Mutter allein zu Hause

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  • Hallo,


    ich mache mir akute Sorgen um meine Mutter und bin völlig ratlos.
    Sie (89) hat seit Ende letzten Jahres die Diagnose Demenz Alzheimer Typ, was keine große Überraschung war. Seit Anfang April hat sie den Pflegegrad 3. Sie lebt seit Jahrzehnten allein in ihrer Wohnung in NRW, ich wohne in Bayern. Ca 7h mit dem Auto oder mit dem Zug. Ich habe keine Geschwister. Vor Corona habe ich sie einmal im Monat besucht, dann seit Corona erst einmal vor 2 Wochen. Sie war bisher körperlich gesund und ist der Meinung, dass sie wunderbar allein klarkommt. Äußert Unverständnis, dass ich mir Sorgen mache. Ihr Neurologe hat sie als sehr stur und dominant bezeichnet mit einem starken Bedürfnis, die Fassade aufrecht zu erhalten.


    Der Pflegedienst kommt 2mal täglich für eine kurze Medikamentengabe. Sie bekommt Essen auf Rädern. Einmal die Woche kommt eine Putzfrau. Eine Dame, die ich über betreut.de angeheuert habe, kommt 1-2mal die Woche, leistet ihr Gesellschaft und kauft auch für sie ein. Soweit so gut.


    Wir hatten früher immer eine gute Beziehung, aber unser Verhältnis hat sich stark verschlechtert. Wie ich lese, ist das bei Alzheimer-Patienten normal. Sie wittert in allem eine Bevormundung und übergriffige Einmischung (womit sie aus ihrer Sicht auch Recht hat).


    Ich habe mich in meiner Umgebung nach Pflegeheimen umgehört. In meinem Wohnort steht sie auf einer Warteliste (sie weiß nichts davon), müsste aber wohl noch 1 Jahr warten. Ich wollte noch mehr Eisen im Feuer, habe daher noch andere Pflegeheime kontaktiert. Sie steht jetzt in 6 Heimen auf der Warteliste, aber leider konnte ich wegen Corona bisher keines dieser Heime besichtigen. Es wäre eine Wohnung frei in einer betreuten Wohnanlage, die angeblich gerüstet ist für Demenzkranke. Ich habe da meine Zweifel. Ich kann nicht einschätzen, ob sie weglaufgefährdet wäre, wenn man sie aus ihrer gewohnten Umgebung verpflanzt. Ich habe über eine Demenz-WG nachgedacht, habe aber auch da Bedenken, da sie immer sehr eigenständig war und überhaupt nicht gewohnt ist, mit anderen zusammenzuleben. Ich weiß dass sie ihre Wohnung über alles liebt und bisher mit den beschriebenen Hilfen auch noch einigermaßen zurecht kam. Sie wehrt sich mit Händen und Füßen gegen einen Umzug in ein Heim. Ich könnte sie bei mir unterbringen (habe ein Reihenhaus, könnte ein Zimmer freiräumen), aber das wäre kein Zustand auf Dauer. Ich lebe allein, derzeit wegen Corona mit meinen beiden erwachsenen Söhnen, und bin beruflich ziemlich eingespannt. Ich weiß nicht ob man wegen Corona zur Zeit eine Pflegerin aus Osteuropa finden würde, und ich hätte dafür auch nur ein winziges Dachkämmerchen.


    Jetzt hat sich ihr Zustand in den letzten Tagen so verschlimmert, dass sie nicht mehr ans Telefon geht, die Türklingel nicht mehr hört, weil sie anscheinend den Tag tief schlafend im Bett verbringt. Der Pflegedienst hat zum Glück einen Schlüssel. Ich kann kaum mit ihr reden, selbst wenn ich sie ans Telefon bekomme, da sich ihre Schwerhörigkeit ebenfalls ziemlich plötzlich rapide verschlechtert hat und sie mit ihren Hörgeräten nicht mehr klarkommt. Ich habe den Verdacht, dass das mit einem Medikament zusammenhängen könnte (Galantamin), das sie seit 4 Wochen nimmt.


    Ich bin hin- und hergerissen. Kann ich es verantworten, sie allein in der Wohnung zu lassen? Kann ich sie zwingen, mit zu mir nach Hause zu kommen? Und was dann? Selbst wenn ich einen Heimplatz finden würde, kann ich sie zwingen dazubleiben (eine Vollmacht habe ich, aber das ist ja nur die rechtliche Seite)? Oder sollte ich erst mal eine Panikreaktion vermeiden, irgendwie versuchen, einen Arzttermin zu organisieren, um zu sehen, ob was Akutes vorliegt (was auch auf die Entfernung sehr schwer ist, die Dame von betreut.de ist berufstätig und kann das nicht leisten)? Meine Mutter war vor Corona im Krankenhaus und danach sehr schwach. Ich hatte versucht, vor Ort bei ihr eine Kurzzeitpflege zu finden, aber keine Chance. Ist es gerade wegen Corona nicht erst recht besser, sie in ihrer Wohnung zu lassen, und ihr nicht zuzumuten, erst mal 14 Tage in Quarantäne zu müssen? 1000 Fragen keine Antwort... wenn jemand eine Idee hat, bin ich dafür sehr dankbar.

