Wie geht es Euch? Thread IV

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  • Liebe Rose60 -


    ich drücke Dir die Daumen, dass Corona für Deine Mutter bald komplett vergessen ist und sie die vertraute Umgebung wieder schätzt. Meine Mutter meint auch häufig, dass sie nicht mehr leben will, aber sie ist körperlich noch fit und daher kann sie noch Jahre leben - man weiß es nicht. Ich lerne gerade, alles bei ihr so zu nehmen, wie es kommt. Mehr können wir alle nicht machen.


    Liebe Grüße & ein sonniges Wochenende,

    TanjaS

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Sohn83, eine solche Enttäuschung kann die stärksten Männer und Frauen umhauen und ich will allen Mut machen, Ärger, Verzweiflung und Verletzung hier mitzu-teilen und damit einbisschen loszulassen.

    Natürlich hätte ich Ihnen gewünscht, dass Ihre Schwester sagt: "Das Wochenende traue ich mir gerade nicht zu, aber ich möchte Dir diesen Wunsch erfüllen und dies erstmal einige Nachmittage ausprobieren, damit Du Dich entspannen kannst..."


    Ihr Wunsch nach einer Auszeit zeigt, dass Sie diese brauchen und zulassen können, "verdient" haben Sie es allemal!

    Vielleicht war Ihr Geburtstag - herzlichen Glückwunsch - ein not-wendender Wendepunkt. Ich wünsche Ihnen jedenfalls, dass Sie eine gute Möglichkeit für Ihre Auszeit finden und "schenke" Ihnen folgende Tipps:


    1. Ihr Vater hat schon längst ein Recht auf Kurzzeitpflege. Kennen Sie schon die Einrichtungen in der Nähe, gibt es eine, wo Sie ihn für eine "Kur" sehen? Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Schwester dann den Kontakt hält, aufbaut und verantwortlich ist - zumindest einige Tage...


    2. Jetzt wo wir absehbar einen anderen Umgang in der Pandemie finden, kann ich mir vorstellen, dass es wieder Urlaubsfahrten für Menschen mit Demenz und ihren Anfgehörigen gibt. Die regionale Alzheimergesellschaft sollte das wissen. Gerade kam mir das Bild, wie es wäre, wenn sich zu einem solchen Termin andere aus diesem Forum anmelden und kennenlernen würden...


    3. Wir haben in Deutschland auch einige passende "Kurangebote". Dr. Barbara Romero hat in Bad Aibling Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige und Menschen mit Demenz aufgebaut. In Ratzeburg gibt es dafür in der

    Röpersbergklinik die "Reha mit Begleitung". Weitere Möglichkeiten kann Ihnen sicher die Deutsche Alzheimer Gesellschaft oder Demenzsupport Stuttgart sagen.


    Ihnen einen guten Start im neuen Lebensjahr und prima, dass wir nun alle wieder etwas Entspannung in Garten und Natur finden können. Ihr Martin Hamborg

    • Offizieller Beitrag

    Hallo TanjaS, haben Sie eine Erklärung für diese "Verschwörungsphase" bei Ihrer Mutter?


    Manchmal steht das Prinzip der "Projektion" dahinter, die eigenen Gefühle des Versagens oder der "Einsicht" in die schwierige Lage werden auf andere übertragen. Dies ist wieder so ein Selbstschutz in der Demenz. Es kann auch in ein wahnhaftes Erleben abgeleiten, nach dem Motto: "Die anderen machen oder sprechen das aus, was ich eigentlich tief im Inneren mit mir selbst gerade mache.."


    Ich versuche dann kleine goldene Brücken zu bauen, bedanke mich für das Vertrauen und frage, ob sie manchmal selbst schon den Gedanken haben könnte, dass es nicht mehr so geht wie früher und Hilfe nötig würde...


    Für Ihr Hilfenetz wäre dann vielleicht eine Erkenntnis: Je größer das Misstrauen und Gerede über andere, umso größer ist - paradoxerweise - das Bedürfnis nach Vertrauen und Geborgenheit. Das ist nicht logisch sondern psychologisch...

    Früher gab es übrigens auch im Rahmen der beginnenden Demenz den Begriff "Kontaktmangelparanoid" und oft habe ich erlebt, wie die Vereinsamung dazu führte, dass genau die Menschen aus dem helfenden Umfeld negativ in ein Wahngebäude platziert wurden.

