Extreme Sturheit

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  • Meine Mutter (fast 87, mittelgradig dement) legt eine Sturheit und Beratungsresistenz an den Tag, die fast bis zur "Selbstverstümmelung" führen. Seit einiger Zeit hat sie offene Hautstellen im Gesicht und an den Unterarmen. Mein Verdacht war immer schon, dass sie quasi als Übersprungshandlung im Gesicht und an den Armen herumknibbelt (wie die Hautärztin auch bemerkte, ist der linke Arm stärker betroffen, da Rechtshänderin). Daneben muß sie sich wohl Sachen ins Gesicht schmieren, die da nicht hingehören. Ich hatte ihr z.B. einen Deo-Stick besorgt, den sie sich wohl auf die Nase gerieben hat. Jedenfalls war die Nase auf einmal feuerrot, und es waren noch trockene weiße Spuren zu erkennen, die von dem Deo-Stick herrühren könnten. Wenn man sie darauf anspricht, streitet sie alles vehement ab und beschuldigt den Pflegedienst, dass sie ihr etwas ins Gesicht schmieren würden, was sie nicht will (das ist die vom Hautarzt verschriebene Salbe). Wir haben schon alles entsorgt, was irgendwie eine Gefahr darstellen könnte.


    Da es nicht besser wird, war ich mit ihr wieder beim Hautarzt, und die hat meine Einschätzung auch bestätigt. Meine Mutter läßt sich von mir in keiner Weise "steuern", dass sie sich z.B. nichts mehr ins Gesicht faßt (nach ihrer eigenen Meinung macht sie das auch gar nicht). Im Gegenzug jammert sie permanent, dass ihr die Haut brennt und sie furchtbar aussieht. Ich werde unaufhörlich dazu von ihr angerufen bzw. muß mir das bei meinen täglichen Besuchen anhören. Ich würde ihr so gerne helfen, aber ich komme einfach nicht an sie heran. Und die fruchtlosen Diskussionen bringen mich an meine Grenzen.


    Kann ich überhaupt irgendetwas tun, oder muß ich fatalistisch den Dingen einfach ihren Lauf lassen? Wenn das Kind im Brunnen liegt, bin ich ohnehin wieder gefordert. Ist das womöglich ein Indiz, dass ihre Demenz fortschreitet?


    Hat jemand vielleicht ähnliche Erfahrungen und mag mir davon berichten? Vielen Dank!

  • Gut, zu lesen, dass man mit solchen Problemen nicht allein ist. Aber wie reagieren, wenn meine Mutter mich mit Anrufen bombardiert (und ich immer wieder abnehme, weil ich Sorge habe, dass etwas Ernsthaftes sein könnte...)? Sie hat die Gewohnheit, sich in ein Thema zu verbeißen (ich nenne das immer scherzhaft "Pitbull-Thema"), so dass alles nur darum kreist. Wenn ein Thema erledigt ist, sucht sie sich ein neues. Wenn man nicht so darauf eingeht, wie sie das will, wird sie wütend. Sie begreift jetzt nicht, dass sie ihre Haut in Ruhe lassen muss, ich kann ihr das 100x erklären.


    Ich schaffe es leider noch nicht, ihre "Pitbull-Themen" an mir abprallen zu lassen, weil ich immer lösungsorientiert denke.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Zimt,

    "Sturheit" und "Beratungsresistenz" sind Kategorien, die auf gesunde Menschen angewendet werden können. Bei Menschen mit Demenz greifen sie nicht, weil sie nicht anders können. Zu viel "Steuerung" kann dann sogar das Gegenteil vom gewünschten Effekt erzeugen.

    Vieleicht verschafft Ihnen diese Einsicht ein wenig mehr Gelassenheit im Umgang mit den Verhaltensweisen Ihrer Mutter.

    Was den Umgang mit der angegriffenen Haut anbelangt: Können Sie ihr vielleicht eine harmlose Salbe (Bepanthen oder ähnliches) als Schönheitsmittel "verkaufen", das sie dann durchaus selbständig anwenden kann.

    Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, die Mutter - zunächst vielleicht nur tageweise - in eine gerontopsychiatrische Tagespflege-Einrichtung zu geben? Sie scheint ja ein großes Kommunikationsbedürfnis zu haben. Einen Versuch ist es m.E. wert.

