Am Ende unserer Weisheit...

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  • Hallo,


    wie vermutlich viele, habe ich mich heute hier angemeldet, weil uns langsam die Situation über den Kopf wächst. Wir, das sind mein 'kleiner' Bruder und ich.


    Vor einigen Jahren hat sich bei meiner Mutter (81) Demenz eingeschlichen. Anfangs war sie noch todunglücklich über ihr schwindendes Gedächtnis und ihre Vergesslichkeit, die zeit ihres Lebens starke Frau hat deshalb plötzlich geweint - mittlerweile findet sie alles nur noch lustig ("Ja mei, in unserem Alter darf'ma schon mal was vergessen.").


    Gestern hat sie für große Aufregung gesorgt. Vorgestern brach sie sich die Hand, weil sie in der Küche auf einen Hocker stieg und der wegrutschte. Gestern wurde die Hand operiert. Als sie mein Bruder gestern Abend besuchen wollte, war sie nicht im Zimmer.


    Ihre Zimmernachbarin sagte, sie wollte ihrem Besuch entgegengehen. An keinem der Eingänge war sie zu finden. Er lief x-Mal durchs Haus und informierte schließlich die Station. Mittlerweile hat auch schon das Personal begonnen, alle Zimmer abzusuchen, vielleicht ist sie ja in ein falsches Zimmer gegangen. Nichts.


    Da ich nicht weit vom Krankenhaus wohne, hat auch die Möglichkeit bestanden, dass sie sich in meine Richtung auf den Weg gemacht hat., deshalb waren wir ständig telefonisch in Kontakt. Er lief mehrfach rund ums Krankenhaus, hat sogar in dessen Kirche gesucht und irgendwann hat das KH beschlossen, die Polizei zu informieren.


    Zwischenzeitlich bekam ich einen Anruf am Handy von einer unbekannten Nummer. Ein junger Mann meldete sich, er rufe im Auftrag meiner Mutter an, er und seine Freunde (zwei Pärchen) haben sie 'aufgelesen', sie ist gestürzt und habe sich verlaufen. Ich hab ihm unendlich gedankt, ihm kurz die Situation erklärt und ihn gebeten, ob er sie zum Krankenhaus zurückbegleite. Zeitgleich rief mein Bruder an, der auf dem Weg zum Ausgang war, um dort auf die Polizei zu warten. Im Grunde liefen sie meinem Bruder schon in die Arme.


    Er hat sie dann zurück ins Zimmer gebracht und mit Hilfe der Krankenschwester wurde sie dann noch medizinisch versorgt und 'bettfertig' gemacht. Nach ihren Angaben war sie beim Versuch in den Bus zu steigen gestürzt (meine Mutter ist seit den 60er-Jahren nicht mehr mit den Öffentlichen gefahren, sie war immer autark und selbst mit dem Auto unterwegs. Die letzten Jahre natürlich nicht mehr.). Entsprechend sah sie auch aus, die Hose war zerrissen und sie war von oben bis unten schmutzig. In dieser Situation haben sie die jungen Leute 'aufgegriffen'. Meinen Bruder hat sie dann noch gefragt, wo sie denn sei und wie sie denn bezahlen solle, so viel Geld habe sie nicht dabei. Als das geklärt war, war sie beruhigt und er fuhr zu sich nach Hause.


    Soweit, so gut.


    Wie gesagt, die Situation an sich ist uns ja nicht neu, aber bisher wurde von beiden Eltern jede Annahme einer Hilfe, sei's eine Haushaltshilfe, oder den Antrag auf eine Pflegestufe, kategorisch abgelehnt. Pflegestufe schon gar nicht, schließlich ist es ja nicht sie, die krank sei - ihre Meinung.


    Seit einigen Jahren nimmt mein Vater sie mit zu seiner Neurologin. Dort wurden bereits in Abständen mehrere Tests gemacht und eine (damals) beginnende Demenz festgestellt. Ob und welche Medikamente sie bekommt, darüber bekommen wir nur sehr schwer Auskunft von meinem Vater. Jedes Wort muss man ihm aus der Nase ziehen.


    Unsere Historie ist voll von massiven Ereignissen, wie z.B. meinem Unfall mit 19, an dem sich mein Vater persönlich die Schuld gibt - was natürlich nicht so ist, es war einfach ein Unfall wie er jeden Tag passiert - nur eben mit weitreichenden gesundheitlichen Folgen für mich; oder seinen Blasenkrebs und den Folgemaßnahmen, etliche Chemotherapien, mit denen er sich immer wieder seit über 30 Jahren befassen muss - ganz abgesehen von den permanenten Schmerzen. Das nur ein paar der bestehenden Umstände.


    Und jetzt die Situation mit meiner Mutter, die ihn immer mehr überfordert. Auch er wird seit einigen Jahren schon auf seine Depressionen behandelt. Erschwerend kommt hinzu, dass seine Mutter, also unsere Oma, mit 88 ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt hat. Sie hat ihren körperlichen und geistigen Verfall nicht mehr ertragen und wollte niemandem von uns 'zur Last fallen'. Damit hat sie natürlich die 'Hemmschwelle' für meinen ohnehin schon depressiven Vater immens herabgesetzt. Entsprechende Bemerkungen hat er schon mehrfach fallen lassen, versteckt hinter seinem allseits bekannten schwarzen Humor.


    Sie wohnen gemeinsam in unserem Elternhaus, das sie in den 70ern gebaut haben. Allerdings lässt die Pflege des Haushalts mittlerweile natürlich auch zu wünschen übrig - was kein Vorwurf sein soll, sondern nur eine Feststellung. Aber, wie schon erwähnt, eine Unterstützung wird wehement abgelehnt "Brauch'ma ned! Kann ich alles selber!".


    Zur 'Entlastung' meiner Mutter möchte ich noch anmerken, dass die Situation gestern im Krankenhaus für sie außergewöhnlich war. Sie war erst einmal überhaupt im Krankenhaus und hatte vermutlich noch Reste der Narkose intus. Das alles hat die Stresssituation für sie noch erhöht.


    Trotzdem, wir sind langsam am Ende unserer Weisheit.


    Wie oder wo können wir Hilfe bekommen, ohne dass wir in 'die Mühlen der Bürokratie' geraten? Welche rechtlichen Voraussetzungen benötigen wir? Eine Patientenverfügung haben wir (mein Bruder und ich) für beide unserer Eltern.