    Ihnen viel Erfolg in den eigenen Auszeiten und beim Netzwerken für Ihre Mutter, Ihr Martin Hamborg

  • Hallo Herr Hamborg -


    ich habe leider keine Erklärung für diese "Verschwörungsideen". Sie sind auch nicht immer gleich. Momentan fokussieren sie darauf, dass ihre Bekannten, die sie mit zum Gottesdienst nehmen, sie mobben. Bei den beiden Nachbarinnen sagt sie dies schon seit längerer Zeit, aber es kommt immer nur hoch, wenn beide auf der Wiese vor dem Haus sitzen. Dann halte ich auch immer zu "den anderen". Sie hat aber auch schonmal gesagt, dass Jugendliche aus ihrer Kirchengemeinde vor ihrem Haus waren und sie nicht haben rausgehen lassen. Die Geschichten werden immer wilder, je öfter sie sie mir erzählt. Mittlerweile haben die Jugendlichen Steine auf die Hauswand geworfen. Es dauert auch immer länger, bis ich sie dann beruhigen kann. Anfangs klappte es mit einem einzigen Telefonat, mittlerweile habe ich seit gestern Mittag mehrere Telefonate gebraucht, bis sie jetzt wieder einigermaßen okay ist. Heute wollte noch einer ihrer Bekannten anrufen, ich hoffe, der Kontakt zeigt ihr, dass sie es gut mit meiner Mutter meint.

    Ein schönes Wochenende,

    TanjaS

  • Ich möchte mich für die vielen unterstützenden Worte bedanken. Mir ist da letzte Woche etwas der Boden weggebrochen. Diese Woche habe ich nochmals das Gespräch mit meiner Schwester gesucht und weiß nun woran ich bin. Defacto kann ich keine größere Unterstützung erwarten weil sich meine Schwester voll und ganz ihren Kindern widmet.

    Dagegen kann und möchte ich nichts sagen. Ich kann viele ihrer Argumente nur zu gut nachvollziehen, da spielt auch viel mit rein das unsere Mutter früh und qualvoll gestorben ist (Schwester 20, ich 12) und sie selbst bereits mehrfach sehr schwer erkrankt ist.
    Bei so mancher Aussage musste ich trotzdem stark schlucken, z.b. das ihre Kinder (13 u 18) ihren Opa so in Erinnerung behalten sollen wie er war und nicht wie er jetzt ist. Das Gefühl das Demente nicht mehr als vollwertige und auch wertvolle Personen angesehen werden habe ich oft. Das durch die Blume aus der engsten Familie zu hören das schmerzt, aber machen kann ich halt nichts dageben. Durchscheinende Vorwürfe das ich ja selbst an der Situation schuld bin weil ich keine eigene Familie habe die mich entlastet, haben mich aber doch tief getroffen.
    Das ich in der Geschichte der böse bin, damit muss ich leben und mich mit der Situation endlich mal abfinden.

    Ich mache aktuell viele (leider erfolglose) Achtsamkeitsübungen um das Thema innerlich loslassen zu können auch weil mein (nicht gerade überentwickeltes) Selbtwertgefühl doch einen ziemlichen Knacks abbekommen hat.

    Ich hoffe das das Corona Thema wieder etwas verschwindet und es wieder leichter wird externe Angebote zur Entlastung warzunehmen. Ich habe bereits Flyer hier und werde auch noch eine weitere Pflegeberatung aufsuchen. Leider sind Wochenendangebote hier im ländlichen Raum sehr sehr dünn gesäht.

    Einmal editiert, zuletzt von Sohn83 ()

  • ich habe leider keine Erklärung für diese "Verschwörungsideen".

    Hallo TanjaS,


    diese Verschwörungsideen gehören einfach zur Krankheit und sind normal. Wenn du im Forum ließt wirst du das in der einen oder anderen Form bei sehr vielen Berichten finden. Bestohlen werden ist da auch ein gängiges "Motiv".
    Ich wünsche dir da viel Kraft.

  • Hallo Sohn 83,

    Den Ärger über die Argumentation deiner Schwester, deren Jugendliche Kinder den Opa als gesund in Erinnerung behalten sollen, kann ich gut nachvollziehen. Ich bin der Meinung, dass man Jugendlichen durchaus so etwas zumuten kann, weil es einfach zum realen Leben dazu gehört. Wenn die Enkel allerdings selbst dies nicht wollen, muss man es akzeptieren. Man kann so oder so nichts erzwingen...

    Jeder kann und darf letztendlich seine Grenzen aufzeigen, nur sollte das nicht heißen, dass du nun dein Leben komplett aufgibst und/oder in den Problemen untergehst. Dafur ist es wirklich gut, wenn man etwas "gecoacht" wird durch entsprechende Berater . Das habe ich selbst auch gebraucht und hilfreich empfunden.

