Diskriminierung von pflegenden Angehörigen

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  • Ich grüße Sie alle sehr herzlich!


    Ist Ihnen so etwas auch schon passiert? Sie treffen beim Einkaufen oder wo auch immer eine ihnen bekannte Person. Sie werden gefragt: "Na, wie geht es Ihnen denn?" Mein Gott, was soll ich denn hierauf antworten? Die Wahrheit? Es geht mir bescheiden, ich bin müde, ausgelaugt, meine Nerven liegen blank und das Leben zieht an mir vorüber.


    Nein, höflich, wie ich nun mal bin, antworte ich: "Danke, recht ordentlich. Und wie geht es Ihnen?" Damit hoffe ich, ganz schnell an einer weiteren Rückfrage vorbeizukommen. Und prompt kommt auch schon die nächste Frage: "Wann wollen Sie eigentlich mal wieder richtig arbeiten?" Bis dato hielt ich mich immer für eine recht schlagfertige Person, aber vor soviel mangelndem Einfühlungsvermögen und Oberflächkeit bleibt mir einfach die Spucke weg.


    Noch kämpfe ich damit, meinen Groll hinunterzuschlucken, folgt eine Anmerkung, die ich an "schlechten Tagen" kaum verdauen kann. "Also, ich muss Ihnen einfach mal sagen, Sie sehen ganz schön runtergewirtschaftet aus. Gehen Sie doch mehr an die Sonne. Tun Sie denn gar nichts für sich? sie müssen schon mehr auf sich achten."


    Ohne, dass es meinem wohlmeinenden Gegenüber sicher bewußt ist, stürtzt es mich sofort in tiefste Tiefen. Da sind sie wieder, die Existenzängste, die Zweifel, das immer kleiner werdende Selbstbewußtsein. Wäre da nicht mein persönlicher Anspruch, mich nach draußen stark und souverän zeigen zu wollen, würde ich mir jetzt den Luxus erlauben, mir Luft zu machen oder einfach drauf los zu heulen. Aber auch das bleibt dann nur ein Gedankenspiel.


    Plötzlich dringt ein: "Na, dann machen Sie´s mal gut. War schön, Sie wiederzusehen." Wieder so eine Floskel, als pflegende Angehörige ist man wohl nicht mehr in der Lage, sich an einem interessanten Gesprächen zu beteiligen. Oder habe ich mir hier wieder mal unnötigerweise einen Schuh angezogen? Was weiß ich, nach diesem Gespräch fühle ich mich noch elender als davor und trete tapfer meinen Weg zum nächsten Supermarkt an. Während ich an der Kasse warte, dringt die zerbrechiche, aber sehr freundliche Stimme einer alten Dame zu mir durch. "Ach, das ist aber nett. Ich freue mich immer so, Sie zu sehen. Wissen Sie, ich habe schon meine Eltern und auch meine Schwester gepflegt und wenn ich Sie sehe, dass Sie sich so lieb um Ihre Familie kümmern, dann geht mir das Herz auf." Ja und mir erst. Ich könnte ihr um den Hals fallen, ... weil sie mir den Tag gerettet, mein Selbstbewußtsein zurückgegeben und mir Wertschätzung geschenkt hat. Dann hole ich tief Luft, bedanke mich aufrichtig und weiß, diesen Tag wirst Du nun wieder wuppen. Ich schaue dieser wunderbaren alten Dame noch lange nach, wie sie mit ihren von Arthrose gepeinigten Händen ihren Trolly hinter sich herzieht und mit kleinen aber sehr schmerzhaften Schritten ihren Heimweg antritt.


    Diese kleine Geschichte verdeutlicht, weshalb ich dieses Forum besuche.
    Ich verstehe es als Mutmacher, Hoffnungsträger und seelischen Beistand. Selbstredend bin ich ebenfalls sehr dankbar für den unglaublich großen Fundus an Empfehlungen, Tipps, Adressen usw.


    Mögen die einen meine Beiträge als Gefühlsduselei empfinden, für den ein oder anderen vermittelt es vielleicht das Signal "Ich verstehe Sie, mir geht es genau so."


    Übrigens, das habe ich mal wieder aufgestöbert:


    Zitat aus: "It´s all good: "Ändere deine Perspektive und du änderst deine Welt"


    ... Mut, Freundlichkeit, Ehrlichkeit, Selbstbewußtsein, Geduld, Dankbarkeit, Hilfsbereichtschaft, Einfühlungsvermögen, all diese Werte müssen wieder cool werden.


    Lesenswerte Berichte von pflegenden Angehörigen habe ich hier entdeckt:
    "Initiative gegen Armut durch Pflege" (PDF-Datei)


    Ihnen allen wünsche ich von Herzen einen schönen Sonntag!

