Zwei möglicherweise Demenzkranke wollen zusammenziehen

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  • Ich beziehe mich auf einen alten Thread (letzte Antwort Februar 2019), auf den sich nicht mehr antworten lässt.


    Hallo Herr Hamborg, hallo Herr Pwletko,


    etwa ein Jahr lang schien es, als würde sich die traurige Geschichte der zwei dementen Lebensgefährten wenigstens einigermaßen einpendeln. Zahlreiche Telefonate haben dafür gesorgt, dass die Frau eine gesetzliche Betreuung erhielt und Pflege bei sich daheim – ganz ihrem Wunsch entsprechend.


    Ich habe meinem Vater alle überfordernden bürokratischen Angelegenheiten, wie Steuererklärung und Antragstellungen jeder Art abgenommen. In einer neurologischen Klinik wurde im letzten Juli bei ihm Demenz (vermutlich Alzheimer) im Anfangsstadium diagnostiziert. (Ich hatte den Termin einfach so festgelegt, ohne vorher noch einmal den unwilligen Hausarzt aufzusuchen.) Mein Vater bekam Tabletten verschrieben, die er selber einnahm. Sein Freund brachte ihn weiterhin nach XXX und holte ihn wieder ab. Leider gab es wohl einige Zeugenaussagen, die bestätigten, dass mein Vater in der Wohnung seiner Lebensgefährtin sehr häufig sehr laut wurde. Nachbarn und die Pflegerin der Frau hörten meinen Vater schon außerhalb der Wohnung ungeduldig herumschreien und fanden dann eine in Tränen aufgelöste Wohnungsbesitzerin vor. Die Betreuerin bat den Freund meines Vaters, diesen nicht mehr nach XXX zu bringen. Sowohl für ihn als auch für mich war es allerdings herzzerreißend, ihn dort wegzuholen. Denn er meinte es ja nicht böse, er verliert nur seine Geduld, weil sie so „tüdelig“ ist. Der Freund brachte es nicht übers Herz, ihn nicht wieder nach XXX zu bringen, zumal die Lebensgefährtin ihn ständig anrief, am Telefon weinte und fragte, wann er denn endlich wiederkomme. Als Reaktion auf die neuen Besuche wurde für die Frau eine Tagespflege organisiert, die sie wochentags von ihrem Haus fernhielt, sodass ein Bleiben meines Vaters währenddessen Unsinn wurde. Ein neuer Rhythmus fand sich: Er blieb ca. 3 ½ Tage zu Hause und verbrachte dann immer ein verlängertes Wochenende von ebenfalls 3 ½ Tagen bei ihr. Damit kamen alle einigermaßen klar – auch wenn er jedes Mal schimpfte, wenn seine Lebensgefährtin vom Pflegedienst abgeholt wurde.
    Dann kam Corona. Die Tagespflege fiel aus und in einem Telefonat wurde mir klipp und klar gesagt, dass mein Vater unter diesen Umständen nicht kommen dürfe – zu viele Haushalte, Gefährdung für ihn, für sie und für die Pflegerin. Dieses Argument konnte er einsehen. Er hat ziemlich viel von der ganzen Infektionsthematik verstanden und unglaublich gelitten – vor allem unter der Trennung. Am Telefon sprach er wiederholt Selbstmordandrohungen (ich kann es nicht anders nennen) aus und war auch mir gegenüber recht aggressiv. Gegen seinen Willen organisierte ich einen Pflegedienst, der ihn einmal am Tag besuchen sollte, weil ich hoffte, dass regelmäßige Besuche seine Gemütslage verbessern würden. (Die Krankenkasse hatte nach der Einstufung in Pflegegrad 1 nur einen halbstündigen Besuch pro Woche bewilligt, das ist noch ein anderes Problem, mit dem ich mich derzeit herumschlage.)


    Die ersten paar Tage (er versuchte in dieser Zeit, mich ca. dreißig mal am Tag anzurufen, dazu die Kinder im Homeschooling, mein Mann im Homeoffice, es war ein Alptraum) sagte er mir unwirsch, dass ich mir das mit dem Pflegedienst hätte sparen können. Die brächten ihm nur Tabletten und würden ein wenig mit ihm reden, aber sonst würden sie nichts machen. Nach einiger Zeit begann sich aber seine Stimmung zu bessern, ob wegen der regelmäßig eingenommenen Tabletten oder wegen der Pflegeperson sei dahingestellt. Er freute sich regelrecht auf die Besuche. Er wurde wieder ruhiger, zum Teil sehr freundlich und geradezu niedlich, wenn er auch immer von seiner Frau sprach und sie rund um die Uhr vermisste. Er fragte, wann dieses Corona denn endlich zu Ende sei und dass es so etwas noch nie gegeben habe und dass er sich doch eigentlich gut fühle und ihm nichts fehle.


    Die Mitarbeiter des Pflegedienst sind allerdings der Ansicht, dass er vermutlich nicht mehr sehr lange alleine leben könne. Er vergesse innerhalb eines Gespräches fast alles, was man besprochen habe.


    Irgendwann informierte sich der Freund meines Vaters (der einzige, der neben dem Pflegedienst auch in der Zeit der strengen Kontaktbeschränkungen an seiner Seite blieb und für ihn einkaufte etc.) beim Gesundheitsamt, ob mein Vater denn seine Lebensgefährtin in einer anderen Stadt besuchen dürfe. Dort sagte man ihm quasi, dass er das die ganze Zeit gedurft hätte, weil die beiden eine eheähnliche Beziehung hätten.


