Aktivieren von hochbetagtem Demenzkranken sinnvoll?

  • Hallo in die Runde,


    für mich ist die Antwort recht eindeutig, denke ich. Auch die Demenzkranken haben einen gewissen Rhythmus.

    Morgens wollte ich von keinem aktiviert werden. Das mache ich heute schon selbst. Die meisten Demenzkranken brauchen morgens ihre Zeit ect. Und wenn der- oder diejenige dann wach und angezogen ist, dann kann man auch mal ein Angebot machen. Wird dies abgelehnt, dann lässt man denjenigen einfach in Ruhe.

    Man kann es nachmittags auch noch einmal erfragen. Und wenn dann immer noch Ablehnung ist, dann ist es auch gut. Bei mittelschwerer Demenz kann derjenige noch gut wissen, was er jetzt tun will und was nicht.


    So wie schwarzer Kater es beschreibt, genauso sollte es sein.

    Man merkt ja auch recht schnell, ob derjenige bei Aktivitäten noch mitmachen will und ob er wirklich noch etwas Spaß daran hat oder ob da im Grunde nichts mehr kommt.

    Es ist auch verständlich, dass der Demenzkranke irgendwann bettlägerig wird, wahrscheinlich schneller, als wenn er noch einige Aktivitäten mitmacht. Aber das ist dann der Lauf der Dinge. Und dann kann es auch mal recht schnell gehen. Aber das ist alles spekulativ. Menschen sind immer für eine Überraschung gut.


    Liebe Grüße an alle

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Hanne63,

    Aktivierung ist grundsätzlich gut, unter anderem aus all' den Gründen, die Sonnenblümchen aufgelistet hat. Zudem versucht man auch, die Menschen tagsüber zu beschäftigen, damit sie abends/nachts müder sind und die Auswirkungen der krankheitsbedingten Tag-/Nacht-Umkehrung weniger zu Buche schlagen. Aber Sie haben natürlich vollkommen Recht: Wenn jemand schon immer lieber seine Ruhe hatte, kann es für ihn letztlich eine Qual sein, immer wieder zu Gesellschaft und Aktivität genötigt zu werden - vor allem, wenn er/sie aufgrund seiner Schwerhörigkeit praktisch nichts vom Geschehen mitbekommt.

    Um entscheiden zu können, wie das im Falle Ihres Vaters ist, müsste man vor Ort beobachten, wie er konkret auf solche "Angebote" reagiert - und vor allem auch, was für einen Eindruck er in dem Moment macht, in dem er in einer Gruppe sitzt: Sieht er dann doch interessiert oder entspannt aus, oder wirkt er ausnahmslos überfordert und genervt? Beobachtet er das Geschehen, oder sinkt sein Kopf schnell auf die Brust? Versucht er, wegzulaufen, oder schimpft er vor sich hin? Oftmals lehnen Menschen mit Demenz nämlich sämtliche Aktivierungsangebote ab... manche, weil sie gar nicht verstehen, was ihnen vorgeschlagen wird, andere, weil sie Angst haben, sich in einer solche Situation zu blamieren - aber wenn sie einmal in der Gruppe sind, leben sie dann plötzlich doch auf und beteiligen sich. Wenn bei Ihrem Vater also Worte und Körpersprache sowohl im Vorfeld als auch während solcher Veranstaltungen nach wie vor signalisieren, dass er keine Lust dazu hat, und ihm das Angebot außer Stress und Überforderung absolut nichts bringt, sollten Sie im Heim darauf dringen, dass sein Charakter und sein Wunsch nach Ruhe respektiert wird.

    Freundliche Grüße

    S. Sachweh

  • Ach, Ihr sprecht/Sie sprechen mir größtenteils so aus der Seele.


    Die Beschreibung deines Vaters, liebe Hanne, könnte fast wortwörtlich so von mir über meinen Vater stammen.


    Und auch ich habe mich schon oft gefragt, was ist notwendig/hilfreich und für wen ist es hilfreich, wenn er aktiviert wird?


    Der Verstand sagt - was hier ja auch beschrieben wurde - dass Aktivierung "schult", also sowohl die mentalen als auch die körperlichen Fähigkeiten. Innerhalb der letzten 24 Std ist mein Vater zweimal gestürzt. Zum Glück ohne Blessuren. Da frage ich mich schon: sollte man ihn mehr zu Bewegung "zwingen". Sich zu fragen, ob wohl ihn hätten vor Jahren, als er noch klarer im Kopf war, zur Ergotherapie, die der Arzt dringend empfahl, zwingen sollen? Damals war ich "irgendwie" schon dafür. Gemacht wurde es dann aber nicht. Zu sehr alte Strukturen "er ist der Boss und entscheidet".

    Jetzt wo ich/wir für ihn entscheiden, fällt es mir auch schwer. Vor rund einer Woche stellte ich seine Frage zur Tagespflege hier in den Raum "was soll ich dort?". Aktiviert werden. Für einen Misanthropen natürlich im Rahmen einer Gruppe schwierig. Jedoch lässt er sich auch im Stillen Kämmerlein nicht aktivieren. Verschläft den Tag. Hält Mutter (auch hier schon gefallenes Stichwort: Tag-Nacht-Umkehr) die ganze Nacht auf Trab.