  • Hallo Elisabetha,


    ich halte dich nicht für gefühlsduselig. Das sind für mich ganz normale Überlegungen.


    Vielleicht kann ich etwas dazu beisteuern, aus meinen Erfahrungen.


    Ich habe bei Begegnungen bisher überwiegend positive Erfahrungen gemacht. Ich erkläre mir das eventuell so:


    Ich weiß zum Beispiel, dass Menschen überwiegend von ihrem eigenen, bisher erfahrenen Leben, andere anschauen und beurteilen. Über alles weitere, was darüber hinausgeht, denken die meisten nicht nach und sie sehen das auch nicht. Deshalb halte ich es für wichtig, mein Gegenüber an dieser Stelle abzuholen, wo er/sie jetzt steht. Und ich halte es für wichtig, mich selbst richtig darzustellen. Die Pflege von Angehörigen trifft die meisten Menschen irgendwann und das man hier Entscheidungen treffen muss, die anders ausfallen als in den üblichen Gesellschaftsstrukturen, ist normal.


    Wenn ich weiß, dass ich an diesem Tag genauso aussehe, wie ich mich fühle und es kommt die Frage auf mich zu, wie geht es Ihnen/Dir, dann antworte ich wahrheitsgemäß, aber sachlich. Ich sage ich: Durchwachsen. Und ich erwähne, dass ich eine demenzkranke Schwiegermutter habe und dass ich diese schon längere Zeit begleite. Dann sage ich, dass das nicht immer leicht ist, dass man hier Vieles neu erlernen muss, über sich selbst und den anderen und dass das viel Zeit in Anspruch nimmt. Ich sage gleichzeitig, dass hier nicht jeder Tag gleich ist und das manche Tage sehr schwer sind, weil man selbst oft noch hilflos ist.
    Und dann warte ich die Antwort ab. Ich habe immer ein gewisses Interesse und Verständnis erfahren und vielleicht auch Beispiele aus dem eigenen Umfeld.


    Es ist, so meine Erfahrung, immer wichtig, von Anfang an zu sich selbst und der jetzigen Situation zu stehen. Denn nur so gibt man dem anderen eine echte Chance, dass er am eigenen Leben teilhaben kann.


    Es hilft auch zu erklären, dass man sich hier und da Informationen geholt hat und dass man sich beraten hat lassen, um mit der Situation besser umgehen zu können. Menschen können dann besser mit solchen Gesprächen umgehen, wenn sie merken, dass man etwas gegen die eigene Hilflosigkeit tun will, denn sonst fühlen sie sich auch oft schlecht und ratlos. Deshalb erwähne ich auch meist das Positive, was man natürlich hin und wieder auch erfährt und vielleicht auch etwas Humorvolles, denn das gibt es ja auch. Trotzdem bleibe ich bei dem, dass der weitere Weg von mir mehr Fragezeichen als Antworten aufwirft. Und ich frage zwischendurch auch ehrlich wie es dem anderen geht und höre zu. Halt wie das Gespräch sich so ergibt.


    Und wenn ich merke, der andere kann mir überhaupt nicht folgen oder er ist selbst so sehr mit sich beansprucht, was durchaus sein kann, dann führe ich ein kurzes Gespräch mit demjenigen und seinen Belangen und dann verabschiede ich mich freundlich. Das darf einem dann aber kein Kopferzerbrechen bereiten, denn nicht jeder kann sich in andere hineinversetzen. Das kommt aber nur sehr selten vor und das hat meist auch einen Grund bei dem anderen.


    Vielleicht hilft das ein wenig weiter, Elisabetha.


    Zitat:


    ... Mut, Freundlichkeit, Ehrlichkeit, Selbstbewußtsein, Geduld, Dankbarkeit, Hilfsbereichtschaft, Einfühlungsvermögen, all diese Werte müssen wieder cool werden.


    Ich weiß nicht, ob man dafür Mut braucht, für mich eher viel Verständnis und ein Erforschen des eigenen Lebens, so dass man diese Eigenschaften auch wie selbstverständlich irgendwann aus sich selbst leben kann. Mut ist vielleicht ein Teil davon, dass kann sein.


    Ich wünsche auch einen schönen Sonntag und hoffentlich verständnisvollere Begegnungen in Zukunft.

  • Elisabetha,
    aus welchem Grund sollten Sie NICHT die Wahrheit sagen?? Wenn Sie doch Ihr Gegenüber über Ihren wahren Zustand im Unklaren lassen, brauchen Sie ihm kein mangelndes Einfühlungsvermögen und auch keine Oberflächlichkeit anzukreiden! Die Glaskugel, aus der alles abzulesen ist, haben schließlich die wenigsten.