    Liebe Grüße

  • Durchscheinende Vorwürfe das ich ja selbst an der Situation schuld bin weil ich keine eigene Familie habe die mich entlastet, haben mich aber doch tief getroffen.

    Hallo Sohn83, diese Einstellung finde ich sonderbar, denn die eigene Familie bringt doch auch eigene Belastungen und entlastet nicht nur. Wenn ich Fürsorge für meine Kinder - und in gewisser Weise auch meinen Partner - habe, dabei Schwierigkeiten auftreten, dann belastet mich das zusätzlich zur Fürsorge um meine demente Angehörige.

    Dann muss ich meine Energien doch noch mehr teilen und mir bleibt vermutlich auch weniger Zeit für mich selbst und meine Auftankmöglichkeiten.


    Das siehst Du ja auch an Deiner Schwester: sie glaubt, Dir keine Entlastung mit dem Vater bieten zu können, weil sie sich voll und ganz ihren Kindern widmet - also sind die Kinder auf eine gewisse Weise auch eine Last (Aufgabe), die sie trägt und nicht etwa entlastend.

    Davon abgesehen, dass es inzwischen durchaus als falsch erkannt ist, Kindern Entwicklungen durch verändernde Krankheiten, wie z.B. Demenz vorzuenthalten, damit nimmt man ihnen das Kennenlernen und die Möglichkeit den Umgang zu lernen und sie werden viel schlechter verstehen, wenn sie irgendwann doch damit konfrontiert werden. Schlimmstenfalls stehen sie dann auch hilflos davor, wenn sie selbst als direkte Angehörige betroffen sind.

    Ebenso, wie man Kinder auch nicht von Toten fernhalten soll. (Ich arbeite in der Krisenintervention und da lernt man einiges in der Richtung).


    Nicht zuletzt halte ich es schlicht für falsch, jemandem "Schuld" zuzuweisen, weil er keine eigene Familie hat. Vielleicht war dieser Mensch auch nur zu klug, um sich auf "irgendeine Beziehung" einzulassen, in der er u.U. noch viel verlassener wäre, als gleich ohne zu bleiben.


    Du machst Deinen Teil gut, und wann immer Du wieder Schmerz o.ä. loswerden musst: hier hören wir Dir zu und alle können aus den Beschreibungen der anderen lernen, auch aus Deinen. Danke, dass Du mitschreibst.

  • Lieber Sohn83 -


    ich kann verstehen, dass die Reaktion Deiner Schwester Dich enttäuscht hat. Du hattest Dir ein wenig Entlastung für kurze Zeit erhofft und tust so viel für Deinen Vater, da war die Auszeit wirklich sehr verdient. Ich drück Dir die Daumen, dass Du noch zur verdienten Auszeit kommst.


    Und lieben Dank für den Hinweis, dass die Verschwörungsideen normal sind. Ich hatte im Forum gelesen, dass bestohlen werden eine gängige Idee ist, aber (noch) nichts über "Mobbing".


    Ganz viele Durchhaltevermögen!
    Viele Grüße

    TanjaS

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Sohn83, ich wünsche Ihnen sehr, dass sie bald zu Ihrem alten Selbstwertgefühl zurückfinden, gestärkt nach dem "Knacks", der ja das bestätigt hat, was Sie schon wußten. Darf ich Sie daran erinnern, wie viel Sie erreicht haben und welche neue und interessanten Dinge Sie selbstbewußt und erfolgreich ausprobieren? Vielleicht können Sie sich darin stärken, wenn Sie sich mit Ihren Erfahrungen in den Disukssionen der Alzheimer Gesellschaften einbringen.


    Den Kommentaren von Rose60 und Ecia25 kann ich mich nur anschließen. Die jetzige Generation beschäftigt sich wieder mit sehr unterschiedlichen Grenzen und vielfältigen Lebensmodellen und -erfahrungen und wo geht dies besser als in der eigenen Familie. Demenz ist schon lange kein Tabu mehr und aus vielen guten Gründen gehört es zum Lernstopp in der Schule oder im Konfirmandenunterricht. Richtig schlimm finde ich es, wenn Eltern ihre Kinder vor Lebenerfahrung schützen wollen und damit ein inneres Bild und Glaubenssätze mit vielen negativen Folgen aufbauen (Trauer erschweren, Ängste verstärken, Handlungsmöglichkeiten einschränken, Selbtstwert mindern, es den Jugendlichen nicht zutrauen, soziale Kompetenzentwicklung versagen usw.) Ich möchte Sie jetzt nicht gegen Ihre Schwester aufstacheln, aber vielleicht stärken Sie Ihre moralische Position, wenn Sie eine klare Haltung zu den Argumenten finden.

