Hilfe planen ohne Einsicht

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  • Hallo an alle Interessierten, vielleicht hat jemand einen Rat für uns?


    Unsere Mutter lebt allein mit fortschreitender Demenz in ihrer Wohnung. Sie kann wegen Fußschäden kaum noch gehen und sich auch wegen ausfallendem Gedächntnis nicht mehr selber versorgen. Sie hat zum Glück jeden Tag punktuelle Unterstützung durch Nachbarn, eine ambulante Pflegerin für die Tablettengabe und Essen auf Rädern und am Wochenende länger von uns auswärtig berufstätigen 4 Geschwistern im Wechsel. Aber sie wird bald kontinuierlichere Hilfe brauchen. Vor kurzem mussten wir den Herd abklemmen, weil sie mehrfach kochendes Essen vergessen hatte. Sie beharrt aber wie seit eh und je darauf, dass sie allein bestens durch den Alltag kommt, und lässt sich weder von Famile noch von Ärzten hineinreden.


    Wir Geschwister glauben, eine Betreuerin aus dem Ausland, die in der Wohnung wohnen würde, könnte das Leben unserer Mutter nochmal besser und vor allem sicherer machen. Aber jetzt sind wir in der Zwickmühle: Sprechen wir diesen Plan an, dann wird sie ihn aller Erfahrung nach erst ablehnen und dann sofort vergessen. Lassen wir die Betreuerin auf gut Glück anreisen und stellen sie ihr vor, könnte es gut sein, dass diese neue Hilfe akzeptiert wird so wie kleinere zuvor. Aber soll man das über ihren Kopf eines Menschen hinweg machen und auch der Betreuerin zumuten, dass es schiefgehen kann? Hier lässt mich meine Lebenserfahrung ein bisschen im Stich. Ich meine aus anderen Beiträgen hier die Empfehlung herauszulesen, dass Betroffene selber die Erfahrung machen müssen, dass es ohne Hilfe nicht geht, und man es ihnen nicht ersparen kann.


    Wer kann von der Bewältigung ähnlicher Situationen berichten?


    Danke an alle fürs Lesen.

  • Guten Abend, grüneslicht,


    wenn Sie und Ihre Geschwister die Sache nicht zu optimistisch angehen und von Ihrer Mutter nicht zu viel Kooperation erwarten, könnte es einen Versuch wert sein.
    Wie viel Einsatz und Hilfe bei der Eingewöhnung könnten Sie denn gemeinsam leisten?


    Nach meiner Erfahrung ist die Situation auch mit einer Betreuungskraft im Hause für alle drei Seiten eine Belastung: Meine Mutter leidet unter den "Eindringling" und unter dem Gefühl, bevormundet zu werden; die Betreuungskraft unter dem Stress, immer wieder auch abgelehnt zu werden, und ich unter dem Druck, doch ständig weiter gefordert zu sein bei Konflikten und der Organisation vieler Alltagsdinge.
    Trotzdem: Die Alternativen werden bald auch sehr belastend werden, und wenn man weiß, dass es DIE richtige Option sowieso nicht geben kann bei dieser Krankheit, ist der Schritt zu einer häuslichen Betreuung zwar bestimmt ein einschneidendes Erlebnis für Ihre Mutter und auch für Sie als Kinder, aber letztlich doch auch eine echte Möglichkeit, Ihrer Mutter noch Zeit zuhause zu geben, in der sich jemand auf ihre Bedürfnisse und ihren Rhythmus einstellen kann, ohne Zeitdruck und ohne die "Konkurrenz" anderer Bewohner oder Kunden - das ist viel wert, und letztlich spielen die meisten von uns doch auf Zeit, in der es noch irgendwie gutgeht...


    Wäre es denn denkbar, dass von Ihnen und Ihren Geschwistern zu Anfang jede*r ein paar Urlaubstage reinsteckt, um bereit zu sein, wenn es zu Protest, Angst und Verunsicherung kommt?
    Das ist, glaube ich, schon sehr wichtig, denn es kann im Anfang sehr schockierend sein für Ihre Mutter, wenn diese fremde Dame dann abends einfach nicht mehr geht.


    Die Damen sind nach meiner Erfahrung wirklich geduldig, freundlich und hilfsbereit (und ehrlich) gewesen; nur die Illusion von der neuen besten Freundin sollte man sich besser sparen, dann werden Sie Ihrer Mutter und den Damen eher gerecht.


    Und wenn die Damen einigermaßen erfahren sind und etwas Deutsch können, haben sie es nicht schwer, woanders eine neue Stelle zu finden, wenn es ihnen bei Ihrer Mutter nicht passt oder wenn in der eigenen Familie etwas Schlimmes los ist; das kenne ich aus Erfahrung;-)
    Sie müssen schon ein paar Urlaubstage pro Jahr für die Notfälle übrig behalten.


