Zwischen Lachen und Weinen, Hoffnung und Verzweiflung

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  • Liebe Forenmitglieder,


    nun betreue ich meine Mutter bereits seit etwas mehr als vier Jahren 24/7.

    Zu Beginn war ich schier verzweifelt, wusste nicht wie ich mit der Situationen fertig werden soll.

    Mit der Zeit habe ich mich an die Situation gewöhnt. Bei meiner Mutter kamen die Krankheitssymptome ungewöhnlich schnell und intensiv. Von einem Tag auf den anderen war sie bettlägerig, inkontinent und hilfebedürftig geworden.

    Erstaunlicherweise war ihr Gedächtnis zu keiner Zeit ohne grössere Ausfälle. Ihre Gedanken kreisten in den vergangen vier Jahren hauptsächlich um die Wahnidee vergiftet worden zu sein.

    Ansonsten interessierte sie nichts . Sie war sowohl am Tag als auch in der Nacht sehr schläfrig (ohne Medis), also hatte auch ich die Möglichkeit zumindest in der Nacht Ruhe zu finden.


    Vor zwei Wochen hat sich plötzlich alles verändert. Ihr Neurologe hat bei seinem jährlichen Hausbesuch meiner Mutter Aripiprazol 5 mg verschrieben -meine Mutter hatte ihm hat wiedereinmal von ihrer "Vergiftung" berichtet.


    Bislang hatte ich mich gesperrt meiner Mutter Neuroleptika zu verabreichen, aber die Beschuldigung seitens des Arztes, ich hätte meiner Mutter mit den Medikamenten helfen können, hatte mich von meiner starren Überzeugung abgebracht.


    Ob jetzt Zufall oder nicht, bereits nach der ersten Einnahme hat sich das Verhalten meiner Mutter stark verändert, sie ist jetzt komplett "irre", hat starke Halluzinationen. Kann Dinge nicht mehr erkennen und zuordnen. Hält Tag und Nacht stundenlange Monologe, teilweise in englischer Sprache und ist vollkommen überdreht, an Schlaf ist nicht mehr zu denken.


    Heute früh hat sie sich eine Wolldecke über den kompletten Kopf gestülpt, sass so minutenlang wie ein Gespenst auf ihrem Bett und schimpfte über die viel zu enge Hose.

    Gerade eben habe ich ihr ein Glas Wasser eingeschenkt und sie gebeten es zu trinken, genommen hat sie den Kuchenteller und hat krampfhaft versucht den Kuchen vom Teller zu schlürfen.

    Teilweise sind die Szenen so belustigend, dass ich mich kaum vor Lachen halten kann.


    Tatsächlich ist aber alles sehr schrecklich für mich, mir macht das Verhalten Angst.

    Der Neurologe sagte auf Nachfrage, es sei ein neuer Demenzschub und nicht das Medikament.


    Trotzdem habe ich es jetzt abgesetzt.


    Hat hier jemand schon ähnliches erlebt und kann mir evtl. Hoffnung machen, dass sich dieses wieder legt.


    Liebe Grüße


    Merle

  • Merle

    Hat den Titel des Themas von „Zwischen Lachen um Weinen, Hoffnung und Verzweiflung“ zu „Zwischen Lachen und Weinen, Hoffnung und Verzweiflung“ geändert.
  • So, wie Sie das beschreiben, Merle, ging es ja einigermaßen mit der Mama. Die Nachtruhe ist viel wert, um selbst wieder zu Kräften zu kommen. Und wenn Sie ihre Mutter auch sonst als recht schläfrig bezeichnen, dann wird der Tag auch einigermaßen funktioniert haben.

    Das, das Medikament keine negative Wirkung haben soll, das halte ich für eine vorschnelle Aussage. Meine Schwiegermama hat alleine durch die Erhöhung des Blutdruckmedikaments damals eine Wesensveränderung und eine Art Demenz entwickelt, obwohl sie noch lange nicht so dement gewesen ist, wie heute.

    Ich würde mir da auch eine Zweitmeinung einholen, aber auch im Internet weiter nach Erfahrungen googeln.


