SGB IX Leistungen zur Pflege von Menschen mit Demenz

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  • Sehr geehrte Frau Gascho, sehr geehrte Frau Sprengemann, sehr geehrtes Moderationsteam,

    da Menschen mit Demenz ab einem bestimmten Grad von Beeinträchtigungen als Menschen mit Behinderung gelten, würde ich gerne wissen ob damit verbunden die Möglichkeit besteht, Leistungen des SGB IX in Anspruch zu nehmen.

    Besonders geht es mir hierbei darum, ob und in wie weit Leistungen des SGB IX neben Leistungen des SBG XI genutzt, sowie in wie weit Leistungen des SGB IX zur Ermöglichung sozialer Teilhabe von Menschen mit Demenz eingesetzt werden können. Hierbei denke ich z.B. an die Aufwendung von Beträgen zur Teilnahme an Betreuungsgruppen oder zusätzliche Betreuungseinsätze.

    Da die hierzu verfügbaren Möglichkeiten in Form von Entlastungsleistungen oder Verhinderungspflege oftmals bereits im Rahmen anderweitiger Maßnahmen durch die Pflege verbraucht werden, interessiert es mich, ob durch das SGB IX eine Erweiterung von Möglichkeiten besteht, den spezifischen Versorgungsbedarfen von Menschen mit Demenz Rechnung zu tragen.


    Vielen herzlichen Dank schon einmal im Voraus für Ihre Zeit und Mühe!


    Mit freundlichen Grüßen


    F.F.

    • Offizieller Beitrag

    Sehr geehrter Herr Ferdinand,


    zunächst einmal möchte ich Ihnen die Unterschiede der von Ihnen aufgeführten Gesetze aufzeigen.


    a) Das SGB IX beinhaltet alle gesetzlichen Regelungen zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen.


    Ausschlaggebend für die Anerkennung einer Schwerbehinderung im Sinne dieses Gesetzes sind die Auswirkungen von Funktionsstörungen und Einschränkungen, die eine Person aufgrund von körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen an der Teilhabe in der Gesellschaft hindern.


    Bei Anerkennung einer Schwerbehinderung (ab einem Grad der Behinderung von 50), gibt es eine Reihe von Nachteilsausgleichen, die die Teilhabe erleichtern beziehungsweise möglich machen sollen, zum Beispiel in Schule, Studium und Beruf oder bei Mobilität und Kultur. Die Prüfung findet in der Regel nach Aktenlage, also ohne persönliche Begutachtung statt.


    Eine Übersicht aller Nachteilsausgleiche und die Voraussetzungen dafür finden Sie unter anderem in den Informationsbroschüren der zuständigen Versorgungsämter, bei denen die Anträge zur Anerkennung einer Behinderung gestellt werden.


    Leistungen darüber hinaus, wie etwa die von Ihnen genannten Betreuungsleistungen oder Zuschüsse zu Verhinderungspflege, sind im SGB IX nicht vorgesehen.


    b) Das SGB XI oder auch Pflegeversicherungsgesetz regelt die Anerkennung einer Pflegebedürftigkeit und die damit verbundenen Leistungen. Geprüft wird hier, wie selbständig oder unselbständig die betroffene Person bei den Verrichtungen des täglichen Lebens in ihrer häuslichen Umgebung ist. Die Kriterien zur Feststellung einer Pflegebedürftigkeit beziehen sich darauf, welche direkte personelle Unterstützung bzw. Hilfestellung die pflegebedürftige Person benötigt, also welche Intervention von einer Pflegeperson erforderlich ist. Die Prüfung findet hier normalerweise durch eine persönliche Begutachtung in der Häuslichkeit der Antragstellerin oder des Antragstellers statt (Ausnahme: Corona).


    Mit der letzten Anpassung des Pflegeversicherungsgesetzes 2017 wurden die Begutachtungsrichtlinien geändert und die Pflegegrade eingeführt. Die Kriterien wurden dahingehend angepasst, dass demenzkranke Personen aber auch Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischen Krankheiten stärker berücksichtigt werden und dadurch eher einen Pflegegrad bekommen als vorher. Auch wurden die Leistungen der Pflegeversicherung erhöht und können besser kombiniert werden als früher. Besondere oder ergänzende Leistungen für Demenzkranke gibt es nicht mehr.


    Es gibt aber teilweise Möglichkeiten, ergänzende Hilfe zur Pflege beim Sozialamt zu beantragen, wenn die Leistungen der Pflegeversicherung nicht ausreichen, zum Beispiel wenn ein ambulanter Pflegedienst ins Haus kommt oder wenn die Sachleistungen der Pflegeversicherung für die Kosten einer Tagespflege nicht ausreichen.