    Nun ist er dort, und der ganze Schlamassel beginnt erneut. Heute rief die Pflegerin an und sagte ziemlich erbost, mein Vater würde der Frau schaden, er schreie so laut, dass man ihn bei geschlossenen Fenstern draußen höre, das gehe so nicht weiter. Da ich weiß, dass die Gefühle meines Vaters dennoch echt sind, weiß ich nicht, was ich tun soll. Beim Amtsgericht hatte man mir gesagt, dass es nicht meine Aufgabe sei, meinen Vater von seiner Frau fernzuhalten. Das müsste richterlich erwirkt werden und selbst dann könnte ich ihm nur gut zureden, im Zweifel müsste die Polizei eingreifen. In einer Seniorenresidenz bei uns im Ort steht mein Vater auf einer Warteliste (er steht auf zahlreichen Wartelisten). Die Pflegerin dort teilte mir mit, sie würden auch keifende und sich anschreiende Paare zusammenlassen, wenn sie schon so lange ein Paar waren. Sie hielt es für unmenschlich, dass die beiden getrennt werden sollen. Ich fände es am besten, er könnte in ihrer Stadt bleiben, da wo er jetzt definitiv bleiben WILL.


    Mein Vater war gestern am Telefon sehr erbost, dass alle gegen ihn seien und ihm sein Glück verbauten. Dabei zerstört er sich durch sein Geschrei selbst alles. Ich bin an dem Punkt, an dem ich die Vollmachten am liebsten abgeben möchte. Alles, was ich tue, ist wie ein Vertrauensbruch ihm gegenüber – ob ich jetzt über seinen Kopf hinweg etwas entscheide oder ob ich die Entscheidungen jemand anders überlasse. Er will bei seiner Frau bleiben und wird sich weigern, wegzufahren. Und dann? Dann müsste ich mir am Ende einen Anwalt nehmen, der sich mit der Betreuerin seiner Lebensgefährtin auseinandersetzt? Das wächst mir alles über den Kopf.


    Wenn er jetzt erst einmal da bleibt, müsste ich den mühsam gefundenen Pflegedienst kündigen... Soll ich ihn von den Wartelisten streichen, weil er nun doch nicht mehr in meine Nähe ziehen will? Am besten wäre es, er würde denken, seine Lebensgefährtin wäre tot. Dann müsste er sich nicht immer Sorgen um sie machen und denken, es kümmere sich keiner um sie – was ja nicht der Fall ist. Dann könnte er hier in der Nähe wohnen und merken, dass es doch noch ein paar Menschen gibt, die ihn besuchen und mit ihm reden würden…


    Ich fühle mich mal wieder vollkommen planlos. Warum ist er nicht einfach ein netter alter Mann, der seinen Lebensabend friedlich mit seiner langjährigen Partnerin verbringt und nicht in allen Betrüger und A...löcher sieht?


    Vielen Dank fürs „Zuhören“ sagt
    Planlos

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Planlos,
    Das ist in der Tat eine vertrackte Situation, die Sie hier schildern.
    Wissen Sie denn, wie es der Lebensgefährtin Ihres Vaters mit seinen Verhaltensweisen geht?
    Wenn Sie damit zurecht kommt, und ansonsten die Zuneigung überwiegt, gibt es m.E. keinen Grund, die beiden zu trennen.
    Ein Problem scheint mir die offensichtlich schwierige Kommunikation mit der Betreuerin zu sein. Wenn hier eine gute Gesprächebene hergestellt werden könnte, wäre die Situation einfacher zu handhaben.
    Auf lange Sicht ist ja voraussichtlich für beide eine intensivere Betreuung zu organisieren.
    Vielleicht können Sie selbst hier einen Betreuer Ihrer Wahl für Ihren Vater einsetzen, der u.U. sich besser mit der Betreuerin der Frau verständigen kann.
    Sollte allerdings die Beziehung für die Lebensgefährtin mittlerweile ein Problem sein - was ich nicht beurteilen kann - wird es allerdings komplizierter.
    Wenn sie in diesem Falle dem Amtsrichter plausibel machen kann, dass sie einen Besuch nicht mehr wünscht, könnte man ein Kontaktverbot erwirken. Das erscheint mir allerdings wenig erfolgversprechend.
    Könnte denn eine gemeinsam bewohnte Einrichtung (oder Wohngemeinschaft) eine Lösung sein? Hierbei müsste man sich allerdings wieder mit der Betreuerin verständigen.
    Ich möchte Ihnen empfehlen Ihre Lage mit dem sozialpsychiatrischen Dienst oder einem Betreuungsverein zu besprechen. Die können jedenfalls mit mehr Distanz die Lage analysieren und eventuell Lösungsvorschläge präsentieren.
    Dafür drücke ich Ihnen die Daumen!
    Liebe Grüße von Klaus Pawletko