    Haben Sie schon Alternativen zur Entlastung prüfen können, die Kurzzeitpflege, Kur oder Reha?

    Ihnen alles Gute, Ihr Martin Hamborg

  • Ein Hallo in die Runde,


    bei mir ist privat so Vieles, was es zu verdauen gibt, so dass die beginnende Demenz meiner Mama noch eine kleinere Rolle spielt.


    sohn,


    es ist immer schwer, wenn man erfährt, dass das Leben und die Menschen anders sind, als die Vorstellungen, die man davon hat.


    Eine eigene Familie kann nur dann eine Entlastung sein, wenn alle einigermaßen gesund und belastbar durchs Leben kommen, mit den üblichen Einbrüchen, die in ein paar Tagen, Wochen vorbei sein können oder die, wenn sie von Dauer sind, einen nicht ganz vereinnahmen ect. Sobald aber ein/zwei Personen selbst körperlich und psychisch so stark betroffen sind, dass sie auch viel Zuwendung, Hilfe bedürfen und das über einen langen Zeitraum, dann sieht die Sache ganz anders aus.


    Ich komme aus einer Großfamilie. Die meisten kommen durchs Leben, aber die eigenen Belastungen sind hoch, so dass jede zusätzliche Aufgabe kaum machbar ist, bis auf gegenseitiges kurzfristiges Helfen und da sein in Notsituationen usw.


    Ich habe das Buch: Die magische Welt der Alzheimer gelesen. Da hat die Demenzkranke zwölf Kinder gehabt. Jeden Tag hat jemand anderes von ihnen bei ihr geschlafen. Ein/zwei hat sie aber wegen der Gestohlenenfantasie nicht mehr akzeptiert.

    Das ist natürlich ein Idealfall und trotz allem war es schwer, den Verfall der Mutter mitzuerleben, der recht klassisch verlaufen ist.


    Und wenn ich ehrlich bin, was Deine Schwester über ihre Kinder gesagt hat, dass kann zum Teil nachvollziehen, auch aus meiner damaligen kindlichen Sicht, die aber deshalb damals so gewesen ist, weil die Demenz damals in ihrem Charakter nicht erklärbar gewesen ist.


    Auch ich habe mich rückblickend manchmal unwohl mit meiner Oma gefühlt. Sie hat, ohne es zu wollen und ohne, dass wir es verstanden haben, vieles schlecht gemacht und uns als Absicht gegen sie unterstellt. Mir hat das oft weh getan, gerade weil niemand uns da etwas hat zu sagen können und meine Mutter eine still Leidende gewesen ist, die aber Halt in ihrem sehr verständnisvollen Partner gefunden hat. Sie hat aus allem versucht das Beste zu machen. Es ist ihr auch gelungen. Und ich bewundere sie, dass sie es trotz allem hinbekommen hat. Aber sie hat auch ihren Preis dafür bezahlt. Noch heute ist sie innerlich spürbar auf der Flucht, vor Umständen, die sie nur schwer ertragen kann, auch wenn sie sie dann doch anpackt. Es ist schwer zu beschreiben.


    Ich habe mir damals auch eher Menschen ausgesucht, von denen ich etwas lernen konnte, die mir was Schönes vom Leben haben mitgeben können. Mich haben solche geistigen Krankheiten, gefühlt vom eigenen Leben abgeschnitten. Ich konnte aber meiner Oma mit Taten hin und wieder helfen wie beim Strümpfe ausziehen, Essen bringen und wenn sie mal gefallen war, da war ich handlungsfähig gewesen. Das hat mir nichts ausgemacht, aber die geistige Ebene war mir fremd.


    Die Sache mit den Achtsamkeitsübungen kenne ich auch. Hat mir mal gut geholfen, bei leichteren Problemen ect. Aber in ganz schweren Situationen, da habe ich jetzt andere Methoden, die mir besser helfen. Aber das führt hier zu weit, darüber zu schreiben. Es ist auch oftmals eine Glaubensfrage, was man da so akzeptieren kann oder auch nicht akzeptieren kann. Ich habe da einige Bücher drüber gelesen, halte die östlichen Philosophien, auf denen die Achtsamkeitsübungen aufbauen, für unvollständig. Man kann aber ihre Hilfestellungen wie eine Art Pille benutzen und es hilft nachgewiesenermaßen vielen Menschen Ruhe zu finden. Aber nicht immer hilft die Pille, wenn die Symptome sich verändern. Mir haben dann eher uralte Serien die gewünschte Ablenkung gebracht.


