen löste bei mir dennoch Gefühle der Unsicherheit aus. Umso größer dann die Erleichterung, dass dies richtig war.


    An Sohn: ich bin absolut bei Ihnen, es geht in diesem Forum nicht darum, Recht zu haben. Ich sehe mich auch nicht als Opfer, vielmehr verstehe ich es als meine Aufgabe, zu lernen und zu verstehen. Ich habe das Glück, noch zu Lebzeiten meiner Mutter diese Entdeckung gemacht zu haben. Seit dem ich ihre Haltung (er)kenne und ich mich entsprechend schütze bzw. zurückziehe genieße ich ihre Achtung und Wertschätzung. Meine devote Haltung in der Vergangenheit machte alles nur noch schlimmer. So haben wir beide jetzt noch die Chance die letzte Zeit (vielleicht sogar noch Jahre) auf einer neuen, gesünderen Ebene zu nutzen.


    An Hanne63: Es bedeutet mir wirklich sehr viel Ihre Rückmeldung erhalten zu haben.


    Ich wurde einmal gefragt, ob ich meine Mutter liebe, das war meine Antwort: "Ja sehr, aber wir haben ein schwieriges Verhältnis." Heute hat sich das Blatt gewendet. Ich bin in der Lage, mich vor dem Narzissmus zu schützen, weil ich um seine Mechanismen weiß. Aber ich sehe auch die Unsicherheit und Verletzlichkeit als Auslöser bei ihr. Sie trägt sehr schwer an Ihrer gesundheitlichen Situation und die dadurch abhanden gekommene Vitalität. Das Alter kommt nun erschwerend dazu. Noch vor wenigen Wochen konnte ich diese Situation kaum aushalten, weil ich glaubte, es irgendwie schaffen zu müssen, ihr die alte Lebensqualität zurückgeben zu können. Heute weiß ich, dass dies nicht in meiner Verantwortung liegt und erkenne meinen täglichen Beitrag als wertvolle Unterstützung an. Ich gebe mein Bestes, mehr geht eben nicht.


    Mein emotionales Päckchen ist nun um so vieles leichter geworden, so gewinne ich mehr Energie für Wichtigeres. Dennoch tauchen immer wieder Situationen aus der Vergangenheit vor meinem inneren Auge auf und mit ihnen die dazugehörigen Gefühle. Ich versuche sie ziehen zu lassen, damit ich meine wertvolle Lebenszeit für nicht zu ändernde Dinge verschwende - gelingt selbstredend nicht immer!


    Seit ca. 1 Jahr besuche ich eine Selbsthilfegruppe, zu Beginn begleiteten einige der dementiell erkrankten Angehörigen Ihre Partner, die sich in der Gruppe Antworten undHilfestellungen erhofften. Nach und nach war es Ihnen nicht mehr möglich an den Treffen teilzunehmen oder während dieser 1,5 Stunden mit Pflegepersonal spazieren zu gehen. Deren Veränderung zwischen den Terminen (4-Wochen-Abstand) war für mich beängstigend. Mittlerweile fühle ich mich in dieser Runde aufgehoben und verstanden. Durch die Begleitung Gruppenleitung (Sozialpädogin sowie Leiterin einer Tagespflege) haben habe ich in den letzten Monaten große Hilfe erfahren.


    Ähnlich geht es mir nun mit diesem Forum, da ich jederzeit auf die unterschiedlichsten Themen Fragen und entsprechende Antworten zugreifen kann. Dafür herzlichen Dank!



    Ihnen liebe Hanne63, wünsche ich von Herzen alle Kraft und viel Unterstützung auf Ihrem Weg.

  • Hallo Teuteburger,


    ich mußte Ihren Beitrag mehrmals lesen, um alles aufnehmen zu können, das was Sie geschrieben haben und was ich zwischen den Zeilen zu lesen glaube.


    Ihre Schilderungen haben mir regelrecht die Luft zum atmen genommen. Letztendlich sind wir alle, die sich diesem Forum angeschlossen haben, Belastungen ausgesetzt, die sich im Laufe der Zeit bis zur Unerträglichkeit zuspitzen. Rational wissen wir doch sehr genau, was wir zu tun bzw. zu lassen haben - aber eben nur rational. Was ist es also, was es uns so schwer macht, die Selbstfürsorge über die Fürsorge unserer Angehörigen zu stellen? Wir steuern sehenden Auges dem Abgrund entgegen und hören dennoch nicht auf, um uns um andere zu kümmern. Die Suche nach der Antwort bedingt eine intensive Arbeit an der eigenen Person, für mich fühlt sich das manchmal so an, als würde ein Edelstein durch höchsten Druck von allen Seiten geschliffen. Mitunter ist das kaum auszuhalten.


