Natürlich habe ich mich schon gefragt, warum meine Mutter an ihrer Haut kratzt und sie nicht in Ruhe heilen läßt. Ich habe an Übersprungshandlung und Langeweile gedacht. Außer Fernsehen und Radio hat sie keine weiteren Interessen (mehr). Die zahlreichen Angebote im Haus hat sie von Anfang an abgelehnt. Hat sie Frust oder auch Langeweile, ruft sie mich an und beklagt sich. Sie würde nie anrufen, um mich zu fragen, wie es mir geht. Mittlerweile bin ich sogar dazu übergegangen, ihre Nummer zeitweilig zu blockieren. Ich kann sehen, wie sie im Minutentakt anruft, aber irgendwann hört das dann auf, und wenn ich sie später frage, warum sie angerufen hat, kann sie sich meistens gar nicht mehr erinnern. Das - wie auch das Kratzen -mag tatsächlich eine Form des Frustabbaus sein. Wir haben ihr so ein Fidget Toy zum Drücken gekauft, mit dem sie ihre Hände beschäftigen könnte. Wie weit sie das nutzt, weiß ich nicht.
Ich denke immer lösungsorientiert. Wenn ich also die Ursachen für ihr Kratzen ergründen könnte, sehe ich mich trotzdem nicht in der Lage, Abhilfe zu schaffen.
Damit sie den Heilungsprozess nicht immer wieder durch Manipulationen (Reiben, Waschen, Berührungen) unterbricht, bin ich jetzt dazu übergegangen, die Stellen zeitweise mit Pflaster zu überkleben. Sie greift dann zwar immer wieder dahin (um im Gegenzug treuherzig zu versichern, dass sie da nie hinfassen würde), und man merkt, dass sie sich dann wundert, keine Haut, sondern nur Pflaster vorzufinden.
Heute morgen mußte ich ihr aber einen richtigen "Einlauf" verpassen. Als ich sie anrief, beklagte sie sich wieder über den Zustand ihrer Haut, und sagte mir, der Pflegedienst würde mich dazu kontaktieren. Ich ging davon aus, dass es sich wieder verschlimmert hat. Ich habe mich direkt mit dem Pflegedienst in Verbindung gesetzt und mußte erfahren, dass sich meine Mutter mit Händen und Füßen gewehrt habe, die Medikamente (darunter ein Antibiotikum) zu nehmen. Zwei Pflegekräfte hätten alles versucht, seien aber nicht gegen sie angekommen. Da ist mir der Kragen geplatzt. Validierung hin oder her, aber ich glaube, in so einer Situation geht nur Klartext. Ich bin so deutlich und energisch wie nie zuvor geworden und habe ihr gesagt, wenn sie nicht mitzieht, dann würde ich aufgeben und einen Betreuer beauftragen, der sich um ihre Angelegenheiten kümmern würde. Ich wäre raus. Ich habe auch keinen Widerspruch von ihr geduldet, habe aber versucht, ihr klar zu machen, dass wir das alles tun, weil sie uns wichtig ist, und nicht, um sie zu ärgern. Und sie hat es verstanden! Hat sich die Medikamente geben lassen und war später ganz entspannt und freundlich. Natürlich weiß ich nicht, wie lange das vorhält, aber für den Augenblick hat sie es verstanden und ich hoffe, wir können die Behandlung zu einem guten Abschluß führen.
Wie man aber ihre Alltagssituation verbessern könnte, dafür habe ich keine Lösung. Neben der günstigen Lage haben wir das Haus auch ausgewählt, weil es dort wirklich viele Gruppen und Veranstaltungen gibt. Wegen Corona haben sie zwar lange geruht, aber jetzt werden sie nach und nach wieder aufgenommen. Aber wie schon geschrieben, meine Mutter ist zu nichts zu bewegen. Aktuell steht sie wieder auf der Liste für die Tagesklinik, weil ich glaube, dass so ein geregelter Tag wie dort ihr gut tun würde. Das Seniorenhaus baut derzeit eine Etage für eine Tagespflege, aber bis zur Eröffnung wird es noch eine ganze Weile dauern. Ggf. wäre das aber eine Option.
Wenn hier jemand noch andere Ideen und Erfahrungen hat, wäre ich sehr daran interessiert.
LG Zimt