Hallo an alle,
in den letzten Monaten im Pflegeheim, aber auch in den Monaten davor, habe ich vieles erfahren, gesehen und gehört.
Ich habe festgestellt, dass meine Schwiegermama in einem mittelgut geführten Heim ihren letzten Weg gegangen ist, mit guten Erlebnissen, einigen schönen Momenten, oftmals mit Fürsorge, aber auch mit dem, was nicht so gut gelaufen ist, wegen Pflegefehlern und wegen zu wenig Zeit.
Meine Seniorenbetreuerin hat im Heim einen sehr guten Fußabdruck hinterlassen. Man hat mich, als ich das Zimmer geräumt habe, mehrmals darauf angesprochen, wie nett, freundlich, einfühlsam sie ist. Für uns gehört sie inzwischen zur Familie. In meiner Familie lässt man sich auch gegenseitig leben und man achtet die Bedürfnisse und den Freiraum anderer. Und somit ist eine Person, die uns noch ein Stück weit begleitet oder vielleicht für länger, keine zusätzliche Belastung, sondern Bereicherung.
Meine Seniorenbetreuerin hat viele Jahre in der Pflege und in der Betreuung gearbeitet. Sie hat vieles gesehen. Ich habe auch noch andere Seniorenbetreuerinnen kennengelernt.
Und jetzt komme ich zum eigentlichen Thema.
Zwei, der empathischen Seniorenbetreuerinnen, die ich im Laufe der Jahre kennengelernt habe, wollen sich selbst frühzeitig das Leben nehmen, bevor sie in einem Heim als Demenzkranke leben müssen oder wenn sie ein völliger Pflegefall sind. Solange man noch selbst irgendetwas tun kann, ist es denkbar in einem Seniorenheim zu leben, zum Bespiel im betreuten Wohnen ect. Diese zwei Frauen sind keine Stammtischmenschen und diese Entscheidung ist nicht leichtfertig getroffen worden. Jetzt könnte man sagen, sollen sie doch rechtzeitig das Essen und das Trinken einstellen, dann dauert es vielleicht zwei Wochen und gut ist es eventuell. Bei manchen funktioniert aber auch das nicht, weil der Durst doch zu groß noch ist. Einen entsprechenden Bericht habe ich im Fernsehen mal gesehen. Ich glaube das Streitthema war wieder einmal aktive und passive Sterbehilfe.
Zudem möchte ich bemängeln, dass man auch in der Palliativmedizin nicht weiß, dass bei großer Abmagerung und bei einer gestörten Leberfunktion, was im Alter doch häufiger vorkommt, Morphium evt. nicht mehr richtig wirkt, zum Beispiel bei einem Pflaster. Auf meine Frage hin, was man dann gibt, lautete die Antwort Dormikum. Allerdings gibt man dann häufig tagsüber wieder den Gegenspieler, damit man nicht dauerhaft sediert ist. Zudem braucht man hier häufig auch noch zusätzliche Schmerzmittel. Ohne Palliativ-Care-Team geht hier nichts. Und das sollte in meinen Augen rechtzeitig zum Einsatz kommen. Bei meiner Schwiegermama ist es noch einigermaßen gut gegangen. Aber es war Wochenende und es war kein Arzt weit und breit, der ihr bei stärkeren Schmerzen oder einer Verwässerung der Lunge, hätte helfen können. Der Bereitschaftsarzt kannte auch nur das Morphium und sonst nichts.
Mit dem nötigen Wissen, kann man aber rechtzeitig das Nötige in die Wege leiten. Man hat zudem furchtbare Angst, dass man mal, was zu viel geben könnte. Man will sich in allen Richtungen absichern, so dass man nicht in den Verdacht kommt, doch aktive Sterbehilfe geleistet zu haben. Bei einer Verwandten von mir, hat man aber auf deren Wunsch hin, weil sie endlich einmal wieder richtig schlafen wollte, mehr von dem Sedierungsmittel gegeben. Sie hat im Hospiz tagelang Schmerzen gehabt und sie konnte deshalb nicht schlafen, war total erledigt. Als sie mehr bekommen hat, ist sie dann auch verstorben.
