Reißleine gezogen

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  • Ich habe mit Interesse die Sterbeerfahrungen mitgelesen. Dafür danke an alle, die dies hier niedergeschrieben haben.


    Meine Schwiegermutter hat leider Angst nachts alleine zu sterben. Sie stirbt gefühlt schon seit elf Jahren. Und leider kann niemand jede Nacht wach neben ihrem Bett ausharren, ob es denn dann wirklich so ist. Sie macht einem aber regelmäßig ein schlechtes Gewissen mit ihrer Vorstellung.


    Vor elf Jahren ist sie noch nicht dement gewesen und sie hätte sich, ihrem Alter entsprechend und ihren Ängsten entsprechend, ein bisschen mit dem Thema befassen können. Ernst zu nehmende Dokumentationen oder Bücher ect. gibt es schon länger und das hätte ihr vielleicht einiges von der Angst nehmen können. Aber sie hat so gut wie alles, was mit ihr zu tun hat, abgelehnt.
    Die Mutter meiner Freundin ist zum Beispiel alleine gestorben, friedlich. Es ist ihr nur ein bisschen komisch gewesen an dem Tag. Genauso eine andere Bekannte von mir. Hinterher im Wachtraum ist meiner Freundin die Mutter begegnet und sie hat gesagt, es ist alles gut gewesen und es gefällt ihr da wo sie jetzt ist. Das kann man glauben oder nicht glauben, aber ich habe solches schon öfters gehört. Auch sehr individuelle Verabschiedungen.
    Aber da hört meine Schwiegermutter nicht hin.
    Ich finde das einfach nur belastend für sie und für mich.


    Liebe Grüße an alle

  • Liebe Hanne,


    es ist nun an der Zeit, mich bei Dir herzlich für Deine Antwort zu bedanken. Nun bin ich etwas zur Ruhe gekommen und lese, dass Du in der letzten Zeit eine stattliche Anzahl an Herausforderungen zu meistern hattest. Davor zolle ich Dir meinen großen Respekt!


    Ich bin sehr erleichtert, dass Du, Deine Gesundheit betreffend eine so gute Nachricht erhalten hast und es nun bergauf gehen wird.


    Durch die Demenz eines Angehörigen verliert man anfangs noch ganz schleichend den Blick für die eigene Person. Fürsorge und Mitgefühl kommen dann dem Familienmitglied zu, dass unserer Hilfe am meisten bedarf. Dass diese Wegstrecke sehr lang werden kann, darauf ist man nicht eingestellt. Das macht es eben so schwierig. Solange die eigene Kraft ausreicht, ist das alles zu schaffen. Ein Trugschluss, dem so viele hier ebenfalls erlegen sind.


    Die Belastungsgrenze ist umso schneller erreicht, wenn man das Ganze als Alleinstehene/er zu stemmen hat. Vorteil, niemanden grätscht einem rein, Nachteil, man ist eben mit allem allein. Sofern man sich keine Hilfe holt.


    Gestern ist bei mir nach einem langen Telefonat mit dem Pflegeheim, in das mein Stiefvater einzogen ist, ein Knoten geplatzt. Es war so beruhigend, zu hören, dass er zwar nach Hause möchte, jedoch Anschluss gefunden hat und alle Abläufe wie Essen, Tabletteneinnahme etc. wunder klappen. Meine Horrorvorstellung, er weine sich in den Schlaf und versuche sich das Leben zu nehmen, erwiesen sich als unbegründed. Hanne, Du schreibst: "Wie gut, dass ich auf mich gehört habe!" Ja, ich kann Dir aus vollem Herzen zustimmen. Es war richtig mich trotz Kontaktsperre im Heim zu melden und mich nach ihm zu erkundigen. Es hat mir eine so große Last von den Schultern genommen, dass die Schwester mir erklärte, dass er doch sehr in der Zeit und in seiner Person desorientiert ist und einen starken Drang zum Weglaufen zeigt. Endlich glaubt mir jemand und hilft ihm. Nur darum ging es mir.


    Nach diesem Telefonat setzte bei mir ein ScanDisk ein, mein Gehirn fing an aufzuräumen und tut es immer noch... Diese Klarheit, die dabei zu Tage gefördert wird ist so wertvoll für mich. Plötzlich finden sich die so verzweifelt gesuchten Antworten auf unendlich viele Fragen. Zusammenhänge werden verständlich und ich kann endlich Frieden schließen, mit meinem Stiefvater, aber auch mit mir.