  • Hallo Blumenkind,


    Dein Text spricht mir aus der Seele, der Titel allein hat mich sofort veranlasst, mir Deinen Beitrag durchzulesen. Auf diesen bin ich gestern gestoßen, nachdem ich im Internet auf der Suche nach Unterstüzung für meine Situation war. Und siehe da: Ich wurde direkt fündig. Ich finde es (wieder einmal) extrem erstaunlich und freue mich einfach nur, wie entlastend es ist, wenn man das Gefühl hat, da ergeht es einem anderen ähnlich wie einem selbst!
    Beim Beschreiben der Situation Deiner Mutter und ihrer Persönlichkeit sowie wie es Dir geht mit all den Fragen habe ich echt gedacht, habe ich das geschrieben - oder mein Bruder -? Ja, da unterscheidet sich meine Situation: Ich habe noch einen Bruder, aber der würde nicht so viel persönlich von sich berichten, der macht alles mit sich alleine aus; was möglicherweise eine Kehrseite in einer Geschwisterkonstellation ist. Er lebt in Bayern wie Du, ich in Südhessen und unsere Mutter auch in NRW. Sie ist 78, hat ihr Leben lang höchst selbstbestimmt und faktisch allein gelebt. Sie meint ebenfalls, dass sie keine Hilfe braucht. Ihr Alltag ist nicht so "safe" mit Hilfen geregelt wie bei Dir. Mein Bruder hat 2x die Woche Haushaltshilfe über die Caritas beauftragt, meine Mutter lässt die aber mehr oder weniger nicht oder nur spärlich zu. Für mich ist wichtig zu wissen, dass die einen Schlüssel haben (was meine Mutter allerdings schon in erhebliche Aufruhr gesetzt hat, weil dann jemand einfach so im Hausflur stand...) und sie somit ein Stückweit unter Beobaachtung ist. Außerdem ist jemand mit drin in der Verantwortung. Meine Mutter vergisst zum Teil zu essen, ist untergewichtig. Gleichzeitig erlebe ich eine Stabilisierung in den letzten drei Wochen, da sich unsere Beziehung gefestigt hat. Für mich war und ist am schwierigsten, aus der Ferne die Situation zu beurteilen. So hatte ich sie vor einiger Zeit Samstagsmorgens am Telefon, und sie klang so "neben sich", dass ich aus dem direkten Gefühl sofort bei der Frage war, muss ich mich umgehend ins Auto setzen? Ist die Situation verantwortbar? Ich habe "mich dann mit der Frage auseinandergenommen", wo die Instanz der Entscheidung ist. Wo finde ich die? Wenn ich die Nachbarn fragen würde, ob die Sitaution noch zu verantworten ist, was würden die sagen, was würde die Caritas sagen (die hätten "natürlich" eine ausschließlich medizinisch/pflegerische Sicht/Begründung) usw. Diese "zufällig gefundene" Herangehensweise war für mich eine absolute Offenbarung!!! Ich muss dazu sagen, dass ich mit meinem Mann gemeinsam in dieser inneren Auseinandersetzung/Wegfindung gelandet bin. Gleichzeitig gehe ich für mich jetzt in vielen Situationen so vor: Ich nehme mich mit meinen Gedanken und Gefühlen aus-einander. Bringe alles hervor und nach außen, so wie Du es auch getan hast. Dadurch findet Klärung statt, ich finde tief in mir meine "wahren Antworten". Da hilft mir sicher auch meine jahrelange Meditationspraxis. Antworten im Außen, solche, die wirklich Antworten sind, gibt es m.E. nicht. Sie sind nur im Inneren zu finden und ich spüre es in einer großen Klarheit und Eindeutigkeit, wenn ich wieder mal "das Wahre" gefunden habe. So fand ich in der oben beschriebenen Situation Folgendes: Ich würde jetzt nur deswegen hochfahren, weil ich es nicht mehr aushalte. Um die Situation ein stückweit objektiv beurteilen zu können, ziehe ich andere Menschen hinzu. Ich habe mich auch therapeutisch unterstützen lassen. Das war wegweisend! Hier einige daraus resultierende Sätze/Ergebnisse: Meine Mutter hat ihr Leben lang selbstbestimmt gelebt. Sie wird auch selbstbestimmt sterben. Ich ermögliche ihr weiterhin, selbstbestimmt zu leben, indem ich sie nicht "in ein Heim stecke" (weil ich es nicht mehr aushalte). Durch die Therapie, in der ich übrigens die Beziehung zu meiner Mutter geklärt/geheilt habe, weiß ich, dass ich mit Gewissheit sagen kann: Die Grundlage all meiner Entscheidungen ist Liebe. Ich agiere nicht aus Angst, Feigheit oder Bequemlichkeit. So habe ich z.B. auch die Fragestellung durch, ob meine Mutter für andere eine Gefahr darstellt (sie ist immer noch Auto gefahren, reagiert teilweise - aus Angst - sehr aggressiv; aber eben nur verbal...). Ich weiche keinem Gefühl aus, halte Gefühle aber eben auch nicht für die Wirklichkeit. Eher ist es so: Sie führen mich zur Wirklichkeit. Dazu muss ich sie durchleben. Und das ist eine wahnsinnig anspruchsvolle, anstregende Arbeit! Alle Energie geht zum Teil in diese Arbeit. Aber das Ergebnis ist diese Anstrengung alles mal wert: Klarheit entsteht. Ein Gefühl von wirklich Erwachsen-Sein und innerer Stärke.
    Liebes Blumenkind, zum Schluss vielleicht noch Folgendes: Vor Jahren hörte ich den Satz eines Arztes, der vom Sohn eines fast 90-jährigen Mannes verzweifelt aufgesucht wurde, weil der Vater nicht mehr aß. Der Arzt sagte: Hat ein 90-jähriger nicht das Recht, das Essen zu verweigern? Ich finde: Ja! Ich wünsche Dir Mut und die Kraft der Liebe, Deiner Mutter ihren Weg zu lassen und gleichzeitig Mut und Liebe für Dich zu schauen, was Du jetzt, heute, grundsätzlich brauchst! Es sind oft Minisachen, die die (eigene) Welt verändern. Ich umarme Dich (unbekannterweise). In Verbundenheit, Mirabai
    PS. Durch Corona erlebe ich gerade öfter Verbundenheit mit fremden Menschen. Apropos Corona: Qurantäne geht gar nicht, finde ich (könnte ich bei meiner Mutter niemals zulassen; geht nur für Menschen, die diese Ebene nicht mehr wirklich realisieren, glaube ich).

  • Ich habe noch folgende Ergänzungen/Fragen zur eigenen Reflexion:


    - Wie hilft man Menschen, die sich nicht helfen lassen wollen?


    - Wie will ich als Erwachsene Kind meiner Mutter sein?


    - Wie selbstbewusst kann/will ich meiner Mutter gegenüber auftreten?


    Meine Einstellung hinsichtlich Quarantäne hat sich durch einen Austausch und weitere Reflexion dahingehend verändert, dass ich nun frage: Wie können die 14 Tage gestaltet werden? Es geht "nur" um 14 Tage. In Heimen arbeiten Profis und gemeinsam sollte es möglich sein, diese schwierige Situation "zu stemmen". Schlußendlich kann man einfach nicht wissen, wie eine andere Person, auch wenn es die eigene Mutter ist, damit zurechtkommt. Neue Situation, neue Menschen, neue Chancen.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Mirabai und Blumenkind, dank Ihnen für die bewegenden Wort , die Kraftquellen und Erkenntnisse. Da habe ich nichts hinzuzufügen, Sie haben alles gemacht, was (von Außen gesehen) möglich ist.


    Ihre Not teilen sehr viele Kinder, oft haben wir das in diesem Forum besprochen. Deshalb möchte ich einen Gedanken hinzufügen:
    Gegen den Willen ist es nahezu unmöglich eine Entscheidung für den Umzug in ein Heim zu treffen - auch rechtlich. Deshalb müssen wir leider oft eine extreme Unsicherheit aushalten - mit ungewissem Ausgang.
    Aber manchmal löst sich das Problem ganz plötzlich und dann ist es gut, wenn Sie Vorsorge getroffen haben und die Eltern auf den Wartelisten stehen. Meist ist erst eine akute somatische oder psychiatrische Entgleisung, ein Unfall oder eine Verletzung nötig, damit Klinik, Kurzzeitpflege oder Heim angenommen werden. Dann gilt es schnell zu entscheiden, dann können Sie über den sozialpsychiatrischen Dienst vielleicht sogar eine Zwangseinweisung veranlassen.


