Besuche im Pflegeheim

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  • Hallo in die Runde,

    Ich hatte ja berichtet, dass meine Mutter Ende Juli in ein Pflegeheim „gezogen“ ist.

    Es ist Alles gut gegangen und sie ist dort.

    Den ganzen Advent konnte ich sie nicht besuchen, Corona.

    Weihnachten hab ich nun das erste mal ganz anderes verbracht. Den 24. hat nun mein Sohn mit Freundin und ihrer Familie ausgerichtet. War für mich am Anfang schwierig.

    Am 26. brachten wir dann Ente ins Pflegeheim und haben Mittags mit ihr gegessen. Sie hat früher an den Feiertagen immer bestimmte Salate gemacht, die ich ihr fürs Abendbrot da gelassen hatte.

    Weil sie ihren Fernseher nicht im „Griff“ hatte, haben wir ihn mitgenommen und zu Hause neue eingerichtet und am 27. wieder hingebracht. Es war wieder Alles weg, dass wir einen Tag vorher da waren, die Ente und die Salate.


    Das Alles nur mal als Schilderung.


    Insgesamt ist sie dort gut angekommen. Nachmittags, wenn ich sie besuche spielt sie oft mit anderen Karten. Ihrer Freundin berichtet sie am Telefon, dass Gespräch läuft über mein Handy, dass sie gut aufgehoben ist und sich um nichts kümmern muss.


    Was mich immer tröstet ist, dass auf Grund des anscheinend zerstörten Bereiches für Emotionen, kein Leidensdruck besteht. Sie hat z.B. nicht gejammert, dass sie Weihnachten im Heim bleiben musste.


    Meine Frage ist, wie oft besucht ihr eure Angehörigen im Pflegeheim.


    Ich schaffe es nur einmal die Woche. Die Gespräche verlaufen immer gleich. Wie ich sie gefunden habe, ob wir nach dem Wochenend Grundstück schauen (das dort ihr Wohnhaus steht in dem sie 30 Jahre gelebt hat ist weg), was mein Sohn macht und sein Hund und dann Alles wieder von vorne.


    Ich finde es schwierig. Ich weiß ehrlich manchmal gar nicht mehr worüber ich reden soll.


    Wie gehts euch bei den Besuchen?


    Liebe Grüße Gobis

  • Hallo, Gobis


    schön, von Dir zu hören.


    Das klingt alles in allem gut, finde ich. Es freut mich auch, dass die Mama sich eingelebt hat und sogar Karten spielt. Das sie das noch kann. finde ich erstaunlich, da sie ja sonst alles schnell vergisst. Anscheinend ist ein Teil des Langzeitgedächtnisses noch vorhanden. Auch die Aussage, dass sie sich gut aufgehoben fühlt, freut mich. Ich kann mir vorstellen, dass das beruhigend ist.


    Mich darfst Du im Grunde nicht fragen, wie wir die Sache mit den Besuchen gehandhabt haben, da von uns jeden Tag jemand dagewesen ist. Das waren aber ganz andere Umstände, im Grunde nicht vergleichbar.


    Einige, die im "Wie geht es Euch"-Thread schreiben, gehen nur einmal die Woche, andere noch seltener ins Heim, weil sie viel weiter weg wohnen.


    Ich denke, man kann hier keine pauschale Aussage treffen. Es sollte doch so sein, dass man so hingeht, wie es einem selbst und dem Demenzkranken gut tut.


    Das Gespräche irgendwann nicht mehr funktionieren, vielleicht eine zeitlang oder langfristig, das kenne ich auch. Was man vielleicht tun kann . . .

    Es ist ja jetzt auch noch Winter. Ich weiß nicht, wie beweglich die Mama noch ist. Spazieren gehen oder mit dem Rollstuhl nach draußen fahren ist eine mögliche Abwechslung. Ich weiß auch nicht, wie es jetzt in den Heimen gehandhabt wird. Damals konnte man, zumindest eine zeitlang, noch durchs Heim spazieren gehen oder auf die Terrasse gehen. Daraus haben sich meist nette Begegnungen ergeben, die spontan stattgefunden haben.

