Ich beziehe mich auf einen alten Thread (letzte Antwort Februar 2019), auf den sich nicht mehr antworten lässt.
Hallo Herr Hamborg, hallo Herr Pwletko,
etwa ein Jahr lang schien es, als würde sich die traurige Geschichte der zwei dementen Lebensgefährten wenigstens einigermaßen einpendeln. Zahlreiche Telefonate haben dafür gesorgt, dass die Frau eine gesetzliche Betreuung erhielt und Pflege bei sich daheim – ganz ihrem Wunsch entsprechend.
Ich habe meinem Vater alle überfordernden bürokratischen Angelegenheiten, wie Steuererklärung und Antragstellungen jeder Art abgenommen. In einer neurologischen Klinik wurde im letzten Juli bei ihm Demenz (vermutlich Alzheimer) im Anfangsstadium diagnostiziert. (Ich hatte den Termin einfach so festgelegt, ohne vorher noch einmal den unwilligen Hausarzt aufzusuchen.) Mein Vater bekam Tabletten verschrieben, die er selber einnahm. Sein Freund brachte ihn weiterhin nach XXX und holte ihn wieder ab. Leider gab es wohl einige Zeugenaussagen, die bestätigten, dass mein Vater in der Wohnung seiner Lebensgefährtin sehr häufig sehr laut wurde. Nachbarn und die Pflegerin der Frau hörten meinen Vater schon außerhalb der Wohnung ungeduldig herumschreien und fanden dann eine in Tränen aufgelöste Wohnungsbesitzerin vor. Die Betreuerin bat den Freund meines Vaters, diesen nicht mehr nach XXX zu bringen. Sowohl für ihn als auch für mich war es allerdings herzzerreißend, ihn dort wegzuholen. Denn er meinte es ja nicht böse, er verliert nur seine Geduld, weil sie so „tüdelig“ ist. Der Freund brachte es nicht übers Herz, ihn nicht wieder nach XXX zu bringen, zumal die Lebensgefährtin ihn ständig anrief, am Telefon weinte und fragte, wann er denn endlich wiederkomme. Als Reaktion auf die neuen Besuche wurde für die Frau eine Tagespflege organisiert, die sie wochentags von ihrem Haus fernhielt, sodass ein Bleiben meines Vaters währenddessen Unsinn wurde. Ein neuer Rhythmus fand sich: Er blieb ca. 3 ½ Tage zu Hause und verbrachte dann immer ein verlängertes Wochenende von ebenfalls 3 ½ Tagen bei ihr. Damit kamen alle einigermaßen klar – auch wenn er jedes Mal schimpfte, wenn seine Lebensgefährtin vom Pflegedienst abgeholt wurde.
Dann kam Corona. Die Tagespflege fiel aus und in einem Telefonat wurde mir klipp und klar gesagt, dass mein Vater unter diesen Umständen nicht kommen dürfe – zu viele Haushalte, Gefährdung für ihn, für sie und für die Pflegerin. Dieses Argument konnte er einsehen. Er hat ziemlich viel von der ganzen Infektionsthematik verstanden und unglaublich gelitten – vor allem unter der Trennung. Am Telefon sprach er wiederholt Selbstmordandrohungen (ich kann es nicht anders nennen) aus und war auch mir gegenüber recht aggressiv. Gegen seinen Willen organisierte ich einen Pflegedienst, der ihn einmal am Tag besuchen sollte, weil ich hoffte, dass regelmäßige Besuche seine Gemütslage verbessern würden. (Die Krankenkasse hatte nach der Einstufung in Pflegegrad 1 nur einen halbstündigen Besuch pro Woche bewilligt, das ist noch ein anderes Problem, mit dem ich mich derzeit herumschlage.)