    Um den von Ihnen erwähnten Super-Gau aufzugreifen, erlebte ich diesen in der letzten Woche ohne Unterbrechung, um heute den absoluten Peak zu erleben. "So fühlt sich sterben an" war mein Gedanke. Mein Körper schien immer enger und kleiner für die überbordenden Gefühle von Ohnmacht und Wut zu werden. "Du musst Dich zusammennehmen, es wird nur noch schlimmer, wenn Du Dich jetzt gehen lässt". Das war mein Mantra für viele Stunden, in denen ich so oft wie möglich versuchte, Abstand von meiner Mutter zu gewinnen. Als ich mich heute Abend in Sicherheit wähnte, übertraf sich meine Mutter selbst und bescherte mir einen hysterischen Anfall, der sich Gott sei Dank zwar nicht auf mich bezog, mich aber leider mitten in ein atmosphärisches Gewitter geraten ließ.


    Als ich in der Aufruhr meiner Gefühle nicht mehr wusste, wie ich mich beruhigen sollte, rief ich die aktuellen Antworten dieses Forum auf - und las Ihre Zeilen. Plötzlich befand ich mich nicht mehr im Auge des Orkans, sondern konnte einen Schritt zurücktreten, um meinen Focus auf Sie und Ihre Geschichte zu lenken. "Du bist nicht allein, da draußen erleben unendlich viele Menschen Deinen Alltag", das war beruhigend und erschreckend zugleich*.


    *An Sonnenblümchen,


    herzlichen Dank für Ihre Buchempfehlung, ich habe gerade in die Leseprobe hineingeschaut und war sofort "begeistert", wenn ich diesen Ausdruck zu diesem Thema überhaupt verwenden darf.


    Da ich keine vernünftige Überleitung finde, konfrontiere ich Sie alle in der Runde mit folgendem Thema: Hobbies! Es gäbe da so einiges, was mich ausfüllen würde, aber mir fehlen die Zeit und auch die finanziellen Mittel.
    Was tut Ihnen gut? Was lässt Sie Abstand von Ihrem Alltag gewinnen? Was macht Sie glücklich?


    In der wenigen Zeit, die mir am Tage bleibt, sitze ich mitunter total überfordert und kopflos auf meiner Couch und bin nicht in der Lage etwas nur für mich zu tun. Vielleicht habe ich es im Laufe der Jahre einfach vergessen, das ist traurig. Es kommen mir nur Gedanken, was noch alles zu erledigen ist. Aber ich möchte diesem Alltagswahnsinn trotzen, sonst entgleitet mir mein Leben gänzlich. So kann und darf ich nicht weitermachen. Über Ihre Vorschläge würde ich mich aufrichtig freuen.


    Einen schönen Abend für Sie alle!

  • Noch einmal guten Abend in die Runde,


    Elisabetha, Sie sind mir zuvorgekommen :-). Auch ich sehe die Schilderung von Teuteburger kritisch; sofern Sie (Teuteburger) mit Ihrer Situation unzufrieden sind, glaube ich, sollten Sie dringend etwas daran ändern! Ich halte das (vorsichtig ausgedrückt) für alles andere als gesund, was Sie sich antun bzw. bieten lassen, auch wenn ich kein "Experte" bin. Vielleicht können Ihnen ja Fachkompetente auf diesem Gebiet weiterhelfen.


    Das gilt auch für Elisabetha. Trifft vielleicht der Begriff "Helfersyndrom" bei Ihnen beiden zu? Habe ich mal gehört/gelesen, kann aber keine kompetenten Empfehlungen dazu geben.


    Elisabetha, in Ihrem letzten Absatz kommen Sie auf einen Punkt, den ich bei mir auch schon festgestellt habe: durch zu langes Nicht-Ausüben von z. B. Entspannung / Erholung / Abschalten etc. bin auch ich so im Teufelskreis drin, daß ich schon gar nicht mehr gescheit abgeschaltet bekomme. Ich muß mich regelrecht zwingen, Auszeit für mich zu nehmen und Anstehendes auzuschieben oder sein zu lassen. Die richtige Balance ist mir abhandengekommen; aktuell versuche ich, sie wieder herzustellen.


    Geld braucht man dafür nicht; insofern ist es nicht schädlich, daß Sie "blank" sind. Weg von der "Zivilisation"; raus in die Natur, den Vögeln beim Zwitschern zuhören, dem Wind beim Rauschen durch die Blätter, den Wellen beim Plätschern, und dazu genügend ausdauernde Bewegung. Gehen, laufen, schwimmen, radfahren, .... . KEIN Leistungssport, sondern wenigstens leicht anstrengende längere Einheiten, bei denen die Endorphinausschüttung in Gang kommt. Bewußtes, aktives Gegenprogramm zum verrückten Alltag.

  • Hallo Sohn,


    ich möchte Ihnen an dieser Stelle ein Kompliment aussprechen; ich bewundere Ihre charmante Art, die Dinge beim Namen zu nennen. Das was Sie als "blank" bezeichnen, beschreibt wohl die finanzielle Situation eines Großteils unserer Bevölkerung. Diese Situation zu meistern, ist schon anstrengend genug, in Kombination einer Angehörigenpflege nenne ich dies bereits eine Herkulesleistung.