  • Hallo Herr Pawletko,
    vielen Dank fürs Lesen und Antworten. Wie es der Lebensgefährtin geht, kann ich nicht sicher sagen. Nach Angaben der Pflegeperson und der gesetzlichen Betreuerin läuft sie weinend aus dem Haus und geht zu Fuß zum Haus der Pflegerin, wo sie sagt, dass sie nicht mehr kann. Wenn aber mein Vater weggeht, weint sie ebenfalls. Aber wenn ich sie zwischendurch mal anrufe, während mein Vater in seiner Wohnung ist, erscheint sie ausgeglichen und zufrieden.
    Mein Vater nennt die Pflegerin mir gegenüber immer "Drecksau" und ich bin mir nicht sicher, was er ihr persönlich an den Kopf wirft. Ich hatte versucht, für ihn eine Betreuung (für die Aufenthaltsbestimmung) anzuregen, was aber abgelehnt wurde, weil ich die Generalvollmacht habe. Also muss ich im Grunde handeln. Beim letzten Telefonat meinte mein Vater, er müsse einen Anwalt beauftragen (was er aber gar nicht mehr alleine können wird...), um sich gegen diese Brut, die sich da gegen ihn verschworen hat, zur Wehr zu setzen. Er fühlt sich sehr in die Ecke getrieben und ist gar nicht mehr die Person, die ich einmal kannte. Ich fürchte, mir bleibt wirklich nichts übrig, als die Vollmacht abzugeben, damit ein Betreuer für meinen Vater eingesetzt werden kann, der sich besser mit den Behörden und mit der Betreuerin der Lebensgefährtin auseinandersetzen kann. Denn wenn ich ihn bitte, seinen Zorn einfach zu seinem Vorteil zu mäßigen und sich allen Beteiligten gegenüber, die er bei seiner Lebensgefährtin trifft, freundlich zu verhalten, sagt er, das könne er nicht und ich würde mit denen unter einer Decke stecken.
    Heute früh rief mich mein Vater von seiner Wohnung aus an, er sagte, er sei schon Ewigkeiten nicht mehr bei seiner Frau gewesen... Gestern hatte ihn sein Freund dort abgeholt.
    Mit der Betreuerin hatte ich einmal über die, wie ich finde, gute Idee eines gemeinsamen betreuten Wohnens gesprochen, die auch mein Vater begrüßte. Die Betreuerin hielt das auch nicht für schlecht, sagte dann aber, dass es zur Zeit der ausdrückliche Wunsch ihrer Betreuten sei, in ihrem Elternhaus weiterzuwohnen (ich weiß, dass das stimmt). Die Seite des Betreuungsvereins in der Stadt meines Vaters habe ich schon aufgesucht. Ich zögere halt vor dem letzten Schritt, weil ich das Gefühl habe, ihn zu verraten, wenn ich ihn in fremde Hände gebe. Er hatte ja früher auch seine anderen Seiten...
    Sicher melde ich mich wieder, wenn es etwas Neues gibt.
    Vielen Dank nochmals,
    Planlos

  • Traurig geht die Geschichte weiter, die Geschichte eines alten Mannes, der seine Lebensgefährtin durch die Krankheit verliert - und Hilfe durch Einrichtungen ist nicht in Sicht.
    Die Lebensgefährtin meines Vaters liegt nun zum zweiten Mal im Krankenhaus. Sie hat wegen ihrer Metastasen Wasser in der Lunge. Vorher hat ihre Betreuerin vom Freund meines Vaters verlangt, dass er vier Wochen lang nicht zu ihr kommen dürfe (Gründe siehe oben). Er leidet so, sein einziger Gedanke ist seine von außen beendete Liebe. Nun weint er am Telefon, weil er jeden Morgen denkt, seine Frau sei schon gestorben. Jeden Tag versuche ich ihn am Telefon zu trösten. Sein einziger Lichtblick ist die Tagespflege, in die er einmal pro Woche gehen kann. Mehr Kapazitäten haben sie nicht. Dieser Platz droht jetzt verloren zu gehen, weil er nie fertig ist, wenn der Fahrer kommt. Man kann ihn telefonisch nicht vorbereiten, da er nachts immer seinen Router aus der Steckdose zieht. Es kleben schon Erinnerungszettel dran, dass er das nicht soll, aber er ignoriert sie. Es ist einfach Routine. Die anderen Fahrgäste im Bus müssen warten und werden ungeduldig. Wenn dieser eine Tag auch ausfällt, hat er nichts mehr. Ich habe in seiner Stadt alles abgeklappert. Die anderen Einrichtungen haben ellenlange Wartelisten und nehmen nicht einmal auf die Listen neue Anwerber auf. Da er mir so leid tut und oft davon spricht, in meiner Nähe sein zu wollen, habe ich bei uns im Ort alle Pflegeheime (auch spezielle Demenzeinrichtungen) abtelefoniert. Fazit: Voll oder nicht geeignet für Menschen mit Hinlauftendenz. Außerdem kann er ein sehr schwieriger Charakter sein. Ich fürchte, es würde ähnlich werden, wie in dem neuen Thread hier im Forum beschrieben: ständig Beschwerdeanrufe und am Ende womöglich ein obdachloser Vater... Ich habe lange mit einer sehr netten Frau von der Alzheimer-Gesellschaft telefoniert, von der ich wissen wollte, was denn für meinen Vater das Beste wäre: einsam in seiner eigenen Wohnung bleiben - oder sich von fast all seinen Sachen und seiner seit über dreißig Jahren bewohnten Wohnung zu trennen, um in einem Heim mit Struktur und Beschäftigung zu wohnen. So, wie ich ihn geschildert habe, hat sie mir geraten, ihn in seiner vertrauten Umgebung zu lassen. Stattdessen könnte man die Pflegestunden durch den Pflegedienst erhöhen und bei weiteren Tagespflegeeinrichtungen nachfragen, was ich ja nun schon getan habe... Eventuell findet sich durch den Pflegedienst jemand, der mal mit ihm spazieren geht oder in die Kirche. Aber selbst die Kirchengemeinden haben aktuell keine Angebote für alte Leute. Es gibt einfach nichts! Und seinen einzigen gebliebenen Freund macht er schlecht, der würde ihn bevormunden und man könne ihn in der Pfeife rauchen... Dieser Freund ist der einzige, den ich jetzt fragen kann, ob er meinen Vater am Mittwochmorgen gegen 8.00 Uhr aufsucht und weckt und dazu bringt, bis 8.45 Uhr wirklich startklar zu sein für die Tagespflege. Ich organisiere alles nur aus der Ferne, aber trotzdem dreht sich fast alles um meinen Vater, klar, weil er uns allen extrem leid tut, weil aber auch kein Mensch mit ihm zusammenwohnen kann. Meine Kinder versuchen manchmal mit ihm zu telefonieren, aber für sie interessiert er sich leider auch nicht mehr. Es ist einfach nur traurig und aussichtslos. Nicht einmal eine 24-Stunden-Pflege zu Hause kommt in Frage, weil er kein freies Zimmer für eine Pflegerin / einen Pfleger hätte. Jetzt habe ich meine Gedanken sortiert und kann, bevor ich anfange zu arbeiten, noch einmal mit meinem Vater telefonieren, um ihm zu sagen, dass seine Lebensgefährtin noch lebt, auch wenn sie im Moment telefonisch nicht zu erreichen ist...