    Alles Gute wünscht Ihnen

    Klaus Pawletko

  • Danke an alle für die freundlichen Worte. Eine Zeit lang war meine Mutter ziemlich stabil, und wir hatten viele gute Momente. Durch ihre "Pitbull-Themen" mußte man einfach durch.


    Mir ist klar, dass man an einen dementen Menschen nicht mehr die gewohnten Maßstäbe anlegen kann. Aber ich kann dem ja nicht tatenlos zusehen, wenn sie sich körperlich schadet.


    Sie lebt in einem betreuten Wohnen und lehnt leider jeglichen Kontakt zu den Mitbewohnern ab. Sie nimmt an keiner Veranstaltung teil und verweigert auch das dort täglich angebotene Essen. Außer meinem Mann und mir und einer Bekannten hat sie überhaupt keine Kontakte. Ihr gesamtes Kommunikationsbedürfnis lädt sie auf mir ab. Ich besuche sie täglich, und wenn es auf den Nachmittag zugeht, ruft sie alle 5 Minuten an, wo ich denn bleibe. Andere raten mir, doch nicht jeden Tag hinzugehen, aber ich kann sie doch auch nicht hängen lassen, zumal sie an unser Kümmern gewöhnt ist.


    Nachdem sie vor 2 Jahren in einer gerontopsychiatrischen Tagesklinik war, die ihr damals sehr gut getan hat, wird sie auch von einer Neurologin betreut. Allerdings macht meine Mutter bei ihren Besuchen immer auf "heile Welt" (um danach ihren Frust wieder bei mir abzuladen), so dass die Ärztin denkt, es sei alles in Ordnung. Ich habe nun auch wieder Kontakt zu ihr aufgenommen, um zu beraten, was wir noch tun können.

  • Mit schlechtem Gewissen bin ich ja nun auch fast zwei Jahre rumgelaufen, ohne dass es irgendwie weiter geführt hätte. Es ist wie es ist und meine Mutter ist nicht mehr der Mensch wie vor der Demenz, somit muss ich auch anders mit ihr umgehen, muss sie teils vertrösten und Dinge sagen, die nicht wirklich so gemeint sind - was mir völlig gegen den Strich ging, aber meine Mutter ruhiger machte. Wenn ich bzgl. Wünsch nachhause sagte "wir schauen mal", "ich spreche mal mit xy" (meiner Schwester), sie mir wütend Dinge über Pfleger berichtete, die definitiv nicht stimmten, sagte ich "da werde ich aber mal mit dem sprechen"... Es ist die einzige Chance und meiner Mutter geht es besser damit.

    Zu Selbstverletzungen kann ich nichts sagen, hatten wir noch nicht.


    Ansonsten geht nur "radikale Akzeptanz" dessen was ist, loslassen den Menschen, wie er/sie mal war, ein Abschied in Raten. Man kann sich da reinfinden, es ist ein schmerzlicher Prozess am Anfang, gehört aber zum Leben dazu. Andere Menschen erleiden schlimme Schmerzen und sterben an Krebs, bei Demenz sind es oft mehr die seelischen Schmerzen der Einsamkeit etc.

    Wichtig: es ist eine Phase, auch in unserem Leben und es wird vorbei gehen..

    Weiteratmen, mit schönen Dingen ablenken und höheren Kräften überlassen, was wann geschieht.

    Liebe Grüße an euch alle

  • Ansonsten geht nur "radikale Akzeptanz" dessen was ist, loslassen den Menschen, wie er/sie mal war, ein Abschied in Raten. Man kann sich da reinfinden, es ist ein schmerzlicher Prozess am Anfang, gehört aber zum Leben dazu. Andere Menschen erleiden schlimme Schmerzen und sterben an Krebs, bei Demenz sind es oft mehr die seelischen Schmerzen der Einsamkeit etc.

    Wichtig: es ist eine Phase, auch in unserem Leben und es wird vorbei gehen..

    Weiteratmen, mit schönen Dingen ablenken und höheren Kräften überlassen, was wann geschieht.

    Danke, besser lässt es sich nicht ausdrücken.