    Oder man bringt etwas zum Sortieren mit. Ich habe mir oftmals auch etwas zum Nähen mitgebracht. Namensettiketten einnähen. Oder ich habe den Laptop mitgebracht und schöne Tiervideos geschaut zusammen mit dem Demenzkranken. Vielleicht würde auch ein leichtes Memorie gehen, eines für Kleinkinder oder zusammen malen. Manche Demenzkranke singen ja auch gerne. Vielleicht mitsingen oder zusammen Musik hören, wenn das gerne gemacht wird. Oder vielleicht eine Demenzkatze besorgen, so wie Hanne das in einem Thread beschrieben hat. Auch daraus kann sich vielleicht ein Dialog ect. entwickeln, vorrausgesetzt Katzen wurden einmal gemocht. :)


    Das wäre das, was mir so einfallen würde, Gobis. Aber vielleicht antworten noch andere


    Liebe Grüße an Dich

  • Hallo Gobis, zwar kann ich wegen Entfernung und sonstigen Umständen meine Mutter selten besuchen, aber wir telefonieren fast täglich miteinander.

    Auch da drehen sich die Themen im Kreis, manchmal folgt sogar sofort auf die Beantwortung einer Frage eben dieselbe Frage wieder.

    Ich habe gelernt, nicht selbst die Gespräche zu führen, sondern mich völlig von den Fragen meiner Mutter leiten zu lassen. Aus mancher Antwort ergibt sich dann sogar ein neues Thema, über das wir dann ein wenig weiterreden können.

    Aber es macht auch nichts, wenn es nur Wiederholungsschleifen sind, denn das sind dann einfach die Themen, die sie im Moment interessieren - sie nimmt die Wiederholung ja gar nicht wahr und ich vertiefe dabei meine Erfahrung, dass es die geistig wache, anwesende Mutter nicht mehr gibt.

    Das hilft mir aber dabei, den Zustand anzunehmen und auch das unterschwellige Gefühl der Hoffnung, irgendwann könnten wir dann mal zusammen über alles wieder "normal" reden und lachen, verliert sich dadurch zunehmend.

    Damit kann ich dann auch wieder besser mit den Verlusten umgehen, die natürlich bei meiner Mutter auch immer heftiger und deutlicher werden.


    Es geht gar nicht mehr darum, wie ist es wirklich (egal bei welchem Thema), sondern wie nimmt sie es wahr und meint es jetzt im Moment.

    Denn im nächsten Moment kann es ja schon wieder aus den Gedanken verschwunden sein.

    Also zusammenfassend gesagt: ich lasse mich das ganze Gespräch hindurch - das durchaus auch gut eine Stunde überschreiten kann, ein anderes Mal keine Minute dauern muss - von ihr führen und leiten und reagiere nur.

  • Hallo Gobis! Ich denke, Du musst Dir keinerlei Vorwürfe machen, wenn Du einmal die Woche ins Heim gehst.


    Mein Großvater war fast 5 Jahre lang im Heim, und meine Mutter und ich haben ihn abwechselnd ungefähr 2x pro Woche besucht, er hatte also mindestens jeden zweiten Tag jemanden. Viele von den Bewohnern haben mir Leid getan, denn da kam fast nie jemand. Im Gegensatz dazu gab es einige Töchter, die jeden Abend zum Füttern gekommen sind, weil die Mutter nichts essen wollte, wenn das Personal es hingestellt hat. Es gab also eigentlich alles zwischen völliger Vernachlässigung und Selbstaufopferung. Es kommt sicherlich auf Sachen wie Entfernung, eigenes Leben (Kinder, Job, usw) an, und auch auf den Zustand des Erkrankten.


    Mit Gesprächsthemen habe ich es am Anfang so gehalten, dass ich Sachen erzählt habe. Meine Mutter meinte, mein Großvater erlebt ja nichts Neues, und so muss man Dinge von Draussen an ihn herantragen. Er hat sich aber dann irgendwann nicht mehr dafür interessiert, sich nicht mehr dran erinnert, und z.T. war es eher schlecht, wenn man ihn verwirrt hat. Entsprechend habe ich dann, wie ecia25 sagt, auch eher meinen Großvater das Gespräch führen lassen. Er hat dann viel vom Krieg erzählt und der Zeit danach, was ich dann oft eigentlich interessant fand. Er konnte auch Gedichte aufsagen, hat sich für Dialekte interessiert, usw. Zum Glück hatten wir bei ihm wenig Wahnvorstellungen, manchmal hieß es, meine (tote) Großmutter sei doch gerade dagewesen, oder der Zimmernachbar hätte ihm einen Streich gespielt.


    An Aktivitäten habe ich immer versucht, ihn zu bewegen -- spazieren, ein Eis essen gehen. Alte Bilder anschauen war toll, wir hatten einen Karton voll, und er konnte sich irgendein Schwarzweissbild mit 18-jährigen Fußballern von 1950 anschauen und wusste genau, wie das Spiel ausging, und dass der eine eigentlich nicht aufs Bild gehört, weil er ja nur auf der Ersatzbank gesessen hat.