    Liebe Grüße

  • Liebe Teuteburger, liebe Mitleser und Mitleserinnen,


    jetzt ist das Medikament den dritten Tag abgesetzt und siehe da, sie ist fast wieder die Alte.


    Bereits zu Beginn der dementiellen Entwicklung hatte ich die Vermutung meine Mutter leidet unter einer Lewy Body Demenz, jetzt fühle ich mich in der Annahme bestätigt und werde in Zukunft dafür Sorge tragen, dass sie keine Neuroleptika mehr erhält.


    Das extrem verwirrte Verhalten meiner Mutter hatte leider u.a. zur Folge, dass sie sich sehr erkältet hat. Während der verwirrten Phase hat sie sich ständig die Kleidung einschl. Pants ausgezogen, die Bettdecke zu Seite geworfen und sich aus dem Bett gewälzt.


    Das Medikament zeigte aber auch ein paar "positive" Effekte. Meine Mutter hat sich blendend mit den angeblichen Besuchern unterhalten, hat dabei auch viel gelacht und in keinster Weise mehr ihre Vergiftungsgedanken geäussert.


    Aber sie zeigte auch körperliche Erscheinungen, ihr Atem fing an zu rasseln . Da sie keine Nahrung mehr zu sich nehmen wollte/konnte wurde sie schwächer.

    Ich hätte sie sicherlich schnell an einer Lungenentzündung verloren.


    Jetzt ist sie wieder depressiv, übelgelaunt und zeigt ein stark herausforderndes Verhalten. Aber sie hat ihren Appetit wieder und weiss auch was sie isst.


    Merle

  • Liebe Forenmitglieder,


    kleines Update ...


    Am vergangenen Freitag ging es meiner Mutter soooo schlecht, dass ich den Notdienst rufen musste.


    Sie ist mit dem Verdacht Schlaganfall/ Delir ins Krankenhaus verbracht worden.


    Bis Sonntag war meine Mutter in einem Zustand, dass ich dachte sie zu verlieren.

    Plötzlich fühlte ich mich unheimlich schuldig, wie oft hatte ich mir doch insgeheim gewünscht, dass meine Mutter sterben würde. Wie sehr schäme ich mich jetzt für meine Gedanken :!::!::!::!: .


    Am Montag dann erhielt ich einen Anruf von der Stationskrankenschwester , meine Mutter hätte in der Nacht randaliert .... sie war also wieder unter den Lebenden.

    Ich konnte auch mit meiner Mutter telefonieren, natürlich war sie sehr erbost in eine Folterkammer abgeschoben worden zu sein. Man würde ihr nach dem Leben trachten und ich solle sie sofort raus holen.

    Heute wird sie nun entlassen :huh: , mal schauen wie es weitergeht.

    Im Übrigen gegen die Ärzte von einem Delir aus, das leider häufig bei demenziell Erkrankten verkannt wird.


    Das von den Ärzten empfohlene Risperidon habe ich abgelehnt.


    Werde versuchen :/ meine Mutter mit Geduld, gutem Essen und Trinken wieder in die Spur zurückzubringen.


    Falls es Euch interessiert, berichte ich gerne von Zeit zu Zeit


    Gruß Merle

  • Liebe Hanne,


    vielen Dank, es tut gut zu wissen, dass man nicht alleine ist <3 .


    Von Aussenstehenden gibt es zwar immer wieder gut gemeinten Rat, ab es macht schon einen riesigen Unterschied sich mit ähnlich Betroffenen auszutauschen.


    Ich sitze in der Küche mit einem Becher Kaffee und warte auf den Sanitätshaus-Fahrer, der noch vor Ankunft meiner Mutter ein Pflegebett aufstellen soll (ohne wird es wohl nicht mehr gehen).


    Heute hat es im hohen Norden mal richtig geschneit, sieht richtig schön aus.


    Nachdem ich zuerst notgedrungen in der kleinen Wohnung meiner Mutter mitgewohnt habe, leben wir jetzt in einer neuen Wohnung mit Garten und offener Wohnküche an der sich ein weiterer Raum mit Kamin und großer Fensterfront anschließt- hier soll das Pflegebett aufgestellt werden, so dass meine Mutter immer mitten im Geschehen ist.