    Nein, ich fühle mich keinesfalls auf den Schlips getreten. Ich bin absolut bei Ihnen, die wichtigen Dinge im Leben kosten kein Geld. Frische Luft und Vogelgezwitscher z. Bsp. weiß ich sehr zu schätzen. Das meinte ich aber nicht. Ich dachte eher an etwas, dass einen die Zeit vergessen lässt. Sich in etwas vertiefen und verlieren können, weil es einfach glücklich macht. Als ich noch mehr Zeit und Energie hatte, liebte ich es aufzuräumen bwz. auszumisten. Herrlich, dieses Gefühl ist immer sehr befreiend. Schöne Dinge an Menschen weiter zu geben, um ebenfalls noch etwas Freude zu haben zu können und halbfertige Handarbeiten oder Knöpfe von nicht mehr vorhandenen Kleidungsstücken zu entsorgen, macht einfach zufrieden. Und dieser freie Platz - einfach phantastisch.


    Aber wie gesagt, dazu bin ich einfach zu müde. Ich liebe gute Bücher und auch inspirierende Zeitschriften, wenn ich mich dann auch konzentrieren kann. Aber das klappt momentan eben nicht.


    Die Heldin meiner Kindheit war Pippi Langstrumpf, wie habe ich sie bewundert. Ich erinnere mich an eine Filmszene, in der sie bei strömenden Regen ihre Blumen im Freien goß. Als sie gefragt wurde, warum sie das trotz des Regens tut, antwortete sie: "Weil ich immer donnerstags gieße!" (Es kann auch eine Mittwoch gewesen sein). Ich meine diese wunderbare naive Art, das Leben leicht zu nehmen. Wüßte ich noch wie das geht, hätte ich nicht diese Frage ins Forum gestellt.


    Vielleicht kommen wir durch eine neugewonnene Offen- und Unbefangenheit unseren "Lieben" in ihrer Anderswelt damit sogar näher.

  • Hallo an Elisabetha und die anderen, die hier schreiben,
    in ganz vielen der Schilderungen erkenne ich mich wieder, genau so war es. Mir hat es geholfen, hier zu lesen und ich wünschte mir, dass ich das Forum schon früher entdeckt hätte. Aber meine Mutter bekam ihre Diagnose erst sehr spät. Mir hat es einfach geholfen, zu wissen, dass ich nicht allein war. Und ich hoffe, dass ich einigen einen Rat geben konnte.
    Liebe Elisabetha, die "naive Art", das Leben zu sehen und einfach leicht zu nehmen, ist nach den Erfahrungen mit meiner dementen Mutter unwiederbringlich verschwunden, dazu sind die Erlebnisse zu traumatisierend gewesen. Es gab Momente, da war ich froh, wenn ich eine halbe Stunde beim A.DI einkaufen konnte. Ich habe mir dann die Regale angesehen und war einfach nur glücklich, mal nicht funktionieren zu müssen. Am schlimmsten war nicht der Druck, alles auf die Reihe zu bekommen, Haushalt, Mutter, Arbeit, Kind, schwerkranken Mann, Hausrenovierungen. Am schlimmsten war es, ständig aus dem Stand heraus ohne Vorwarnung Entscheidungen von großer Tragweite treffen zu müssen (von Bedeutung nicht nur für mich, sondern für von mir Abhängigen). Und das mit dem unvollkommenen Wissen des Augenblicks. Das belastet mich noch heute. Ich wusste immer, die Zeit wird vorbeigehen, es werden (gemessen an meinem Leben sehr bald) andere Tage kommen. Die Angst war, eine falsche Entscheidung zu treffen, die z.B. große finanzielle Folgen nach zieht zieht oder die mich so belastet, die so falsch war, dass mich ihr Ergebnis auch in der Zeit "danach" bedrücken und behindern würde, dass ich also für den Rest meines Lebens nicht mehr frei wäre. Das war mit Abstand am schlimmsten. Ich war froh, keinem Rechenschaft geben zu müssen, denn ich habe keine Geschwister. Ich war auch traurig, denn ich konnte mich mit niemand beratschlagen. Ich bin, auch dank meiner Eltern, finanziell in einer sehr guten Lage gewesen. Natürlich sind die Kosten enorm gewesen, aber es ging doch. Natürlich war jahrelang keine Auszeit möglich, der ganze Urlaub (dafür wäre eh kein Geld dagewesen) ging für die Pflege drauf. Eigentlich sollten wir (wenn wir noch Kraft hätten) auch so etwas machen, wie Fridays for future. Wir sind der größte Pflegedienst Deutschlands, mit Abstand. Aber dazu reicht meine Kraft nicht mehr.
    Lesen konnte ich in dieser Zeit übrigens auch nicht mehr, was bei meiner Arbeit sehr hinderlich war, also weder zur Entspannung noch wissenschaftliche Werke für die Arbeit. Die Aufmerksamkeitsspanne war durch die ständige Anspannung einfach zu kurz.
    Sie fragen nach nach einem Hobby, das eine Art Flow bringen kann, bei man für eine Zeit alles vergessen kann. Ich habe in dieser Zeit, also in den letzten 8 Jahren, beginnend bei der Krebserkrankung meines Vaters, eine Ausbildung als Handweberin gemacht und kurz nach seinem Tod vor 5 Jahren mit einer Gesellenprüfung abgeschlossen. Das Tun bedeutete mir sehr viel. Es nimmt den ganzen Körper und den Kopf in Anspruch. Es ist nicht so anstrengend, dass man müde wird, aber so anstrengend, dass man nichts anderes nebenher denken kann. Ich hatte dabei auch das Gefühl, alles kontrollieren zu können, den ganzen Arbeitsprozess. Und wünschte mir oft, mein Leben würde sich wieder einmal so nahtlos und reibungslos fügen wie der Schussfaden in die Kette. Und so kam es am Ende dann auch. Ich bin heute dankbar für die Zeit.
    Alles Gute!