    Ich wünsche Dir, dass du auch am Wochenende mal eine Entlastung für Dich finden kannst.


    Gerne schließe ich mich auch Herrn Hamburg an, dass man Kinder in eine Demenz mit einbeziehen sollte. Das machen doch einige Eltern in der heutigen Zeit. Da ist Gestaltung und Phantasie gefragt. Aber auch Eltern haben hier Defizite. Wenn die Schwester schon soviel erlebt und durchgemacht hat und wenn sie zusätzlich noch Kinder hat, dann haut sie kaum Zeit für sich selbst und auch kaum Zeit zu reflektieren. Das war bei meiner Mutter auch so gewesen. Vieles, was mit ihr zu tun hatte, musste sie verdrängen und ich löse heute noch so manches Traumata auf, was sie damals im Zusammenhang mit der Demenz ihrer Mutter nicht verstanden hat, weil sie es für Willkür, aber nicht als Folge der Krankheit angesehen hat.

    Ich würde der Schwester hier einerseits Verständnis entgegen bringen und ihr meine eigene Sicht trotzdem erklären. Kinder kommen, wenn man es ihnen erklärt meist mit einer Demenz zurecht. Und gerade bei Deinem Vater sehe ich doch viele Möglichkeiten mit ihm zusammen noch etwas gestalten zu können. Ich glaube, dass die Schwester hier viele (unbegründete) Ängste hat.

    Was ich aber gut verstehe ist, dass man erst einmal in ein tiefes Loch fällt, wenn man schon wieder alleine da steht. Ich habe da leider auch öfters zu hören bekommen, dass man mit dem und dem nicht umgehen kann. Ich weiß auch nicht wie manche es hinbekommen, sich dann einfach gar nicht mehr zu melden. Trotzdem habe ich dann irgendwann doch einen Dialog gesucht. Und ich hoffe für Dich, dass da noch etwas machbar ist.



    Liebe Grüße an alle Mitlesenden in der Runde

    • Offizieller Beitrag

    Hallo TanjaS, es ist nicht so einfach, den richtigen Umgang mit den "Mobbing- oder Verschwörungsgedanken" zu finden, denn je mehr diese zwanghaft oder wahnhaft werden, umso schwieriger wird es. Gegen einen ausgeprägten Wahn helfen zwar Medikamente, aber nur wenn sie regelmäßig genommen werden und nur zu oft lösen sie noch einen Vergiftungswahn aus.


    Deshalb möchte ich mich den Vorschlägen anschließen: Sie müssen die Themen nicht ausdiskutieren, im Gegenteil: Je weniger Ihre Mutter einsteigt und sich versteigt, desto besser. Manchmal helfen Formulierungen wie: "Gut dass Du mir das alles sagst und Vertrauen hast, jetzt weiß ich Bescheid, was Du denkst ... mir kannst Du so etwas sagen..." Diese Aussagen gehen von der Annahme aus, dass die hinter der Mitteilung die Bedürfnisse stehen, gehört zu werden, sich verbunden zu fühlen und nicht recht zu haben. Wenn Sie dann auf positive Gesprächsthemen ablenken können, um so besser.


    Bei einer möglichen Wahnentwicklung geht es darum die "ver-rückte" Einschätzung nicht abzuwerten, sondern "einfach" die eigene Realität dagegen zu stellen. Daraus ergeben sich dann Aussagen wie: "Ich habe verstanden, dass Du Dich gemobbt fühlst - ich sehe das anders, weil ... Unsere Mutter-Tochter-Beziehung ist stark und gut, dass wir unterschiedliche Meinungen haben können".

    Sie finden sicher Ihre eigenen Worte und vielleicht kleine Rituale oder Bilder der Verbundenheit zueinander - auch und gerade wenn Sie nicht bei Ihrer Mutter sind. Sie müssen auch nicht immer wieder neue Argumente suchen, zum einen helfen Rituale gegen die Vergesslichkeit, zum anderen stärkt die Wiederholung, nach dem Motto "Du weißt, dass ich immer sage..." oder "nimmst Du mir übel, wenn ich immer sage..."

    Ich bin gespannt, welche "Schlüsselsätze" Sie bei Ihrer Mutter finden.