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Planlos, Ihre Situation ist wirklich schwierig und für jeden Plan gibt es Widrigkeiten. Wenn ich Ihnen jetzt gegenübersitzen würde, würde ich viele Zettel nehmen und jede Möglichkeit einzeln ansehen, mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen. Vielleicht probieren Sie es mal zuhause aus.


    So wie ich Sie verstanden habe, ist Ihre Priorität das gemeinsame betreute Wohnen und die Begleitung Ihres Vaters in seiner Trauerarbeit, die nun mal mit einem Hin und Her und einem Gefühlschaos verbunden ist. Bitte bedenken Sie, dass Sie darin ihrem Vater nur wenig abnehmen können. Deshalb wünsche ich Ihnen sehr, dass Sie Klarheit und Ruhe finden, an der sich Ihr Vater in seiner Trauer immer wieder festhalten kann.
    Ihr Martin Hamborg

  • Hallo Herr Pawletko, hallo Mitlesende,


    seit drei Jahren versuche ich jetzt, einen klaren Kopf zu bewahren und meinem Vater und seiner Situation gegenüber Ruhe zu bewahren. Er hat die Krankheit, er ist der, der am meisten leidet, jeden Tag mehr. Aber nun bin ich ebenfalls krank, nach Aussage meiner Ärztin eine häufige Angelegenheit bei Angehörigen von Demenzpatienten. Dabei organisiere ich nur aus der Ferne und bin nur das Ohr, das ich ihm täglich leihe. Ich besuche ihn selten, ich putze nicht bei ihm, ich wasche nicht für ihn, ich kaufe nicht mit ihm ein... Im Vergleich zu dem, was all die anderen Töchter, Söhne, Schwiegerkinder und Enkel (und natürlich Ehepartner, die aber in einer anderen Beziehung zu dem Kranken stehen) leisten, mache ich so wenig und bin trotzdem kaputt. Es mag sein, dass es durch Corona und Homeoffice + doppeltes Homeschooling schneller gegangen ist, aber auch ohne hätte ich irgendwann Hilfe gebraucht, da ich mit der Krankheit nicht umgehen kann. Ich denke immer noch, das ist mein Vater, der da spricht und nehme alles ernst und mir zu Herzen.


    Zur Chronologie: Mein Vater hat im letzten November seine ebenfalls demente Lebensgefährtin nach langer erzwungener Trennung (siehe oben) endgültig verloren. Sie ist gestorben und das vergisst er auch nicht. Er leidet jeden Tag deswegen. Seitdem sagt er bei Besuchen und bei Telefonaten nur noch drei Dinge in Endlosschleife: Dass er sie vermisst, dass er nun unbedingt bei uns in der Nähe wohnen möchte und dass er sonst "andere Wege gehen" muss. In seiner Stadt habe ich im Verlauf des letzten Jahres alles gesucht und gefunden: einen zuverlässigen Pflegedienst inklusive Tablettenlieferdienst, Pfleger für alle Problemlagen, Putzhilfe. Der Pfleger hat eine zweite Tagespflege gefunden, nachdem mein Vater aus der ersten wegen seiner Aggressionen "rausgeworfen" wurde. Weil er weiterhin aggressiv bleibt, steht auch sein Verbleib in der neuen Tagespflege auf der Kippe. Aber in der Stadt habe ich immerhin den Pfleger, der sich um Probleme kümmert, allerdings nicht ohne dass sich unzählige Leute mit Angelegenheiten meines Vaters an mich wenden. Papierkram ohne Ende. Ich habe bei Gericht die Betreuung angeregt und musste schriftlich rechtfertigen, warum ich meine Vollmachten nicht mehr nutzen möchte. Ein Gutachter hat dann wohl entschieden, dass er Betreuung braucht, aber die für mich arbeitsintensivsten Themen wie Finanzen und Wohnen hat er ausgeklammert, sagt der Pfleger. (Ich wurde nicht informiert.) Und wer trägt dann die Verantwortung wenn etwas schief geht? Vielleicht wird im kommenden Monat vor Gericht darüber entschieden, denn die junge Anwältin möchte den alten Herrn gerne noch selbst antanzen lassen, der Termin steht. Er wird sagen, er möchte bei seiner Tochter wohnen. Sie ist doch die einzige Person, die er noch hat. Er will ihr ja nicht den Urlaub nehmen (welchen Urlaub???), sondern nur eine Wohnung in der Nähe haben und tagsüber selbstständig mit dem Rad vorbeikommen. Und alle werden denken, warum tut die herzlose Tochter diesem armen alten Mann nicht den Gefallen? Das versuche ich allen zu erklären: Hier bei uns habe ich kein Netzwerk. Alles müsste ich neu organisieren. Es gibt hier nur normale Seniorenresidenzen, nichts für Demenz mit herausforderndem Verhalten. Wer zweimal aus einer Tagespflege fliegt, der kann auch ganz leicht aus einem Seniorenheim fliegen. Und es wird sich für sein Gefühlsleben nichts ändern. Im Moment telefoniere ich täglich mit ihm und er wirft mir jedes Mal vor, ich würde ihn nie anrufen. Naja, vielleicht würde ich vor Weihnachten ja mal wieder anrufen... Wenn ich ihn hier in einem Heim zweimal die Woche besuche, wird er genau so wenig das haben, was er braucht und will, wie jetzt. Er KANN nicht bei uns im Haus sein. Die gesamte Familie würde nach dem ersten Tag auseinanderbrechen. Als wir Weihnachten bei ihm waren, hat er das jüngste Kind sehr laut angeschnauzt, weil es die Weihnachtsandacht des Papstes im Fernsehen langweilig fand und sich das Treffen mit dem Opa anders vorgestellt hätte. Und das war nur ein Besuch... Trübe Gedanken voller Schuld. Und nun ist er kurzfristig in der Psychiatrie, weil er mehrmals die Polizei angerufen hat, da er glaubte, ausgeraubt worden zu sein. Dabei ist sein Geld brav auf seinem Konto. Und da er überall erzählt, dass er sich umbringen will, wollen sie nun in der Klinik schauen, ob sie mit Hilfe von Medikamenten seine Stimmung aufhellen können.