  • Elisabetha, danke für das Kompliment! Ich bin übrigens noch unverheiratet .....



    Nun aber wieder zum Ernst der Sache: Ihre geschilderte Herkulesaufgabe wäre mir eindeutig zuviel. Daher eröffne ich jetzt mal unter neuem Stichwort eine Diskussionsrunde und bin gespannt auf dortige Stellungnahmen.


    Jutta60: Ich vermute, daß Sie richtig liegen mit Ihrer Aussage, daß die naive Leichtigkeit ein für allemal verschwunden ist und nicht wieder kommt. Obwohl ich bei mir selber feststelle, daß das gezielte Abstand Halten zu meiner Mutter und ihren (selbst verschuldeten) Problemen mir gut tut! Ein wenig Hoffnung bleibt also ...

  • Auch ich springe immer wieder über jedes Stöckchen, das mir meine Mutter hinhält. Ich bin für sie seelischer Mülleimer, Klagemauer und Fußabtreter, aber als Mensch ein „Nichts“. Sie beklagt sich ständig, daß sie niemanden hätte, und wenn ich ihr dann entgegne, daß sie mich doch habe, kommt nichts. Sie schwärmt mir von Bekannten vor, die Kinder haben, die sich um sie kümmern. Frage ich sie, was ich denn bin, weicht sie nur aus. Es ist nicht so, daß sie wegen ihrer Demenz nicht mehr weiß, wer ich bin. Nein, sie ruft mich permanent an, wenn sie einen Rat braucht, wenn sie Langeweile hat (und ist dann sauer, wenn ich einmal keine Zeit für sie habe) und wenn sie motzen will.


    Das andauernde Negieren kenne ich auch nur allzu gut. Ich habe ihr eine Ehrenamtlerin organisiert, die 1-2x die Woche etwas mit ihr unternimmt. An den entsprechenden Tagen hängt meine Mutter schon frühmorgens an der Strippe, um zu maulen, daß sie keine Lust habe, sie zu sehen. Schlage ich dann vor, daß wir den Dienst auch einstellen können, wenn sie das nicht mehr möchte, kommt postwendend von ihr, daß die Frau doch nett sei.


    Und so geht es in einer Tour. Eine vernünftige Kommunikation ist nicht möglich. Nach jedem unerfreulichen Gespräch bin ich wütend und gefrustet.


    Das Schlimme ist eben, daß es für mich keine Alternative gibt. Meine Mutter hat nur mich, ich kann sie nicht hängen lassen, das bin ich auch meinem Vater schuldig. Ich versuche stets nur, das Beste für sie herauszuholen. Ich verlange dafür keine Dankbarkeit, so etwas ist in der Familie doch selbstverständlich. Ich wünsche mir nur ein kleines bißchen Wertschätzung.


    Demnächst wird meine Mutter in ein Seniorenhaus in meine Nähe ziehen. Sie ist nach dem Tod meines Vaters ohnehin in meine Stadt gezogen (in ein betreutes Wohnen), was sie mir permanent vorhält. Aber alle Abstimmungen mit ihr werden immer komplizierter, weil sie kein Verständnis mehr für Zeit hat, daher hoffe ich, daß uns das Leben dadurch etwas erleichtert wird, auch wenn ich damit rechne, daß sie an allem und jedem etwas auszusetzen hat.


    Das große Problem ist eben, daß man sich nicht abgrenzen kann. Irgendwo will man immer noch das liebe Kind sein, mit dem Mama zufrieden ist. Und das wissen die Senioren eben.


    Noch habe ich meinen „Modus vivendi“ nicht gefunden. Ich möchte nicht abgestumpft werden und nur funktionieren, aber manchmal merke ich, daß ich auf dem Weg dahin bin. Ich habe auch darüber nachgedacht, mir professionelle Unterstützung zu suchen, aber bin bis jetzt noch davor zurückgescheut, weil ich mich nicht auch noch in meiner Freizeit an meiner Mutter „abarbeiten“ möchte. Trotzdem meine Frage an die, die das gemacht haben: wie seid Ihr auf die Therapeuten gekommen, wurde das ärztlich verordnet?


    Vielen Dank und viel Kraft an alle!

