Staendig nagt das Gewissen ... Mutter mit Demenz

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  • Hallo, ich bin neu hier. Meine Mutter (80) hat laut Diagnose Subkortikale Vaskuläre Enzephalopathie und ich wohne im Ausland. Sie ist meine einzige lebende biologische Verwandte und unser Verhaeltnis ist sehr eng. Im Sommer hatte ich 6 Wochen Auszeit und habe so gut es eben ging alles organisiert - Pflegegrad, Mittagessen, Heim angeschaut, Ergotherapie, Betreuung. Ihr geht es mal so und mal so, sie nimmt den Krankheitsverlauf sehr bewusst wahr, ist oft traurig und ratlos. Eben war sie wieder im Krankenhaus (Wahnvorstellungen). Ich kenne niemanden in meiner Situation, normalerweise gibt es die magischen Geschwister in der Naehe, Kusinen, Ehepartner, etc. Ich bin staendig am Weinen und habe an Nichts mehr Freude, bin in Gedanken in Sorgen verfangen oder irgendwo in meiner Kindheit. Leider kann man sich mit Mitte 30 nicht einfach so aus seinem Leben ausklinken. Zumal der Zeithorizont ja total unklar ist - 1 Jahr, 4, 10? Und ich weiss ich haette riesige Schwierigkeiten damit mich abzugrenzen wenn ich zu ihr ziehen wuerde. Ich finde den Spagat zwischen dem eigenen Leben und dem Leiden der "Alten" extrem schwierig. Ich fuerchte, wenn ich in der Naehe wohnen wuerde waere es nie so schnell so weit gekommen. Ich ertappe mich dabei dass ich froh waere wenn sie in einem Heim waere - da waere jemand da, sie bekommt Essen. Sie ist durchaus einsichtig und ist bereit zu gehen. Ich habe immer noch die Hoffnung ... jetzt wird es das Medikament richten, es wird wieder besser, denn sie ist oft so normal. Dann kommt die Angst wieder und an manchen Tagen schafft sie es nicht sich die Haare zu waschen, Auto fahren geht nicht mehr, Neues geht gar nicht mehr, oft denkt sie sie ist in einem Theaterstueck ... Ist es normal dass die Angehoerigen so mitleiden? Ich moechte alles richtig und gut machen ... nur was ist das?

  • Ich kenne ihren Leidensweg sehr genau. Ich betreue meine Mutter seit dem Tod meines Vaters 2005. Wir wohnen seitdem zusammen. Jahrelang habe ich von allen Seiten gehört, dass die Betreuung einer Demenzkranken Person nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich ist. Nicht für mich, habe ich immer gesagt. Doch heute weiss ich, dass das ein Fehler war und ist.
    Ich habe mir vor 4 Wochen eine Einrichtung ausgesucht, von der ich glaube, dass es meiner Mutter dort gefallen würde und warte nun auf ein freies Zimmer.
    Sie müssen versuchen sich in die Gedankenwelt ihrer Mutter zu begeben, gleichzeitig aber auch an sich selber denken. Bei meiner Mutter ist es seit Monaten nicht mehr möglich fern zu sehen.
    Damit ist die wichtigste Freizeitmöglichkeit weggefallen. Außerdem hat sie die sogenannte Hinlauftendenz entwickelt und begibt sich täglich auf die Suche nach verstorbenen Verwandten.
    Falls nicht ein ausreichend Verwandschaft, Freundeskreis und Seniorenbetreuer vorhanden sind git es aus meiner Sicht kaum eine Chance das zu bewältigen. Ich glaube, dass ich viel zu lange gewartet habe. Ich werde aber auch die Möglichkeit haben meine Mutter auch in der Pflegeeinrichtung häufig zu begleiten. Ich fürchte ja, dass sie mich schnell vergessen wird, aber das macht sie jetzt auch schon manchmal. Lassen sie sich Zeit bei der Auswahl der Einrichtung. Vielleicht gibt es ja was passendes in ihrer Nähe.
    Alle haben immer wieder gesagt dass ich auch an mich denken soll (auch in diesem Forum). Mir geht es aber nur um meine Mutter. Ich glaube, dass die heutigen Einrichtungen viel besser geworden sind und habe inzwischen keinschlechtes Gewissen mehr. Zur Not kann ich es ja immer rückgängig machen und nach einer anderen Lösunf suchen.
    Nicht unterkriegen lassen.