    Ihr Martin Hamborg

  • Hallo Herr Hamborg -


    es ist wirklich schwierig, denn die einzelnen Verschwörungsideen ändern sich kontinuierlich. Ich war zwischen Palmsonntag und Ostermontag bei meiner Mutter und irgendwie scheint es momentan ein fixer Gedanke zu sein, dass ich bei einer ihrer Bekannten übernachte und viel dort bin - was definitiv nicht stimmt, ich ihr aber auch nicht ausreden kann. Die meisten Ideen kann ich allerdings abschwächen oder auf andere Themen umlenken. Wenn sie sich aber mal an irgendeiner Idee richtig "festgebissen" hat, kann es mittlerweile 1-2 Tage dauern, bis man sie auf andere Themen "umlenken" kann. Manche Themen vergisst sie nach einer Zeit komplett, andere tauchen dann in Variationen wieder auf. Ich habe aber bei meinem Besuch auch festgestellt, dass ihr manchmal Worte fehlen - dann kommt ein "Du weißt schon". Manchmal weiß ich dann nicht, was sie meint, aber ich versuche zu verstehen. Wenn das nicht klappt, wird sie auch schonmal aggressiv. Schauen wir mal, wie es weitergeht.

    Viele Grüße

    TanjaS

    • Offizieller Beitrag

    Hallo TanjS, eben habe ich noch mal Ihre alten Beiträge gelesen und den Eindruck bekommen, dass sich die "Wahnspannung" durch die Zunahme der Vergesslichkeit und durch andere Faktoren gelöst hat.


    Ich denke es ist Ihr Erfolg, weil Sie entspannter mit den Verschwörungstheorien umgehen und es Ihnen zunehmend gelingt, "einfach" nur die dahinterstehenden Bedürfnisse zu hören und zu trösten. Eine weitere Rolle spielt das soziale Netz, dass Sie sofort knüpfen konnten. So konnten Sie das beginnende "Kontaktmangelparanoid" verhindern. Dieser alte Fachbegriff macht deutlich, dass fehlende Kontakte durch Wahnvorstellungen ersetzt werden.


    Bei Ihrer Mutter hat sich kein Wahnsystem entwickelt, Sie haben es mit den "fixen Ideen" fachlich genau auf den Punkt gebracht. Bei der Pflegebegutachtung würde trotzdem das Kriterium "Wahn" im Modul 3, also bei den "Verhaltensweisen und Problemlagen" mit 5 Punkten zählen. Dort wird auch erfasst, wenn Menschen mit Demenz zeitweise in einer eigenen subjektiven oder wahnhaften Welt leben, ohne dass die diagnostischen Kriterien für einen "richtigen" Wahn erfüllt sind, der irreal, unbeeinflussbar und stabil sein muss.


    Vielleicht gelingt es Ihnen in absehbarer Zeit, dass Ihre Mutter gründlich ärztlich behandelt wird. Denn - trotzt Ihres Behandlungserfolges - entsteht immer wieder ein Wahndruck, bei dem körperliche Ursachen ausgeschlossen werden müssen. Am häufigsten ist dies eine Schilddrüsenüberfunktion bzw. eine Überdosierung von Schilddrüsenmedikamenten.


    Manchmal gelingt eine Blutabnahme, wenn wir daran glauben und wir mit aller Entschlossenheit sagen können "Ich weiß dass das wichtig ist und Du hast es mir neulich versprochen - ich bitte Dich Dein Wort zu halten ..." (Dies setzt natürlich voraus, dass wir einmal einen Moment der Einsicht herstellen konnten und damit erlebt haben, dass dieser mutmaßliche Wille zumindest in einem entspannten und einsichtigen Moment formuliert wurde.)


    Manchmal informiere ich auch ablehnende Menschen, dass eine unbehandelte Schilddrüsenerkrankung eine behandelbare Demenz auslösen kann. Dies Argument im richtigen Moment kann auch helfen.

    Zudem gilt: Wegen der zunehmenden Vergesslichkeit können und müssen wir unsere Meinung - manchmal sogar floskelhaft - so oft wie möglich wiederholen. Sie erinnern sich an den alten römischen Kriegstreiber, der mit dieser Floskel sogar den römischen Senat überzeugte, dass Carthago zerstört werden muss?