  • In Euren Worten finde ich mich absolut wieder. Die Strategie, etwas nicht geradezurücken, was objektiv nicht stimmt, versuche ich auch, gelingt mir aber nicht immer, weil es so gegen mein Naturell ist. Meine Mutter hat z.B. die Angewohnheit, immer wieder Stromkabel zu ziehen und Verteilersteckdosen aus der Ecke zu räumen und auszustellen. Natürlich hat sie das nicht gemacht, sondern irgendjemand vom Personal … Aber dann ist großes Gejammer, sie hat kein Fernsehen, kein Radio. Am Anfang sind wir noch zu ihr geeilt, um alles wieder ans Netz zu bringen, mittlerweile muß sie warten, bis ich Zeit habe. Ich weiß, dass sie die Strippe gezogen hat, aber ich lasse sie in ihrem Glauben, und gut ist. Im Prinzip kann man ihr nur nach dem Munde reden, um Ruhe zu haben. Wir haben nur die Wahl, unser Verhalten anzupassen, der Demente kann das nicht mehr.


    Was mir sehr fehlt, ist die Kommunikation auf Augenhöhe. Wenn ich etwas erzähle, merke ich, dass sie nicht mehr in der Lage ist, mir zu folgen. Ihre Gespräche drehen sich um immer dieselben Themen (das sind wahrscheinlich die, die sich in ihr Gedächtnis eingeprägt haben) in immer denselben Worten. Ich bemerke, dass ich auch schon stereotyp darauf reagiere. Kein Wunder, wenn man 100x dasselbe hören muß… Aber das ist eben auch ein Lernprozeß, den wir durchmachen müssen.


    Von vielem, was meine Mutter früher ausgemacht hat, habe ich schon Abschied genommen. Manche ihrer Charaktereigenschaften, in erster Linie leider negative, haben sich auch verstärkt. Ihre Empfindlichkeit gegenüber Kritik, Ablehnung von Vorschlägen anderer und Rechthaberei haben sich leider potenziert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Demenz entweder kindlich-naiv (meine Schwiegermutter, die Alzheimer hatte) oder bösartig macht (meine Mutter). Wenn meine Mutter ihre lieben Momente hat (die es natürlich auch gibt), freue mich. Und ihre Bösartigkeit ist Ausdruck ihrer tiefen Verunsicherung, das ist mir klar.


    Die Pflegedienstleiterin meinte sogar, dass die Bösartigkeit mir gegenüber ein Zeichen der Vertrautheit ist, weil sie sich mir gegenüber so zeigen kann, wie sie will, „ohne Filter“. Manchmal sage ich mir, dass sie mir damit eigentlich ihre Liebe zeigt, auch wenn man das lieber auf andere Weise hätte. Ich merke natürlich auch, dass sie sich an mich klammert, ich bin ja auch die einzige Konstante in ihrem Leben. Man hat mir berichtet, dass sie sich vor Tagen, als sie komplett verwirrt war, auf den Weg zu mir gemacht hat. Ich wohne nur wenige Minuten von der Seniorenanlage entfernt, möchte aber nicht, dass sie allein unterwegs ist. Sie ist zwar noch relativ gut zu Fuß, aber ihr fehlt doch mittlerweile die Umsicht, um sicher durch den Verkehr zu gelangen. Angeblich war sie wohl an unserer Tür, hat aber nicht angeklingelt und ist unverrichteter Dinge wieder zurückgegangen. Die Pflegedienstleiterin hat sie dann aufgegriffen und im Foyer platziert, aber auch da ist sie wieder ausgebüxt, und ich habe sie dann auf dem Zufahrtsweg vorgefunden.


    Ich bin nur froh, dass ich meinen Mann habe, der sich sehr lieb um meine Mutter kümmert, der kein Problem hat, quasi jedes Wochenende und jeden freien Tag mit ihr zu verbringen. Er hat durch die Alzheimer-Erkrankung seiner Mutter auch schon Erfahrung. Am Anfang hat meine Mutter kein gutes Haar an ihm gelassen, aber inzwischen weiß sie ihn zu schätzen. Lustig, dass sie sich immer erkundigt, wie es ihm geht, aber nie, wie es mir geht…


    Vielleicht werden wir versuchen, sie wieder für eine gewisse Zeit in der gerontopsychiatrischen Tagesklinik unterzubringen, auch um ggf. die Medikation überprüfen zu lassen. Das hat ihr vor 2 Jahren insgesamt gut getan und auch für eine gewisse Zeit stabilisiert. Wir möchten eben auch, dass sie so lange wie möglich in dem betreuten Wohnen bleibt.


    Danke für den Austausch mit Euch. Es tut sehr gut, zu wissen, dass man mit seinen Erfahrungen nicht allein ist. LG Zimt

    2 Mal editiert, zuletzt von Zimt ()

  • schwarzerkater, sind unsere Mütter irgendwie verwandt 8) ? Die Parallelen sind ja wirklich frappierend.