    Sie haben vor Ort sichergestellt, dass Ihre Mutter pflegerisch beobachtet ist - da reichen die Medikamentengaben oft schon aus. Und Sie können mit dem ambulanten Dienst vorab abklären, was im Fall einer akuten Krise zu tun ist. Sie können sich auch bei dem sozialpsychiatrischen Dienst beraten lassen. Wenn Ihre Mutter dort aktenkundig ist, geht es im Notfall vielleicht schneller.
    Das schwierigste ist das Aushalten einer unerträglichen Handlungsunmöglichkeit und da sind Ihre Erkenntnisse, Mirabai so wertvoll. Ihnen Beiden viel Kraft, Ihr Martin Hamborg

  • Lieber Herr Hamborg,


    haben Sie recht herzlichen Dank für Ihre Bezugnahme und Ihr Feedback - damit habe ich gar nicht gerechnet!


    Ihre Worte haben mir sehr gut getan und stärken mich auf meinem Weg, mit meiner Haltung!


    Ihre Mirabai

  • Danke Hanne!
    Das mache ich auch gerade. Gibt total Kraft und Ausrichtung!!! Ich bin entschieden. Und es tut total gut, mit den Beteiligten wie Ärzte, KV etc. "von Mensch zu Mensch" zusprechen. Die meisten wollen einen ja unterstützen, wenn man entsprechend auftritt. Und ich mache mir bewusst, dass ich niemanden von etwas "überzeugen" muss; meinen Bruder nicht, meine Mutter nicht. Ich gehe meinen Weg, der mir nur sehr klar und deswegen "einfach" vorkommt und mache Angebote. Nicht mehr und nicht weniger. Und der Weg heißt: Heimunterbringung

  • So, jetzt will ich endlich mal antworten. Vielen Dank für die mitfühlenden Wort und Ratschläge! Das was du schreibst, Mirabai, deutet mir wirklich auf eine Art Seelenverwandschaft hin. Auch ich übe mich in Meditation und versuche damit, mehr Sicherheit für meine eigenen Entscheidungen zu erlangen. Zudem war ich am Pfingstsonntag endlich mal wieder in einem Freiluftgottesdienst, bei dem mir die folgenden Worte haften geblieben sind: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Ich war tatsächlich voller Furcht, etwas falsch zu machen. Statt dessen brauche ich Kraft, das was ich immer wieder nach reiflicher Überlegung für richtig halte, ohne schlechtes Gewissen durchzuziehen. Ich brauche die Liebe zu meiner Mutter, der ich sehr viel verdanke, um meinen Ärger und Zorn, der ihr Verhalten oft bei mir hervorruft, zu überwinden. Und ich brauche Besonnenheit, nicht panisch ins Auto zu springen, sondern zu überlegen, was das Richtige ist. Ich habe zwar keine Geschwister, aber eine Kusine, die meine Mutter für 3h besucht hat und erst mal "Entwarnung" gegeben hat. Meine Mutter ist wieder besser drauf, geht wieder ans Telefon, selbst ihre Hörprobleme sind besser geworden. Am Telefon erzählt sie mir, dass es ihr gut geht und dass sie alles im Griff hat. Schon irgendwie bewundernswert, dieser Wille :-). Wie schön es in ihrer Wohnung ist. Sie ist zwar viel allein, aber klagt nicht darüber und scheint sich nicht zu langweilen. Obwohl sie eigentlich nichts zu tun hat und selbst den Fernseher nur noch sporadisch bedienen kann. Schwer nachvollziehbar für mich, aber das ist nun mal ihre Welt.


    Mein Traum-Altersheim hat sich gemeldet, sie haben einen Platz in einem 2-Bett-Zimmer. Ich könnte sie auch während der Quarantäne sehen, draußen, zum Spazierengehen. Das ist enorm beruhigend. Allerdings habe ich jetzt doch erst mal abgelehnt, da ich tatsächlich glaube, dass wie von Herrn Hamborg erwähnt, erst etwas Schlimmes passieren muss, bevor meine Mutter bereit ist für einen Umzug. Ich spiele mit dem Gedanken, sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu "entführen", ihr irgendwelche Stories zu erzählen, um sie dazu zu bewegen, sich mit mir ins Auto zu setzen. Das ist die Strategie für den Notfall. Das mit dem sozialpsychologischen Dienst ist eine neue Info für mich. Vielleicht eine gute Idee, mit denen schon frühzeitig für den Fall der Fälle Kontakt aufzunehmen. Welcher ist denn da zuständig, NRW (bei meiner Mutter) oder Bayern (bei mir)?


    Ich frage mich: Was hätte meine Mutter gewollt, als sie noch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war? Sie hätte NICHT in ein Heim gewollt. Sonst hätte sie sich beizeiten eines ausgesucht. Hätte sie gewollt, dass ich mir so viele Sorgen mache? Nein. Mittlerweile erspürt und versteht sie meine Sorgen nicht mehr, das war früher anders. Vielleicht wäre sie sogar in ein Heim gegangen, nur damit ich mir keine Sorgen mehr mache. Will ich das? NEIN! Sie soll so leben, wie sie sich das für sich selber wünscht. Lieber arbeite ich daran, dass meine Sorgen weniger werden. So habe ich mir einen richtig schönen Pfingstsonntag gegönnt, mit einer Radltour bei herrlichem Wetter. Das hat mir Kraft gegeben, die ich für den nächsten Besuch bei meiner Mutter brauche.

  • Hallo Blumenkind,


    ich habe gerade einen langen Text aus Versehen gelöscht...
    dann schreibe ich jetzt nur die Essenz: ich fühle die Richtigkeit Deiner Vorgehensweise!!!
    Und: Meine Mutter ist seit 5 Tagen in einem Heim in meiner Nähe! Hammer, wie das gelaufen ist. Ich bin nur happy, dankbar und kann es noch gar nicht glauben. Es tut nur gut. Meine Mutter blüht auf. Sie wird rundherum versorgt. Gestern durfte ich sie duschen. Ich sie. Die immer alles alleine machen wollte, musste. Von niemandem Hilfe annehmen konnte. Gleich fahre ich wieder zu ihr. Freue mich jetzt schon wie Bolle, ihr mein Mitbringsel zu überreichen: Neue Shirts. Ich war gestern für sie shoppen. Mann war das schön. So wie sie es früher für mich gemacht hat. Ich wünsche Dir weiterhin gutes Durchhalten. Sei stolz auf Dich, dass Du Deine Mutter (so) sein lassen kannst. Es ist der richtige Weg!
    Alles Liebe, Mirabai