    Liebe Grüße


    Merle

  • Hallo Merle,


    deine Schilderung entspricht exakt dem Verhalten meiner Schwiegermama, als sie vor ein paar Monaten im Krankenhaus gewesen ist. Meine Schwiegermama hat auch ihre Zimmernachbarin vergrault. Sie bekam dann überall ein Einzelzimmer.


    Du hast jetzt dein Bestmögliches getan, um es deiner Mama angenehm zu machen. Und wenn deine Mama wieder schläfriger ist, so wie du sie vor dem Neuroepileptikum beschrieben hast und wenn du deine regelmäßige Nachtruhe hast, dann dürfte das in der neuen Wohnung wohl funktionieren.


    Ich wünsche gutes Gelingen. Ich lese auch gerne von anderen mit, denn man kann hier, wie Hanne es schreibt, immer noch etwas lernen.


    Liebe Grüße an Dich

  • Liebe Forenmitglieder,


    meine Mutter ist heute Mittag verstorben.


    Die letzten Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus waren furchtbar, meine Mutter hatte bis auf einen Tag furchtbare Angst vor mir, sie glaubte ich wäre eine Doppelgängerin ihrer Tochter.


    Nur am Samstag war sie klar und ansprechbar, der Samstag war der letzte schöne gemeinsame Tag.


    Heute früh ist sie auf dem Toilettenstuhl kollabiert, die letzten Worte die sie sagte "hau ab Du Hexe, hole meine Mutter"

    Nach einem Herzstillstand konnte der Notarzt meine Mutter zwar noch reanimieren, aber im Krankenhaus - sie sollte für den Transport in eine Spezialklinik fertig gemacht werden- ist sie dann verstorben- Herzinfarkt.


    Ich glaube den letzten Moment mit meiner Mutter und ihre haßerfüllten Worte und die Ablehnung werde ich nie vergessen.



    Merle

  • Liebe Merle

    Herzliches Beileid unbekannterweise. Ich wünsche dir, dass bald bessere Tage für dich kommen. Wenn ich das sagen darf, die üblen letzten Worte -- vielleicht kannst du das auch einfach als wahlloses Produkt kaputter Synapsen sehen, nicht als persönliches Fazit? Mit Glück fallen dir später schönere Erinnerungen ein ...

  • Liebe Merle,


    das tut mir leid, dass es so gekommen ist.


    Der Umstand wie es passiert ist, ist leider nicht so gelaufen, wie das in den geschönten Filmen abläuft. Und im Moment empfindet man das sicher als schlimm. Auf der anderen Seite fragt diese Krankheit nicht nach irgendwelchen Umständen und den Bedürfnissen anderer. Also ist das insofern wieder klassisch für ihr Erscheinungsbild. :)


    Ich glaube auch, dass man das nicht mehr vergisst, aber ich hoffe, dass es dir im Laufe der Zeit nicht mehr weh tun wird.


    Und da ich mal gelesen habe, dass diejenigen, die hier dement gewesen sind, es drüben nicht mehr sind, so ist das für mich doch ein gewisser Trost. Man kann an Astralreisen oder Nahtoderfahrungen glauben oder nicht glauben, aber eine gewisse Hoffnung bleibt dann doch für mich.


    Liebe Grüße an Dich

  • Liebe Merle,

    Herzliche Anteilnahme zum Tode deiner Mutter <3 Ich kann mir gut vorstellen, wie schlimm dieser letzte Satz ausgerechnet noch ist. Kannst du vielleicht den Gedanken annehmen, dass der Satz ja nicht an dich persönlich sondern an das Bild deiner Mutter (Doppelgängerin) gerichtet war?

    Sie ist nun erlöst von Angst und Schmerz und man kann mit nahestehenden Verstorbenen nach meiner Erfahrung auch noch nach dem Tod eine Art Zwiegespräch führen, man hat doch im Herzen, was sie antworten würden... wenn nicht heute, dann doch irgendwann kann sich noch einiges relativieren und die schönen gemeinsamen Erinnerungen treten mit der Zeit wieder mehr ins Bewusstsein.