    Irgendwann habe ich die Besuche recht genossen, auch, weil eigentlich immer irgendwas los war. Er klaute wie ein Rabe und hatte immer eine clevere Erklärung parat. Man fand häufig Damenbrillen bei ihm. Ja, da sei jemand ausgezogen, und die Schwestern wüssten, dass er Brillen mag, drum hätten sie ihm die gegeben. Einmal standen dreckige Gummistiefel da, die er wohl dem Hausmeister geklaut hatte; die seien ihm vorbeigebracht worden, er müsse ja beim Baumfällen helfen. Irgendwann hatte er tatsächlich eine Gartenschere in seinem Rollator liegen und zog damit rum und schnitt hervorstehende Äste ab. Eines Tages passte das Gebiss nicht, und es stellte sich raus, es war gar nicht seins. Kerzen und Feuerzeuge mochte er sehr, aber man durfte sie im Heim nicht haben. Bei fast jedem Besuch fanden wir welche, wo sie herkamen weiss ich bis heute nicht. Er war einfach ein sehr netter Mensch, das konnte nicht mal die Demenz zerstören. Leider ist das natürlich nicht bei Jedem so, und davon hängt sicherlich auch ab, wie oft man besucht und was man für Aktivitäten macht.

  • Hallo zusammen,

    @schwarzer kater: das stelle ich mir sehr enttäuschend vor, wenn du immer schnell weggeschickt wirst. Evtl.fühlt sich deine Mutter von einem Gespräch/Besuch überfordert, spürt mehr , was sie nicht mehr kann? Dass du es trotzdem immer wieder versuchst, ist sicher psychisch auch anstrengend.

    Ich selbst besuche meine Mutter weiterhin regelmäßig 1mal/ Woche. Für sie ist es wohl immer zu wenig, sie wird auch heute nicht mehr wissen, dass ich gestern da war. Es ist sehr unterschiedlich, wie die Gespräche laufen. Oft versuche ich auch , von außen etwas Neues reinzubringen an Infos, dass Bundestagswahl war o.ä. Sie zeigt sich teils interessiert, aber nur für den Moment. Als ich von der unwetterkatastrophe im Rheinland, ihrer Heimat, berichtete, reagierte sie sehr unberührt und ich denke, es hat auch was Gutes, wenn man emotional distanzierter ist in der Demenz. Sie macht sich ja dadurch viel weniger Sorgen als früher, wirkt ausgeglichener. Von Telefonaten profitiert meine Mutter noch weniger, ist och schneller vergessen.


    Leider bin ich vorwiegend die einzige Besucherin und aufgrund familiärer Probleme früher ist unsere Beziehung eher gestört , so dass es für mich tatsächlich schon in der wöchentlichen Frequenz problematisch und oft belastend ist, doch ich denke dann immer daran, wie ich mich an Ihrer Stelle fühlen würde.


    Insgesamt finde ich diese Demenzerkrankung jedenfalls doch sehr belastendend für Angehörige, zumal es sich ja meist über mehrere Jahre hinzieht, der Betroffene es auch über lange Zeit selbst stark belastend empfindet, O-Ton meiner Mutter vor ca. 2 Jahren "ich merke, dass ich mich verändere, ich muss hier weg"... das fand ich enorm traurig, da man sich dann so ohnmächtig fühlt und ich hatte keinerlei Alternative, hatte selbst gesundheitlich sehr zu kämpfen etc. Da finde ich die derzeitige kampflose Zeit schon leichter, wünsche meiner Mutter nur inständig, dass sie die letzte Phase der Demenz nicht mehr erreicht, wenn man gar nicht mehr einschätzen kann, was noch ankommt.


    Liebe Grüße an Euch alle

    Rose

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Gobis, auch ich freue mich mit Ihnen, dass sich Ihre Mutter gut eingelebt habt und - wie Rose es so treffend formuliert hat - der "Kampf vorbei ist".

    Zu den vielen bewährten praktischen Vorschlägen möchte ich nur einige Ziele hinzufügen:


    In der Phase, in der jetzt Ihre Mütter sind ist die Zeit des Trainings und der Realitätsorientierung vorbei, sie leben in ihrer subjektiven Welt und es geht "nur" noch darum, dass sie sich darin wohl fühlen und Geborgenheit erleben und mit Neugierde, Interesse oder Begeisterung das machen, was ihnen gerade in den Kopf kommt - und das kann auch "nichts" sein. Nie vergesse ich eine alte Dame, die in meiner Gruppe mit geschlossenen Augen saß. Auf meine Frage ob sie müde sei, antwortete Sie "Nein junger Mann, ich schone meine Augen". Das hat mich überzeugt.