    TV und Musik mag meine Mutter noch. Sie war musikalisch immer auf der Höhe der Zeit, und wenn man zu ihr kommt, läuft meistens Popmusik. Wenn wir TV schauen, am besten Sendungen, wo man keiner langen Handlung folgen muß. Sie liest allerdings nicht mehr, da merkt man schon, dass ihr das Buchstabieren schwer fällt. Ich fände es nur fatal, wenn sie sich eben aus Langeweile an der Haut knibbelt. Aber mir fallen auch keine anderen "Ablenkungen" ein...

    • Offizieller Beitrag

    Hallo in die Runde, erstmal möchte ich mich bedanken, dass Sie uns und alle Mitlesenden an so viel Lebenserfahrung und Weisheit teilnehmen lassen!


    Hinter den Gedanken steht für mich auch die Frage nach dem Sinn und nach der Lern- oder Entwicklungsaufgabe: Wenn mein Angehöriger sich nicht mehr ändern kann, was bedeutet das für mich?

    • Was muss-soll-darf-kann ich lernen und zwar mit bestem Wissen und Gewissen?
    • Wo und wie muss-soll-darf-kann ich mich ändern, weil ich in der Perspektive der Liebe erkannt habe, worum es wirklich geht?

    Der erste Schritt ist dabei, die Welt aus Sicht des Menschen mit Demenz zu betrachten und im Verhalten einen tieferen Sinn zu suchen. Wunderbar wird dies in der Aussage der PDL deutlich: Vielleicht ist die Boshaftigkeit ein Ausdruck tiefer persönlicher Zuwendung, die nur zur Tochter möglich ist.


    Das ist sogar absolut "normal" - wir alle haben in unserer Entwicklung dies mal ausprobiert, auch unsere Eltern. Ich stelle deshalb gern die Fragen:

    • Was müssen Kinder tun, um die unmittelbare und uneingeschränkte Liebe der Eltern zu erkennen?
    • Wie weit müssen sie gehen ... wo die die Grenze ... was bedeutet dies für die persönliche Entwicklung?
    • Wie weit geht (schon) meine Autonomie, ohne die liebende Geborgenheit zu verlieren?


    Üblicherweise arbeiten wir diese Entwicklungsaufgabe in einer der Trotzphase und in der Pubertät ab. Wenn die Demenz dazu führt, dass "neuere bessere Bewältigungen" vergessen werden, soll es vorkommen, dass unbewältigte Lernaufgaben noch einmal in der Demenz freigelegt werden könnten - und das kann zu all dem führen, was wir hier diskutieren.


    Als Eltern wissen wir, dass sich unsere Kinder manchmal weh tun müssen, damit sie lernen. Wir lernen es mehr oder weniger, mit trotzig schreienden Kindern im Supermarkt gelassen und liebevoll umzugehen - aber mit unseren eigenen Eltern?


    An einigen Stellen habe ich schon mit dem vierten Gebot auf die Entwicklungsaufgabe aufmerksam gemacht, die fast immer auf erwachsene Kinder zukommt: Die Sorge und Verantwortung für die eigenen Eltern. Filiale Reife wird dies auch genannt.

    Dies ist wirklich nicht neu. Schon mindestens 2000 Jahre heißt es, wenn wir (unseren alten und dementen) Vater und Mutter ehren, wird es uns auch im Alter gut gehen. Das ist und war die christlich-humanistische Pflegeversicherung.


    Was kommt an, wenn wir dem Kind im alten Menschen sagen:


    "Ich habe schon gemerkt, dass Du meine Liebe auf die Probe stellst.

    Meine Liebe zu Dir ist größer, auch wenn Du jedesmal den Stecker ziehst und sogar wenn Du Dir selbst weh tust und mich beschimpfst und verachtest...


    Meine Liebe ist größer, dass will ich in meinem Leben noch lernen"


    Dieser Gedanke steht für einen möglichen Sinnentwurf im Umgang mit so ärgerlichen, peinlichen und beschämenden Situationen.

    Wer mag diese Haltung ausprobieren?

    Haben Sie Ideen, wie wir uns dann in der Wahrnehmung des anderen ändern?