    Ich kann verstehen, dass er nicht mehr leben will. Ich würde das auch nicht wollen. Wenn ich es als Erbe seiner Gene auch erleben sollte (ein wenig höher ist die Wahrscheinlichkeit ja schon...), dann fordere ich jetzt schon aktive Sterbehilfe auch für geistig nicht mehr Gesunde für ein Ende in Würde.

    Ich wollte die angefangene Geschichte nur noch weiterschreiben und einfach ehrlich sagen, dass manche Leute einfach auch scheitern an den Fürsorgepflichten für ihre Eltern. Vielleicht gibt es ja noch mehr Menschen, die sich komplett überfordert fühlen von den Forderungen ihrer Angehörigen und die sie - ganz ehrlich gesprochen - lieber auf dem Friedhof betrauern würden als ständig mit ihrem Ärger konfrontiert zu sein.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Planlos,

    das sind in der Tat schwierige Entscheidungen, die für Sie anstehen. Und sie stehen an, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass - falls sich durch medikamentöse Interventionen nichts ändert - Ihr Vater noch lange in seiner Wohnung zu versorgen sein wird.

    Ist denn abschließend geklärt, ob Ihr Vater (ausschließlich) an einer Demenz leidet oder es sich bei ihm um eine Altersdepression handelt? In diesem Falle wären die Erfolgsaussichten einer medikamentösen Therapie höher.

    Wichtiger scheint mir die Beantwortung der Frage zu sein, warum Sie Ihren Vater auf Distanz halten wollen. Das ist kein moralischer Appell, sondern ein Versuch, Ihr offenkundig schlechtes Gewissen zu entlasten.

    Eine Pflegeeinrichtung - und nur darum kann es gehen - in größerer Nähe hätte wahrscheinlich keine Probleme mit Ihrem Vater, wenn dieser medikamentös richtig eingestellt wäre.

    Die Frage ist eher, ob Ihr Druck, den Vater doch bei sich aufzunehmen nicht noch größer wäre, wenn die räumliche Nähe kleiner wäre.

    Und in dieser Frage sind Ihre Argumente eindeutig. Dazu kann man Ihnen man Ihnen ruhigen Gewissens wirklich nicht raten.

    Wenn Sie in dieser Frage eindeutig sind - und das auch Ihrem Vater gegenüber vermitteln können (was ich nicht beurteilen kann), dann können Sie vielleicht auch besser entscheiden, wie die zukünftige Versorgung des Vaters aussehen soll.

    Eine anderer Weg bestünde darin, die Richterin zu überzeugen, dass Sie emotional mit diesen Entscheidungen überfordert sind und deshalb zwingend ein Betreuer auch den Bereich Aufenthaltsbestimmungsrecht übernehmen muss.

    Sie haben ein Anrecht darauf, Ihr Leben - und das Ihrer Familie - in den Vordergrund zu stellen.


    Ich wünsche Ihnen viel Kraft bei der Bewältigung dieser Fragen.

    Herzliche Grüße von

    Klaus Pawletko

  • Hallo Planlos,

    nein- Sie haben einen Plan- der Vater kommt nicht in meine Familie. Und Sie haben Alles organisiert. Damit haben Sie für sich die wichtigste Entscheidung getroffen, was sie wollen.

    Der Staat mit seiner Gesetzgebung sorgt dafür, Kranke zu schützen, damit gegen deren Willen nichts geschehen darf. Die Frage, an welchem Stadium der Krankheit man sein muss, bevor dann doch mal anders entschieden wird, bleibt offen. Neuerdings steht der Schutz der Alten ja über Allem, nur frage ich mich, wer schützt an Demenz erkrankte vor sich selber. Muss es erst soweit kommen, dass sie draußen rum irren, bevor die Polizei einschreitet. Und auf einem Dorf bringen die netten Nachbarn die Leute wieder nach Hause.

    Wenn möglich, lassen sie ihren Vater medikamentös einstellen, damit er ruhiger ist und versuchen Sie ihn unterzubringen. Wenn bei Ihnen es kein Heim für Demente gibt, dann nehmen Sie das am Wohnort des Vaters.

    Und bleiben Sie bei der getroffenen Entscheidung

    Schöne Grüße

  • Vielen, vielen Dank, Hanne63, Gobis und Herr Pawletko,


    als ich Ihre Beiträge gelesen habe, sind mir fast die Tränen gekommen, weil ich darin keine Vorwürfe gefunden habe, sondern Unterstützung und Verständnis.