    Das zweite Ziel ist: Genießen Sie Ihren Besuch und vermeiden Sie Fehler oder wir sagen "nogos", genauso wie es Ihren Antworten und Vorschlägen deutlich wird.


    Machen Sie etwas, was Ihnen beiden gut tut und am besten nur so lange, wie es Ihnen gut tut. Im Zweifel kommen Sie an einem Besuch mehrfach - also nehmen Sie eine kurze Auszeit und kommen Sie noch einmal wieder.


    Stärken Sie das Vertrauen in das Heim und die Mitarbeiter*innen und besprechen Sie deren Fehler oder Versäumnisse nicht vor Ihrer Mutter.


    Achten Sie auf sich und üben Sie, die Endlosschleifen und das Herausfordernde Verhalten als Zeichen der Krankheit oder (wenn Sie daran Interesse haben) als Botschaft eines verborgenen Bedürfnisses zu betrachten.


    Möchten Sie Ihre Mutter ganz neu kennen lernen, in einer subjektiven Lebensphase, die vor Ihrer Zeit liegt?


    Können Sie darauf achten, ob Retraumatisierungen, behandelbare Schmerzen oder andere Krankheitssymtome hinter einem schwierigen Verhalten stehen?


    Probieren Sie "Türöffner" oder "Schlüsselworte" aus, die Ihre Mutter anregen, interessieren und aktivieren und geben Sie Ihre Erkenntnisse an die Betreuungskräfte weiter - am besten schriftlich, damit sie gleich in die Planungen übertragen werden können.


    Feiern, singen oder tanzen Sie zusammen, wenn dies wieder möglich ist.


    Nun zu Ihrer Frage: In der vorletzten Phase der Demenz ist es also nicht wichtig, wie oft Sie kommen, sondern dass es den Beteiligten gut geht.


    Also Qualität und nicht Quantität - mit einer Ausnahme: In schlechten Heimen und in Zeiten großer Personalnot sind Angehörige ein not-wendendes Regulativ und eine wichtige Unterstützung. Sie können die Probleme ansprechen und die Mitarbeiter*innen stärken die es gut meinen.

    Ihnen eine gute Woche, Ihr Martin Hamborg

  • Danke, Herr Hamborg! Ihren Blick "von außen oder obenauf" finde ich wieder sehr hilfreich.

    Mich erstaunt mittlerweile selbst, wie lange sich solch ein Prozess hinziehen kann...


    Schade finde ich nach wie vor, dass durch Corona die vorherigen Feiern für alle Bewohner zusammen nicht mehr stattfinden, die kleinen und großen Highlights fehlen einfach für die Bewohner, die noch einiges mitbekommen. Ich finde, das gehört doch auch zur Lebensqualität dazu, singen, Spaß haben, die Lebensverlängerung "um jeden Preis" ist doch sehr zweifelhaft.

    Liebe Grüße

  • Danke, Rose, dafür:


    Schade finde ich nach wie vor, dass durch Corona die vorherigen Feiern für alle Bewohner zusammen nicht mehr stattfinden, die kleinen und großen Highlights fehlen einfach für die Bewohner, die noch einiges mitbekommen. Ich finde, das gehört doch auch zur Lebensqualität dazu, singen, Spaß haben, die Lebensverlängerung "um jeden Preis" ist doch sehr zweifelhaft.

    So empfinde ich es auch. Im Heim meiner Schwiegermama hat man trotzdem etwas gefeiert, sogar Karneval. Das ist aber jetzt schon eine Weile her. Ich weiß aber, dass in den meisten Heimen hier nichts gegangen ist.

    Ansonsten sehe ich das wie du. Entweder eine richtig gute Versorgung, damit das Leben auch wirklich noch als lebenswert erfahren werden kann oder aber, dass man älteren Menschen den letzten Weg nach ihren eigenen Wünschen mehr gestaltet.

  • Hallo in die Runde,


    vielen Dank für Eure Antworten.

    Ja der tägliche Kampf ist vorbei, worüber wir Alle froh sind. Wir sehen, dass sich die Pflegesituation um 150% verbessert hat.

    Aber was bleibt, ist das schlechte Gewissen.


    Ich bin heute wieder im Pflegeheim und werde mal schauen, wie die Tipps zum Gesprächsablauf funktionieren.