    Sorry für den ellenlangen Text, ich hoffe, ich habe ihn halbwegs leicht lesbar verfasst, aber das sind nur die wichtigsten 'Eckdaten' der Situation.


    Vielen Dank fürs Lesen und Durchhalten :)

  • Nachtrag:
    Schwersten Herzens habe ich mit einem Pflegedienst im Nachbarort Kontakt aufgenommen. Nachdem ich der eigentlich freundlichen Dame am Telefon die Situation geschildert habe, meinte sie, sie müsse sich mit ihrer Chefin absprechen und melde sich im Laufe des Tages bei mir.


    Das war vor drei Wochen.


    Genauso fühle ich mich jetzt hier. Schlimmer noch. Mein Eintrag ist vom Juli 2019 (!!!). Nicht eine einzige Reaktion, ganz zu schweigen von einem Rat, oder - egal was. Nichts!


    Ich dachte wirklich, ich kann hier Hilfe finden. Und wenn nicht Hilfe, dann zumindest - keine Ahnung - ein virtuelles Schulterklopfen? Irgendwas... Tja, falsch gedacht.


    Da soll man sich nicht verlassen vorkommen. Eine Enttäuschung mehr...

  • Hallo kodo,
    Es tut mir zunächst leid, dass hier niemand geantwortet hat, warum auch immer, das passiert offensichtlich manchmal, weil viele Leser hier ja selbst sehr belastet sind, sehr viele auch über-lastet.
    Ich fand Ihre Frage aus dem letzten Jahr aber auch beim heutigen Lesen schwierig zu beantworten, welche Hilfen "ohne Mühlen der Bürokratie "...


    Sie könnten z.B. den sozialpsychiatrischen Dienst Ihrer Stadtverwaltung anrufen und nachfragen oder beim Hausarzt anfragen, welche Möglichkeiten es gibt.
    Sie haben jedenfalls viele Sorgen Ihrer Eltern mit übernommen, das kenne ich und kann in jedem Fall anraten, einiges an professionelle Dienste zu delegieren, wenn die Eltern das ablehnen, darf das nicht heißen, dass Sie dafür umso mehr selbst übernehmen, denn daran kann man selbst irgendwann zerbrechen und damit ist niemandem geholfen. Als Angehöriger ist man zwangsläufig emotional schnell zu sehr belastet. Wenn diese alles ablehnen, würde ich persönlich auf Abstand gehen .
    Bei Bedarf zum aussprechen kann man die Hotline der dt. Gesellschaft Alzheimer anrufen und im Notfall jederzeit die Telefonseelsorge , die entsprechenden tel.nr.googeln.


    Alles Gute für Sie
    Rose60

  • Hallo Rose60,


    ganz lieben Dank für Ihr Feedback.


    So langsam knackt mein Vater auf. Als zwei- bis dreiwöchige Haushaltshilfe hat sich meine Cousine angeboten, was er zunächst zähneknirschend angenommen hat, mittlerweile will er auf sie nicht mehr verzichten.


    Im Moment versuche ich ihm 'Essen auf Rädern' schmackhaft zu machen und argumentiere mit der Unterversorgung meiner Mutter (sie isst extrem wenig, auch wenn ich drei volle Portionen koche. Das reicht für mind. vier Mahlzeiten der beiden). Ihr zuliebe ist er zu allem bereit, dauert halt, bis er sich selbst dazu 'durchringen' kann. Ich werde voraussichtlich dieses WE in meine Wohnung zurückziehen, also hab ich ihre Versorgung nicht mehr im Blick. Jetzt bin ich halt der 'stete Tropfen'...


    Nochmals lieben Dank und alles Gute allerseits :D


    Nachtrag:
    Hinzuzufügen ist noch, dass sie im Mai rückwirkend zum Antragsdatum im März die Pflegestufe 3 zugesprochen bekam. Das Ganze fand Corona-konform, nämlich telefonisch, statt.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo KoDo, zunächst habe ich auch keine Erklärung, warum Ihr Beitrag untergegangen ist - ich schaue mindestens einmal in der Woche alle neuen Beiträge durch. Bitte entschuldigen Sie, dass wir Sie so lange alleingelassen haben und Danke an Rose60, dass Sie den Beitrag gefunden haben!


    Von all dem, was Sie beschrieben haben, kann ich Ihre Verzweiflung und Ausweglosigkeit verstehen. Aber vielleicht helfen folgende Gedanken, die Situation etwas besser einzuordnen:


    1. Der "Ausflug" Ihrer Mutter im Krankenhaus - aus dem schönen Impuls heraus, Ihnen entgegenzugehen - hat sich gut gefügt: das Krankenhaus hat alles ernst genommen und überall gesucht, freundliche Menschen haben geholfen und es ist - bis auf verschmutzte Kleidung - wirklich gut ausgegangen. Eine solche "senile Bettflucht" - wie es früher hieß - kann auch krankheitsbedingt sein, nicht durch die Demenz, sondern durch ein Delir, das zusätzlich eine extreme Reaktion der Verwirrtheit im Gehirn auslöst und gut behandelt werden kann, wenn es erkannt wird. Einen ambulanten Dienst haben Sie einbezogen und Sie bitte fragen Sie noch einmal nach!


    Ihr Vater wird in seiner Depression behandelt und seine Suizidanspielungen nehmen Sie ernst und haben dies bestimmt schon mit der Neurologin besprochen. Sie persönlich haben die Schuldgedanken Ihres Vaters als Zeichen seiner Depression verstanden und konnten sich so abgrenzen.


    Diese Abgrenzung haben Sie auch jetzt vollzogen und ziehen wieder zurück in die Wohnung. Obwohl Sie bisher - von außen betrachtet - alles richtig gemacht haben, bleibt ein riesiges Problem und die Notwendig für "Plan B".


    Rose60 hat ja schon auf den sozialpsychiatrischen Dienst hingewiesen. Dort können Sie sich beraten lassen:
    - Wann können oder sollten Sie eine Notbremse bei Ihrem Vater ziehen?
    - Was passiert dann mit Ihrer Mutter?
    - Welche Unterstützung gibt es in Ihrer Region für Sie und Ihren Bruder?
    - Wie sind Vollmachten geregelt, wann sollte eine Betreuung angedacht werden?


    Dieses Gespräch ist sehr wertvoll, weil der sozialpsychiatrische Dienst bei schwersten Krisen hinzugezogen wird und die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass er - mit den Hintergrundinformationen - die richtige Entscheidung trifft.