    Es tröstet mich manchmal, dass andere ähnliche Gedanken kennen.

    Eine finale Lösung habe ich nicht - leider.

    Es tut aber gut, dass hier Austausch möglich ist... <3


    LG

    Inkognita

    • Offizieller Beitrag

    Hallo,


    für mich ist ganz klar: es gibt auch ein Recht darauf, in Ruhe gelassen zu werden.
    Alles andere ist eine Frage der Motivierung, des Angebots. In meinen Augen haben wir zumindest in Einrichtungen zuviel Beschäftigungsangebote mit "Eventcharakter". Singrunde, Gymnastikkreis, Hockergymnastik, Kochgruppe etc. pp. . Wo Menschen das Spaß macht, sie zu motivieren sind teilzunehmen - prima. Aktivität ist wichtig, weil damit einer ganzen Reihe von Problemen vorgebeugt oder begegnet werden kann (z.B. hier schon genannte Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen, aber auch sicheres Gehen / Gleichgewicht wird eben durch Aktivität trainiert, nicht durch Liegen etc.).
    Meiner Erfahrung nach hilft es manchmal ungemein, an frühere Gewohnheiten - vor allem aber auch Aufgaben und Pflichten anzuknüfen, um Menschen in Aktivität zu bringen. Dabei geht es nicht immer nur darum, ob die Aktivität gerade Glücksgefühle auslöst.
    Es ist Normalität, Aufgaben zu haben, die uns nicht per se glücklich machen. Ich muss nachher noch den Abwasch erledigen. Das ist okay und gehört dazu - richtig glücklich macht es mich aber nicht.... . Eine Form von Aktivität ist es dennoch.
    Will sagen: manchmal hilft bei der Suche nach der richtigen Aktivität, nach der richtigen Beschäftigung und Aktivierung, nicht nur danach zu schauen was Freude bereitet oder "uns" sinnvoll erscheint. Es dürfen auch Pflichten sein - die gehören zu einem normalen Leben dazu. Natürlich müssen sie ggfs. angepasst werden, damit sie gefahrlos möglich sind. Ich erlebe aber auch, dass ein "Möchten Sie heute am Singkreis teilnehmen?" in einer Einrichtung eine so lebensfremde Frage für einen Betroffenen sein kannen, dass er gar nicht teilnehmen wollen kann. Manchmal ist es besser, den feuchten Lappen dazulassen und zu bemerken, dass hier "....aber mal wieder Staub gewischt werden müsste...".
    Ich hoffe, ich konnte verdeutlichen was ich meine.
    Pflegefachleute und Betreuungskräfte brauchen in dieser Hinsicht oftmals die Unterstützung der Angehörigen, gerade um zu erfahren was biographische Normalität war, was zum normalen Aktivitäts- und Interessenspektrum gehört(e), um auf den richtigen Dreh zu kommen. Und immer wieder bleibt es beim "Versuch- und Irrtumsystem", heißt: ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren.

    Es grüßt Sie

    Jochen Gust

  • Ich lese hier mit und bedanke mich bei Euch allen, auch bei den Experten. Ich kann hier einiges für mich mitnehmen - für die Zukunft vielleicht.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo in die Runde, ich möchte nur noch ein Argument beisteuern, die fachliche Argumentation wurde schon sehr gut zusammengetragen.


    Die Einrichtung ist gut beraten, wenn sie die geäußerten und hoffentlich dokumentierten Bedürfnisse nach Rückzug, Ruhe und in-Ruhe-gelassen-werden respektiert. Eine Zwangsbespaßung gegen den Willen führt zwangsläufig zu schmerzhaften Abwertungen bei den nun wieder beginnenden MDK-Prüfung nach dem neuen System. Eigentlich sollte dies aus Gründen der Menschenwürde selbstverständlich sein, aber früher wurden Betreuungskräfte durch die Prüflogik unter Druck gesetzt, für alle ein angemessenes Angebot zu schaffen und nachzuweisen. Es geht also im Heim nicht um die Abrechnung dieser Leistung, sondern um die Erfüllung des Versorgungsvertrages bezüglich der zusätzlichen Betreuungsleistungen.


    Als Angehörige können Sie bei diesem Dilemma helfen, dass die Bedürfnisse "prüfsicher" dokumentiert werden, zitieren Sie einfach den Beitrag von Frau Sachweh, damit es fachlich wasserfest dokumentiert wird. Auf der anderen Seite können Sie über Hinweise aus der Biografie Hilfestellungen geben, wie eine Einzelbetreuung durch Gesprächsangebote geplant werden sollten. Wenn Hannes Vater das häufiger ablehnt, ist das völlig in Ordnung und die Betreuungskräfte sollten ein gutes Gewissen haben.


    Die wunderbare Therapiedecke für Ihre Mutter, Hanne, kann tatsächlich fachlich zu einem späteren Zeitpunkt wieder zum Einsatz kommen, wenn die aktuelle Verbesserung nicht mehr trägt. Jetzt ist sie mit allen Sinnen auf die Katze konzentriert und das würde ich auch nicht "stören". Wenn die Decke aber nicht mehr da ist, ist das ein gravierendes Problem.

    Ihr Martin Hamborg

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