    Einen schönen Tag wünscht Gobis

  • Hallo Ihr Lieben,

    ja, es nagt - mittlerweile mal mehr mal weniger . Haben wir vielleicht ein aus irgendwelchen übersteigertes Verantwortungsgefühl?

    Können wir nur schlecht loslassen? Die Kontrolle nicht abgeben?

    Ich würde jedenfalls nicht wollen, dass meine Kinder sich in 20-30 Jahren so grämen, wenn sie das aktuell Beste für mich geregelt hätten, die Pflege aber nicht selbst ausführen könnten ohne dabei zuviel Federn zu lassen.

    Herzliche Grüße

    • Offizieller Beitrag

    Hallo in die Runde, ein schlechtes Gewissen ist kein guter Ratgeber. Aber wenn es nun mal bleibt, können wir nach einem würdigen Platz im Chor unseren inneren Stimmen suchen.

    Die Preisfragen sind vielleicht:

    • Ist es richtig was ich gemacht habe?
    • Darf ich mir glauben, wenn mich hier im Forum alle bestätigen?
    • Darf ich mich immer wieder in Frage stellen, weil ich ein kluger, denkender Mensch bin?
    • Hat sich ein zwanghafter Gedanke einbebrannt, der nur durch systematisches Training abgebaut werden kann, weil er so gut geübt ist?
    • Wie gelingt es mir, mich bei einm Gedanken zu bedanken und ihn immer wieder loszulassen, weil er seine Pflicht erfüllt hat?

    In diesem Sinne wünsche ich ein gutes oder bestes Gewissen!

    Ihr Martin Hamborg

  • Stärken Sie das Vertrauen in das Heim und die Mitarbeiter*innen und besprechen Sie deren Fehler oder Versäumnisse nicht vor Ihrer Mutter.

    Sehr geehrter Herr Hamborg, dazu eine Frage zum ersten Teil des Satzes - Wie geht das??? Bei meiner Mutter ist es so, dass niemand sich um sie kümmert, sie hat im Pflegeheim noch nie (nach fast zwei Jahren) etwas zu essen bekommen, alle wollen nur ihr Geld, sie ausnutzen, ihre Sachen, einen Arzt hat sie noch nie gesehen, die Mitbewohner sind alle unmöglich u.s.w....Andererseits kam hier immer mal der Spruch "Mitleid geht immer". Ich habe da noch keine Lösung gefunden, wie ich mich meiner Mutter gegenüber positionieren soll. Fakt ist, dass man sich in unserem Pflegeheim sehr gut um sie kümmert. D.h. natürlich möchte ich das Vertrauen in das Heim stärken, d.h. aber, dass ich immer das Gegenteil von ihrer Wahrnehmung sage. Schwierig.....


    Liebe Gobis, ich bin die einzige, die zu Besuch kommt, ich fahre einmal pro Woche ich mache mir für die Besuche immer einen "Plan". Mal wird der Schrank sortiert (was immer sehr nötig ist) mal schauen wir einen Märchenfilm, mal versuche ich, mit ihr eine Runde spazieren zu gehen, ich nehme Bilder mit, wir rufen eine alte Freundin an (meine Mutter kann das selbst nicht mehr), wenn das Wetter wieder besser wird, werde ich mit ihr eine Runde spazieren fahren und vllt. ein Eis essen gehen (im letzten Jahr ging das noch). Gespräche gehen eigentlich gar nicht mehr, ich kann aber zu jedem Besuch das Gleiche erzählen, für meine Mutter ist das o.k. So fragt sie mich z.B. jede Woche, was eigentlich dieses Corona ist und da kann ich immer einiges erzählen.


    Lieber Schwarzerkater, vielleicht zum Trost: meine Mutter schickt mich auch manchmal schon nach einer halben Stunde und allerspätestens nach einer Stunde wieder nach Hause! Sie freut sich, wenn ich komme, es wird ihr aber auch ganz schnell zu viel.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Never20, "Wie geht das, die Stärkung des Vertraunens in das Heim?" - Zunächst war mir wichtig, dass Sie Fehler vermeiden und die Zweifel oder Verärgerungen Ihrer Mutter nicht verstärken.


    Dieser Appell war offensichtlich nicht nötig, in Ihrer Antwort an Gobis beschreiben Sie ein vorbildliches Verhalten in der schwierigen Situation: Sie lenken die Wahrnehmung Ihrer Mutter auf positive Dinge und machen gemeinsam etwas Schönes.