    Alles Liebe nun für die kommende Zeit, es kann durchaus längere Zeit brauchen, bis man sich von solcher Anspannung erholt hat.

    Rose60

  • Hallo Merle,

    auch von mir mein herzlichstes Beileid. Meine Mutter ist im August 2020 verstorben. Auch ich habe sie jahrelang gepflegt und weiß also genau was in Ihnen vorgeht. Es wird lange Zeit brauchen das alles zu verarbeiten. Ich hatte nach dem Tod meiner Mutter versucht sofort zu agieren und mein Leben neu zu ordnen. Das funktioniert aber nicht. Lassen Sie sich also Zeit das erlebte zu verarbeiten. Es bleibt Ihnen die Gewissheit alles mögliche getan zu haben.


    Ihnen alles Gute

    Andreas

  • Vielen Dank für die lieben Worte von Euch/Ihnen.


    Auch wenn ich oft nur stille Mitleserin in diesem Forum bin, so gibt mir das Gefühl der Gemeinschaft sehr viel Kraft.


    Die vergangene Woche war sehr hektisch, so richtig Zeit zum Nachdenken hatte ich nicht.


    Gerne hätte ich meiner Mutter einen würdevollen Abschied geboten, aber irgendwie steckt der Wurm drin bzw. meine Mutter steuert vom Himmel quer.


    Bei der gestrigen Trauerfeier im kleinen Kreis wurde anstatt der von mir liebevoll ausgesuchten Trauermusik plötzlich lautstark Rockmusik eingespielt.

    Auch die Trauerrede des Pastoren hatte nichts mit dem Abgesprochenen gemein, sogar den Namen meiner Mutter hat er vertauscht.

    Heute hätte die Traueranzeige veröffentlicht werden sollen, Fehlanzeige.

    Irgendwie habe ich das Gefühl meine Mutter möchte mich noch nach ihrem Tod bestrafen.

    Aber was hätte ich besser machen können?


    Ich bin doch auch nur ein Mensch und gegen diese erbärmliche Erkrankung konnte ich einfach nichts ausrichten.


    Um mich etwas zu beruhigen rede ich mir jetzt ein, dass meine Mutter schon vor vier Jahren verstorben ist und dass was ich jetzt verloren habe, war nur die Hülle meiner Mutter.


    Ich hoffe, dass die Forschung in Bezug auf Demenz große Fortschritte macht, damit den Opfern dieser Erkrankung viel Leid erspart bleibt.


    Seid umarmt Eure/Ihre Merle

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Merle, auch ich möchte mich der aktiven Gruppe anschließen und Ihnen viel Trost und Kraft wünschen!


    In Ihren Beiträgen haben ich oft gelesen, wie viel Sie für Ihre Mutter getan haben, mehr geht nicht! Sie konnten gegen den wahnsinnigen Leidensdruck nichts machen und Ihre Mutter hatte in der nervenärzlichen Behandlung kein Glück. Damit möchte ich den Ärzten keinen Vorwurf machen, denn ich spreche bei der Lewy-Body-Demenz und bei der Frontotemporalen Demenz von Glück, wenn das richtige Medikament gefunden wird, um die Leiden zu lindern.


    In den letzten Stunden haben Sie zwei extreme Erfahrungen gemacht - zunächst die schöne Begegnung, in der Ihre Mutter offensichtlich aus dem Wahn herausgekommen ist und sich (- mein Gefühl -) vielleicht mit Ihrer Tochter versöhnen wollte. Im Angesicht des Todes war dann der Wahn wieder stärker und wie schon so oft, hat Ihre Mutter in Ihnen etwas Anderes gesehen. Bitte denken Sie so oft es geht, an die schönen Momente. Die letzten Worte lese ich als eine echte Halluzination - es waren die Hexen ihres Wahns und keine Verkennung der eigenen sorgenden Tochter!

    Ihnen alles Gute in einem neuen Lebensabschnitt und ich hoffe sehr, dass Sie all die schlimmen Erlebnisse als eine schwere Lebenserfahrung gut verarbeiten können! Ihr Martin Hamborg

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