  • An Zimt und noch ein paar andere hier:


    mir scheint, Sie sind im falschen Forum und mit dem falschen Fokus unterwegs!
    (Das ist nicht als Beleidigung mißzuverstehen, sondern soll Ihnen Anregung zum Nachdenken sein!)


    Was Sie (wiederholt) schildern, ist MEINER Meinung nach (und ich bin Laie) ein Problem, was SIE SELBER betrifft und nicht Ihre Mutter und auch nicht deren Demenz. So, wie Sie sich behandeln lassen von Ihrer Mutter, tut das jemand mit einem gesunden Selbstwertgefühl meiner Meinung nach NICHT.


    Fragen Sie doch mal "Experten" auf diesem Gebiet und falls ich richtig liege, konzentrieren Sie sich auf Ihre EIGENEN Baustellen und lassen sich nicht mehr von der Mutter niedermachen.

  • Dann würde ich auch noch gerne kurz meinen Senf dazu geben. Auch ich bin in einer ähnlichen Situation wie Zimt. Ich betreue seit einigen Jahren meine demente Mutter. Es nähert sich so langsam der Punkt, an dem es ohne Hilfe nicht mehr weitergeht. Meine Mutter ist jedoch eher dankbar. Sie hat bisher jede Unterstützung durch einen Pflegedienst o.ä. abgelehnt. Nun merkt sie aber trotz ihrer Krankheit, dass es so wohl nicht weitergehen kann und öffnet sich etwas, indem sie einsieht, dass wir Unterstützung brauchen. Da wir leider keine Verwandten mehr haben bin ich auf sogenannte Seniorenbegleiter oder Laienhelfer gestoßen. Ein erster Versuch schlug fehl, da die Chemie einfach nicht stimmte. Ein zweiter Versuch steht nun an. Ich habe mich an ein Pflegeheim in meiner Nähe gewandt, die diese Laienhelfer auch anbietet. Ich erhoffe mir, dass es mir gelingt meine Mutter über den Laienhelfer zu einer Tagespflege zu überreden. Außerdem wäre sie im Notfall auch bereits in einer Einrichtung, die ihr nicht unbekannt ist. Wird nicht einfach, aber man muss alles versuchen. Ich versuche einen fließenden Übergang zu schaffen.
    Auch wir haben sehr konfliktreiche Zeiten hinter uns. Ich habe mein ganzes Leben auf die Pflege meiner Mutter ausgerichtet. Ich arbeite nur noch halbtags und kümmere mich den Rest des Tages um sie. Sie hat verständlicherweise ihre Vergangenheit nie aufgearbeitet und fragt mich nun ständig nach ihren längst verstorbenen Angehörigen (Mutter, Vater, Ehemann, verstorbenen Sohn etc). Dabei hat sie einen Drang zum Weglaufen entwickelt, der ständig zunimmt. Hilfreich ist ein von mir besorgter GPS-Tracker), Aber sie wurde auch schon von der Polizei aufgegriffen. Ich habe inzwischen auch eine medizinische Untersuchung von einem Neurologen auf den Weg gebracht, da ich endlich Klarheit brauche, was die Krankheit meiner Mutter angeht. Termin steh in 3 Wochen an.
    Das Problem, das ich bei Zimt sehe, ist, dass sie glaubt, dass ihre Mutter ihr tatsächlich Böses will. Meine Erfahrung ist, dass man die Ausfälle, die immer wieder vorkommen nie persönlich nehmen soll. Es ist immer schwierig ruhig zu bleiben, wenn es zu Diskussionen kommt. Ein kurzes Verlassen des Zimmers um Durchzuatmen ist ebenso hilfreich, als auch eine ruhige, eindringliche Ansprache.
    Ich wünsche allen im Forum viel Kraft, denn wir haben uns alle eine große Aufgabe gesetzt, aber unsere Angehörigen haben es verdient, dass man sich um sie kümmert und nicht einfach in ein Heim abschiebt, was leider sehr häufig geschieht.

  • Danke an alle für den Austausch hier.


    Sonnenblümchen, danke für den Buchtipp und den Film.


    Ich bin im Moment nicht in der Lage noch mehr zu dem Thema zu schauen. Ich habe aber z.B. das Buch Die magische Welt der Alzheimer gelesen. Das hat mir einerseits geholfen, aber auch hier fehlt mir etwas. Trotzdem werde ich das Buch im Hinterkopf behalten.