    Trotzdem bleibt ein unglücklicher Start Ihres Besuches, mit dem Unzufriedenheitsmuster Ihrer Mutter. Offensichtlich gelingt es Ihnen dies Muster zu unterbrechen.


    Wenn ich schreibe "Trost geht immer", denke ich an ein kurzes Validieren des Ärgers: "Das ist gar nicht so einfach mit so vielen Menschen hier", "das habe ich schon oft gehört, wenn man den Arzt braucht, kriegt man keinen Termin ... das kann einen schon enttäuschen ..." ... "Man darf sich auch mal seinem Ärger Luft machen, dann geht es einem besser"


    Mit Pflegekräften übe ich in solchen Situationen, sich neben den Menschen mit Demenz zu stellen und gemeinsam zu schimpfen, möglichst neutral, sodass alle Gefühle und Ärgernisse herauskommen können.


    Tröstend könnte auch sein, wenn Sie zu Beginn fragen, "war es heute wieder so schlimm wie beim letzten mal, da hast Du Dich ja so sehr geärgert?"
    Ziel ist es dann, möglichst schnell den Übergang in das angenehme Betreuungsprogramm zu finden. Sätze wie "Jetzt weiß ich Bescheid, jetzt bin ich für Dich da... jetzt können wir etwas Schönes machen... "

    Haben Sie eine Idee für ritualisierte Sätze, die in diesem Sinne genau zu Ihrer Mutter passen?


    Wie gehen eigentlich die Mitarbeiter*innen mit der Unzufriedenheit oder der demenzbedingt beeinträchtigten Trauerarbeit Ihrer Mutter um? Gibt es dafür Erkärungen wie Hinweise auf eine behandelbare Depression oder eine sehr lange Phase des Einlebens?

    Soweit einige Gedanken, Ihr Martin Hamborg

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Schwarzerkater, die Einschätzung Ihrer Tochter hat mich an viele Menschen mit Demenz erinnert, die auf mich in einer positiven Versunkenheit an das erinnerten, was ich aus tiefen Meditationen kenne. In meinem Buch habe ich dies in einem langen Kapitel zum Wesen der Demenz in 8 Annäherungen eingeordnet.


    Vor einiger Zeit habe ich im Forum die nonverbale Gesprächsführung für Menschen in der letzten Lebensphase beschrieben, in denen meine Besuche wie eine gemeinsame Mediation waren - und ich tatsächlich keinen Leidensdruck wahrnehmen konnte. Manchmal hatte ich das Bild, dass diese Menschen die tiefe Geborgenheit, Zuwendung und Pflege genießen konnten, die sie als Babys nicht erhalten haben. Oft habe ich diese Menschen vorher als "power-Frauen" kennengelernt, die sich früher allein aber erfolgreich durchgebissen haben. Lange habe ich über diese Erfahrungen nicht geschrieben, bis ich von einem italienischen Neurologen las, der mit tiefen Hirnmessungen bei Locked-in-Patienten gezeigt hat, dass sich diese Menschen bei guter Pflege offensichtlich wohlfühlten.


    Mich haben diese Besuche an den Grenzbereichen des menschlichen Lebens immer sehr bewegt und ich bin gestärkt aus diesen Begegnungen gegangen.

    Ihre Mutter ist noch nicht soweit, aber Sie können Anteil nehmen auf diesem Weg und vielleicht ähnliche Erfahrungen machen. In dieser Phase einer z.T. jahrelangen Sterbebegleitung hat sich für mich die Beziehung zu diesem Menschen verändert, ich war nicht mehr der Therapeut, sondern Begleiter oder Lernender.


    Ihre Mutter hat jetzt nach 5 Minuten Besuch vielleicht alles von Ihnen bekommen hat, was Sie umsetzen kann. Mehr Hilfe können Sie nicht leisten. Haben Sie eine Idee, wie Sie jetzt anders und tiefer in Beziehung treten können?

    Ich bin gespannt auf Ihre Erfahrungen und freue mich auf den Austausch, Ihr Martin Hamborg

    • Offizieller Beitrag

    Nach wie vor habe ich den Eindruck, dass die Pflegeeinrichtung genau das ist, was meine Mutter braucht. Man schaut sehr darauf, was sie mag und besorgt es. Ansonsten läuft sie einfach überall herum, sortiert die Post, packt Taschen ein und aus ... und man lässt sie gewähren. Sollte ich es einmal benötigen, würde ich mir genau so ein (unspektakuläres) Pflegeheim aussuchen. ....