    Zum PlanB behört auch, dass Sie oder Ihr Bruder schon mal Heime der Umgebung ansehen und die Möglichkeit einer Kurzzeitpflege besprechen. Im Notfall geht dann alles viel schneller.
    Als kurzfristige Hilfe kommt vielleicht auch die Tagespflege oder eine Betreuungsgruppe in Betracht - vorbehaltlich der aktuellen Situation mit Corona. Damit hätte Ihr Vater eine kurzfristige Entlastung. (Achtung: dies könnte bei Ihrem Vater das Gefühl von Nutzlosigkeit auslösen und die Bepression verstärken).


    Letztlich möchte ich mit einem Wunsch schließen: Bitte bleiben Sie dran, fragen Sie immer noch mal nach, schreiben Sie in einem Betrag auf diesem Forum einer Erinnerung. Überall gibt es Menschen, denen mal etwas durchrutscht und die Fehler machen, ohne es zu wollen.
    Alles Gute und viel Erfolg, Ihr Martin Hamborg

  • Hallo Martin,


    zunächst mal ganz lieben Dank für Ihre Antwort. Schon nach Roses Feedback war ich wieder 'versöhnt'. Shit happens, das kenn' ich ja zur Genüge ;)


    Vielen Dank auch für die Tipps von Ihnen beiden. Ich hab auch schon den sozialpsychologischen Dienst für unsere Region gefunden. Der Kontaktaufnahme steht auch bei mir eine gewisse Hemmschwelle im Weg. Trotzdem, das werde ich in Kürze in Angriff nehmen.


    Meine Umsiedlung zu meinen Eltern begründet sich damit, dass ich eine neue Küche bekam, und pünktlich nach dem Abbau meiner alten kam Corona. Die unendlichen Verzögerungen in der Beschaffung führten dazu, dass ich mittlerweile über ein halbes Jahr in meinem alten Kinderzimmer bin. Meine eigene Schlagseite macht ein dauerhaftes Wohnen in meinem Elternhaus einfach nicht mehr möglich (ich kann schlecht in jeder Etage einen Rollstuhl platzieren) - aber was hätte ich nur gemacht, wenn ich diese Option nicht gehabt hätte... Mein Vater ist natürlich froh um jede Woche, die ich noch hier bin. Allein der Gedanke daran, dass ich wieder in meine Wohnung gehe, trieb ihm die Tränen in die Augen.


    Ich hab mit ihm jetzt abgemacht, dass ich künftig einen ganzen Tag hier einplane, und wenn es Fr/Sa nicht geht, weil ich selbst irgendwelche Termine hab, verschiebt sich's auf Sa/So. So hat er zumindest an einem Tag der Woche Unterstützung.


    Seit meinem ersten 'Mammuteintrag' hat sich einiges getan.
    Es begann im März, als sie nachts aufwachte, Hunger bekam und auf dem Weg nach unten den Handlauf der Treppe verpasste und komplett die ganze Treppe (16 Stufen mit einer 180°-Wendung) runterstürzte.
    Ergebnis: Gebrochene Schulter, gebrochener Oberarm, angebrochener Brustwirbel und eine Platzwunde am Kopf.


    So, und jetzt erklärt man mal der demenzkranken Mutter, dass sie in der für alle neuen Corona-Situation niemand besuchen darf. Das war, als stürbe sie jeden Tag den gleichen Tod wieder und wieder.


    Es folgte ein Krankenhaus-hin-und-her, verteilt auf zwei Krankenhäuser. Diese Hick-Hack bekomme ich beim besten Willen nicht mehr genau zusammen. Ärgerlich für uns und quälend für meine Mutter jedenfalls...


    Noch am selben Tag aktivierte mein Bruder einen Freund, der ober- und unterhalb des Treppenhauses einen Bewegungsmelder installierte, sodass sowas nicht mehr vorkommt. So der Plan.


    Wir haben nicht bedacht, dass sie es sich einfach nicht mehr merken kann, das Licht hinter sich nicht mehr auszumachen. Bis zu einem gewissen Punkt kann ich das nachvollziehen. Wir wurden von klein auf stromsparend erzogen. Umwelt war in den 60ern und 70ern noch nicht das Thema, sondern schlichtweg das Geld. Seit mittlerweile seit einem halben Jahr versuchen wir sie mehrfach täglich daran zu erinnern, das Licht nicht auszuschalten, es geht von alleine aus.


    Wir kamen jetzt zu dem Schluss, dass es im Grunde wurscht ist, wenn sie das Licht ausmacht. Der Letzte, der ins Bett geht, kontrolliert die beiden Schaltungen. Fertig. Dann ist es egal, wenn sie tagsüber den Bewegungsmelder deaktiviert.


    Von den vielen andere kleinen Geschehnissen muss ich hier nicht die Speicherkapazität füllen. Diese kleinen, mittleren und größeren Probleme hat wohl jede/-r hier.


    Eines davon, an dem mein Vater noch verzweifelt, hört sich als Kleinigkeit an. Jeden Tag nach dem Frühstück sammelt sie die Brösel zusammen und legt sie (im günstigsten Fall) vor dem Haus aufs Tonnenhäuserl (im ungünstigsten Fall sammelt sie die Brösel irgendwo in der Küche). Mit dem Ergebnis, dass sich die Vögel dran freuen und das wiederum freut meine Mutter. Das Problem ist, dass die Spatzen beim Start das daneben stehende Auto meiner Eltern vollkacken. Dass der Vogelkot für den Autolack keine explizit pflegende Wirkung hat, muss nicht genauer erklärt werden.


    Wie gesagt, das hört sich erst mal lustig an, bringt aber meinen Vater als ehem. Werkstatt-Inhaber an den Rand der Verzweiflung. Als Lösungsmöglichkeit hab ich ihr jetzt angeboten, sie soll doch die Brösel hinterm Haus in den Garten schmeißen, da stört's niemanden und die Vögel finden sie schon, die können ja schließlich fliegen.
    Das kann sie sich eigenartiger Weise meistens merken.


    Sorry für den schon wieder riesigen Eintrag. Dankeschön fürs Lesen und Durchhalten!


    PS: Ich erwarte dieses Mal keine Antwort. Im Moment sehe ich die Plattform hier als eine Art Tagebuch. Ich hoffe, das geht in Ordnung. Wenn nicht, bitte kurze Mitteilung.