    Wenn die Demenz sehr stark vorgeschritten ist, wird der Satz als solches nicht mehr verstanden. Aber trotzdem bitte ich Angehörige dies auszuprobieren, denn damit können wir selbst üben und er zeigt nonverbal vielleicht doch eine Wirkung, weil wir uns ändern und damit ein schlechtes Muster unterbrechen können. Mit dieser Haltung ist es weniger langweilig, wenn ich bestimmte Sätze auch 100 oder 1000mal sagen muss.


    Wenn es meinem Gegenüber gelingt, dass ich die Gelassenheit gerade nicht üben kann, hilft vielleicht der Satz: "Das ich so laut wurde, ist für mich ein Zeichen, wie sehr ich Dich liebe und um Dich ringe..."


    Freue mich auf die weitere Diskussion, Ihr Martin Hamborg

  • Danke Hanne, für diesen Beitrag.

    Als ich heute Morgen diese Worte von Herrn Hamborg las, die durchaus vielfach zutreffen, war ich ratlos.

    Zwar sehe ich bei meiner Mutter mir gegenüber keine Bosheit im klassischen Sinn, aber ein Leben lang hat sie mich dennoch mit Vielem gequält und nicht nur versehentlich. Ich habe den Eindruck, sie "liebt" mich auf ihre sehr eigene Art und Weise schon, aber ich habe aufgehört sie zu lieben, als ich ca. 10 Jahre alt war und begann zu sehen, was sie mit mir (und meiner Schwester) macht, wie sie uns nicht vorm Vater schützte etc.

    Eine lange leidvolle Geschichte, die ich hier sicherlich nicht ausbreiten will.

    Aber wenn ich mir ihre 1000ste Schleife geduldig anhöre, auch mal Boshaftigkeiten, wenn ich einfach geduldig mit ihr bin, dann ist das eher genereller Anstand, generelles Verhalten gegenüber Kranken und Behinderten Menschen (mit denen ich ja auch sonst reichlich zu tun hatte und habe), aber ich müsste lügen, wenn ich von Liebe spräche.

    Es ist sehr schwer, das auszudrücken, ich holpere deutlich.


    Aber es gibt einfach doch viele Menschen, die ein genauso gestörtes Verhältnis zu ihren Eltern haben und ihnen dann in ihrer Demenz oder auch sonstigen altersbedingten Verwirrung einfach nicht liebevoll beistehen können, sondern allenfalls das Nötige duldend auf sich nehmen - oder tatsächlich die Betreuung und Pflege an Profis übertragen, weil sie selbst es nicht schaffen.


    Und auch manche Misshandlung sehe ich vor diesem Hintergrund - ob es nicht eine Form des Zurückgebens dessen ist, was man als Kind selbst erlitten hat.


    Danke, dass wir hier in diesem Forum auch solche Sachen offen ansprechen können.


    liebe Grüße auch von mir

  • Liebe Hanne, genau das ist es: es sind Schläge, die aber von den Schreibenden überhaupt nicht so gemeint sind, sondern als Hilfe gedacht sind, vermutlich sogar liebevoll.

    Aber uns anders Betroffene treffen sie dann eben doch schmerzhaft und genau das machte mich heute so ratlos.

    Jetzt durch den Austausch darüber schwindet aber auch die Ratlosigkeit und ich kann mir vorstellen, dass es auch bei den "Ratgebern" weitere Gedanken anregt.


    liebe Grüße weiter von mir

  • Liebe Hanne und ecla,

    Ich habe nun dankbar eure Beiträge gelesen, da ich ebenfalls ein bisschen zu knacken hatte an dem erwähnten "vierten Gebot", wurde ja auch nicht geschützt , sondern mehr bedroht und geschädigt als alles andere. Seit vielen Jahren nutze ich professionelle Hilfe, so dass ich nun ein lebenswertes Leben führen kann. Mir wurde mehrfach gesagt,ich sei meinen Eltern absolut nichts schuldig, hätte jeden Grund, den Kontakt abzubrechen.

    Trotzdem habe ich Verantwortung übernommen, vor ein paar Jahren dafür gesorgt, dass mein Vater mit Alzheimer gut versorgt und damit meine Mutter vor ihm geschützt ist. Dann kam die Demenz bei meiner Mutter mit verschiedenen Unfällen, selbst sie umfangreich pflegen ist mir nicht möglich. Seit ich sie vor zwei Jahren in ihr bevorzugtes Seniorenheim bringen konnte, wurde und momentan wieder werde ich oft angegangen, was ich mit ihr gemacht habe, auch von den Pflegern teilweise Bemerkungen anfangs, so schlimm sei es doch eigentlich noch nicht .