    Je mehr es Ihnen gelingt, dass Sie gelassen, kurz, am besten bevor sie sich hineinsteigert und mit liebevoll tröstendem Abstand auf Ihre Mutter reagieren, desto eher kann sie sich ganz aus dem beginnenden Kontaktmangelparanoid befreien. Wenn es kurzfristig schlimmer wird, ist dies eher ein Hinweis auf körperliche Ursachen oder Auslöser und weniger auf ein "falsches" Verhalten von Ihrer Seite!


    Das alles kann dauern aber Sie sind auf einem guten Weg und ich bin gespannt auf Ihre weiteren Berichte, Ihr Martin Hamborg

  • Hallo Herr Hamborg -


    bislang klappte es ganz gut, aber jetzt ist meine Mutter wieder einen "Schritt zurück" gegangen und ruft mich seit gestern wieder Dutzende Male am Tag an, mittlerweile gibt es zwei fixe Ideen: Entweder, ich wieder abgehauen, mittlerweile mache ich das mehrfach am Tag, was bei 700 km Entfernung nicht möglich ist, was sie aber leider nicht (mehr) versteht. Oder ihre Bekannte, mit der sie zur Kirche fährt, hält sie für bekloppt und hat ihr das auch gesagt. Letzteres glaube ich nicht, denn die Dame ist immer gut gelaunt und ganz reizend. Sie würde so etwas nie sagen. Insgesamt zermürben diese Telefonate in der Anzahl, den Vorwürfen und auch der Lautstärke - meine Mutter hört nicht mehr so gut und schreit dann. An dem Vorschlag, ein Hörgerät auszuprobieren, ist selbst mein Vater gescheitert. Aus ihrer Sicht hört sie perfekt (alle anderen nuscheln), genauso, wie sie sich perfekt an alles erinnert.


    Schilddrüse ist ein guter Tipp, sollte aber eigentlich nicht der Fall sein. Sie ist seit Jahren in Behandlung und ihr Arzt hat selbst mir vor einigen Jahren gesagt, dass sie ihre Tablette eigentlich gar nicht mehr braucht. Aber ein Blutbild wäre nicht schlecht. Wir sprechen gerade über die 2. Booster Impfung und dazu könnte ich sie zu einem Arztbesuch überreden.


    Bekannte von ihr schwärmen ihr vom betreuten Wohnen vor. Sie hatten sich vor Jahren dafür entschieden. Ich persönlich fände das eine wirklich gute Idee, meine Mutter verbindet dies aber mit "Altenheim" und "weggesperrt werden", obwohl ihre Bekannten noch sehr fit sind und ihr immer sagen, dass man dort Arbeit abgenommen bekommt, aber sonst ganz normal lebt. Heute meinte sie zum ersten Mal, dass sie das macht, wenn alle weiterhin so "gemein" zu ihr sind und sie "fertigmachen" wollen. Ich dränge sie natürlich nicht, das bewirkt immer das Gegenteil. Aber insgeheim drücke ich ein wenig die Daumen, dass sie es sich vielleicht überlegt.

    Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende,

    TanjaS

  • Heute meinte sie zum ersten Mal, dass sie das macht, wenn...

    Das finde ich faszinierend, denn vorgestern meinte meine Mutter im Gespräch auch so beiläufig, als sie wieder gestöhnt hatte, dass sie sich ja um alles kümmern muss und niemand ihr was in den Kühlschrank stellt, wenn sie es nicht ausdrücklich anfordert und ich darauf geantwortet hatte, dass sie sich im Heim um all das nicht kümmern müsse: Ach ja, wenn es wirklich nötig ist, dann gehe ich halt auch ins Heim.

    Dagegen hatte sie sich bis zu diesem Moment mit Händen und Füßen gesträubt - sie lebt mit bald 97 Jahren immer noch allein in ihrem Haus, fühlt sich von den ganzen Betreuern, deren täglich eine/r kommt, genervt und möchte natürlich am liebsten alles selbst können - ich glaubte, ich höre nicht recht.

    Allerdings bin ich mir bewusst, dass das eine Momentaufnahme sein könnte, es ist aber auch nicht auszuschließen, dass sie doch ihre Alltagstauglichkeit - natürlich "nur durch ihre Blindheit bedingt" doch schwinden fühlt und so mancher kleiner Luxus dadurch verloren geht.

    So ist jetzt der Mann einer Freundin gestorben, der ihr jeden Samstag vom selbstgebackenen Kuchen ein paar Stücke schicken ließ und "immer so nett mit ihr geblödelt hat", das vermisst sie aktiv - auch wenn sie meist nicht gerade weiß, welcher Tag ist. Aber der kleine Luxus Kuchen fehlt ihr doch.