  • Hallo liebe Runde,


    Halleluja! Mein Dad schaffte letzte Woche es, Mom in die Badewanne zu argumentieren - nach über sage und schreibe fünf Wochen. Der Clou ist aber, dass Dad erzählte, am Ende wollte sie gar nicht mehr raus. Haare waschen war nicht mehr drin, da ihnen das Shampoo ausgegangen ist. Das sind aber bei meinen Eltern in den letzten Jahren Einzelaktionen. Er wäscht und färbt ihr die Haare separat. Ganz stolz ist er immer auf sein Ergebnis und weist uns explizit drauf hin.


    Teuteburger:
    Vielen Dank für deine Preiseinschätzung. Ich hab jetzt noch einen weiteren Menüservice entdeckt, diesmal vom MHD. Allerdings haben sie keine pauschale Preisliste, die gibt's erst auf Anfrage - offenbar regionsabhängig.


    Martin Hamborg:
    Ganz lieben Dank für Ihren Zuspruch.
    Die größeren Sorgen macht mir jetzt allerdings mein Vater. Obwohl mein letzter Tag dort ziemlich entspannt ablief, war er tags darauf wieder in seiner Depression.


    Am Donnerstagabend kam es dann zu einer regelrechten Eskalation. Anlass war, dass mein Bruder die Mikrowelle, die ich mit Zustimmung meines Vaters bestellt habe, bei meinen Eltern vorbeibrachte und in der Küche aufstellte. Mein Vater tickte völlig aus, schrie rum, sie bräuchten sowas nicht, er will es nicht, sie hätten eh keinen Platz für sowas, es stünde eh schon so viel Zeugs rum. Als meine Mutter den Karton in den Keller 'aus dem Weg' bringen wollte, schrie er auch sie an und schmiss den leeren Karton durch die Gegend. Mein Bruder versuchte ihn zu beruhigen und räumte letztlich die Mikrowelle 'außer Sicht' in den Eingangsbereich.
    Das ist ein völlig neues und unerwartetes Verhalten meines Vaters. Ich weiß gar nicht, wann ich meinen Vater das letzte Mal schreiend erlebt habe - eigentlich noch nie.


    Der Grund für die Bestellung der Mikrowelle war ein Anruf meiner Mutter Anfang letzter Woche - versehentlich auf dem Handy meiner Schwägerin. Im Hintergrund hörte man den Rauchmelder. Mein Bruder ging sofort zu meinen Eltern, stellte den Rauchmelder ab und lüftete das ganze Erdgeschoss.
    Folgendes war passiert: Mein Vater holte vom Dorfladen ein Mittagsmenü, Fisch mit Kartoffelsalat. Sie beide teilten sich eine Hälfte (!), die andere Hälfte lag in der Pfanne und wurde 'warmgehalten'. Offenbar vergaßen sie beide den Fisch auf dem Ofen und gingen wieder ins Wohnzimmer. Mein Bruder nahm daraufhin kurzerhand die Sicherung des Ofens/Herds raus.


    Schon eine Woche vor dem 'Rauchmelder' hab ich mit meinem Vater beschlossen, die Mikrowelle anzuschaffen. Gerade weil wir schon länger Bedenken hatten, wenn meine Mutter am Herd steht. Das ist ja nicht das erste Mal, dass sie etwas auf dem Herd vergessen hat.


    Am Freitag kam ich wie abgemacht wieder über Nacht zu meinen Eltern. Als ich erzählte, dass ich Samstag spätestens um 18 Uhr Zuhause sein müsse, weil der Lieferservice kommt, war er schon enttäuscht, weil er davon ausging, dass ich bis Sonntag bleiben würde. Sein ganzes Verhalten war neu. Er sprach so gut wie kein Wort, jede Frage wurde mit einem Nicken oder Kopfschütteln beantwortet. Er saß eine gefühlte Ewigkeit alleine am Esstisch und grübelte vor sich hin. Ich nahm ihn in den Arm und sagte ihm, dass ich ihn doch verstehe, aber er müsse uns doch auch helfen, ihm zu helfen. Nur Kopfschütteln. Den ganzen Tag hat er bei jeder Gelegenheit, ihn von der Mikrowelle zu überzeugen, nur mit einem "Nein!" geantwortet. Bevor er zu Bett ging, schlug ich ihm nochmal vor, es doch wenigstens eine Woche zu versuchen. Wenn es nicht klappt, schicken wir sie nächste Woche zurück. Er meinte nur: "Macht was ihr wollt. Ist doch eh alles egal!".


    Am Sonntag kamen mein Bruder und ich wie gewohnt um 15 Uhr zum Kaffee. Mein Vater war immer noch teilnahmslos und völlig schweigsam.


    Ich blieb dann noch und hoffte, meiner Mutter die drei Knöpfe/Tasten lernen zu können. Sie ist zwar sehr aufgeschlossen dafür und war auch begeistert, als ich eine Tasse Wasser in einer Minute heiß machte, aber natürlich war das zu viel erwartet, und da mein Vater die Mikrowelle völlig ablehnt, fürchte ich, wir müssen sie zurücksenden.


    Bei einem weiteren Versuch, eine Antwort auf seinen Sinneswandel zu erhalten, bekam ich tatsächlich Antwort: "Ich fühl mich so allein!". Ich sagte ihm, er sei doch nicht alleine, wir sind doch alle für Dich da und ich bin ja auch nicht aus der Welt. Sogar zwei Nachbarinnen haben ihre Hilfe angeboten, aber er müsse die Hilfe auch bitte, bitte annehmen. Aber das ist es nicht, ich weiß, was er meint. Schon am späten Vormittag legt sich meine Mutter wieder hin und schläft teilweise drei bis vier Stunden und er sitzt alleine im Wohnzimmer und hat jede Menge Zeit zu grübeln. Solange ich da war, war er wenigstens nicht ganz alleine, jetzt eben schon.


    Das mit 'Hilfe annehmen' kann ich verstehen. Nach meinem Unfall mit 19 (inkompletter Querschnitt) war ich anfangs viel auf fremde Hilfe angewiesen. Diese anzunehmen fiel mir auch schwer, ganz zu schweigen davon, aktiv nach Hilfe zu fragen. Also, ich kenne das. Es hat etliche Jahre gedauert, bis ich das halbwegs zuließ. Er kann und will es einfach nicht.