  • Hallo,


    Mirabai, ich freue mich für dich! Du sprichst so lieb über deine Mutter, und es scheint dir richtig gut zu tun, etwas für sie tun zu können! Das kann ich so gut nachvollziehen. Bei mir wird es ernst. Ich war letzte Woche auf meinem Kurzurlaub mit drei alten Freundinnen (alle Töchter alter Mütter, DAS Thema ;-(). Am Freitag rief die Pflegekraft an und sagte, sie habe meine Mutter auf dem Boden liegend vorgefunden, orientierungslos, die Wohnung chaotisch. So einen Vorfall hatte es bisher noch nicht gegeben. Das war für mich das berühmte "Ereignis", das wohl eintreten muss, damit bei mir die innere Überzeugung entsteht, dass es nun zu Hause nicht mehr geht. Zum Glück war ich im Saarland, so dass ich innerhalb von 4h anreisen konnte (und nicht 7h wie sonst). Ich habe mit meinem bevorzugten Heim telefoniert: sie haben einen Kurzzeitpflegeplatz bis zum 10.8. frei! In einem Zweibettzimmer... Leider war die Ansprechpartnerin wegen des Brückentags nicht erreichbar, und ich sitze jetzt auf glühenden Kohlen und warte auf einen Rückruf. Ich habe noch keinen Plan, wie ich meine Mutter dahinmotivieren soll, und werde ihr auch noch nichts davon erzählen, bis alles abgeklärt ist. Ich bin jetzt seit ein paar Tagen bei ihr, und sie scheint sich in meiner Gegenwart wohlzufühlen. Sie scheint mir zu vertrauen und bewundert mich für Fähigkeiten wie z.B. dafür, dass ich das Auto nach dem Parken wiederfinde ;-). Sie ist nicht mehr so zänkisch und hat sogar zugestimmt, dass ich eine Fußpflege für sie organisiere! Ich muss jetzt sehen, dass ich die Corona-Regeln erfülle (Test im Schnellverfahren?). Ich habe außerdem die Hilfe meiner Söhne angefordert (was ich sonst selten tue) und sie gebeten, ihre Studien- und vor allem Freizeitaktivitäten zurückzustellen und mir dabei zu helfen, Oma zu transportieren und dafür zu sorgen, dass sie sich einlebt. Die Anwesenheit der Enkel wäre ein Highlight, aber ich weiß noch nicht, was die Corona-Bestimmungen in der Quarantäne da zulassen. Vor allem aber brauche ich Unterstützung für mich selbst. Ich habe in den letzten Tagen ein paar kleinere Ausflüge mit Mama gemacht. Sie ist hier so verwurzelt und lebt so gerne hier, und ich fühle mich scheußlich, sie hier herauszureißen. Ich kann nur hoffen, dass ihr letztendlich die Nähe zu mir und den Enkeln wichtiger ist als ihre vertraute Umgebung. Dein Beispiel, Mirabai, lässt mich hoffen. Auch die Mütter meiner erwähnten Schulfreundinnen haben sich besser als erwartet im Heim eingelebt, aber die sind auch nicht dement. Also bitte Daumen drücken!

  • So, wir haben es geschafft. Wir haben mit vereinten Kräften meine Mutter von NRW nach Bayern befördert. Da sie im Auto schon nach 10 Minuten jammert, weil sie auf die Toilette muss, haben wir uns zu einer Zugfahrt entschlossen. Am Hbf wollte sie weglaufen, zur Polizei, mit dem Taxi nach Hause... hat ein furchtbares Drama veranstaltet. Mein Sohn hat es irgendwie geschafft, wie zu beruhigen. Ein Zug ist uns davongefahren, aber was solls. Im Zug wurde sie dann immer ruhiger. Ich bin mit dem Auto hinterher, mit Gepäck. Abends saß sie bei mir auf der Couch und sagte, dies sei ein schöner Tag gewesen. Ich fasse es nicht.
    Heute morgen haben wir sie dann ins Heim gebracht. Sie will nicht bleiben, klagt über Heimweh, will nicht, dass ihr Koffer ausgepackt wird... ich zweifle ob wir sie (wie versprochen) in dieser Situation wirklich besuchen sollten. Ich fürchte, dass würde sie erneut aufwühlen, und sie würde in ihrem Oberbefehlshaber-Tonfall verlangen, sie sofort da wegzubringen. Außerdem wäre es schrecklich für uns, sie dann wieder in diesem Zustand zurücklassen zu müssen.
    Kann man in so einem Fall mit Beruhigungstabletten arbeiten? Ich meine für sie, obwohl auch ich welche nötig hätte ;-(


    Viele Grüße

  • Ja, Corona ist schon eine besondere Situation. Meine arme Mama sitzt ja wirklich den ganzen Tag allein auf ihrem Zimmer, kann nicht an Gruppenaktivitäten teilnehmen etc. Hat auch keine Bewegung an der frischen Luft. Bei unseren Besuchen darf sie mit uns ein paar Schritte spazieren gehen. Gestern war mein Sohn da. Darüber hat sie sich gefreut, hat aber auch gedacht, dass er sie wieder nach Hause bringt. Dann war sie natürlich wieder sehr enttäuscht.

  • Liebes Blumenkind,


    ich bin baff! Ist ja der Hammer, die letzte Entwicklung bei Dir!!! Jetzt ist Deine Mutter, fast zeitgleich mit meiner, in einem Heim. Irre.... du hast so unterhaltsam davon berichtet, die Zugfahrt, oh Mann, ich kann mir lebhaft vorstellen, was da los war! Das sind echt Lebenssituationen, die uns extremst!!! herausfordern, aber auch berühren und beglücken. Der Satz Deiner Mutter abends auf dem Sofa, dass es ein schöner Tag war! Genial... unsere Mütter im Oberbefehlsgehabe... meine Mutter hat einen Pfleger auch schon an den Rand der "Verzweiflung" gebracht, so dass der dann mich angerufen hat, weil seine Strategien der Beruhigung in zwei Situationen nicht zum Erfolg führten. Ich konnte ja während der Quarantäne eng mit meiner Mutter sein, sie täglich im Zimmer besuchen. Dafür ist jetzt quasi nix (Besuche sind eng reglementiert), was ich wiederum wegen des Eingewöhnens total richtig finde. Meine Mutter hat auch noch kein Telefon. D.h., sie ist jetzt auch sich selbst gestellt. Das ist wieder mal nicht so leicht auszuhalten, aber mit der Aktivierung der "inneren erwachsenen Frau" und nicht "kleines Kind als Tochter" geht das ziemlich gut, muss ich sagen. Immer, wenn ich an ein schwieriges Gefühl komme (= inneres Kind, Schuld etc.), setze ich einen energetischen Anker, aktiviere einen Seins-Zustand von Liebe und verbinde mich innerlich mit meiner Mutter (ergänzend spreche ich innerlich "Anker-Atem-Sätze" wie "ich bin in vollkommener Liebe verbunden und vertraue"). Ein "Ritual-Altar" hilft auch (bei mir ist der bestückt mit einem tollen Foto von meiner Mutter und mir, täglich eine frische Blume, Kerze, Schutzengel-Figur, Herz als Schmuckstück und ein Buddha). Und: Beruhigungsmittel sind auf jeden Fall eine wichtige Unterstützung auf der konkreten psych.-phys. Ebene. Das habe ich noch bei ihrem bisherigen Hausarzt veranlasst, dass der ihr was verschreibt für die Zeit während der Quarantäne. Und ich habe ihr vor unserer "Überfahrt" (mein Mann und ich habens mit zwei Pkws "vollzogen") :) einen "guten Schuss verpasst". das war entlastend für sie und für uns. Das sind Tropfen: Promethazin-neuraxpharm.
    Alles Liebe und übrigens finde ich es super, dass Du was für Dich machst (Stichwort Freundinnen) und auch Deine Söhne einbindest. Vollkommen richtig und dadurch ermöglicht man anderen, dass sie teilhaben können. So wird Win-Win geboren :) durch "Hingabe und Öffnung" verlassen wir das Denken, wir seien allein und müssten alles alleine stemmen. Das ist nicht nur in sich falsch, sondern auch noch größenwahnsinnig. Reicht ja, wenn unsere Mütter ein wenig dem Wahn unterliegen :)
    Bis bald, Mirabai