    Kurzum: Die Erleichterung, die ich mir damals vor drei Jahren erhofft hatte, bringt eine häusliche Betreuung bei einer eher auf ihre Eigenständigkeit bedachten, etwas extravaganten Persönlichkeit nicht, aber doch sehr, sehr viel Erleichterung, wenn man eine gute Agentur hat.


    Sie werden trotzdem "ranmüssen" - seelisch und in der Organisation und Moderation - aber Sie nehmen vielleicht einen Einschnitt vorweg, der sonst später in drastischerer Form sowieso bevorsteht (Heim unter Corona -Bedingungen oder Unfall etc.), und erhalten Ihrer Mutter noch viel Gewohntes. Und die Damen, die bei meiner Mutter wohnen, sind schon auch gute Beobachterinnen. Wenn die Demenz schlimmer wird, kriegen Sie,wenn Sie berufstätig sind, viele Schwächen Ihrer Mutter einfach nicht mehr mit, wenn Sie abends oder am WE kommen; die Damen kennen den Alltag meiner alten Frau Mama schon ziemlich gut - manchmal besser als ich, obwohl ich meiner freien Zeit viel bei ihr bin.


    Ich fluche jeden Tag mindestens dreimal, aber ich würde es auf jeden Fall wieder so machen.
    Pflegedienst zu Medigabe ist übrigens etwas, das ich beibehalten würde. Dann hat man, wenn es nicht klappt, immerhin schon einen Fuß in der Tür.


    Es klingt brutal, ist aber nicht so gemeint: Bei Demenz wird sich Vieles,was Sie tun, falsch anfühlen. Die häusliche Betreuung kann, wenn es für alle Seiten einigermaßen auszuhalten ist, meiner Meinung nach ein nicht ganz so falscher Weg sein.


    Viel Erfolg, starke Nerven und das nötige Glück bei der Suche nach einer Betreuungskraft wünscht


    Fragnichtwarum

  • ... und vielleicht zur Info noch:
    Auch meine Mutter hat zwar damals nach stundenlangem Belabern einmal "wenn's nicht anders geht" gesagt, war dann aber, als es so weit war, total dagegen. Irgendwann ist ein dementer Mensch auch nicht mehr in der Lage, im eigenen Interesse Kompromisse zu machen...

  • Für die erste Eingewöhnng einer Betreuerin in der Wohnung haben wir uns schon Zeitreserven freigeräumt. Den späteren Zeit- und Kraftaufwand für die begleitende Unterstützung, Betreuerinnenwechsel, ergänzende Mitbetreuung und so hatten wir bisher wohl unterschätzt.

  • Hier habe auch ich interessiert mitgelesen.


    Fragnichtwarum, ich suche eventuell neben einem Heimplatz, auch eine passende Agentur. Welche können Sie ihrer bisherigen Erfahrung nach, empfehlen?


    Ich habe es bei einer versucht, die auch einen Nachbarn von meiner Schwiegermutter betreut hat. Aber da war dann so vieles auch im Umbruch gewesen, so dass ich nie eine Antwort erhalten habe.


    Über einen Tipp würde ich mich freuen.


    Liebe Grüße in die Runde

  • Liebe Teuteburger,


    Jetzt habe ich nicht ganz im Kopf, ob es Ihre Schwiegermutter ist, die bereits stundenweise Betreuerinnen bei sich hat (lese auch viel heimlich mit, bin aber oft auch durcheinander, wer in der Runde mit welchem Kummer zu kämpfen hat). Vielleicht würde es Ihrer Schwiegermutter damit ein klein wenig leichter fallen, sich an ein unfreiwilliges Mehr an Betreuung zu gewöhnen?


    @ grüneslicht: Das Abwarten, bis Ihre Mutter komplett in einer Sackgasse steckt, von dem manchmal die Rede ist, scheint mir eher eine traurige, kräftezehrende Ultima Ratio zu sein, wenn schon viele andere Versuche zu helfen fehlgeschlagen sind. Ob dann wirklich ein Nachgeben oder Einsicht zu erwarten sind oder einfach nur Verzweiflung und Erschöpfung für alle Beteiligten, sodass jede Lösung dann als Erleichterung empfunden wird, kann ich auch nur vermuten.


    Der Punkt, an dem Sie oder jemand anderes Ihrer Mutter etwas aufdrängen müssen, das sie nicht möchte, wird bestimmt irgendwann kommen - die Wünsche eines Menschen mit Demenz sind irgendwann bei aller Liebe nicht mehr ganz zu erfüllen, weil sie oft auf Fehleinschätzungen der eigenen Situation beruhen.