    Es gab für mich viele Phasen mit schlechtem Gewissen und immer noch bin ich oft unglücklich nach meinem Besuch dort, dass meine Mutter sich abgeschoben fühlt, einsam, keiner mache was mit ihr...

    Es ist immer zu wenig...

    Also ihr merkt, es hat mich heute auch sehr beschäftigt.

    Die jetzige Unzufriedenheit meiner Mutter und mein Gefühl immer zu wenig für sie tun zu können, war und ist wohl immer so gewesen und holt mich nun verstärkt ein, wo ich jede Woche sie besuche - weil sie mir leid tut und nach diesem schweren Leben nun auch noch Demenz erleben muss . Und ich erlebe und begleite es mit, muss aber auf mich aufpassen und auch meine eigenen Bedürfnisse "achten und ehren"..

    Danke dass ich mich hier mit euch austauschen darf. Man fühlt sich dadurch nicht so exotisch.

    Herzliche Grüße :love:

  • Hallo zusammen,


    der Denkansatz von Hrn. Hamborg ist mir auch schon begegnet, und in meinem Fall könnte er in gewisser Form zutreffen. Aufgrund der Vertrautheit zu mir bin ich für meine Mutter tatsächlich der Mensch, bei dem sie ungefiltert ihren Frust, ihre Sorgen und ihren Schmerz abladen kann, eine Mischung aus Klagemauer, Müllabladeplatz und Fußbabtreter. Ich habe schon das ein oder andere Mal gesagt, dass ihr herausforderndes Verhalten eigentlich ein Zeichen ihrer Liebe zu mir ist.


    Meine Mutter hat mich schon immer als ihre Vertraute gesehen (wobei mir das erst ziemlich spät so bewußt worden ist). Wie oft hat sie sich (vielfach grundlos) über meinen Vater beklagt, wenn er nicht so funktionierte, wie sie das wollte. Wenn er z.B., als er schwerkrank dialysepflichtig war, morgens einfach nicht aufstehen wollte, rief sie mich an und maulte darüber. Es gab Aussagen, bei denen ich ihr gesagt habe, sie solle sich nicht versündigen und würde es später bereuen. Als mein Vater dann verstorben ist, wurde er von ihr plötzlich auf ein Podest gestellt, so dass sie es nicht einmal verneinte, als ich sagte, ihr wäre es wohl lieber, ich sei tot und nicht mein Vater. Dass ich meinen Vater verloren hatte, interessierte sie nicht, es ging nur um ihre eigene Trauer. Dass die nach mehr als 50 Jahren Ehe groß war, ist mehr als nachvollziehbar, aber manches paßte nicht zu ihrem Verhalten zu seinen Lebzeiten, und ich gebe zu, dass ich das nicht ganz übereinbekommen habe.


    Ich kann vieles von ihrem Verhalten aus ihrer eigenen Biographie erklären, und ich glaube, Demenz ist eine Art Reflektion des eigenen Lebens. Wenn das Verhältnis zum Kind schon immer schwierig und belastet war, dürfte sich das auch in der Demenz fortsetzen (vielleicht gibt es aber auch Menschen, die in der Demenz plötzlich eine ungeahnte liebevolle Seite zeigen?). Wie dem auch sei, weh tut es so oder so.


    Es gibt Tage, an denen ich das Verhalten rational erfasse und manches an mir abprallt, aber ich bin nicht Mutter Teresa oder ein Zen-Mönch, so dass es mich auch immer wieder persönlich trifft und schmerzt. Aber wenn wieder einmal eine Lawine Vorwürfe auf mich niedergeht, halte ich mich daran fest, dass ich mich jeden Tag im Spiegel ansehen kann und weiß, dass ich das Beste in meiner Macht Stehende getan habe.


    Paßt gut auf Euch auf und einen guten Wochenstart!