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Blumenkind und Mirabai, es ist bewegend, Ihre Beiträge zu lesen und eigentlich muss ich da nichts hinzufügen. Nur ein kleiner Gedanke drängt sich mir auf: Ich habe oft dramatische Abschiede erlebt und nach kurzer Zeit war alles wieder bester Ordnung. Wie in anderen Beiträgen heute möchte ich es mal auf folgende Formel bringen:


    Trösten ist besser als trauern und trauern ist besser als ein schlechtes Gewissen...


    Freu mich, weiter von Ihnen zu lesen, Ihr Martin Hamborg

  • Hallo, Mirabai, ich habe jetzt auch einen "Altar" mit Blumen aus dem Garten, ein Foto vom letzten Ausflug, den ich mit meiner Mutter gemacht habe und wo sie an einem blühenden Rhododendron schnuppert, und einer vergoldeten Rose, die sie mir mal geschenkt hat (da war sie schon krank, sonst hätte sie gewusst, dass das so gar nicht mein Geschmack ist ;-(). Heute habe ich sie (wider besseres Wissen) besucht bzw. sie an der Pforte des Heims zu einem "Spaziergang" abgeholt. Wir hatten vorher telefoniert, und ich hatte sie gefragt, ob sie sich denn freuen würde, wenn ich komme. Sie hat ja gesagt und dass sie sich so furchtbar langweilt. Sie saß dann zum ersten Mal im Rollstuhl, weil sie nur noch 10 min laufen kann, und hat die ganze Zeit gejammert und geweint, sie könne in dem Rollstuhl nicht sitzen, und außerdem wolle sie nach Hause. Es war herzzerreißend. Ich war dann ehrlich gesagt ganz froh, als sie nach 10 min wirklich auf die Toilette musste und ich sie wieder abgeben konnte. Ich hatte ihr Bilder von ihren Geschwistern mitgebracht, aber die wollte sie nicht.


    Ich mache mir Gedanken über moralische Fragestellungen und bin interessiert, eure Meinung dazu zu hören. Mein Hirn sagt, es war die richtige Entscheidung, meine Mutter ins Heim zu bringen. Sie kann nicht mehr alleine leben, konnte das in letzter Zeit nur mit Hilfe eines komplizierten Netzwerkes, das ich um sie herum errichtet hatte. Sie lebt in einer Phantasiewelt, in der sie Freunde hat, in Konzerte fährt, sich Essen kocht... das alles war schon lange nicht mehr der Fall. Ihr Zustand hat sich im Laufe der letzten 6 Monate rapide verschlechtert. Aber sie war zufrieden und glücklich. Jetzt ist sie verzweifelt und unglücklich. Sie hat sich selbst gefährdet (nicht gegessen und getrunken, ist hingefallen und konnte nicht mehr aufstehen), aber niemals andere. Welches Recht hat sie, dieses Leben weiterzuführen, bzw. welches (moralische) Recht habe ich, es zu beenden?


    Eine Freundin hat mir von ihrer Mutter erzählt, die gesagt hat, bevor sie in ein Heim geht, bringe sie sich um. Falls sie dazu nicht mehr in der Lage sein sollte, solle meine Freundin sie umbringen. Ich habe gelernt, dass es ein Recht auf Verwahrlosung gibt. Gibt es ein Recht auf Selbstgefährdung, ein Recht darauf, glücklich vor die Hunde zu gehen? Ich bin mir nicht sicher, was für mich als Tochter leichter zu ertragen wäre: meine Mutter zufrieden zu Hause dahinsiechen zu sehen oder verzweifelt, aber "umsorgt" in ihrem Heim. Der einzige große Vorteil ist, dass ich sie in meiner Nähe weiß und das Gefühl habe, schnell da sein zu können, wenn irgendwas ist, und nicht diese langen Reise mehr antreten zu müssen. Letztendlich bin ich aber nicht "da" für sie, kann bzw. will ihr ihren einzigen Wunsch nicht erfüllen. Ich kann sie nicht trösten. Ich kann um sie und mit ihr trauern. Ja, stimmt, das ist besser als ein schlechtes Gewissen.


    Sie ist jetzt noch 1 Woche in "Einzelhaft", danach zieht sie in ein Zweibettzimmer. Ich bin gespannt, ob sich da irgendwas ändert. So wie sie im Moment drauf ist, ist sie eine echte Zumutung für eine Zimmernachbarin. Wie wird das Heim wohl damit umgehen?

  • Ich möchte noch etwas hinzufügen. Ich versuche, auch positive Aspekte zu finden, und die gibt es. Da mich das Thema so beschäftigt, erzähle ich vielen Leuten davon. Und sie fragen interessiert nach und zeigen ihr Mitgefühl. Oder erzählen ihre eigenen Geschichten, die oft zeigen, dass am Schluss doch alles irgendwie gut geht. Das tut gut. Einige bieten aktive Hilfe an, wie z.B. die ehemalige Nachbarin meiner Mutter, die jetzt die Blumen gießt und mir schon ein Päckchen mit ein paar Fotos aus der Wohnung geschickt hat (die meine Mutter nicht haben wollte, weil sie ja denkt, sie geht bald wieder nach Hause). Viele Menschen sind betroffen, weil sie meine Mutter mögen und schätzen, z.B. ihr ehem. Bankberater, oder eine Dame, bei der sie immer Konzertkarten gekauft hat. Ihre ehemalige Pflegekraft, die Nachbarin... sie hatten Tränen in den Augen, als sie sich von meiner Mutter verabschiedet haben. Das zeigt mir, dass meine Mutter Wert auf diese Beziehungen gelegt und sie intensiv gepflegt hat, ein echtes Vorbild! Und nicht zuletzt meine beiden Söhne! Ich glaube sie waren streckenweise genervt, weil ich halt so viel von der Oma geredet habe. Nachdem sie das Drama jetzt direkt vor Augen hatten, übernehmen sie auch Mitverantwortung. Ohne sich allerdings von der Situation herunterziehen zu lassen (wie ich). Sie leben weiterhin ihr Leben, treffen sich mit Freunden, gestalten ihre Freizeit. Gerade weil ich selbst immer noch im Corona-Homeoffice bin, tut es gut, sie um mich zu haben und zu sehen, dass das Leben weitergeht und immer noch schön ist. Soweit das Wort zum Sonntag. Ich gehe jetzt zum Walken mit einer Freundin und werde meine Mutter heute NICHT besuchen.