    Sie werden sich vielleicht mehr grämen, wenn Sie eine Kompromisslösung gar nicht versucht haben, als wenn ein Versuch, den Sie gemacht haben, vielleicht doch nicht klappen sollte.


    Alte Mütter müssen nicht mit allem nach drei Stunden einverstanden sein, was das Leben ihnen und ihrem wirren Kopf zumutet; das ist total verständlich, finde ich.
    Aber einen großen Kladderadatsch vielleicht vorerst zu vermeiden, das ist ein echter Gefallen, den man ihnen vielleicht tun kann.


    Viel Geduld und viele Grüße


    Fragnichtwarum

  • Fragnichtwarum,


    danke für den Link. Die Seite gefällt mir gut, besser als alles, was ich vorher zum Thema gelesen habe.


    Hier haben auch die Pflegerinnen ihre Rechte und das finde ich richtig.


    Liebe Grüße

    • Offizieller Beitrag

    Hallo grünes Licht, die vielen wertvollen Anregungen möchte ich nur durch zwei Gedanken ergänzen: Oft ist das subjektive Gefühl, alles noch selbst zu können ein guter Selbstschutz infolge der Demenz. Ich versuche das immer zu validieren mit: Ja Du hast immer alles sehr gut hinbekommen. Da hat man auch mal Hilfe verdient...
    Je weniger die Einsicht da ist und je mehr das Vergessen zunimmt, umso problematische ist es zu diskutieren und Einsicht zu erwarten oder darauf zu hoffen.


    Vielleicht nimmt Ihre Mutter die Hilfe eher an, wenn Sie alle sagen: Frau XY ist gerade zu Besuch, dafür hilft sie ein bisschen im Haus.
    Ihnen viel Erfolg, Ihr Martin Hamborg

  • Noch einmal vielen Dank, wir starten erstmal zuversichtlich am kommenden Donnerstag mit unserer ständigen Betreuerin ... sofern dabei nicht alles schiefgeht.


    Ich melde mich mit Bericht!

  • Hello allerseits, wer sich für unseren Fall interessiert hat: Ich kann einen Zwischenbericht geben.


    Vieles ist erstmal schiefgegangen, aber wir werden sehen ... Unsere Vermittlungsagentur hatte uns schnell eine sehr nette und die Situation gut erfassende Betreuerin aus Polen vermittelt, ein wenig ähnlich der erfahrenen Demenz-Helferin in der kürzlich ausgestrahlten "37°" Fernsehreportage. Unsere Kandidatin traf vor 10 Tagen im Haus unserer Mutter ein, wo alles vorbereitet war – außer eben unserer Mutter. Wir haben dann den Fehler gemacht, zu schnell die Karten offen zu legen, dass die Dame als ständige Hilfe "für uns alle" eingestellt werden sollte. Diesen Angriff auf die Kontrollhohheit hat meine Mutter mit allen Kräften abgewehrt, zum Glück weiter gewohnt höflich bleibend, aber sie hat sich jede Aktion in der Richtung schärfstens verbeten.


    Am nächsten Morgen - - - war der ganze Vorgang vergessen! Wir stellten die Betreuerin nun als "Besuch" vor (danke martinhamborg für die Anregung) und meine Mutter fing über den Tag schon an, sich an ihre neue Begleitung zu gewöhnen. Leider hatten wir da nur schon angesichts unseres Fehlschlags voreilig die Vermittlerin so sehr in Alarm versetzt, dass sie wiederum umgehend unsere gute Frau schon an eine weitere Familie vermittelt hatte. Wir mussten sie noch am selben Tag wieder abfahren lassen und können sie frühestens im Januar wieder buchen :-(


    Für die Wochen bis dahin und hoffentlich noch viele spätere haben wir uns direkt eine zweite vielversprechende Kandidatin vermitteln lassen – am kommenden Wochenende startet mit ihr nun der 2. Versuch bei unserer Mutter.


    Vielleicht hilft das jemandem, eine ähnliche Fehlschlagerfahrung zu umgehen :)


    Bis bald wieder, danke fürs Lesen

  • Guten Abend Grünes Licht,
    Ihre Geschichte ist ja wirklich ein Paradebeispiel dafür, dass man die Dinge langsam angehen lassen sollte und nicht zu vorschnell handeln......(wie ich es eben auch oft leider mache ).....
    danke für Ihren Bericht.


    liebe Grüße

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Grüneslicht, Ihre Erfahrung ist ein sehr schönes Beispiel dafür, dass wir mit der Demenz und nicht gegen sie arbeiten können und auf die schützende Kraft des Vergessens hoffen dürfen.