  • Heute ist es mit der Haut eskaliert. Trotz eindringlicher Ermahnungen hat meine Mutter sich wohl ständig ins Gesicht gefaßt, an den Stellen gerubbelt und sich wohl auch noch Babypuder darauf gestreut. Jedenfalls war die Wange heute feuerrot, geschwollen, als hätte sie etwas am Zahn. Der Hautarzt hat uns komplett im Regen stehen lassen, sie gar nicht mehr behandelt und nur an die Uni-Klinik verwiesen. Er schien gar kein Interesse zu haben, sich mit dem Problem noch weiter zu befassen. Der Pflegedienst riet mir, nicht bis morgen zu warten, sondern gleich in die Klinik zu fahren, auch auf die Gefahr hin, dass man stundenlang warten müßte. Aber wir hatten unwahrscheinliches Glück. Obwohl die dermatologische Ambulanz schon geschlossen war, hat man uns aufgenommen und wir wurden direkt von einem sehr netten, gründlichen Arzt in Empfang genommen. Es ist eine Kontaktdermatitis plus bakterielle Infektion. Leider begreift meine Mutter nicht, dass sie sich nicht ins Gesicht fassen darf und es damit immer schlimmer macht. Ich rede mir den Mund fusselig, und schwupps sind die Pfoten wieder im Gesicht. Darüber hinaus macht sie den Pflegedienst dafür verantwortlich, dass ihre Haut so schlimm ist, und will von ihm nichts mehr annehmen. Ich habe ihr x-mal erklärt, dass die nur das machen, was ich ihnen aufgetragen habe, und sie doch mir vertrauen kann. Aber sogar das hinterfragt sie!


    Ich habe jetzt alles aus Bad und Küche weggeräumt, was sie sich noch ins Gesicht schmieren könnte. Aber ich kann ihr ja nicht die Hände zusammenbinden! Ich bin wirklich ratlos, wie ich sie noch "steuern" kann, damit das Ganze nicht noch schlimmer wird. Oder kann man einen Dementen irgendwann nicht mehr steuern und muß fatalistisch den Dingen ihren Lauf lassen?

  • Mit der Geronto-Neurologin stehe ich schon in Kontakt und habe meine Mutter wieder für die Tagesklinik angemeldet. Das geht aber auch nicht von heute auf morgen. Die Neurologin hat mir auch gesagt, dass ich sie, wenn es gar nicht mehr geht, in die Psychiatrie bringen soll. Aber da waren wir einmal und im Nachhinein froh, dass man sie nicht aufnehmen konnte. Dorthin will keiner freiwillig...

  • Meine Erfahrung ist leider auch, dass man ab einem gewissen Punkte nicht mehr viel machen kann.


    Ich kenne auch solche Wunden. Sah manchmal aus, als hätte jemand mit einem Säbel die Wange verletzt.

    Trotzdem sind zu diesem Zeitpunkt, die Wunden immer wieder verheilt.

    Lässt die Mutter sich eincremen? Muss ja nicht so oft sein. Aber dann juckt die Haut nicht mehr so. War bei uns irgendwann hilfreich gewesen.

    Hat der Arzt keine antibiotische Salbe aufgeschrieben, die du oder ein anderer einmal täglich auftragen kann, um sie dann wieder mitzunehmen.

    Kurze Fingernägel hat sie bestimmt sowieso.

    Ansonsten hilft leider nur es lassen wie es ist, bis sie in eine Klinik kommt.

  • Der Hautarzt hat Antibiotika, eine Salbe und Umschläge mit Octenisept verordnet. Meine Mutter lebt ja im betreuten Wohnen und wird von einem Pflegedienst versorgt. Insofern übernehmen auch sie diese Tätigkeiten. Ich mache alles drumherum, aber die tägliche Versorgung mit ihren Medikamenten habe ich "outgesourcet". Ich hoffe jetzt erst einmal, dass das alles greift.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo in die Runde, zunächst danke für die kritische Rückmeldung auf meinen letzten Beitrag. Genau das schätze ich in meiner Arbeit, wenn ein Rat nicht als Schlag stehen bleibt, sondern zum weiteren Diskurs führt - also bitte gerne die andere Ansicht!


    Danke auch für die Differenzierung, die große Offenheit und das Vertrauen hier in diesem Forum.

    Meine Gedanken sind sicher für "kindheitsgeschädigte Angehörige" schwer zu ertragen, besonders für all die, die das vierte Gebot als moralische Keule zum leidvollen Ertragen der elterlichen Unzulänglichkeiten, Fehler und Charakterschwächen kennengelernt haben.


    Wie viele Kinder müssen sich auch heute noch schützen, obwohl Gewalt oder hilflose "Züchtigung" in der Familie schon lange geächtet und verboten sind?

    Wie viele Kinder müssen sich auch heute noch in ein Schneckenhaus zurückziehen, sich auch vor eigenen Gefühlen schützen, diese abspalten und sich innerlich trennen, weil ihre Liebe nicht beantwortet wird?