    In der Psychiatrie soll gerade herausgefunden werden, ob sich durch die Einsamkeit und die Trauer auch eine Altersdemenz eingestellt hat, was ich mir schon vorstellen kann. Herr Pawletko, sie treffen den Nagel auf den Kopf. Mein Gewissen belastet mich sehr. Ich will nicht, dass mein Vater leidet und das Gefühl hat, dass er dem einzigen Menschen, den er noch hat, egal ist. Egal ist er mir auch nicht, aber er ist eben eine für eher dünnhäutige Menschen sehr schwierige Person (nicht erst seit seiner Krankheit). Und ich habe sehr große Angst davor, dass er sich, wenn er weiß, dass er in meiner Nähe wohnt, zu Fuß auf den Weg macht, um uns zu besuchen - so wie er es sich am Telefon immer ausmalt. Und ja, ich habe Angst, dass er irgendwann obdachlos wird, weil er im Heim nicht bleiben darf (so wie in der Tagespflege) und dann von uns aufgenommen werden muss. Meine Nerven liegen durch die täglichen Telefonate mit ihm schon blank. Es würde mich schon schier wahnsinnig machen, wenn mitten im Alltagsstress das Heim immerzu anrufen würde, um mir zu sagen, dass wir meinen Vater suchen müssen, dass mein Vater sich anderen Bewohnern gegenüber unangemessen verhält etc. Denn bei allen positiven Eigenschaften, die er hat(te), gab es IMMER schon eine leichte Erregbarkeit und latente Aggressivität. Diese lässt er nun unzensiert heraus. Und aus der Ferne bedroht sie mich nicht so sehr wie aus der Nähe. Wenn die Demenz so weit fortgeschritten ist, dass er nicht mehr weglaufen oder reden kann, oder wenn er wirklich durch Medikamente so eingestellt ist, dass er nicht permanent auf 180 ist, DANN kann ich ihn mir in einem Heim in der Nähe vorstellen. Dann kann ich mir auch häufigere Besuche vorstellen. Gobis, es gibt ein Heim für Demente bei uns, aber nur ohne "geschützten" oder "geschlossenen" Bereich. Die nächsten, im Moment geeigneten Einrichtungen wollen für die kommenden paar Jahre keine Männer mehr oder sind für Besuche ähnlich umständlich wie sein jetziger Wohnort.

    Außerdem will er eine Wohnung hier, kein Heim. Er will nicht bevormundet werden, das sagt er mir auch jetzt von der Station aus ganz klar. Auch der Pfleger bräuchte nicht mehr zu ihm zu kommen, wenn er wieder in seinem Zuhause wäre. Er will aber auch auf keinen Fall allein wohnen. Heute hörte er sich nur depressiv an, fast gar nicht dement - abgesehen davon, dass er denkt, er könne vom Fenster auf seine Wohnung sehen und ich habe ihn seit Monaten nicht angerufen.

    Die Station hat mich aufgefordert, als Noch-Bevollmächtigte dem Amtsgericht mitzuteilen, dass mein Vater, obwohl er freiwillig da sei, festgehalten werden dürfe, falls er plötzlich nach Hause wolle. Wieder eine Entscheidung. Es gilt, ihn vor Gefahren zu bewahren, sagte die Ärztin, also setzte ich den Schrieb auf. Die Anhörung wird daher wahrscheinlich in der Psychiatrie stattfinden.

    Mein Gewissen versuche ich mir zu erleichtern, indem ich mir vorsage, was Sie schreiben: dass ich ein Anrecht habe, mein Leben und das meiner Familie in den Vordergrund zu stellen.

    Nochmals vielen Dank für Ihre Worte. Ich weiß, dass ich weniger aushalte als viele hier, aber es hat eben jeder seine eigene Belastungsgrenze, auch wenn ich wünschte, sie wäre bei mir höher angesiedelt.

    Viele liebe Grüße

    Planlos

  • Hallo planlos,

    Ich kann Sie so gut verstehen, habe auch diese Phasen mit aggressiven Vater hinter mir, nun meine Mutter im Nachbarort im Pflegeheim, die wieder nachhause will, zunehmend dement. Sie würde auch lieber bei mir leben. Ich kenne also diese ganzen inneren Konflikte. Habe selbst gute Erfahrung damit, wenn man sich an einer psychol.Beratungsstelle o.ä.coachen lässt.

    Niemand kann Sie zwingen, Ihre Familie für die Wünsche Ihres Vaters zu opfern.

    Auch vormals umgängliche Menschen können durch Demenz aggressiv werden, habe ich auch erlebt bei Freunden, die betr.Frau war vorübergehend in der gerontopsychiatrie, wurde medikamentös eingestellt und anschließend im Pflegeheim untergebracht.

    Mein Vater wurde durch rechtl.Betreuerin im geschl.Pflegeheim untergebracht, wo er noch 2,5 Jahre gelebt hat. Zuvor war aber ein tätlicher Angriff auf meine Mutter und Rückgabe der Vorsorgevollmacht an Gericht.

    Was Sie beschreiben vonIhrem Vater klingt schon nach Demenz, die kann ja auch unterschiedliche Phasen haben, meine Mutter scheint morgens noch relativ klar, abends verwirrter.

    Bleiben Sie standhaft, Ihr Eindruck, dass andere soviel mehr für Ihre Eltern tun, gilt ja nicht selbstverständlich. Auch mich hat vorher das Erleben und die Sorge auf Distanz oft mehr psychisch gefordert, als wenn ich einzelne Erledigungen hätte machen können. Man ist eben in Gedanken immer dabei und ich möchte Ihnen Mut machen, dass sich dies bei einer stationären Unterbringung ändert, damit delegiert man ja einiges an Verantwortung. Und wenn jemand im Heim ausrastet, haben sie dafür ihre Regeln, dann muss ggf.in der Psychiatrie neu eingestellt werden, notfalls andere Unterbringung, aber niemand kann Sie zwingen, dann den Vater abzuholen, schon gar nicht bei eigener Erkrankung, die nicht weniger bedeutsam ist als die Ihres Vaters.


    Wir müssen alle lernen, unsere eigenen Grenzen zu achten!!

    Passen Sie auf sich auf! Vor allem wenn noch jüngere Kinder im Spiel sind, die ihre Mama brauchen.