    Dass er sich bisher noch nichts angetan hat, begründet sich einzig und allein mit meiner Mutter. Sie will er nicht alleine zurück lassen. Bei seinem letzten Tränenausbruch vor etwa zwei Wochen schmiegte sie sich zu ihm und meinte: "Dann gehen wir zusammen! Was soll ich denn ohne Dich hier?". Diese Szene trieb mir mal wieder die Tränen in die Augen. Diese Bemerkung hat sie - trotz ihres Zustands - die letzten Monate immer wieder gemacht.


    Bei mir wächst immer mehr der Eindruck, er gibt sich auf. Seit mittlerweile drei Tagen (die ich mitbekommen habe) hat er, abgesehen von seinem Philadelphia-Brot zum Frühstück, nichts gegessen. Gelegentlich holt er sich einen Keks aus ihrem Naschschrank, das war's aber dann auch. Bisher hat er wenigstens eine kleine Portion mitgegessen, wenn ich was gemacht habe. Gestern hat er sich nicht mal zu uns gesetzt.


    Als ich ihm sagte, dass ich mir im Moment mehr Sorgen um ihn, als um Mom mache, meinte er: "Dann habt ihr bald ein Problem weniger!". Mit Tränen in den Augen sagte ich ihm, er sei doch kein 'Problem' für uns. Wir tun doch unser Bestes ihm zu helfen, aber er müsse sich dann doch auch helfen lassen. Wieder nur Kopfschütteln.


    Gerade telefonierte ich mit ihm, seine Stimme ist nicht anders, als gestern, schwach und resigniert. Mom erkundigte sich, was es im Dorfladen gibt, aber auch das mag er wieder nicht.


    Ob er seine Medikamente nimmt, kann ich nicht sagen. Es würde mich aber nicht wundern, wenn er die nicht nimmt. Sein Zustand lässt das vermuten.


    Wie soll man nur jemandem helfen, der keine Hilfe annimmt? Ich fühle mich langsam selbst zur Hilflosigkeit verdonnert...


    Danke fürs Lesen.
    LG an alle
    KoDo

  • Hallo kodo,
    Das klingtwirklich schrecklich anstrengend und wird Sie vermutlich kräftemäßig aussaugen.
    Also ohne weitere Hilfe geht das doch nicht, da gehen Sie mit vor die Hunde.
    Könnten Sie besonders Ihrem Vater gegenüber einen klaren Standpunkt kundtun, dass er mithelfen muss, in dem er mehr Hilfe von außen zulässt?
    Wäre eine seniorenbetreuerin eine Option, die einiges übernimmt und regelmäßig nachschaut?
    Wenn ich von mir ausgehe, kommen Sie doch so aus den Gedanken um die Eltern kaum raus, oder?


    Herzliche Grüße
    Rose60

  • Hallo KoDo,


    für mich klingt es so, dass Ihr Herr Vater durch die Demenz seiner Frau maximal belastet ist. Vielleicht hat er auch schon resigniert oder ist in eine Depression gerutscht. Keine guten Voraussetzungen, um sich um eine demente Lebenspartnerin zu kümmern. Vielleicht können Sie mit Hilfe des Hausarztes mal gemeinsam ein Gespräch führen. Er hat es doch eigentlich schon gesagt: er fühlt sich allein! Das meint er sicherlich auch in Bezug auf seine Ehefrau, denn viele Gespräche mit ihr werden nicht mehr möglich sein.


    Das Fatale: es wird nicht besser, sondern schlimmer! Vielleicht könnte auch ein Pflegestützpunkt helfen. Ihr Vater muss einfach für sich klar formulieren können, welche Hilfe er leisten kann, mit oder ohne Unterstützung von außen. Ich habe den Eindruck, dass in der augenblicklichen Situation beiden geholfen werden müsste. Ihr Vater muss einsehen, dass ihn die Erkrankung seiner Frau auf Dauer wohl ebenfalls mitreißt. Allein wird er es nicht wuppen und Sie können auch nicht immer vor Ort sein.

  • Hallo Kodo,


    ich stimme meinen beiden Vorgängerinnen zu.


    Es ist sehr schwer, wenn man im Alter seine bisherigen Lebensinhalte verliert. Und die meisten Menschen verlieren dann auch sich selbst. Ich habe das schon oft erlebt.


    Ich frage dann immer, was hat derjenige denn für eigene Lebensinhalte gehabt, außerhalb der Familie. Welche Interessen hat er verfolgt, erforscht, wo fühlt man sich gut, wenn man dieses oder jenes tut und lernt. Bei vielen Menschen ist da nicht mehr viel, ab einem gewissen Lebensalter und das macht auf Dauer unglücklich, depressiv und es lässt einen krank werden.


    Ich erlebe das auch bei meiner Schwiegermutter, auch schon vor der Demenz. Es ist schlimm zu erfahren, dass man irgendwann selbst zum Lebensinhalt der jeweiligen Person wird. Das tut beiden Seiten auf Dauer nicht gut.


    Leider wehren sich viele gegen eine Hilfe von Außen. Da dein Vater noch geistig fit ist, ist es schwer ein bisschen zu flunkern, um jemanden einzuschleusen. Das habe ich nach einigen Fehlversuchen bei meiner Schwiegermutter getan.

    Ich würde den Vater fragen, was ihm helfen würde, damit er sich nicht mehr alleine fühlt, neben seiner Frau oder dir. Vielleicht fällt ihm etwas ein. Ich kenne einen Mann, der hat sogar im Altenheim noch ein Studium angefangen, zwar ein kirchliches, aber er hat etwas nur für sich gehabt. Das hat ihm geholfen.


    Für mich selbst habe ich festgestellt, dass ich immer nur zeitweise jemandem helfen kann. Das ist traurig. Aber ich habe auch nie aufgegeben, um eine Verbesserung im möglichen Rahmen zu erreichen. Manches hat Jahre gedauert, bis es zugelassen worden ist von meiner Schwiegermutter. Manches ist auch fehlgeschlagen. Es ist immer ein wettrennen gegen die Zeit und jetzt ist es so, dass sie um die entscheidende eigene Lebensfrage nicht mehr drumrumkommt.
    Bei deinem Vater ist das sicher noch anders. Entschuldige KoDo, wenn ich frage, vielleicht habe ich es überlesen, aber wie alt ist dein Vater denn?


    Liebe Grüße an Dich

  • Hallo zusammen,


    jetzt bastle ich schon seit morgens immer wieder an meinem Eintrag und jetzt ist tatsächlich alles weg. Das hab ich mit OneNote noch nie erlebt. Dann halt nochmal, ich hoffe, ich krieg's wieder so hin…


    Erstmal Danke an Rose60, Lulu und Teuteburger, für eure lieben Worte und eure nützlichen Tipps.