    Oft führt dies zum radikalen Bruch und manchmal wird erst im einsamen Alter den kinderschädigenden Eltern das eigenen Verhalten schmerzhaft deutlich - oft habe ich über dieses schlechte Gewissen gesprochen, über die späte Einsicht und die Un-möglichkeit einer Versöhnung. Dann denke ich auch an unsere Dialoge und die Gespräche, wo sich die erwachsenen Kinder nicht getrennt haben und sich immer noch schützen müssen.


    Vielleicht sollte ich in diesen Gesprächen nicht von der tiefen kindlichen Liebe sprechen, sondern von einer Bindung in einem generellen Abstand. Vielleicht sind auf beiden Seiten noch offene Stellen und Brücken, die helfen können, im Abstand in Beziehung zu gehen.


    Das Verständnis für die fehlerhaften Eltern in Alter ist vielleicht in diesem Abstand eine Hilfe, das "Verhalten nicht überzubewerten". Verstehen im Abstand hilft für passende Erklärungen vielleicht sogar beim Loslassen. Dadurch kann eine neue innere Stärke wachsen, um in meinem Bild zu bleiben - über die Brücken hin zu neuen Ufern, vielleicht sogar hin zum einseitigen Verzeihen oder tiefen gegenseitigen Versöhnen, trotz oder gerade wegen der Demenz!?


    Sie verdienen viel Respekt, weil Sie trotz allem die Bindung halten!

    Es tut weh, wenn Profis oder auch Familienangehörige auf die "Fassade" hereinfallen und sich so zu billigen Ratschlägen genötigt fühlen. Ich kenne diese Falle auch, denn es passiert oft, dass ein sehr schwieriges Verhalten gerade dann nicht auftritt, wenn ich dabei bin oder mit dem Menschen in Kontakt trete.

    Wir sprechen dann gern von einem "Vorführeffekt" .

    Dann stelle ich nicht das Problem in Frage, sondern wir suchen nach Gründen, warum es in dieser Situation anderes war. Wir können überlegen, welche Ressourcen wir daraus ableiten können.

    Soweit meine Gedanken und ich bin gespannt darauf, was ich in der nächsten Woche lesen darf, Ihr Martin Hamborg

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Zimt, hoffentlich behalten Sie die Geduld im Suchen nach den richtigen Lösungen im Kratzproblem. Die vielen guten Vorschläge und bisherigen Strategien möchte ich mit einigen Fragen einordnen:


    Was haben Sie schon alles unternommen, um die Ursachen zu ergründen!


    Es sind vermutlich mehrere Ursachen und das macht es so schwer und führt dazu, dass trotz einer "richtigen Ursache" die richtige Behandlung noch keine Lösung gebracht hat. Das multifaktorielle Verständnis führt dazu, dass eben mehrere Behandlungen nebeneinander stehen können und nur die "richtige" Kombination hilft.

    Neben den internistischen und neurologischen Erklärungen würde ich auch die psychischen Faktoren abfragen: Verstärken depressive, zwanghafte oder wahnhafte Prozesse das Probem?


    Wie können Sie die Symptome so effektiv wie möglich behandeln, wenn Sie an die Ursachen nicht herankommen?


    Leider können Sie die Hände nicht einfach fixieren, aber Sie tun schon sehr viel, um die Folgen der Verletzungen zu mildern. Mir fallen da nur noch Baumwollhandschuhe ein, mit denen wir manchmal Entlastung schaffen konnten.


    Die dritte Ebene betrifft die Frage: Welche Funktion hat das Verhalten, was soll es bei Ihnen auslösen? Wo sollen Sie als Kind funktionieren? welche Bedeutung hat die Hilflosigkeit es erwachsenen Kindes für die Mutter?

    • Wofür ist es ein Hilfeschrei, z.B. nach umfassender Hilfe in einer Klinik?
    • Gibt Erklärungen für einen möglichen Sinn - wie sich selbst wieder zu fühlen, sich zu bestrafen, Schmerzen zu überdecken oder Grenzen zu erleben?

    Wenn Sie aus dieser Perspektive eine mögliche Erklärung ableiten können:

    Was können Sie tun, um sich zu schützen und im Abstand ein (un)erkanntes Bedürfnis zu erkennen?


    Soweit einige Gedanken, Ihnen viel Kraft! Ihr Martin Hamborg

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