    Allen, die mich in den letzten Monaten so hilfreich unterstützt und aufgefangen habe, danke ich von Herzen. Bitte nehmt es mir nicht übel, dass ich Euch nicht immer auf Eure Nachricht geantwortet habe. Ich war total überfordert.


    Nun bin ich glücklich und dankbar, dass ich so langsam wieder zu meinem Leben zurückfinde. Gleich einem Haus, das zusammengestürzt ist, trage ich nun sämtliche Trümmerteile Stück für Stück ab und fühle mich immer leichter dabei.


    Herzlichst


    Elisabetha

    • Offizieller Beitrag

    Hallo in die Runde, auch ich möchte noch einige Gedanken beitragen, zunächst zur Ihrem Beitrag Elisabetha.


    Es ist super, dass Sie diese Erfahrung machen konnten und die Mitarbeiterin mit ihrem Verständnis und ihrer Einschätzung den "Hirnscan" ausgelöst hat - ein wunderbares Bild. Bitte denken Sie immer daran: Ihr Stiefvater ist schwer krank, er braucht den Schutz durch den Abstand, damit nichts Schlimmes passiert. Aber er darf Sehnsucht nach seiner Frau haben und sie darf ihn vermissen! Ich wünsche Ihnen sehr, dass die Erfahrung aus dem wertvollen Telefonat Ihnen immer dann hilft, wenn die alten Gefühle sie überwältigen wollen. Dann wird es zum inneren Stoppschild. Und ich werde Pflegekräften davon berichten, wie wertvoll ein solches persönliches Gespräch sein kann, darf ich dabei Ihr Bild verwenden?


    Zu dem anderen großen Thema in Ihren Beiträgen möchte nur kurz etwas hinzufügen - viele Erfahrungen habe ich schon an andereren Stellen im Forum ausführlicher mitgeteilt.


    Wenn ich Angehörige ermutige, in der letzten Stunde dabei zu sein, weise ich - so wie Ihre bewegenden Erfahrungen auch zeigen - immer darauf hin, dass es m.E. die letzte willentliche Entscheidung im Leben ist, allein zu sterben oder im Beisein. Zu oft habe ich es erlebt, dass Sterbende in einer kurzen Pause der Sterbebegleitungen friedlich gegangen sind. Im Nachherein passte es immer zu dem Menschen, wie wir ihn vor und in der Demenz erlebt haben. Die vielen Berichte der Nahtoderfahrungen machen mir die Vorstellung leichter, dass eine Lebensrevue, der Weg in ein Licht und die innere Begegnung mit geliebten Personen eine Erfahrung sein kann, die nicht durch das verzweifelte Festhalten der Angehörigen gestört werden sollte. Mit empirischer Wissenschaft wird es wohl nie beweisbar sein, aber es ist hilfreich, also ist es richtig ... gut.
    Übrigens: Pflegekräfte, die selbst keine Angst vor dem Sterben haben, berichten mir fast nie von schweren Todeskämpfen...


    Für die Sterbebegleitung werden in Einrichtungen Ausnahmen der strengen Besuchsregelungen gemacht, insofern können Sie, Andydreas auf Ihre innere Stimme hören und ab und zu Ihre Mutter besuchen, wenn Sie dann loslassen will, ist das wohl ihre tiefe innere Entscheidung. Wenn Sie den Weg allein geht auch - als "Eigenbrödlerin" würde ich das sogar erwarten.
    Ich sage häufiger: Es ist eine besondere Ehre, eine tiefe Erfahrung und ein hohes Vertrauen, wenn wir im Zeitpunkt des Todes dabei sein dürfen. Es ist keine Pflicht.
    Ihr Martin Hamborg

  • Kurze Frage.
    Das Heim und ich rätseln, warum meine Mutter seit ein paar Wochen Essen und Trinken weitestgehend ablehnt.
    Ich habe hier im Forum mal gelesen, dass in der Endphase der Demenz erhebliche Schluckproleme auftreten. Kann das der Grund sein? Gibt es ein Mittel dagegen?
















    e

  • Hallo Andydreas,
    ich habe folgenden m.E. informativen Link zu der Problematik "Schluckstörung bei Demenz" gefunden.


    https://www.deutsche-alzheimer…toerungen-bei-demenz.html


    Also bei jüngeren Menschen mit entspr. Lebenswillen könnte man logopädisch behandeln.