    Liebe Grüße

    Rose60

  • Liebe Mitlesende,


    seit gestern habe ich (wahrscheinlich) einen Hörsturz. Ich höre fast nur noch piepende Geräusche und kaum noch Geräusche von außen. In den nächsten Tagen werde ich bestimmt nicht telefonieren können. Auch nicht arbeiten. Ich werde mich auch nicht richtig um meine Kinder kümmern können. Am Montag habe ich einen Arzttermin. Am 22. darf mein Kleiner wieder in die Schule, der Große muss noch etwas länger zu Hause lernen.


    Der Pfleger hatte meinen Vater in die (offene) Psychiatrie gebracht, damit er dort mit Medikamenten so eingestellt wird, dass seine depressiven und aggressiven Zustände verringert werden (ich hatte oben versehentlich von vermutlicher Altersdemenz geschrieben, ich meinte Altersdepression; die Demenz ist nachgewiesen). Der Pfleger hatte die Hoffnung, ihn hinterher weiterhin in häuslicher Umgebung versorgen zu können, außerdem sollten die vier Tage Tagespflege weiterhin für Abwechslung sorgen. Vorher ging das ja definitiv nicht mehr, wegen seiner permanenten Vorstellung, er sei beraubt worden und wegen seiner stärker werdenden Aggressionen in der Tagespflege.


    Die Psychiatrie hat aber nun anders entschieden. Nach drei Wochen sind sie der Meinung, dass mein Vater, weil das sein sehnlichster Wunsch sei, bei mir in der Nähe in einem Heim untergebracht werden soll. Ich wusste nicht, dass sie selber so aktiv sein würden. Insgesamt vier Mitarbeiter haben mich telefonisch bearbeitet: Sozialarbeiterin, Oberarzt, zwei andere Ärztinnen. Allen habe ich meine (oben genannten) Bedenken und Sorgen mitgeteilt. Sie wurden mit Verweis auf den mittlerweile eingesetzten Betreuer weggewischt. Ich kann meinem Vater nicht verbieten, in meiner Nähe zu wohnen. Ich kann dem Krankenhaus nicht verbieten, ihm hier etwas zu suchen. Ich bat nur darum, dass bitte auch der Pfleger und der Betreuer informiert werden.


    Der Betreuer meldet sich nicht bei mir, nur eine Mitarbeiterin hat ein paar Daten aufgenommen. Meine zahlreichen Fragen bleiben offen. Es wird durch den vom Krankenhaus angestrebten Umzug ohnehin zu einem Betreuerwechsel kommen.


    Der Pfleger vom Pflegedienst ist erschüttert, das war nicht seine Absicht. Der Betreuer hat sich auch nicht bei ihm gemeldet.


    Mein Vater war stinksauer, als ich ihm sagte, dass die Klinikmitarbeiter nun mithelfen, seinen Wunsch zu erfüllen und dass er wahrscheinlich bald in eine "Seniorenresidenz" in meiner Nähe ziehen kann. Ich WUSSTE es. Er war wütend und sagte, er habe doch nichts, er müsse doch nicht betreut werden, er brauche keine Pflege. Er wollte es noch einmal mit einer Familie versuchen. Wenn, dann wolle er eine kleine Wohnung in 4 bis 5 km Entfernung, damit er mit dem Fahrrad bei uns vorbeikommen könne. Das mit dem betreuten Wohnen sei eine Schnapsidee und er sei wirklich enttäuscht von mir. Da würde er lieber... Dieses Hin und Herr der Wünsche und diese Stimmungsschwankungen haben mich ja mit dazu gebracht, eine Betreuung anzuregen.


    Mein Ohrenproblem entstand nach einer Nacht, in der ich schweißgebadet aufwachte, weil mein Vater mich in einem Zug aufgestöbert hat, wo ich mich unter einer Decke versteckt hatte, als ich seine donnernde Stimme den Schaffner fragen hörte, ob seine Tochter in diesen Wagen eingestiegen sei. Als er mich fand, pöbelte er mich aufs Gröbste an. (Das war sicher eine Allegorie der Krankheit, denn so polternd habe ich ihn als Vater nicht in Erinnerung.)


    Im Grunde ist mein Vater jetzt versorgt. Er wird in der Klinik täglich auf Corona getestet und seit Anfang des Monats ist ein Betreuer für ALLE Bereiche zuständig. Da kann ich mich doch eigentlich jetzt aus allem heraushalten und erst einmal abwarten - bis ich wieder etwas hören kann und bis alle Beteiligten sich untereinander abgesprochen haben. Meinem Vater kann ich gar nicht erklären, wie das mit dem Umzug alles laufen soll. Er wird außer sich sein, wenn sie ihn vorher nicht mehr in seine Wohnung lassen...


    Liebe Grüße und alles Gute für alle anderen hier

    Planlos

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Planlos, die Einschätzung von Hanne63 möchte ich bestärken.


    Spätestens der Hörsturz macht deutlich, dass Sie das ganze Hin und Her nicht mehr ertragen - sprichwörtlich nicht mehr hören - können. Sie haben die Vollmachten abgegeben, weil Sie wissen, dass Sie es Ihrem Vater nicht recht machen können.

    Die unheilvolle Mischung aus Depression und Demenz braucht eine klare Struktur. Dafür ist Ihr Vater in der Klinik und es ist zu hoffen, dass die Antidepressiva auch langsam wirken. Bei Männern zeigen sich schwere Depressionen oft in aggressiven Verhaltensweisen. Jetzt ist die Psychiatrie und der Betreuer gefordert, danach hat Ihr Vater eine neue Chance in der hoffentlich antidepressiven Struktur eines Heimes. Es freut mich zu lesen, wie sehr sich die Ärztinnen für Ihren Vater einsetzen!