    Hilfe von außen, in welcher Form auch immer, wird von beiden vehement blockiert - obwohl die räumlichen Möglichkeiten gegeben wären. Unsere beiden Kinderzimmer und die ausgebaute Mansarde stehen leer. In der Mansarde ist ein süßes, relativ großes Apartment mit einem kleinen Bad und einer kleinen Küchenzeile, also perfekt für eine dauerhafte Hilfe.


    Teuteburger:
    Mein Dad ist 84 und meine Mom 82.
    Sein einziger Lebensinhalt gleich nach seiner Familie war sein Radsport. Er hat damit in seiner Jugend begonnen, war Bayerischer Vize-Meister und Vierter in der deutschen Meisterschaft. Ich kann mich an keinen Urlaub erinnern, an dem wir nicht mit dem Radl auf dem Dach unterwegs waren. An die Auswahl der Urlaubsziele wurden zwei Bedingungen geknüpft: Berge für Dad und Meer für Mom und mich/uns. Das war dann z.B. Elba, die Riviera und später die Abruzzen. Außerdem hat meine Mutter noch zwei Regeln aufgestellt: Zum Mittagessen musste er wieder da sein (das galt auch zuhause) und zwei Tage Training, ein Tag Pause. So hatten wir jeden 3. Tag einen ganzen Tag mit Dad am Strand.


    Auch ihr Freundeskreis drehte sich rund um den Sport und wurde Jahrzehnte lang auch gepflegt. Geburtstage wurden immer zweimal gefeiert, einmal mit den Freunden und einmal mit der Familie/Verwandtschaft.


    Seine körperliche Fitness hat ihm nicht nur einmal das Leben gerettet. Nach einem Schwindelanfall stellte man im Krankenhaus 'mehrere Embolien' fest. Ich kenne niemanden, der auch nur eine überlebt hat.


    Als erstmals sein Blasenkrebs bekannt und operiert wurde, fing er nach der OP im Krankenhaus an, zum einen den Schwestern bei der Patientenversorgung zu helfen (z.B. bei der Essenverteilung; damit er wieder auf die Beine kommt), zum anderen lief er mehrmals täglich alle Treppen hoch und runter, um nicht zu viel Trainingsausfall zu haben.


    Und weil die Männer einmal im Jahr eine Woche Radl-Urlaub machten (z.B. in die Provence), entschlossen sich die Frauen auch jährlich eine Woche eine Städtereise mit dem Bus zu machen - natürlich erst, als die Kinder schon groß waren. So bereisten sie halb Europa.


    Ich könnte noch seitenweise so weitermachen, ich habe jede Menge schöne Kindheitserinnerungen. Wir wuchsen ohne psychische oder physische Gewalt, Weiberg'schichten oder Saufgelage auf. Natürlich gab es auch Auseinandersetzungen, aber nicht vor uns Kindern.


    Morgen haben sie 60. Hochzeitstag. Im Sommer noch machte er Pläne, wen sie von ihren Freunden alles einladen, aber 'Dank Corona' fällt er vermutlich flach. Am Wochenende hab ich ihn gefragt, ob wir als Familie vielleicht zum Essen gehen sollten, ich bekam nur ein Kopfschütteln.


    Er ist innerlich zutiefst zerrissen. Einerseits wäre sein größter Wunsch, dass ich dauerhaft bei ihnen lebe, andererseits möchte er mich nicht zusätzlich belasten - wo er doch sich persönlich die Schuld an meinem Unfall gibt, was natürlich nicht so ist. Auch das habe ich erst etliche Jahre nach meinem Unfall erfahren. Niemand hat Schuld (außer die Liftgesellschaft), es war ein Unfall, wie er tausendfach täglich passiert.


    Als er vor einigen Jahren schmerzverzerrt auf meiner Couch saß, meinte er nur: "Das ist die Strafe!". Ich hab ihm gesagt: "Nichts, aber auch gar nichts, was er in seinem Leben gemacht hat, würde das als Strafe rechtfertigen! Wir hätten uns keinen besseren Vater wünschen können.". Und wieder weinten wir beide auf meiner Couch.


    Er leidet. Er leidet schon seit und wegen meinem Unfall, wegen Moms Demenz und seiner Unfähigkeit, nicht helfen zu können und keine Kraft mehr zu haben. Ich rede mir den Mund fusselig, dass er das nicht leisten kann und auch nicht leisten muss. Dafür gibt es heutzutage jede Menge Anlaufstellen. Man muss sie nur nutzen. Aber genau das lässt sein - ichweißnichtwas (Stolz? Beschützerinstinkt?) nicht zu.


    Was seine momentane Apathie (anders kann ich seinen Zustand im Moment nicht beschreiben) betrifft, wäre es auch möglich, dass er sich von uns übergangen fühlte, als wir mit der Mikrowelle daher kamen, aber die hab ich ja nicht eigeninitiativ bestellt, sondern in Absprache mit ihm.


    Ich bleibe weiter dran, werde für Samstag mal ein Testessen organisieren und weiter versuchen, ihm Hilfe zukommen zu lassen.


    Liebe Grüße und einen kraftvollen Tag allerseits
    KoDo

  • Gestern hatten meine Eltern einen Termin bei ihrer Psychologin. Nach über einer Stunde warten und der Tatsache, dass alle, die nach ihnen gekommen sind, vor ihnen drangenommen wurden, gingen meine Eltern unverrichteter Dinge wieder nach Hause.


    Im ersten Moment hab ich mich wahnsinnig aufgeregt, schließlich haben wir den Termin schon vor 'drei Monaten' gemacht, konnte aber verstehen, dass ihnen die Hutschnur gerissen ist.


    Nach acht rief mein Vater nochmal an, die Ärztin habe angerufen und sich dafür entschuldigt, irgendwas sei schiefgelaufen. Sie wollte mich sprechen und heute Morgen hab ich gesehen, dass sie auch versucht hat, mich um 19:50 Uhr auf meiner Dienstnummer zu erreichen.


    Wie's der Teufel nun mal so will, kann ich sie heute Vormittag nicht zurückrufen, wir haben erstmals eine unternehmensweite ViKo, was schon mal eine technische Herausforderung ist, zum einen, weil wir zwei Standorte haben, zum anderen, weil etliche aus dem HomeOffice zugeschaltet werden. How ever, ich kann sie erst ab dem späten Vormittag anrufen.