Das diese Grauzonen von der Regierung nicht geregelt werden, dass ist für mich ein großer Fehler. Auch die beiden Seniorenbetreuerinnen sollte man ernst nehmen. Selbst wenn ein Großteil der Menschen sich für den palliativen Weg entscheiden sollten, nicht alle wollen das erleben, vor allem nicht in einer Zeit, mit großem Fachkräftemangel, Pflegefehlern und eventuell auch ganz schlecht geführten Heimen, wo man durchaus untergebracht werden kann, wenn sonst kein Platz frei ist. Und vielleicht entscheiden sich auch mehr Menschen für den Weg des schnelleren Sterbens. Das ist auch wieder eine große Angst, dass man Menschen unter Druck setzen könnte, dass sie doch besser diesen Weg gehen sollten. Genauso wird man aber unter Drück gesetzt, den Weg des langen Sterbens zu gehen. Es ist in dieser Gesellschaft immer beides richtig. Wenn ich höre, wie die beiden Seniorenbetreuerinnen gehen wollen, dann wird auch mir ganz anders. Geld wird zudem an allem verdient, da sollte man sich doch nichts vormachen. Man kann das aber alles gesetzlich regeln, wenn man sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzt. Zudem muss es ja auch nicht der direkte Exitus sein. Aber wenn jemand Schmerzen hat, wenn es ihm schlecht geht, wenn er sich im Körper, wie in einem Gefängnis gefangen fühlt, dann dürfte man doch auch mal mehr geben, damit derjenige früher gehen kann, sofern er das dann wünschen sollte. Wenn wie oft gesagt wird, ich will sterben, ich will sterben . . . Ja, was dann. Das kann natürlich nicht jeder tun.
Zudem wissen wir immer noch viel zu wenig, vom Leben und vom Sterben. Die Hindhuisten glauben an ein Leben ohne Körper im Jenseits, die Buddhisten wollen ohne Körper wieder im Ursprung verschwinden, die Taoisten glauben an ein dauerhaftes Leben mit Körper, sofern man die Energien entsprechend lenken und speichern kann. Und dann gibt es noch ein drittes Weltbild, dass auf allen Ebenen mit Körper Selbstständigkeit verheißt. Wie auch immer das Leben und das Sterben, denn in Wahrheit aussieht, man kann nicht mit Sicherheit sagen, dass ein langsames Sterben nicht auch ein Selbstmord ist, der nur deshalb stattfindet, weil man es noch nicht besser weiß oder kann.
In der Pflege, in den Krankenhäusern, gibt es vieles, was nicht gut läuft, neben dem, was auch gut läuft. Ganz alleine, sollte man hier nicht sein müssen. Man braucht immer jemanden, der einen gut kennt und der für einen sprechen kann. Die Entscheidung gegen ein doch quälendes Sterben, wäre sicher nicht vorhanden, bei geräumigen Einzelzimmern, die gut isoliert sind und bei genügend Personal, das empathisch ist, das sehr gut geschult ist, das Zeit hat, das niemals alleine am Patienten arbeiten muss, und einem anständigen Essen und einer ärztlichen Betreuung, die immer erreichbar ist, damit Schmerzen und Wundversorgung einwandfrei sind. Und zudem sollte es Betreuer geben, nicht unbedingt eins zu eins, aber diese sollten den ganzen Tag, bis in die Abendstunden da sein können, vielleicht drei, vier, auf jeder Station. Wer das garantieren kann, der kann wahrscheinlich annehmen, dass die meisten sich doch keine Gedanken über einen rascheren Tod machen müssen.
Meine Seniorenbetreuerin hat nach dem Tode meiner Schwiegermama gesagt, nein, so wolle sie nicht enden. Und ehrlich, ich kann es verstehen. Warum, dass habe ich oben aufgelistet.
Und es wird immer gerne gesagt, wer anderen hilft, dem wird auch später geholfen werden. So sagte meine Seniorenagenturleiterin, dass eine Bekannte von ihr an Demenz schwer erkrankt ist. Diese hat viele Jahre lang selbst aufopferungsvoll Demenzkranke begleitet ect. Sie hat besser als jeder andere ihre Demenz verbergen können, weil sie genau gewusst hat, worauf sie achten musste. Als dann heraus kam, dass sie Demenz hatte, da hatte keiner Zeit, sich zu kümmern. Die Frau war ganz alleine, keine Verwandten hier in der Nähe usw. Meine Seniorenagenturleiterin sagte, sie würde da jetzt mal hinfahren und schauen. Sie arbeitet meist selbst weit über zweihundert Stunden im Monat. Sie sagt auch: Ich kann nur etwas in die Wege leiten, mehr geht nicht mehr. In einer Zeit, wo Männer und Frauen ganztags arbeiten müssen, ist ein Mangel an Zeit für viele einfach gegeben.
Und auch für diese Menschen, wie die beiden von mir genannten Seniorenbetreuerinnen, muss es eine Möglichkeit geben, vielleicht nicht der direkte Exitus, aber doch im Ernstfall mehr Auswahl und Hilfe, als das bisher der Fall gewesen ist.
Liebe Grüße an alle