  • Hallo Sarah,
    ja, das Mitleiden ist bis zu einem gewissen Grad normal. Bei mir war das auch so, meine Gedanken kreisten ständig um meine Mutter, die ich wegen der großen Entfernung und wegen meinem eigenen Leben, das ich nicht aufgeben wollte, nicht selbst betreuen konnte. Es ist ja ein Tod auf Raten, jeden Tag findet man neue Defizite, bei meiner Mutter gab es fast keine Konsolidierung mehr, es ging einfach immer nur bergab. Sie haben sich ja schon über einige Möglichkeiten informiert und es wäre gut, wenn Sie sich rechtzeitig um ein Pflegeheim kümmern würden. Andydreas hat beschrieben, wie mühsam das ist, im Wunschheim einen Platz zu bekommen.
    Sie schreiben, dass es normalerweise eine Familie gibt, die bei der Betreuung hilft. Aber das ist nur eine Möglichkeit und keine Gewissheit. Ich kenne einige Beispiele, wo sich die Familie über die Betreuung uneins ist und es dadurch zusätzlichen Streit gibt. Es hat auch einige Vorteile, alles allein entscheiden zu können. So war das auch bei mir.
    Dass Sie alles richtig und gut machen wollen für Ihre Mutter brauchen Sie nicht zu betonen. Das kann man aus Ihrem Beitrag lesen. Aber Sie werden Entscheidungen nur treffen können mit dem Wissen des Augenblicks. Und manche Entscheidungen werden Ihnen vielleicht später falsch vorkommen. So lebte meine Mutter etwas ein Jahr in einem Pflegeheim. Ich habe mir einmal Vorwürfe gemacht, denn das Jahr hätte ich mich freistellen lassen können und die Pflege selbst (bzw. mit Unterstützung durch einen Pflegedienst) übernehmen können. Aber das Wissen, wie lange sie noch lebt, hatte ich nicht, als ich die Entscheidung für das Heim traf. Es hätten auch 5 Jahre sein können. Ich habe deshalb ein Tagebuch geführt in der Zeit, mir hat das geholfen. So bleibt das, was gewesen ist, wahr und wird nicht durch das Erinnern gefälscht.
    PS: vergessen Sie nicht, sich alle notwendigen Unterlagen wie Patientenverfügung usw. zu beschaffen, damit Sie handlungsfähig bleiben.
    Ich wünsche Ihnen und Ihrer Mutter alles Gute!

  • Vielen Dank fuer die Antworten! Es hilft mir schon sehr nicht allein zu sein mit diesen Sorgen und Ueberlegungen. Um mich herum erzaehlen alle von der Mutter die die falschen Windeln kauft und dem Enkel zu viel schenkt, von Familienfeiern, an denen man teilnehmen muss .... und ich denke nur: diese Sorgen haette ich auch sehr gern!! Man kann eben leider (oder zum Glueck?) nicht in die Zukunft schauen und wissen wie lange es geht. @ Jutta: Tod auf Raten trifft es sehr gut, ich muss es auch in meinen Kopf bekommen. Es ist so schlimm einen Menschen so zu verlieren. Andydreas, vielen Dank fuer die Nachricht, hilft mir sehr. Wir haben das Heim bereits im Sommer ausgesucht. Und sind seit gestern auf der Warteliste. Das war ein schwieriger Schritt und mir graut davor wenn ich nur daran denke das Haus auszuraeumen und zu sehen was von dem vielen angehaeuften Leben uebrig bleibt ... Vielen Dank!

  • Hallo Sarah,
    die von mir favorisierte Einrichtung bietet einen Gutschein an, mit dem man die ersten 3 Tage quasi rund um die Uhr als Angehöriger dabei bleiben kann. Man nimmt kostenlos an allen Mahlzeiten teil und kann sich so hoffentlich gut ein Bild machen. Der "Einstieg" erfolgt voraussichtlich über ein Doppelzimmer. Bin da wegen des Gemütszustandes meiner Mutter etwas skeptisch, aber freunde mich so langsam damit an. Man kann notfalls später in ein Einzelzimmer wechseln. Ich bin mir jedenfallsziemlich sicher, dass durch die Heimunterbringung die Versorgung am besten und umfänglichsen sichergestellt wird. Habe mich jahrelang gesträubt und denke jetzt, dass meine Mutter aufgrund der Erkrankung die Vorzüge eines "freien" Lebens ohnehin kaum noch wahrnehmen kann. Wie gesagt, ich werde mich auch weiter intensiv kümmern und ggf. reagieren. Dir alles Guteund berichte mal, wie es bei Dir gelaufen ist.

  • Das klingt ja prima! Ich habe nochmals mit der Aerztin im Krankenhaus gesprochen. Meine Mutter hat sich da offenbar wohl mit den "schlimmeren Faellen" gut verstanden, Brettspiele gespielt, usw. Ich weiss, das kann sich alles schnell aendern. Ich hoffe, dass sich durch den Umzug in das Heim die Lage etwas stabilisiert ... Kontakt mit anderen, gemeinsame Mahlzeiten, und Abnahme der taeglichen Sorgen (wie komme ich zum Arzt, wer holt mir das Rezept, wie komme ich zur Post ohne Auto, woher bekomme ich mein Essen ...). Viel Kraft weiterhin! Es ist gut zu wissen nicht alleine zu sein mit diesen Sorgen.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Sarahf, den wertvollen Beiträgen von Andydreas und Jutta60 möchte ich nur noch kurz einige Gedanken hinzufügen: So wie Sie schreiben, wird Ihnen Ihre Mutter helfen, mit der Siutation zurecht zu kommen, denn sie verfügt noch über viele Fähigkeiten, sich in ein neues zuhause im Heim einzuleben!
    Trotzdem stehen Sie vor einem riesigen Berg und da kann es sehr helfen, wenn Sie sich über die Alzheimer Gesellschaft oder einen oder eine Therapeutin Unterstützung holen, damit Sie nicht in eine "Depression" geraten. Das Risiko ist bei so starker Belastung viel größer und da ist es hilfreich, wenn Sie weitere Menschen an Ihrer Seite haben, die wissen worum es geht.
    Viel Kraft, Ihr Martin Hamborg

  • Vielen Dank! Ja, ich braeuchte jemanden. Ich bin ja wie gesagt im Ausland und diesen ganzen Salat in einer Fremdsprache zu erzaehlen und dazu noch alles erklaeren zu muessen wie es in D verlaeuft ... puh, nein. Bietet die Alzheimer-Gesellschaft online Beratung an, oder telefonisch? Wie laeuft das? Danke und Gruss!

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