    Möglicherweise hat deine Mutter aufgrund von Schwäche einfach keinen Appetit und weniger Durstgefühl mehr... Ehrlich gesagt, wenn ich die schwer dementen Menschen im Altenheim so sehe, würde ich persönlich nichts mehr zum Aufpäppeln tun. Wenn jemand noch wirklich Lebenswillen hat, kann man sogen. Astronautennahrung geben, die aber ja wiederum auch geschluckt werden muss.
    Hast du ein Gefühl dazu, wie es bei deiner Mutter damit aussieht?


    Liebe Grüße
    Rose

  • Hallo Andydreas,
    ich habe ja auch schon öfter zu dem Thema geschrieben. Bei meiner Mutter war es eigentlich ziemlich klar: sie konnte zwar nicht mehr sprechen, aber sie hat den Mund zugekniffen oder den Kopf beiseite gedreht, wenn man ihr etwas anreichen wollte. Sie WOLLTE wirklich nichts mehr essen und zum Schluss auch nichts mehr trinken. Das haben wir akzeptiert. Eine PEG hat sie nicht bekommen, da sie das nie gewollt hätte, und wie Hanne schon schrieb: wozu eigentlich aufpäppeln?
    Anders sieht die Lage aus, wenn Ihre Frau Mutter essen will, aber nicht kann. Gründe können sein: Schluckstörung, Schmerzen (Entzündungen im Mund, Magenschmerzen, Schmerzen allgemein), schlechtsitzende Prothese. Da muss man genau beobachten und versuchen, das auszuschließen. Bei meiner Mutter hat der Arzt auch ein Schmerzmittel "auf Probe" gegeben, um zu sehen, ob es besser wird. Wurde es bei ihr nicht.
    Als es zu Ende ging, haben wir die Schleimhäute im Mund mit einer speziellen Lösung und mit einer Zuckerlösung (weil sie gerne Süßes mochte) immer wieder befeuchtet. Außerdem haben wir die Lippen eingecremt. Wie gesagt, sie ist ganz friedlich gestorben.

  • Guten Abend, sehr geehrter Herr Hamborg,


    gerade lese ich die aktuellen Beiträge und entdecke Ihr Feedback. Es würde mich aufrichtig freuen, wenn Sie den Pflegekräften berichten würden, welche Bedeutung ein Telefonat für einen Angehörigen gewinnen kann.


    Ich bin dieser Schwester so dankbar, dass sie sich die Zeit für mich genommen und aufrichtiges Interesse an "unserer Geschichte" gezeigt hat. Während dieses Telefonats fühlte ich mich angenommen, entspannt und wohl. Keine Vorwürfe oder Belehrungen. Alles war gut. Diese junge Frau vermochte es, mich in eine Balance zu versetzen, ich hatte nicht mehr das Gefühl, mich rechtfertigen oder entschuldigen zu müssen. Wunderbar. Wenn ich mich als emotional gestresste und überforderte Angehörige mit Schuldgefühlen bereits nach wenigen Minuten so verstanden gefühlt habe, so ist die Vorstellung, dass es meinem Stiefvater ebenso ergeht, in seiner Erkrankung so verständnisvoll angenommen zu werden , sehr beruhigend. Viel mehr noch, ich freue mich von ganzen Herzen für ihn.


    Nun wird es für mich immer verständlicher, weshalb mich die Ärzte sehr vorsichtig darauf aufmerksam gemacht haben, dass mir als Angehörige im Umgang eines an Demenz erkrankten Patienten die entspreche Ausbildung und Erfahrung fehlt. Wie recht sie doch hatten. Niemand wollte mir zu nahe treten oder mich verletzen. Wie dankbar bin ich all jenen, die dennoch die Courage aufbrachten, mir die Wahrheit zu sagen. So konnte nun schlussendlich alles auf einen guten Weg gebracht werden.


    Die Erinnerung an dieses Telefonat macht mir dessen Tragweite erst in diesem Moment bewusst. Dies war nur durch Ihre Aufmerksamkeit und Antwort möglich. Ich danke Ihnen!