    Elisabetha:
    Mit dem Satz über Selbstsorge und die Fürsorge für den anderen, treffen Sie bei mir den Nagel auf den Kopf. Diese beiden Aspekte kollidieren immer mehr und ich weiß, ich werde meine Schwiegermutter irgendwann im Stich lassen müssen, um selbst überleben zu können. Im Stich lassen ihrer Meinung nach, denn ich habe so nette Personen an der Hand, die helfen würden, wenn sie Hilfe braucht.
    Das man sich in sich selbst immer enger fühlt, das kenne ich auch und leider auch die Supergaus, die bei guter Mitarbeit aber fast alle verhinderbar wären. Alleine sind wir nicht, aber ich hätte auch gerne bessere Lösungen, als das, was wir immer wieder erleben müssen. Ein interessanter Umstand, den ich für Nachdenkenswert halte, ist der, dass z.B. auf Sardinien, die über Neunzigjähren fast keine Demenz haben, höchstens jeder zehnte. Bei uns ist es fast jeder zweite. Ein Zufall kann das nicht sein. Die Familienstrukturen sind hier anders, man lebt auch mehr mit der Natur auf Sardinien usw. Aber allen gemeinsam ist, dass sie für sich einen Sinn im Leben gefunden haben, was auch klar kommuniziert wird. Meine Schwiegermutter sagt schon seit Jahren, dass sie keinen Sinn in ihrem Leben sieht. Dass sie nur über andere lebt, deren Leben aber, bis auf wenige Ausnahmen, sie gar nicht interessiert, das halte ich für einen Teil ihrer Demenz.


    Sohn:
    Bei mir ist das kein Helfersyndrom, da bin ich mir sicher. Bei mir ist es eher der Umstand, dass ich gerne Hilfe zur Selbsthilfe gebe, ich mich aber normalerweise aus dem Leben anderer heraushalte. Bei meiner Schwiegermutter ist das aber anders gewesen. Ich habe erst einmal nur geholfen, weil Hilfe gebraucht wurde, als sie das erste Mal gestürzt ist. Bis ich gemerkt habe, in was für einer Rolle ich jetzt bin, darüber sind Jahre vergangen, weil ich immer gehofft habe, sie lernt doch noch, dass sie sich auch selbst um ihre Bedürfnisse im Alter kümmern sollte. Das war vor der Demenz, die aber wahrscheinlich schon angefangen hat. Jetzt ist der Umstand aber so, wie Elisabetha es treffend beschrieben hat. Die zunehmdenden körperlichen und geistigen Defizite meiner Schwiegermutter kollidieren mit meiner Selbstfürsorge.


    Hanne und alle anderen.


    Ja, die Sache mit dem Abschalten, das ist bei mir noch einmal schwerer, da auch meine eigene Arbeit geistig anstrengend ist.


    Die kindliche Leichtigkeit habe ich leider auch verloren, das aber schon vor der Demenz meiner Schwiegermutter.


    Ich hätte auch gerne eine unbeschwerte Welt in der jeder versorgt und in Sicherheit ist, wo keine schweren Krankheiten sind ect. Gefühlt hat man das vielleicht hin und wieder in der Kindheit so wahrgenommen. Gestimmt hat es aber nicht wirklich.


    Ich habe früher gerne getanzt. Das habe ich mir vorgenommen, müsste ich noch einmal anfangen. Aber mir fehlt für Vieles die Energie. Auch ich muss ständig schauen, wo ich stehe. Entspannend finde ich aber hin und wieder eine Serie aus der Kindheit, auch wenn ich heute einen anderen Blick darauf habe.


    Ich finde es auch gut, dass Zimt, Andydreas usw. hier mitschreiben mit ihren Erfahrungen.


    Ich wünsche uns allen, dass es einfach irgendwie, irgendwann besser wird. Wunschdenken darf auch mal sein.

  • An alle, die so freundlich waren, mir Ihre Aufmerksamkeit zu schenken und ein Feedback zu meinen Beiträgen zu geben.


    Ihre Antworten haben mich berührt und beschäftigen mich nachhaltig. Eine Antwort hat bei mir sogar einen "roten Knopf" gedrückt, was mich entsetzt, überrascht und auch verwirrt hat. Ich konnte meine eigene heftige Reaktion nicht einordnen. Daher habe ich mich zurück gezogen und das Geschriebene auf mich wirken lassen. Da wo der Schmerz ist, ist der Weg. Wie wahr!


    Sinnigerweise stieß ich heute auf einen interessanten Artikel über Psychotherapie in afrikanischen Ländern, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Dort hat man ein wunderbares Projekt mit dem Namen "Bank der Freundschaft" gegründet.


    An vier Tagen der Woche sitzen auf diesen Bänken Mitarbeiterinnen des simbabwischen Gesundheitsamtes, die eine psychotherapeutische Spezialausbildung haben. Frauen setzen sich einfach auf eine Bank und sprechen über ihren Kummer. Und das funktioniert.


    Der erste Schritt ist "Kuvhura pfungwa", die Gedanken öffnen!


    Zitat: "Die meisten, die zu uns kommmen, haben nie zuvor über ihre Probleme gesprochen. Sie haben kein Gespür für ihr eigenes Ich, haben nicht gelernt, über sich nachzudenken."


    "Ich mache ihnen zunächst klar, dass die Probleme nicht ihr Versagen sind und sie ihr Leben nicht deshalb wegwerfen müssen."


    "Kusimudzira", die moralische Aufrichtung ist der zweite Schritt in dieser Therapie. Es ist die Suche nach guten Dingen im schlimmen Leben und nach Lösungen.