    Entweder sagen Sie, was Sache ist, und die Person geht in gebotener Weise darauf ein, oder aber sie kommt damit nicht klar und läßt Sie in Ruhe. Sie haben doch nichts zu verlieren!! Ganz im Gegenteil.


    Nicht die anderen diskriminieren Sie, sondern SIE SELBER! Wozu wollen Sie nach außen stark und souverän erscheinen, wenn Sie es nicht sind? Warum leben Sie nicht IM EINKLANG mit Ihren Gefühlen?? Wenn Sie sich Luft machen wollen, dann TUN Sie es! Wenn Sie heulen wollen, ebenfalls! Das hat nichts mit Gefühlsduselei zu tun, sondern mit Authentizität.


    Ihr Beispiel mit der alten Dame im Supermarkt zeigt doch, daß diejenigen, die wissen, was Sie leisten, das würdigen und zu schätzen wissen. Aber jemand, der das nicht weiß, dem müssen Sie das SAGEN, sonst wird er sich Ihnen gegenüber falsch verhalten und das ist dann nicht SEINE Schuld.


    Da meine Lebensgefährtin auch ein Talent hat, ungeeignete Entscheidungen zu treffen, habe ich irgendwann in Absprache mit ihr eingeführt, daß wir grundsätzlich das GEGENTEIL von dem machen, was sie intuitiv tun würde. Und siehe da, es funktioniert!


    Also, wenn es Ihnen nach leugnen bzw. verheimlichen ist, machen Sie das Gegenteil und sprechen Sie aus, was Sie beschäftigt. Vielleicht klappt's ja, ich wünsche es Ihnen jedenfalls.

  • Das klingt natürlich alles nicht sehr sensibel. Auf der anderen Seite haben die meisten Menschen eine Gabe körperliche Mängel, Pflege und Tod so gut es geht zu verdrängen, bis es sie dann selbst trifft. Und so kommen diese Menschen dann auch in Begegnungen rüber.


    Das es heutzutage ein Luxus ist, für die eigenen Eltern noch da sein zu können, diese Aussage würde mich nicht so arg treffen, Sonnenblümchen. Verstehen kann ich dich aber gut. Für die Kinder hat man heutzutage leider auch nicht mehr die Zeit, die man bräuchte. Vieles läuft unter Zeitdruck und Stress. Und es hat Zeiten gegeben, da war das alles noch schlechter organisiert als heute, trotz Familie. Viele denken notgedrungen an die eigene Zukunft und Rente und das ist auch ein Punkt, den man nicht ausklammern kann, aber man kann sich trotzdem für oder gegen etwas entscheiden.


    Ich habe auch etwas länger überlegt und mich gefragt, ob ich noch etwas zu der Todesfrage schreiben soll, also ob die Mutter nicht schon tot ist.


    Bei meiner Schwiegermutter hört z.B. das Leben schlagartig auf, wenn sie nicht mehr laufen kann. Dann kann auch nichts und niemand sie mehr erreichen, dann will sie sterben und dann wird sie aggressiv und das bleibt auch so Tag für Tag, Stunde um Stunde, mit ganz wenigen anderen Augenblicken. Ein paar Mal stand sie kurz davor, auch über einen längeren Zeitraum, dass sie nicht mehr hätte laufen können und jedesmal ist es eine große Qual für sie und für mich, denn sie hat Angst vor Bettlägerigkeit, vor dem Tod und überhaupt. Das sind gegenseitige Qualen und die sind schwer auszuhalten, für alle Beteiligten.


    Wenn jemand so etwas sagt, wie diese Person, dann denke ich mir, er denkt dabei sicher nicht, dass die Mutter hoffentlich nicht mehr lebt, sondern dass sie ihre Qualen nicht mehr hat. So würde ich das verstehen. Aber ich kann mich natürlich auch irren.


    Ich habe hier noch ein interessantes Video zu einer Nahtoderfahrung, die wie ich finde, authentisch in der Sendung Planet Wissen aufgegriffen worden ist. Für mich ist der Tod nicht unbedingt erstrebenswert, aber ein Leben ohne jegliche Freude oder einem Funken von Lebensinteresse ist auch nicht erstrebenswert. Und ich finde es gut, wenn man sich selbst ein wenig damit auseinandersetzt, damit man den Tod nicht nur als ein schwarzes Nichts ansehen muss, was nur schlecht ist.


    https://www.youtube.com/watch?v=LJaNCLMgMWE


    Was Hanne geschrieben hat, das zeugt für mich von sehr viel Uninformiertheit und wenn nicht gerade ein Todesereignis der Grund für diesen Dialog wäre, dann würde ich demjenigen ein paar Fakten über die Lage erklären. Aber in einer solchen Situation ist man wahrscheinlich nur perplex.


    Ich hoffe, ich habe das einigermaßen ausdrücken können. Denn das Thema ist kein Leichtes.

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