    Hoffentlich finden Sie nun das notwendige Vertrauen und den inneren Abstand. Das kann - so paradox es auch klingen mag - auch für Ihren Vater richtig sein, weil der alte Teufelskreis nicht mehr funktioniert. Ich vermute, dass die Demenz Ihres Vaters noch nicht so fortgeschritten ist. Er wird ein Teil seines Verhaltens verantworten - den anderen Teil übernimmt der Betreuer.

    Können Sie sich folgenden Satz an Ihren Vater vorstellen: "Das hast Du Dir selbst eingebrockt ... Mit Hilfe des Betreuers wirst Du so wie früher Deinen Weg in Deinem hohen Bedürfnis nach Selbstbestimmung finden. ... ich unterstütze Dich gerne wieder, wenn Du meine Hilfe zulässt, unter den jetzigen Bedingungen und nicht in dem alten Teufelskreis..."


    Die Albträume sehe ich übrigens eher als ein gutes Zeichen. Der Schlaf räumt das Gehirn auf, nach dieser hohen Belastung können die Träume die Funktion eines reinigenden Gewitters bekommen.

    Ihnen gute Besserung und ganz viel inneren Ruhe und Abstand! Ihr Martin Hamborg

  • Hallo zusammen und Hanne63 und Herrn Hamborg vielen Dank für aufbauenden Antworten!

    Manchmal muss man tatsächlich zur Ruhe gezwungen werden. Ich kann gerade ja nicht richtig kommunizieren, nur schriftlich. Die Tatsache, dass mein kleineres Kind ab Montag wieder zur Grundschule darf und dass mein Vater jetzt rund um die Uhr versorgt ist, helfen mir loszulassen und etwas zu entspannen. Herr Hamborg, das mit den Träumen ist interessant. Dann mache ich gerade Großputz im Gehirn. So viel wirres Zeug, an das ich mich dann auch noch genau erinnere, habe ich lange nicht mehr geträumt.


    Hanne63, (ich sag jetzt auch einfach mal "Du"), Deine Erfahrungen zum Thema Betreuer und dass er sich nicht melden muss, dass man aber trotzdem dem Heim sagen darf, dass dieser zuständig ist, haben mir sehr geholfen. Ich habe das Heim informiert, dass alles Organisatorische mit dem Betreuer besprochen werden soll und dass ich im Moment noch nicht mit meinem Vater telefonieren kann. Meinem Vater habe ich einen Brief an seine neue Anschrift geschrieben und ihm gesagt, dass ich krank bin, ihn aber so bald wie möglich besuchen werde. Doch ich bin immer noch so paranoid, dass ich als Absender nur meinen Namen, aber nicht die Anschrift angegeben habe. Er könnte sich ja sonst ein Taxi nehmen und mich überraschen. Ich werde versuchen, mir ein Beispiel an Deinen Abgrenzungsfähigkeiten zu nehmen. Wenn es mir wieder besser geht, rufe ich den Betreuer an und frage, ob und wie ich in die Wohnung meines Vaters komme, um ihm Möbel und Fotos und Kleidung aussuchen zu können - das mache ich am besten, nachdem ich ihn besucht und sein Zimmer gesehen habe.


    Herr Hamborg, ich bin gespannt, ob die Medikamente, die die Ärzte in der Klinik "ausgetestet" haben, die Depression ein wenig abmildern können. Struktur wird er in dem Seniorenheim auf jeden Fall eher haben als alleine in seiner Wohnung. Er kennt halt nur die neue Umgebung nicht. In seiner alten Stadt, kannte er alles. Und die Leute sprachen ihn mit Namen an, auch wenn er selbst sie nicht mehr kannte. Das wird ihm hier nie mehr passieren. Ich bin Ihnen besonders dankbar, dass Sie mir helfen, einen Satz / eine Antwort für meinen Vater zu finden. Die erste Begegnung in seinem neuen Zuhause macht mir ehrlich gesagt große Angst. Ich stelle mir vor, er macht mir Vorwürfe, was ich mir gedacht habe, ihn wieder irgendwo "reinzustecken". Ich sage Ihren Satz. Ich muss ihn nur noch abwandeln, denn ab "Das hast Du Dir selbst eingebrockt", würde er dicht machen und mich aus dem Zimmer werfen. Vielleicht: "Du hast es im Krankenhaus gefordert, in einer Einrichtung in meiner Nähe zu wohnen. Jetzt hast Du dieses Zimmer. Mit Hilfe des Betreuers wirst Du in Deinem hohen Bedürfnis nach Selbstbestimmung so wie früher Deinen Weg finden ." bei "Teufelskreis" wüsste er dann vermutlich nicht, was ich meine, das lasse ich vielleicht. Ich muss ihm nur noch klar machen, dass ich IHN besuchen will, dass Besuche hier nur zu Feiern etc. (in ferner Ferne...) in Frage kommen. Genauso will ich dem Heim sagen, dass ich lieber ihn anrufen würde. Andere Leute arbeiten im Büro und haben während der Arbeitszeit Ruhe (so stelle ich mir das vor...). Da wir zu Hause arbeiten, ist die Verlockung groß, hier zu jeder Zeit anzurufen. Andererseits können die Pflegekräfte ja meinem Vater nicht verbieten, hier anzurufen. Seine alte Nummer haben wir einfach zu bestimmten Zeiten geblockt. Kann ich das der Einrichtung gegenüber auch wagen? Meine E-Mail-Adresse haben sie übrigens und sie wissen, dass sie mich darüber auch jetzt in dringenden Fällen erreichen können.


    Nun werde ich mich, mitten am Tag, noch ein wenig hinlegen. Das große Kind spielt mit dem Kleinen, eine Seltenheit. Am Montag habe ich den nächsten Arzttermin. Im Moment habe ich die vage Hoffnung, dass er sich doch noch umgewöhnt.

    Liebe Grüße an alle!

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