    ... Dann kam ich an diesen Ort und erzählte alles. Ich wurde getröstet. Ich wurde geheilt. Wenn du teil der Freundschaftsbank bist, geht aller Kummer fort.


    Die Seelsorgerinnen stabilisieren ihre Patienten, finden neue Wege im Alten. Dieses Projekt geht noch sehr viel weiter, aber das würde hier den Rahmen sprengen.


    Ist dieses Projekt nicht wunderbar? Das trifft doch auch den Kern dieses Forums; Teil von etwas zu sein!


    Einen angenehmen Abend für uns alle!

  • Hallo Teuteburger,


    Sie beschreiben sehr treffend, wie unterschiedlich die Familienstrukturen, der Bezug zur Natur und der Sinn des Lebens zwischen Deutschland und Sardinien gelebt werden.


    Das veranlasste mich, diese Begriffe in meiner Biografie unterzubringen.


    Ich bin in einem Geschäftshaushalt groß geworden, in dem die Familie nur eine sehr untergeordnete Rolle einnahm. Mein verstorbener Vater baute gemeinsam mit meiner Mutter sein Lebenswerk auf, dass sie nach seinem Tode trotz sehr widriger Umstände noch lange Jahre erhalten konnte. Meine Mutter hatte eine unglaubliche Konstitution. Ihre Gesundheit und Vitalität schüchterte mich schon als Kind ein, denn ich war von jeher leider immer sehr kränklich und kaum belastbar.


    Als mein Vater starb, brach ich damals mit 20 Jahren körperlich und seelisch zusammen. Meine Neurodermitis brach mit solch einer Wucht aus, dass man mir zweimal Kuraufenthalte in Davos verschrieb.


    Unglückseligerweise verabreichte man mir vor der Beerdigung eine Depotspritze mit Cortison, die sofort ihre Wirkung zeigte. Meiner Haut ging es schlagartig besser und plötzlich erlebte ich eine bisdahin nicht gekannte körperliche Energie. Um die Geschichte hier abzukürzen: ich geriet ohne zu verstehen, was ich mir da antat in eine langjährige Cortisonabhängigkeit. Der Grund ist leicht zu erklären, zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich mit meiner Arbeitskraft mithalten und sogar meiner Kolleginnen übertreffen. Das Leistungsniveau meiner Mutter zu erreichen, versuchte ich erst gar nicht. Erstens hätte ich es nicht geschafft und zweitens hätte ich meine Mutter damit nicht beeindrucken können. Aber das ist ein anderes Thema. Ich erzähle dies hier, um verständlich zu machen, dass sich meine Mutter und später ich mich selbst über Leistung und Fleiß definiert haben. Sie ahnen es sicher, dieser ganze Wahnsinn führte mich in einen Zusammenbruch, dem zahlreiche Entzüge mit wiederkehrenden Rückschlägen folgten und Jahre später in einen Burnout endeten.


    Nach einem Aufenthalten in einer psychosomatischen Klinik begann ich mich auf auf meine eigenen Werte zu konzentrieren. Dazu musste ich erst einmal verstehen lernen, wer ich bin. Ich brauchte Jahre, um zu verstehen, dass ich ein ganz anderer Mensch mit absolut konträren Bedürfnissen und Wünschen im Gegensatz zu meiner Mutter bin. Was macht meine Person aus? Was ist für mich persönlich wichtig und erstrebenswert? Erst durch das Anerkennen, dass ich trotz meines Andersseins eine Daseinsberechtigung habe, verspürte ich eines Tages, mich auf dem richtigen, meinem Weg zu sein. Durch meine Selbstverleugnung hätte ich beinahe mein Leben verloren.


    Um aber nun wieder den Bogen zu meiner Mutter zu schließen; es muss für sie kaum erträglich sein, diese Vitalität verloren zu haben, sich mit sich selbst zu beschäftigen und auseinandersetzen zu müssen. All die Dinge, die mir nach meinem Zusammenbruch so unendlich hilfreich waren, sind ihr einfach fremd und nicht zugänglich. Dazu gehörte für mich auch immer der Aufenthalt in der Natur.


    Lange Zeit habe ich mich vergeblich bemüht, ihr meine Erkenntnisse nahe zu bringen - ohne Erfolg! Ich bin sehr dankbar, dass es Menschen an meiner Seite gab, die mir verständlich machen konnten, meine Energie für mich selbst aufzuwenden und meiner Mutter nicht die Chance auf ihre Entwicklung zu nehmen.


    Schaue ich auf die letzten Jahre zurück, in der ich meine Mutter bei Ihrer OP-Serie begleitet habe und mir die Frage stelle: "Warum hast Du Dich so intensiv eingesetzt?", dann möchte ich ehrlich zu mir selbst sein. Sicher weil ich gerne hilfsbereit bin, vielmehr ist der wahre Grund, dass ich während meiner großen gesundheitlichen Probleme zu 90 % alleine war. Immer ging das Geschäft vor, war Rücksicht auf die Gäste oder die Umstände zu nehmen. Nur zu gut sind mir meine Hilflosigkeit, Angst und Einsamkeit in Erinnerung geblieben. Das Gefühl als Tochter nicht wichtig zu sein, konnte ich bis heute nicht ablegen. Wenn ich mich heute für meine Familie einsetze, so fühlt es sich für mich an, als würde ich damit den Ausgleich für dieses riesengroße Defizit von damals in mir schaffen. Sobald es mir schlecht geht, muss ich einem anderen etwas Gutes tun, dann geht es auch mir besser.