  • Hallo Blumenkind,
    ja, als Tochter einer dementen Mutter sitzt man zwischen Baum und Borke! Bei meiner Mutter, die im letzten Jahr gestorben ist, war der Übergang von ihrem zuhause ins Pflegeheim noch relativ einfach. Sie hatte sich damit abfinden können, da eine Betreuung an ihrem Wohnort nicht mehr möglich war und ich sie in meinen Wohnort in ein Heim geholt habe. Sie konnte es noch begreifen, war zwar manchmal traurig, aber hat es akzeptiert. Auf der Plus-Seite stand, dass wir uns nun öfter sehen konnten.
    Bei meiner Schwiegermutter war und ist es leider nicht so einfach. Sie musste in ein Pflegeheim umziehen, nachdem sie zum 3.Mal in ihrem Zuhause hilflos aufgefunden wurde. Das letzte Mal ziemlich dramatisch mit Feuerwehr, Polizei, Notöffnung, Krankenwagen, Klinik. Sie war unterkühlt und hatte sich beim Sturz verletzt. Da mussten wir die Reißleine ziehen.
    Was hat es nun gebracht? Sie ist jetzt seit 2 Jahren in dem (wirklich schönem) Heim, will aber immer noch nach Hause. Anfangs versuchte sie auch zu türmen, wurde aber glüchlicherweise rechtzeitig gefunden. Ihr "Zuhause" ist mittlerweile gar nicht mehr ihr Haus, sondern der elterliche Bauernhof, den es schon lange gar nicht mehr gibt. Ich denke, dass "Zuhause" ein Begriff für Geborgenheit ist, die sie in ihrem Pflegeheim wohl nicht finden kann. Das ist traurig für sie und für uns auch.
    Insbesondere für meinen Mann hat es aber viel gebracht: Er hatte keine ruhige Minute mehr und dauernd Angst um seine Mutter. Wenn sie sich telefonisch nicht gemeldet hat, ist er noch ins Auto gestiegen und die 2 Stunden bis zu ihr gefahren. Dazu kam, dass sie alle Hilfe strikt abgelehnt hat: fahrbarer Mittagstisch, Pflegedienst, Rollator, Nachbarschaftshilfe. Die Nerven lagen bei uns blank! Da wir beide voll berufstätig sind, litt auch das darunter. Nun ist es für uns viel ruhiger geworden, wir wissen sie gut versorgt.
    Wenn wir sie zu Hause gelassen hätten, wäre sie wohl irgendwann gestorben. Ganz davon abgesehen, hat auch der Sozialdienst des Krankenhauses Alarm geschlagen, nachdem sie zum 3. Mal dort wegen Hilflosigkeit und Sturz aufgenommen wurde.
    Blumenkind, bitte kein schlechtes Gewissen haben, wir tun doch alles Menschenmögliche für unsere Angehörigen! Es ist einfach eine Sch...erkrankung. Wir sind machtlos und müssen manchmal hilflos zusehen. Sie haben alles getan, was in Ihrer Macht steht. Gesund wird ihre Frau Mutter leider nicht mehr, so sehr Sie sich auch um sie sorgen.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Blumenkind, nun geht die Isolation oder "Einzelhaft" Ihrer Mutter zuende und ich wünsche Ihnen sehr, dass sich Ihre Mutter auf die neuen Kontakte einlassen kann. Vor Corona hätte ich Ihnen jetzt ein paar Tipps gegeben, wie Sie und Ihre Söhne das Einleben durch gut geplante Besuche erleichtern können. Aber die Kontaktbegrenzungen machen es enorm schwer.
    So hängt sehr viel an den Pflege- und Betreuungskräften. Bekommen Sie telefonische Auskunft, wie das Einleben gelingt, zu wem ihre Mutter Kontakt aufbaut und sich trösten lässt? Oft sind es die Worte, die Sie selbst aus der Kindheit kennen, wie "Du musst jetzt tapfer sein". Haben Sie solche Sätze gesammelt und können Sie diese für die Eingewöhnungszeit weitergeben?
    Zudem können kleine Rituale helfen, wie der Gruß vom Enkel, denn Ihre Söhne sind ja nicht so dicht dran und lösen damit weniger den Nachhause-Impuls aus und wenn sie offenen Kontakt zu den Pflegekräften aufbauen, kann das auch einen positiven Effekt haben.


    Wie schon gesagt, der Wunsch "nachhause" zu wollen, ist ja absolut nachvollziehbar und wie Lulu schreibt, wird es immer mehr das Zuhause der Kindheit. Pflegekräfte nutzen oft den Schlüsselsatz "Zuhause ist es immer am schönsten", um dann kurz über schöne Kindheitserfahrungen zu plaudern.


    Wenn Sie Anektoden aus der Kindheit Ihrer Mutter aufschreiben und Ihnen Schlüsselworte einfallen, die - im Bild gesprochen - die Tür in eine schöne Erinnerung aufmachen, dann hilft dies sehr. Und diese sollten auch von den Mitarbeiter*innen genutzt werden - nicht zuletzt, weil die Eingewöhnungszeit vom MDK jährlich überprüft wird und es ein Konezpt gibt, wie der Erfolg evaluiert wird.