    Dabei spielen wir mit den offenen Karten der verdeckten Bedürfnisse: wir respektieren voll und ganz den Wunsch nach Autonomie und validieren ihn: "Du hast immer über Dein Leben bestimmt, das wissen wir und das schätzen wir an Dir". Das Vergessen ist nicht nur ein demenzbedingter Selbstschutz, der aktuelle Gedanke wird authentisch erlebt und hat in der subjektiven Wirklichkeit (zum Glück) mehr Kraft, als die manchmal erlebte Hilflosigkeit und Abhängigkeit. In den Situationen kann die Betreuungskraft immer wieder sagen kann: "Gut dass ich gerade da bin (und dann vergessen wir das mal)".


    Das alles ist kein Spiel und erst recht keine Lüge, denn Ihre Mutter rekonstruiert ihre (subjektive) Wahrheit aus Ihrem momentanen Erleben, so wie wir alle. Der einzige Unterschied, Ihre Mutter hat die selbstwerterschütternde Notwendigkeit von Hilfe wirklich in dem Gespräch vergessen und nicht "nur" verdrängt. Darin liegt auch der entscheidende Unterschied zur sogenannten Dissoziation, in der hochtraumatische Erlebnisse bewusst nicht mehr zugänglich sind, aber im Inneren eine starke Wirkung haben.


    Der Schutz des wirklichen Vergessens und die Kraft der Ablenkung, mit der das Vergessen verstärkt und stabilisiert werden kann, entsteht erst im Laufe der zunehmenden dementiellen Veränderung.


    Dieses Wissen schafft bei Angehörigen und Mitarbeiter*innen einen wichtigen inneren Abstand. Wenn wir es schaffen, immer wieder in die beobachtende Position zu gehen, gelingt es uns, den Menschen mit neuen Facetten kennenzulernen und damit eine stabile und wertvolle Beziehung zu gestalten.
    Dem Menschen die „Ehre“ zu geben, diese Dinge zu leben, die vor unserer Kinderzeit liegen, ist schon seit Urzeiten mit einer starken Verheißung verbunden.


    Am Reformationstag mag mir erlaubt sein, an das vierte Gebot zu erinnern. Wenn Du Vater und Mutter (auch in ihrer Vergesslichkeit und Verwirrtheit) ehrst, wirst Du lange leben auf Erden. Damit wurde den altersbedingten Veränderungen schon vor tausenden Jahren ein Sinn für die kommenden Generationen gegeben. (Der übrigens eine andere Kraft entfaltet, als religiöse Kulte, in denen diese soziale Herausforderung mehr aus Angst heraus gesteuert wurde, weil die Ahnen Schicksalsschläge und Katastrophen schicken können.)


    Ich hoffe, ich habe Ihre Erfahrung jetzt nicht philosophisch überinterpretiert – nur weil ich diese Gedanken in ihrer Wirkung so oft so kraftvoll erleben durfte.
    Viel Erfolg beim nächsten Versuch, Ihr Martin Hamborg

  • Hallo, viele Grüße an alle

    Wir haben jetzt die ersten vier Monate Erfahrung mit ständig bei unserer Mutter wohnenden Betreuerinnen aus Polen, von einer deutschen Agentur vermittelt. Da kam schon einiges zusammen, was wir erlebt haben. Trotz anhaltende Widerstände bei unserer Mutter geht es weiter. Ich werde demnächst ausführlich berichten, am besten wohl in einem neuen Post speziell dafür. Bitte dort nachsehen, falls ihr interessiert seid. Bis dann, viel Glück euch allen beim Kümmern um eure Angehörigen (und euch selbst).

  • Hallo Grünes Licht,


    danke, dass du wieder hier schreibst. Mich würde es sehr interessieren wie es mit einer polnischen Pflegekraft läuft.


    Liebe Grüße an Dich

  • Hallo Teuteburger, tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, ich hab dafür jetzt ein neues Thema "Erfahrungen mit Betreuerinnen aus Polen" eröffnet. Liebe Grüße auch von mir!

  • Mein persönlicher Tipp für den Herd: Habe einfach einen Induktionsherd angeschafft. Perfekt! Jetzt kann nichts mehr brennen und der schaltet sich im Zweifel auch mit Kochtopf drauf ab...Vielleicht reicht dem einen oder anderen ja auch eine einzelne Induktionsplatte, um noch was köcheln zu können. War in jedem Fall billiger als ein "Herdwächter" oder ein Brand...;-)

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