    Herzliche Grüße


    Elisabetha

  • Hallo Sonnenblümchen,
    danke für Dein Interesse an unserem Schicksal. Als ich den Notarzt gerufen habe und meine Mutter ins Krankenhaus kam ging ich von einem kurz bevorstehenden Ende aus. Inzwischen ist sie seit 2 Wochen im Heim. Das Heim arbeitet mit 2 Ärzten aus einer Gemeinschaftpraxis zusammen. Beide waren inzwischen bei meiner Mutter. Der erste Arzt hat Krankengymnastik verordnet und will erst mal abwarten.
    Gestern war wohl der andere Arzt kurz da. Er ist auch Palliativmediziner und hat gemeint, dass die Krankengymnastik bei meiner Mutter nach seiner Ansicht nichts mehr bringen würde und man auf palliative Massnahmen zurückgreifen solle und man ihr Morphium verabreichen solle. Er will sich aber vorher mit seinem Kollegen noch besprechen.
    Die Altenpflegerin ist jedoch anderer Meinung, da meine Mutter inzwischen wieder eigenständig trinktund isst. Sie ist zwar manchmal immer noch aggressiv, aber das wird sie wohl ohnehin beibehalten. Die Krankengymnastik wird fortgesetzt. Ich bin ja mal gespannt, ob ich da noch involviert werde.
    Da sie die 2 Wochen Quarantäne inzwischen hinter sich hat kann ich sie am Sonntag besuchen und werde das dann auch regelmäßig tun. Wir haben in den letzten Jahren so viel gemeinsam durchgemacht.
    Meine Hauptsorge ist zusätzlich die Wiederaufnahme meiner Arbeit, die Wohnungssuche, der Umzug und die Wohnungsauflösung.
    Aber das schaffe ich auch irgendwie.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Andydreas, es freut mich, dass Sie nun miterleben dürfen, wie viele Gedanken sich die Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte machen. So hat Ihre Mutter eine gute Chance, sich ganz in ihrer Demenz für den einen oder anderen Weg zu "entscheiden" und wird dann - je nach dem von dem einen oder anderen Arzt begleitet. Und Sie müssen für all das nicht mehr kämpfen, sondern können interessiert Anteil nehmen und mit ganz viel neuer Lebenserfahrung die nächsten Schritte gehen. Alles Gute dabei!


    Hallo Elisabetha, ich werde Ihre Erfahrung noch in das Manuskript meines neuen Buches einfügen, in der Hoffnung, dass sich Pflegekräfte die Zeit für Gespräche nehmen, in dem sie Angehörigen ernstnehmen und die besondere Situation respektieren.
    Weil - es wird ganz viel Zeit in Rechtfertigungen, unglücklichem Beschwerdemanagement und Kontroll- und Dokumentations"wahn" vergeudet, indem die Pflegekräfte sich gerade nicht als selbstwirksam erleben.


    Wertschätzung und die differenzierte Rückmeldung, dass etwas wirklich gut gemacht wurde, ist Mangelware und politisch noch nicht einmal gewollt. Dies wird deutlich an der besten Bewertung, die ein Heim in den neuen - strengeren MDK-Prüfungen erhalten kann: Es gibt jetzt keine Note "1" sondern nur noch "keine oder geringe Qualitätsdefizite" als beste Bewertung. In diesem Denksystem ist der höchste "Erfolg" der Pflegekräfte, dass sie Fehler oder Gewalt vermeiden konnten - eine schlimme Wirkung auf das Selbstwirksamkeitserleben!


    Ich habe diesen kleinen Ausflug gemacht, weil die gezielte Rückmeldung und Dank ankommt. In manchen Stationszimmern hängen vergilbende Postarten als Symbol dafür. Deshalb, wenn Sie eine passende Karte finden und Ihre Erfahrung mitteilen, kann das eine große Wirkung haben! Die passenden Worte werden Sie sicher finden.
    Damit möchte ich kein Appell an eine allgemeine Dankbarkeitspflicht im Sinne des zeitweisen Balkonklatschens machen. Balsam für die Seele ist es, wenn die Selbstwirksamkeit erkannt und zurückgemeldet wird.
    Ihr Martin Hamborg

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