    ...jetzt ist meine Mutter wieder einen "Schritt zurück" gegangen und ruft mich...

    Ja, auch diesen Wechsel der Entwicklungen kann ich bei meiner Mutter beobachten, manchmal wirkt sie deutlich klarer, wacher oder scheint etwas zu akzeptieren und ein paar Tage später ist alles wieder vorbei oder meist sogar schlimmer, als vor dieser kurzen scheinbaren Besserung.

    Und immer wieder schafft sie es beim Telefonieren zuerst einen sehr guten, wachen Eindruck zu machen, hört interessiert zu, stellt sinnvolle Fragen - wenn wir dann aber in der dritten Schleife mit denselben Fragen sind, dann weiß ich, dass sich nicht wirklich etwas zum Besseren verändert habe.


    Ich glaube, uns allen bleibt nur das Akzeptieren, Hinnehmen der Veränderung und letztlich unsere Angehörigen bei einem sehr langen, langsamen Sterben (v.a. des Gehirns) zu begleiten im Wissen, gut wird es nur noch durch das Ende.

    Jedenfalls erlebe ich es so.

  • Liebe ecia25 -


    ich war in dem Moment auch sehr erstaunt. Ihre Bekannten haben schon öfters sehr positiv vom betreuten Wohnen gesprochen, für meine Mutter war das was für alte Leute, die nicht mehr selbst für sich sorgen können. Die beiden Bekannten sind aber im gleichen Alter wie sie. Es ist auch bei meiner Mutter eine Momentaufnahme - morgen kann sie schon wieder anti-betreutes Wohnen sein. Aber es war das erste Mal, dass sie überhaupt über diese Möglichkeit sprach.


    Meine Erfahrung mit meiner Mutter sind ziemlich identisch mit der Deinen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Deiner Mutter das Stück Kuchen fehlt. So etwas behält man sicherlich im Kopf, weil es eine liebgewonnene Tradition war. Am Telefon merke ich meist direkt, ob es ihr gutgeht oder nicht. Wenn sie sich aggressiv meldet, weiß ich schon, dass das Telefonat nicht angenehm wird. Manchmal können wir aber auch ganz normal miteinander sprechen. Aber irgendwie gewöhnt man sich einigermaßen an beide "Versionen".


    Ich denke auch, dass Akzeptieren und Hinnehmen die beiden einzigen Möglichkeiten sind. Manchmal schalte ich aber auch den Flugmodus des Handys ein, wenn ich ein paar Stunden Ruhe möchte oder ich an Arbeitstagen einen Termin habe.


    Ein schönes Wochenende,
    TanjaS

  • Hallo Tanja, das finde ich völlig ok, wenn du dich vor den vielen Anrufen schützt. Wenn man keine Grenzen setzt, kann sich mit der Zeit ein Groll und eine innere Abwehr einschleichen und das ist auch nicht schön für die Beziehung. Mir wurde von Experten empfohlen, dass es besser ist, die Fäden selbst in der Hand zu halten, hat sich bewährt;)

    Liebe Grüße

  • Wenn man keine Grenzen setzt, kann sich mit der Zeit ein Groll und eine innere Abwehr einschleichen und das ist auch nicht schön für die Beziehung.

    Genau deshalb habe ich auch gelernt, ohne schlechtes Gewissen abzuwägen, wenn sie anruft, ob ich rangehe oder nicht. Oder ich kündige meinem Mann und unseren Kindern, falls sie zu Besuch da sind, an, dass ich heute oder in der nächsten Stunde nicht rangehen will, wenn sie anruft - damit niemand anderer das für mich tun will. Lediglich wenn er oder der Besuch selbst dann mit ihr reden will, dürfen sie das natürlich tun, aber ich bin dann beschäftigt und nicht zu sprechen.

    Seit ich das so durchhalte, fällt es mir sogar wieder leichter, bei ihren Anrufen abzunehmen, weil ich es nicht mehr als Pflicht oder Zwang sehe, sondern selbst frei entscheide, was für mich grade gut ist. Selbstschutz ist ungeheuer wichtig!

  • Manchmal schalte ich aber auch den Flugmodus des Handys ein

    Leider habe ich die Möglichkeit nicht, weil ich auch wegen der schweren Erkrankung eines meiner Söhne immer schnell erreichbar sein muss und es gibt noch ein paar weniger schöne familiäre Probleme, die das erfordern.

    Aber gerade auch deswegen ist es so wichtig, dass ich, wie oben beschrieben, wenigstens bezüglich der Mutter die Entscheidung selbst treffe.

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