    Die Geborgenheit, das Aufgefangensein habe ich nur bei meinem Adoptivater erlebt. Mit seinem Tod fühlte es sich so an, auch meine Mutter verloren zu haben. Es muss wunderbar sein, sich in einem Familienverbund so getragen zu fühlen, zu wissen, dass man geliebt wird und dazugehört. Aber im Grunde genommen, weiß ich gar nicht wie Familie funktioniert. Das versuche ich noch immer herauszufinden.


    Dieses Fundament, an dem ich wohl bis zu meinem letzten Schnauferl arbeiten werde, scheint wie z. Bsp. in Sardinien von Generation zu Generation weitergegeben zu werden. Es wird einfach gelebt, ohne sich oder etwas anderes in Frage zu stellen.


    Vielleicht stoße ich gerade deshalb so oft an meine Grenzen, weil ich einerseits helfen möchte, aber andererseits oft an der Ignoranz verzweifle. Mir ist bewußt, dass die gemeinsame Zeit sehr schnell vergeht, deshalb versuche ich so weit es in meiner Macht steht, mein Bestes zu geben. Dabei sehe ich mich jedoch in immer kürzer werdenden Abständen mit stetig neuen Wesenveränderungen und Verhaltensweisen konfrontiert. Ich erhöhe permanent die Schlagzahl und erreiche immer weniger. Das macht mich einfach fertig. Ich will mich schützen und gerate doch immer wieder in diesen Strudel.


    Um wieder zu Klarheit zu gelangen, arbeite ich permanent daran, meinen "roten Faden" und mich nicht zu verlieren. Das Thema Abrenzung fällt mir jedoch immer noch sehr schwer. Sobald ich die Wohnung meiner beiden Senioren betrete, haftet mir diese destruktive Atmosphäre bleischwer an. Wäre da nicht die Erinnerung, wie ich mich damals gefühlt habe , als ich auf Zuwendung gehofft habe so präsent, dann würde ich auf dem Absatz kehrt machen.


    Sollte sich jemand in meinen Schilderungen wiedererkennen oder meine Zeilen als hilfreich empfinden, dann war es richtig, Sie an einem Ausschnitt meines Weges teilhaben zu lassen. Dieses Risiko gehe ich gerne ein, denn mein "Lernen" wurde immer durch die schonungslose Offenheit einiger Autoren unterstützt, denen es am Herzen lag, andere an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen.


    P.S. Noch ein Buchtipp:


    "Mutter, wann stirbst Du endlich!" von Martina Rosenberg


    Ich bin über den Titel ebenso erschrocken, wie Sie jetzt eben. Man sollte das Buch gelesen haben, um diesen schaurigen Titel zu verstehen.

  • Das Beispiel mit den Afrikanerinnen, die sich schlicht und ergreifend unterhalten (und zwar nicht über Belanglosigkeiten, wie bei uns üblich, sondern über das, was sie wirklich berührt), zeigt doch um so deutlicher, in was für einer kranken Umgebung wir uns eingerichtet haben. Alleine schon, eine solche normale Unterhaltung als "Psychotherapie" zu bezeichnen ... . Ich bezweifle sehr (ohne es zu WISSEN (---> Hinweis an Elisabetha!)), daß "Naturvölker" überhaupt einen Begriff wie Psychotherapie kennen.


    Als ich "jung" war, also beim Übergang von der Schulzeit zum Berufs- und Familienleben mit eigenen Kindern, war es vollkommen normal, daß wir uns häufig in größerem Kreis getroffen und uns über alles ausgetauscht haben, was uns beschäftigt hat. Je mehr wir aber Fuß gefaßt haben in der Welt der "Erwachsenen", um so mehr haben wir uns daran angepaßt, daß die eigentlich wichtigen Themen alle tabu sind. Oder, bestenfalls, mit den allerengsten Vertrauten besprochen wurden, nicht ohne denen das Versprechen zur Verschwiegenheit abzunehmen. Keine Gespräche mehr über Geld, Liebe, Sex, unglückliches Verliebtsein oder schlecht laufende Partnerschaften, mißratene Kinder (und deren Suizide), Altern, Versorgungslücke im Alter, Angst (vor dem Tod) etc. .


    Da ist es doch kein Wunder, daß die Psychologen- und Psychotherapeutenbranche brummt! Außerdem wollen die Pharmakonzerne ihre Produkte verkaufen, und das geht nun mal nicht bei einer (überwiegend) gesunden Bevölkerung.


    Dabei wäre es so einfach: einfach mal den Mund aufmachen und REDEN!

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