    Hallo schwarzerkater,

    vielen Dank für Ihre Schilderung. Ich glaube, oder mein Erleben ist öfter, dass "gute" Einrichtungen, "gute" Stationen im Sinne dessen was sie beschreiben häufig Stationen des "Zulassenkönnens" sind. Es geht irgendwann durchaus nicht mehr darum, möglichst oft kleine und große "Events" anzubieten - ohne deren Bedeutung schmälern zu wollen. Aber nicht ständig beeinflussen, zugreifen, lenkenwollen - Menschen sein zu lassen wie sie gerade sind - das kann für entspannte, zufriedene Atmosphäre und Situationen so unglaublich wichtig sein und entstresst in meinen Augen alle - auch die Mitarbeitenden.
    Alles Gute.

    Jochen Gust

    • Offizieller Beitrag

    Hallo SchwarzerKater, schön, wie Sie das unspektakuläre Zusammenleben im Heim beschreiben. Damit wird das Normalitätsprinzip deutlich, in dem nicht künstliche Scheinwelten konstruiert werden, sondern "Seinswelten", wenn es diesen Begriff gibt.


    Mich beschäftigten noch Ihre Beschreibungen Ihrer neuen Rolle, es klingt so defensiv. Wenn es Ihnen in dieser kurzen Zeit gelingt, zu dem Wesenskern hindurchzukommen, ist das doch sehr wertvoll im Sinne einer echten ICH-DU-Begegnung oder? Haben Sie schon ein Bild, ein Symbol oder einen Satz für den Wesenskern gefunden?


    Mir ist das Eintauchen in das fluide Erleben in dieser Phase der Demenz wichtig, um darauch zu achten, ob es einen Leidensdruck oder einen Bedarf an Unterstützung gibt. Das sind Fragen, in denen ich mich fachlich gefordert sehe, danach bin ich nur noch dankbar, dass mich ein Mensch Anteil nehmen lässt an einer teifen Zufriedenheit. Wie viele Menschen üben die Zen-Meditation und erreichen diesen Zustand nicht?

    Ihr Martin Hamborg

  • Liebe schwarzerkater -


    ich weiß, was sie mit "analytischem Umgehen" meinen. An manchen Tagen gelingt es mir, an manchen weniger (zumindest in der letzten Woche). Dafür sind wir Menschen: An manchen Tagen tut es uns weh, wenn die Mutter leidet oder wenn man sieht, dass es ihr nicht gutgeht. An anderen Tage kann man besser damit umgehen. Ich sehe es genauso wie Sie: Wenn sich ihre Persönlichkeit so verändert, dass sie (wieder) positiver gestimmt ist, dann ist das gut. Denn dann geht es auch Ihnen wieder besser.

    Liebe Grüße

    TanjaS

  • Liebe schwarzerkater -


    das "Du" nehme ich sehr gerne an. Was mir in den letzten Tagen geholfen hat, sind die lieben Beiträge in diesem Forum. Ich bin momentan bei meiner Mutter und wie Du schreibst: Es sind die kleinen schönen Dinge, die man im Gedächtnis behalten sollte. Ich lerne das gerade. Meine Mutter und ich planen einen Shopping-Bummel in zwei Wochen, sie möchte mal wieder "etwas Neues" haben. Das wird sicherlich / hoffentlich auch eine kleine schöne Erinnerung.

    Dir ebenfalls alles Gute, viel Stärke und schöne Erinnerungen an die guten Zeiten.

    Liebe Grüße

    Tanja

    • Offizieller Beitrag

    Hallo TanjaS, es ist schön zu lesen, wie Sie trotz Schmerz und Trauer die kleinen schönen Dinge in der Begegnung mit Ihrer Mutter wahrnehmen und gemeinsam genießen können.


    Wenn ich hier immer wieder den Blick auf diesen Aspekt lege, ignoriere ich nicht das Leiden, dass Sie bei Ihrer Mutter beobachten. Im Gegenteil:


    Weil wir wissen, dass eine tiefe Zufriedenheit in der Demenz möglich ist, suchen wir nach allem was dem Wohlbefinden im erlebten Moment im Wege steht und wir tun alles, dieses Wohlbefinden zu erreichen.


    In meiner Arbeit suche ich zuerst nach körperlichen Faktoren, oft haben wir uns hier über ein Delir oder Schmerzen ausgetauscht.


    Die seelische Not ist eine weitere Ursache, wenn schmerzhafte Erinnerungen hochkommen, wenn der Mensch in seiner subjektiven Welt all dies wieder neu erlebt, wenn Bedürfnisse und Bedürftigkeiten nicht erkannt werden, wenn sich neue Kränkungen mit alten Mustern verstärken...