Die ersten paar Tage (er versuchte in dieser Zeit, mich ca. dreißig mal am Tag anzurufen, dazu die Kinder im Homeschooling, mein Mann im Homeoffice, es war ein Alptraum) sagte er mir unwirsch, dass ich mir das mit dem Pflegedienst hätte sparen können. Die brächten ihm nur Tabletten und würden ein wenig mit ihm reden, aber sonst würden sie nichts machen. Nach einiger Zeit begann sich aber seine Stimmung zu bessern, ob wegen der regelmäßig eingenommenen Tabletten oder wegen der Pflegeperson sei dahingestellt. Er freute sich regelrecht auf die Besuche. Er wurde wieder ruhiger, zum Teil sehr freundlich und geradezu niedlich, wenn er auch immer von seiner Frau sprach und sie rund um die Uhr vermisste. Er fragte, wann dieses Corona denn endlich zu Ende sei und dass es so etwas noch nie gegeben habe und dass er sich doch eigentlich gut fühle und ihm nichts fehle.
Die Mitarbeiter des Pflegedienst sind allerdings der Ansicht, dass er vermutlich nicht mehr sehr lange alleine leben könne. Er vergesse innerhalb eines Gespräches fast alles, was man besprochen habe.
Irgendwann informierte sich der Freund meines Vaters (der einzige, der neben dem Pflegedienst auch in der Zeit der strengen Kontaktbeschränkungen an seiner Seite blieb und für ihn einkaufte etc.) beim Gesundheitsamt, ob mein Vater denn seine Lebensgefährtin in einer anderen Stadt besuchen dürfe. Dort sagte man ihm quasi, dass er das die ganze Zeit gedurft hätte, weil die beiden eine eheähnliche Beziehung hätten.
Nun ist er dort, und der ganze Schlamassel beginnt erneut. Heute rief die Pflegerin an und sagte ziemlich erbost, mein Vater würde der Frau schaden, er schreie so laut, dass man ihn bei geschlossenen Fenstern draußen höre, das gehe so nicht weiter. Da ich weiß, dass die Gefühle meines Vaters dennoch echt sind, weiß ich nicht, was ich tun soll. Beim Amtsgericht hatte man mir gesagt, dass es nicht meine Aufgabe sei, meinen Vater von seiner Frau fernzuhalten. Das müsste richterlich erwirkt werden und selbst dann könnte ich ihm nur gut zureden, im Zweifel müsste die Polizei eingreifen. In einer Seniorenresidenz bei uns im Ort steht mein Vater auf einer Warteliste (er steht auf zahlreichen Wartelisten). Die Pflegerin dort teilte mir mit, sie würden auch keifende und sich anschreiende Paare zusammenlassen, wenn sie schon so lange ein Paar waren. Sie hielt es für unmenschlich, dass die beiden getrennt werden sollen. Ich fände es am besten, er könnte in ihrer Stadt bleiben, da wo er jetzt definitiv bleiben WILL.
Mein Vater war gestern am Telefon sehr erbost, dass alle gegen ihn seien und ihm sein Glück verbauten. Dabei zerstört er sich durch sein Geschrei selbst alles. Ich bin an dem Punkt, an dem ich die Vollmachten am liebsten abgeben möchte. Alles, was ich tue, ist wie ein Vertrauensbruch ihm gegenüber – ob ich jetzt über seinen Kopf hinweg etwas entscheide oder ob ich die Entscheidungen jemand anders überlasse. Er will bei seiner Frau bleiben und wird sich weigern, wegzufahren. Und dann? Dann müsste ich mir am Ende einen Anwalt nehmen, der sich mit der Betreuerin seiner Lebensgefährtin auseinandersetzt? Das wächst mir alles über den Kopf.
Wenn er jetzt erst einmal da bleibt, müsste ich den mühsam gefundenen Pflegedienst kündigen... Soll ich ihn von den Wartelisten streichen, weil er nun doch nicht mehr in meine Nähe ziehen will? Am besten wäre es, er würde denken, seine Lebensgefährtin wäre tot. Dann müsste er sich nicht immer Sorgen um sie machen und denken, es kümmere sich keiner um sie – was ja nicht der Fall ist. Dann könnte er hier in der Nähe wohnen und merken, dass es doch noch ein paar Menschen gibt, die ihn besuchen und mit ihm reden würden…
Ich fühle mich mal wieder vollkommen planlos. Warum ist er nicht einfach ein netter alter Mann, der seinen Lebensabend friedlich mit seiner langjährigen Partnerin verbringt und nicht in allen Betrüger und A...löcher sieht?
Vielen Dank fürs „Zuhören“ sagt
Planlos