    Ich hab meinem Vater schon öfter vorgeschlagen, dass ich mit ihm zusammen einen Termin bei ihr wahrnehmen möchte - gerade im Hinblick auf seine selbst auferlegten Schuldgefühle.


    Bin gespannt, was das Gespräch so mit sich bringt...


    Fortsetzung folgt...

  • Hallo KoDo,


    ich drücke dir die Daumen. Ich habe gestern einen Text verfasst, aber ich bin noch nicht zum Abschicken gekommen. Bei uns ist auch alles am routieren.


    Ich setze ihn deshalb einfach mal in Kurzform hier rein.


    Hallo KoDo,


    danke, für deine Informationen zu deinem Vater. Er scheint ein aktiver und netter Mensch gewesen zu sein. Es ist für mich absolut nachvollziehbar, dass er jetzt mit seinem Leben hadert. Ein Sportler, wie er, der nicht mehr dieses Ventil und diesen Ausgleich hat und der einige Freunde mit den gleichen Interessen gehabt hat, derjenige hat es im Alter automatisch nicht so leicht, wenn daneben nicht irgendwelche anderen geistigen Hobbys, Lebensinteressen bestehen.


    Es gibt Menschen, die fühlen sich innerlich alleine und andere nicht. Es gibt Menschen, die können alleine leben und es wird ihnen nicht langweilig, auch dann nicht, wenn sie ein Handicap haben oder wenn sie abgeschieden irgendwo leben.


    Das Leben ist sehr vielseitig. Ich erlebe es leider auch oft, dass man sich sehr auf einige wenige Lebensbereiche beschränkt und das man nicht an die Zukunft denkt. Im Alter bleiben oftmals eher geistige Lebensinteressen oder vielleicht etwas, was man auch zu Hause oder alleine ausüben kann. Oder man sucht sich ein neues soziales Betätigungsfeld. Meine Schwiegermutter hat zum Beispiel eine fantastische Vorlesestimme. Sie hätte Schauspielerin werden können. Sie hätte sich zur Märchenerzählerin ausbilden lassen können. Sie hätte in Kindergärten vorlesen können. Das hätte so gut zu ihr gepasst. Aber sie hat dieses Talent einfach sein lassen. Wenn kein echtes Interesse vorhanden ist oder vielleicht erst einmal nur Schwärze aufgrund einer neuen Situation, dann ist rechtzeitige Hilfe, wie von einer Psychologin, so wie du es planst, hilfreich. Mit 82 kann da noch was gehen unter Umständen. Ich glaube bei meiner Schwiegermutter wäre es auch noch früh genug gewesen, hätte sie gewollt.


    Ich habe hier noch ein Video, welches ich ermutigend finde. Diese Frau ist hundertacht Jahre alt geworden. Als der Film gedreht worden ist, da war sie 107 Jahre alt, hat noch selbstständig zu Hause gelebt, geputzt und gekocht. Ihr Leben fing an als ihr Mann gestorben ist. Und sie hat immer ein eigenes inneres Leben, neben der schwierigen Ehe gehabt. Das halte ich persönlich für einen nicht unwichtigen Punkt.


    https://www.youtube.com/watch?v=UosgAez72J4


    Und ich hoffe sehr, dass man deinem Vater bei den Schuldgefühlen helfen kann.


    Ich hoffe, ich habe das verständlich geschrieben. Ich lese es jetzt nicht noch einmal durch. Deshalb sorry für irgendwelche Fehler ect.


    Ich muss jetzt schnellstmöglich los.



    Liebe Grüße an Dich.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo KoDo, so wie Sie schreiben, lese ich 100 Gründe und Auslöser für eine echte Depression Ihres Vaters, insofern hoffe ich sehr, dass die Psychiaterin ein offenes Ohr hat und schnell hilft.
    Vielleicht war das Vergessen des Herdes der letzte Auslöser, dass er seine inneren Gefühle zeigten konnte, vielleicht war der Auslöser die unbekannte Mikrowelle, die er als Überforderung und Eingriff wahrgenommen hat. Aber ich würde immer sagen: Besser, dass es jetzt sichtbar wird und nicht erst in 6 Wochen. Die Aggressionen und der fast trotzige Rückzug passen ganz in das Bild, denn bei Männern äußert sich eine Depression anders. Es ist sehr gut, dass die Psychiaterin da jetzt genau hinsieht…


    Für mich ist der wichtigste Ansatzpunkt, dass Sie bitte nicht in die Falle des schlechten Gewissens tappen, das verstärkt alles. Je mehr Sie sich bemühen, seine Stimmung zu verbessern, desto eher wird dies vielleicht als schmerzhafter Rat-schlag wahrgenommen. Es kann Sinn machen, das Symbol der Hilflosigkeit – also die Mikrowelle - vorübergehend wegzunehmen.


    Das Ganze steht unter dem Motto: „Weniger ist mehr“ – anstelle der guten Ideen könnte das Verständnis für seine Situation mit einem (kurzen) Trost helfen, dann der Blick in die schönen Erinnerungen (auch wenn er noch nicht mitmacht) und kleine Erfolge im Alltag, das „mit dem Vergessen kann passieren, aber jetzt schauen wir nach vorn …“. Derzeit steht er sich im Weg, so wie ein trotziges Kind, würden vermutlich manche mitlesende Eltern denken. Er ist natürlich kein trotziges Kind, aber vielleicht ist es so etwas wie eine Regression, in der er sich verfangen hat. Vielleicht hilft das Verständnis für seine bestehende Kompetenz und sein Wunsch nach Autonomie…


    Mir ist in solchen Situationen wichtig, dass Angehörige durch Hintergrundwissen eine Erklärung für das Verhalten und damit Abstand und neue Perspektiven finden. Sie können mit der Psychiaterin besprechen, was Sie bei der Depression leisten können – sie kennt Ihren Vater.


    In diesem Sinne viel Klarheit und viele Erfolgserlebnisse für Ihren Vater in der Grundpflege! Ihr Martin Hamborg

  • Hallo liebe Runde,


    Teuteburger:
    Ganz lieben Dank für Deine Worte und den Link. Ich liebe diese Sendereihe im BR. Meine Freundin wurde als Taxifahrerin auch mal zum Thema Rosenkränze interviewt.