    Hier ist ganz viel Fachwissen, Erfahrung, Menschkenntnis und Empathie nötig und dieser Chat ist ein Beispiel dafür, wie wichtig das Expertenwissen in eigener Sache ist und ich freue mich, wenn ich den ein- oder anderen Blickwinkel , Einschätzung oder fachliche Anregungen hinzufügen kann.


    Deshalb meine Bitte: Wenn Sie das Leiden Ihrer Mutter wahrnehmen, nehmen Sie es bitte nicht als den Appell an das schlechte Gewissen, sondern als Aufforderung, nach Gründen, Ursachen und Verstärkern für das Leiden zu suchen. Damit können Sie neugierig das Geheimnis dahinter entschlüsseln, oft sind es die die tiefen menschlichen Bedürfnisse.


    Und die Lösungen sind (eigentlich) ganz "einfach" und gelten (leider) nur für den Moment, den der Mensch mit Demenz noch in seiner Aufmerksamkeit behalten kann. Deshalb sage ich immer wieder:

    Trost geht immer! Selbst bei körperlichen Schmerzen ist dies dies kurzfristig eine wirksame Medizin, trotzdem sind die Ärzte in der Verantwortung!

    Ihnen und Ihrer Mutter alles Gute in der nächsten Woche, Ihr Martin Hamborg

    • Offizieller Beitrag

    Hallo SchwarzerKater, über Ihre Texte habe ich lange nachgedacht. Analytische Fähigkeiten sind ein wichtiger Aspekt und wir können sie immer wieder mit der Realität abgleichen und uns weiterentwickeln.


    Der Expertenstandard zur "Beziehungsgestaltung für Menschen mit Demenz" fordert deshalb die Pflege auf, kontinuierlich eine aktuelle "Verstehenshypothese" zu entwickeln und so die Erklärungen immer wieder mit der sich ändernden Realität abzustimmen.


    Ich kann mir vorstellen, dass Sie diesen fast philosophischen DNQP-Standard für Heime und Kliniken interessiert lesen werden, vielleicht mit der Erkenntnis, wie weit weg dieser gültige Standard von der Realität ist. Vielleicht folgen Sie auch meiner Sichtweise, dass es immer wieder Einrichtungen und Situationen in der Pflege gibt, in denen Einzelaspekte umgesetzt werden...

    Das prozesshafte Denken in der Pflege steht unter diesem hohen Ideal.


    Aber genau wie Sie zu Ihrem beruflichen Hintergrund schreiben - auch wir Profis in der Altenpflege kommen an diese Grenzen, besonders wenn es um unsere Familie geht. Eine Dauerkrise, in der wir persönlich verstrickt sind, stellt unsere professionelle Fähigkeit in Frage. Das macht bescheiden oder sogar demütig, es kann in ein cool-out oder burn-out führen oder in existenzielle, philosophische oder spirituelle Sinnfragen. Da unterscheiden sich Außenexperte nicht von den Experten in eigener Sache.


    Kurz zu Ihrer Frage: Das was ich hier schreibe kommt aus meiner subjektiven Erfahrung nach 35 Jahren psychologischer Arbeit an den Grenzbereichen des menschlichen Lebens und nicht von einer philosophischen oder spirituellen Schule. Aber es baut mich auf, wenn ich aus diesen Zusammenhängen Erkenntnisse höre oder lese, die mich bestärken oder inspirieren, auch hier in diesem Forum.


    Als Sie schrieben, wie Sie wieder die Gewissheit Ihrer Mutter doch nun bald nach Hause zu kommen verunsichert hat, wird deutlich, wie schnell uns kleine Fragen in unserem Inneren erschüttern können.


    Ich habe diesen Satz auch schon sehr oft gehört. Wenn ich validierend nachfrage, ist es oft das Zuhause der Kindheit, der Wunsch nach tiefer Geborgenheit und manchmal nach "ewiger Ruhe". Mehr alte Menschen als wir denken, berichten davon, dass Eltern oder verstorbene Partner oder Kinder sie erwarten würden.


    Dieses Bild des ersehnten "Zuhause" macht uns erstmal traurig, aber wenn wir über die Todessehnsucht sprechen, kommt oft noch der Wunsch, etwas zu erleben und die Zeit bis dahin gemeinsam zu genießen. Diese Gedanken wird Ihre Mutter vermutlich nicht mehr äußern können, dafür hat die Demenz zu sehr den ehemals starken Geist und Körper beeinträchtigt. Aber was können Sie von ihrer starken Seele hören?

    Ihr Martin Hamborg

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