    Diese Schlüsselsätze können Sie gern auch hier mitteilen, denn oft stehen sie für eine ganze Generation und der Austausch hier wäre bestimmt wertvoll für alle, die in ähnlicher Lage sind.
    Ihr Martin Hamborg

  • Liebe Lulu und lieber Herr Hamborg,
    vielen Dank für die einfühlsamen Antworten. Ich bin froh, auf diesem Weg auf Menschen gestoßen zu sein, die in einer ähnlichen Lage sind und mir Denkanstöße geben können.
    Liebe Lulu, es tut mir Leid, dass du eine schwere Zeit gleich mit Mutter und Schwiegermutter durchmachst. Meine Mutter ist wohl irgendwo dazwischen: sie hat die Eingriffe in ihr Leben zum Teil akzeptiert, solange sie in ihrer Wohnung war. Zumindest Pflegedienst zur Medikamentengabe und Essen auf Rädern (im 2. Anlauf, das Essen des ersten Anbieters hat sie verweigert, das war aber auch einfach nicht ihr Geschmack). Für mich ist es wie für deinen Mann eine Erleichterung, meine Mutter in meiner Nähe zu wissen, besonders weil mir dadurch die zeitaufwändigen Anreisen erspart bleiben. Aber gleichzeitig auch eine Belastung, weil die Besuche bei ihr, sie in ihrer Verzweiflung zu sehen, sehr schwer für mich zu ertragen sind. Als sie noch 650 km weit weg war, konnte ich ihre Situation, zumindest streckenweise, besser "verdrängen".
    Ja, die "Einzelhaft" ist vorbei und gleichzeitig auch die Corona-bedingten Einschränkungen. Wir als Angehörige dürfen die Bewohner nun besuchen. Die Zahl der Angehörigen, die gleichzeitig auf einer Station sein dürfen, ist beschränkt, aber ansonsten können wir jederzeit auf die Zimmer und unsere Lieben zu Spaziergängen etc. mitnehmen. Auch persönlich mit dem Pflegepersonal sprechen. Ich habe mit meinem Sohn ein paar Möbel und Gegenstände aus der Wohnung meiner Mutter geholt, und damit sieht ihr Teil des Zweibettzimmers erstaunlich gemütlich aus. Meine Mutter allerdings zetert, was uns einfiele, diese Dinge ohne Erlaubnis aus ihrer Wohnung zu holen. Sie will ihre Post und ihre Zeitung nicht lesen (Unverschämtheit, die Nachsendung zu veranlassen!). Sie kennt weiterhin nur einen Gedanken, wie eine Schallplatte mit Sprung. Sie will nach Hause, sie will nach Hause.


    Ihre Mitbewohnerin ist entzückend. Sie hat versucht sie zu trösten ("Ach wissen Sie, ich verstehe Sie so gut, mir ist es genauso gegangen, aber wir können nun mal nicht mehr allein zu Hause leben. Die Schwestern hier sind so nett, wir sind hier wirklich gut aufgehoben"). Auch das stößt bei meiner Mutter auf taube Ohren,. Im wahrsten Sinne des Wortes, da sie sich weigert, ihre Hörgeräte zu tragen und ohne die wirklich sehr schlecht hört (was aber natürlich nicht an ihr liegt, sondern daran, dass alle anderen so leise sprechen, und natürlich an den blöden Schutzmasken). Die Mitbewohnerin hat vorher mit einer anderen Dame zusammengewohnt, die "unerträglich" war. Ich fürchte sie kommt jetzt nicht vom Regen in die Traufe. Schon allein die Tatsache, dass meine Mutter in der Nacht alle halbe Stunde aufsteht, um zur Toilette zu gehen, und dann anschließend das Licht im Bad brennen lässt, ist eine Zumutung.


    Herr Hamborg, ich bin also dankbar für Tipps, wie ich das mit den Besuchen machen kann. Für heute habe ich mir vorgenommen, das Reden weitgehend einzustellen. Meine Mutter versteht sowieso wenig, und argumentieren hilft nicht. Sie wird mir also wieder die üblichen Stories von ihrer schönen Wohnung erzählen, und ich werde geduldig zuhören. Ich habe mir vorgenommen, den Besuch auf maximal 1h zu begrenzen, und das auch nur, wenn sie sich zu einem Spaziergang überreden lässt.
    Es stimmt, dass meine Mutter mehr und mehr ihre Kindheit und ihr Elternhaus mit "zu Hause" verbindet, aber sie weiß, dass ihre Eltern tot sind und das Elternhaus abgerissen. Ihre Sehnsucht richtet sich auf ihre Wohnung. Ich habe mir gestern Fotos aus den letzten Jahren angeschaut, wie sie in ihrer Wohnung sitzt, und sie sieht immer fröhlich und zufrieden aus.
    Was könnten "Schlüsselsätze" sein? Sie hat zu mir als Kind manchmal gesagt "jetzt stell dich mal nicht so an", und dieser Spruch geht mir tatsächlich jetzt manchmal durch den Sinn. Sie sagte auch immer "jetzt warte es doch erst mal ab", wenn ich mir Sorgen um zukünftige Ereignisse gemacht habe. Daran könnte ich sie erinnern. Es gibt ein Sprüchealbum meiner Großmutter. Darin steht "wer Gutes empfangen, der soll nicht verlangen, dass sich das Glück ins Unendliche dehnt." Ich habe es mir jetzt noch einmal durchgelesen und ein paar Sprüche herausgesucht, mit denen sie vielleicht was anfangen kann.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo in die Runde, schön, dass Sie mögliche Schlüsselsätze austauschen! Ihre Vorsicht kann ich verstehen, dass sie wie platte unpassende Ratschläge ankommen können. Das lässst sich auch nicht immer vermeiden. Aber: Wenn Sie die Sätze wie ein Spiel anwenden: "Was sagte Oma immer, wer gutes empfangen ... " bewirkt auch die Satzergänzung eine Geborgenheit im System und dies Sammlung der Sprüche ist für die Mitarbeiter*innen vor Ort Gold wert, denn sie können damit das anwenden, was sie als Validation gelernt haben. Manchmal ist auch die Fähigkeit zum Lesen besser erhalten als wir denken. So können Karten mit dem Satzbeginn auf der einen Seite und dem Satzende auf der Rückseite für das validierende "Gedächtnistraining" helfen.
    Ich freu mich drauf, wenn ich beim nächsten Mal schon einige Erfahrungen lesen kann und kommentieren darf.


    Zum Einleben ist eine so nette Zimmernachbarin sehr viel wert, sie freut sich bestimmt über jedes freundliche Wort von Ihnen und kann Ihnen vielleicht berichten, ob es denn schon besser geworden ist. Ansonsten sind Sie - so wie es sich liest - genau auf dem richtigen Weg, mit Ihren Ideen und wenn Sie nicht zu sehr auf die Unzufriedenheit und den "Sprung in der Platte" eingehen. Im Zweifel nutzen Sie die bewährte Strategie Ihrer Mutter: einfach nicht hinhören.