    Da gebe ich Dir uneingeschränkt recht. Er hadert mit seinem Leben. Und im Gegensatz zu mir, die ich mein Singledasein liebe und es nicht anders haben möchte, vereinsamt mein Vater neben meiner Mutter, deren Geist sich immer weiter verabschiedet und ihm sein 'Weiberl' regelrecht aus den Händen gleitet. Das mitanzusehen, bricht ihm Mal um Mal das Herz.


    Ich habe es auch schon oft erlebt, gerade bei Frauen, deren Männer gestorben sind, dass sie regelrecht auflebten. Auch meine Oma. Als Opa starb, fing sie an, regelmäßig für Wochen in ihre Heimat Rheinland-Pfalz zu fahren. Zum ersten Mal dachte sie an sich selbst. Die Enkel waren alle groß und sie musste nicht mehr als Notfall-Nanny einspringen. Ihre Reisen machte sie immer mit dem Zug, einen Führerschein hatte sie nie. Das war für ihre Generation noch in weiter Ferne. Sie überlebte ihn noch um 17 Jahre sehr aktiv.


    Das Talent deiner Schwiegermutter hört sich wunderschön an, das hätte wirklich ein Lebensinhalt werden können. Schade, dass sie sich selbst nicht dafür begeistern konnte.


    Martin Hamborg:
    Vielen Dank für Ihre Worte. Mit allem, was Sie schreiben, treffen Sie den Nagel auf den Kopf: Wie ein trotziges Kind. Allerdings sagt man seiner Seite der Verwandtschaft eh einen außergewöhnlichen Dickkopf nach. Trotzdem, wenn alle Stricke rissen, hat sich mein Vater dann doch immer der Vernunft 'unterworfen'.


    Die Falle des 'schlechten Gewissens' ist tatsächlich da, ich habe aber nicht das Gefühl, dass das von meinem Vater lanciert wird, eher kommt mir selbst der eine oder andere Gedanke daran - weiß aber, dass ich eh schon tu, was ich kann.


    Anlässlich des 60. Hochzeitstages meiner Eltern war die ganze Familie inkl. der Enkel am Freitag beim Essen - allerdings ohne meinen Vater. Er fühlte sich zu schwach dafür.


    Das Essen, das ich für Samstag bestellt habe, wurde restlos aufgegessen. Da meine Mutter alles isst, hab ich mich mit der Auswahl ausnahmslos nach ihm gerichtet. Am Samstag hielt er sich noch zurück, dafür aß er am Sonntag fast die ganze Portion Kaiserschmarrn mit Apfelkompott auf - zumindest solange Kompott da war. Vielleicht fruchtete meine Ansage, dass ich seine Schwäche so nicht mehr gelten lasse. Wen wundert's, wenn er nichts isst.
    ___________________


    Der obige Eintrag ist bereits eine Woche alt. Diese Woche haben sich die Ereignisse überstürzt. Mein Vater wurde von Die. auf Mi. aufgrund extremer Schmerzen an den Nieren vom Notarzt ins Klinikum eingewiesen. Lt. Notarzt war in der Blase mehr Eiter als Urin. Nachmittags erreichte ich endlich den Stationsarzt, der fragte, ob jemand von der Familie kommen könnte, mein Vater lehnt jede Behandlung ab.


    Als mein Bruder im KH dann mit dem Arzt sprach, stellte sich heraus, dass er nicht nur jede Behandlung ablehnte, sondern er auch noch die Ärzte als unfähig und als Lügner bezeichnete und 'fast schon handgreiflich' wurde. Mein Bruder versicherte dem Arzt, dass das nicht dem Naturell unseres Vaters entspricht und er sich das nur durch die Medikamente erklären könne. Ob mein Vater, wie er gerne möchte, morgen nach Hause darf, wird das Labor zeigen.


    Ganz nebenbei hat er erzählt, dass er im Schlafzimmer gestürzt ist und heute wurde er im KH geröntgt, da hat sich gezeigt, dass er sich mal wieder eine Rippe gebrochen hat.


    Das Telefonat mit der Psychologin hat sich als äußerst angenehm und sinnvoll erwiesen. Sie kennt ihn seit über 20 Jahren und bei den Terminen ist mein Unfall 'allgegenwärtig'. Bei der Gelegenheit habe ich ihr versichert, dass der Unfall alles andere als die Schuld meines Vaters war.


    Bei ihrem kurzen Telefonat mit meinem Vater stellte sie natürlich fest, dass er in einem sehr schlechten psychischen Zustand ist und wollte deshalb mit mir sprechen. Auch sie hat ihm bereits mehrfach geraten, sich Hilfe zu holen. Sie selbst hat für ihre Mutter eine 24-Stunden-Hilfe ins Haus geholt. Sie hat sich eines 'halblegalen Dienstes' angenommen, die aus Ungarn kommen und gute Deutschkenntnisse hatten. Allerdings würde dieser Dienst die komplette Rente meiner beiden Eltern auffressen. Also auch keine Option.



    Die schlechte Nachricht hat sie ihm noch nicht mitgeteilt, eben weil er eh schon in einem schlechten Zustand ist. Sie wird mit Ende des Jahres in den Ruhestand gehen. Ob sich mein Vater einem anderen Psychologen öffnen wird, wird sich zeigen. Ich hab sie gefragt, ob man nicht in den nächsten, noch verbleibenden Terminen den Nachfolger mit einbeziehen könne. Sobald mein Vater wieder auf den Beinen ist, werde ich ihn zu einem Termin anhalten.


    Ich möchte als nächstes die Dame anrufen, die den telefonischen Termin zur Pflegegradfeststellung vorgenommen hat. Sie hat von einer Hilfe gesprochen, die stundenweise kommt und meine Mutter beschäftigen könnte, z.B. mit Unkraut zupfen, spazieren gehen, etc. Leider versprechen das viele Pflegedienste auf ihren Homepages, wenn ich das dann aber anspreche, 'machen sie sowas nicht'.


    Viele Grüße und viel Kraft euch allen!
    KoDo

    • Offizieller Beitrag

    Hallo KoDo, ich wünsche Ihnen sehr, dass Ihr Vater die Hilfe im Krankenhaus bekommt, die er braucht. Vielleicht besprechen Sie auch eine mögliche antidepressive Behandlung, wenn die aktuten Verwirrtheitssymptome nachgelassen haben. Viel Erfolg auch bei einer passenden Helferin und einer neuen Psychologin, Ihr Martin Hamborg

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