    In solchen Situationen achte ich darauf, ob etwas für eine Depression spricht. Da helfen Medikamente und ganz besonders Bewegung und Lichttherapie und der Zimmernachbarin tut das "Wohlfühllicht" sicher auch gut. Das Schöne daran ist, die blendfreien Lampen gibt es auch günstig (4000 - 10000 Lux) und sie haben keine Nebenwirkungen - und wirken auch bei schlechtem Gewissen...
    Ihr Martin Hamborg

  • Hallo zusammen, hallo blumenkind,


    hier ist ja einiges passiert. Bei mir auch. Die letzten 2-3 Wochen waren für mich sehr schwer. Nachem die Quarantäne spitze lief (mein Mann und ich waren jeden Tag bei meiner Mutter), ging der Terror danach los. Der Umgang mit anderen Menschen ist das Hauptproblem, meine Mutter sieht überall "Verbrecher" bzw. lästert über jeden. Sie ist mit sozialen Alltagssituationen wie "guten Tag sagen" überfordert. Das ist für mich am schwierigsten auszuhalten. Diese Abwertung anderen gegenüber. Hat auch nix mit Demenz zu tun. Ist Teil ihrer Persönlichkeit. Dann musste sie noch mal in Qurantäne. Verdacht auf Corona. Sie hatte Geschmacksstörungen. Hat in ihrer Negativität über das Essen abgelästert "schmeckt alles gleich hier" (tja, hat es sich also irgendwie selbst eingebrockt...). War Gott sei Dank nix, aber... das hat sie echt reingerissen, geht dann ins Depressive. Hat nicht gegessen, war total durcheinander, dünne Stimme.... die PflegerInnen riefen mich mehrmals an, weil sie sie nicht beruhigen konnten. Ich finde es "krass interessant", dass sich die Insolation so massiv auswirkt. D.h., sie hat ein Bedürfnis nach anderen Menschen! Ich hatte einen kreativen Spontaneinfall: Als sie zum wiederholten Male über andere Menschen (z.B. auch Pfleger!, die sie 5 Minuten vorher noch toll fand) ablästerte (insbesondere geht sie auf dicke Menschen los, super abwertend...), sagte ich: Was ist das Neuerdings? So kenne ich dich gar nicht! Du warst doch immer ein netter Mensch". Das war genial. War für mich gut und für sie. Neue Verhaltensformen möglich. Sie erwiderte: "Ich ärger mich nur, weil die draußen rumlaufen dürfen und ich nicht." Ist das nicht genial??? Und ich setze (weiterhin) Grenzen. Ich kann es nicht ertragen, wenn meine Mutter so abwertend ist. Und ich sage ihr auch, dass ich das nicht hören will. Funktioniert ganz gut. Und da fällt mir wieder mal ein, dass auch meine Mutter ihrer Grenzen setzte, als diese ins Pflegeheim kam. (Familien-) Geschichte wiederholt sich?! Meine Oma war eine Despotin, alle mussten nach ihrer Pfeife tanzen. Als sie ins Heim kam, dachte ich als Enkelin: Entweder sie stirbt in Kürze (weil sie sich nicht einlassen kan), oder sie dreht sich um 180 Grad. Letzteres ist geschehen. Warum? Weil es zum ersten Mal Menschen gab, die unbeeindruckt waren von ihrem Widerstand. Und meiner Mutter ist Folgendes gelungen: Als sie wie jeden Tag ihre Mutter besuchte (und die wieder mal negativ drauf war), blieb meine Mutter im Zimmer stehen und sagte: "Oh, ich sehe, du bist schlecht gelaunt. Ich komme wieder, wenn das anders ist." Und dann ist meine Mutter wirklich gegangen. Was für ein Mut! Mit knapp über 50 musste sie dafür tatsächlich Mut aufbringen. Seit diesem Tag war meine Oma wie ausgewechselt: freundlich, liebevoll, dankbar, gütig. Hat ihren Frieden gemacht. Als meine Mutter und die Pfleger mich diese Woche zum wiederholten Male anriefen, war ich gerade nervlich durch. Konnte, wollte dies auch nicht wirklich verbergen. Meine Mutter entschuldigte sich quasi und sagte so was wie: "Mirabai", ich weiß dass ich an mir arbeiten muss." Oh Mann, jetzt ist der 4 Tag in Folge ohne Anrufe. Ich fahr auch lieber jeden Tag hin als dieser Telefonterror. Das halte ich nicht aus. Damit komme ich zu meiner Ergänzung, blumenkind: Ja, es gibt ein Recht auf Verwahrlosung. Und gleichzeitig lebt keiner auf einer Insel. Alle Bedürfnisse gelten und sind gleichwürdig. Mein Mann, meine Mutter oder wer auch immer dürfen entscheiden, nicht zu essen, sich in riskante Situationen bringen usw. Und ich darf entscheiden, dass ich da nicht bei zugucken kann und werde! Und das könnte konkret bedeuten, die Mutter in einem Heim unterzubringen. Kann sein, dass sich deine Mutter nicht eingewöhnen wird. Es ist aber die Entscheidung deiner Mutter. Es ist ihr Leben. Es ist ihre Chance! Es geht darum, sich selbst diese Entscheidung zu verzeihen. Du hast aus Liebe gehandelt. Gleichzeitig hat jede Entscheidung Konsequenzen, die wir vorher nicht kennen können. Aus Angst, Feigheit und Bequemlichkeit treffen viele Leute keine Entscheidung. Du warst mutig. Verzeih dir. Such einen Weg, wie dir das gelingen kann (mit therapeutischer Unterstützung?). Meine Sätze jetzt für uns Töchter:
    Ich kann nur aus der Fülle heraus geben (bedeutet, immer wieder, jeden Tag auf neue, nach dem eigenen Akku zu schauen und den Tank befüllen).
    Wenn ich es gerade nicht aushalte (Akku leer und keine Idee, Kraft zum Befüllen), diese Grenze akzeptieren!!! Ich hatte letzte Woche kleinen Nervenzusammenbruch (die normalen Maßnahmen wie Sprechen, Meditieren, Tarot und in die Natur gehen haben nicht funktioniert bzw. ich hatte null Kraft dafür, das ist schon krass, gibt es bislang so gut wie keine vergleichbare Situation!). Da nix ging, bin ich ins Bett. Habe geheult wie ein Schloßhund und bin vor Erschöpfung eingeschlafen, allerdings mit der mentalen Erkenntnis, dass wenn nix geht, eines immer geht: Hingabe! Sich dem Schmerz, der Erschöpfung hingeben. So kann es gehen. Hingabe löst den Kampf, den Widerstand auf. Ist ein wahrer Transformator!!! So war es dieses Mal und ich habe noch 2 Lebenssituationen, wo es so war. In dieser Situation übrigens geschah Folgendes: Mein Bruder hatte sich exakt zu dem Zeitpunkt gemeldet!!! Wahnsinn. Ja, damit betreten wir weitere Sphären: Spirutuelle. Energetische Verbundenheit. Liebe.
    3. Satz: Das Leben ist manchmal ein Arschloch.
    Buchtipp hinsichtlich Verbundenheit/Bewusstsein/Handlung: Otto C. Scharmer. Theorie U. In diesem Sinn, alles alles Liebe und bis bald, Mirabai

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