    Für das Budget zur Finanzierung von Betreuungsleistungen können bis zu 40 % der ambulanten Sachleistung des vorhandenen Pflegegrades verwendet werden. Dadurch verringert sich dann das Pflegegeld entsprechend.


    Mit freundlichem Gruß


    Birgit Spengemann



  • Sehr geehrte Frau Spengemann,


    vielen herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Soweit ich es verstehe, beziehen sich die Leistungen des SGB XI auf den Zustand der Pflegebedürftigkeit hervorgerufen durch z.B. eine demenzielle Erkrankung. So beschreibt es auch §2 im SGB XI:

    "(1) Die Leistungen der Pflegeversicherung sollen den Pflegebedürftigen helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Hilfen sind darauf auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen, auch in Form der aktivierenden Pflege, wiederzugewinnen oder zu erhalten."

    in Verbindung mit §4:

    (1) Die Leistungen der Pflegeversicherung sind Dienst-, Sach- und Geldleistungen für den Bedarf an körperbezogenen Pflegemaßnahmen, pflegerischen Betreuungsmaßnahmen und Hilfen bei der Haushaltsführung sowie Kostenerstattung, soweit es dieses Buch vorsieht.

    Nach meinem Verständnis geht es hierbei um die Wiederherstellung von Voraussetzungen zur Selbstbefähigung, also sozusagen die Ermöglichung von Zugangsvoraussetzungen. Der eigentliche Zugang gegenüber zur sozialen Teilhabe ist hiermit aber noch nicht geschaffen. Verbildlicht schafft es der Mensch mit Demenz somit durch Leistungen des SGB XI die Tür aufzusperren, aber nicht die Türschwelle zu überwinden. Auch scheinen die Leistungen der Pflegeversicherung eher defizitorientiert zu sein und sich nach einem eher funktions- und verrichtungsorientierten Ansatz auszurichten.

    Damit kann meiner Meinung nach weder dem Anspruch auf soziale Teilhabe noch soziale Rehabilitation entsprochen werden und Menschen mit Demenz bleiben in erster Linie "Demente". Durch die Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Leistungen des SGB IX würde ich mir die Realisierung der Person-zentrierung, bzw. -orientierung erhoffen. Eben weil Leistungen wie Entlastungsbeträge oder Verhinderungspflege für Angebote abseits oder über das Ver-Pflegen hinaus unzureichend sind oder auf Umwegen doch der Verrichtungspflege zukommen, interessiert es mich ob nicht das im SGB IX beschriebene "Persönliche Budget" neben den Leistungen des SGB XI nutzbar ist ohne dieses gleichzeitig finanziell einzuschränken?


    Da sich im Bezug auf Menschen mit Demenz gezeigt hat, dass Dinge wie Beziehungsarbeit, psychosozialer Kontakt oder der Erhalt von Alltagsfähigkeiten positiv auf den Verlauf der Erkrankung wirken, darüber hinaus die Beziehungsqualität zwischen Betroffenen und deren An- und Zugehörigen eine deutliche Auswirkung auf die Lebensqualität von Menschen mit Demenz hat, spielen die Leistungen zur Teilhabe und Rehabilitation eine enorme Rolle für die Lebensweltgestaltung beider Parteien.


    In der Pflege von Menschen mit Demenz mit den zunehmenden und schnell sehr umfänglichen Versorgungsbedarfen, sind Sachleistungen schnell erschöpft wodurch sich meist keine Möglichkeit bietet die Betreuungsleistungen aufzustocken. Die mit der Erkrankung einhergehende sukzessive Abkoppelung von der Gesellschafft sind nicht nur Folge- und Begleiterscheinungen der Demenz, sondern erzeugen auch neue An- und Herausforderungen. Diesen könnte entsprochen werden, wenn das Leistungsspektrum erweitert werden könnte, eben um nicht nur den krankheitsbedingten Bedarfen sondern auch den individuellen Bedürfnissen zu entsprechen.


    Daher meine Frage nach der Möglichkeit Teilhabe- und Rehabilitationsleistungen des SGB IX wie das persönliche Budget, Förderung der Verständigung oder Mobilität in Anspruch zu nehmen. Menschen mit Demenz sind eben erkrankt und gleichwohl behindert, ihre Bedarfe sind divers und können nicht nur durch einen Leistungsträger erfüllt werden. Ich meine damit also auch keine Aufstockung von Leistungen des SGB XI, sondern die Entsprechung von sozial-medizinischen Aspekten der Demenz als Folge- und Begleiterscheinungen der Grunderkrankung.


    Mit freundlichen Grüßen


    F.F.

    • Offizieller Beitrag

    Sehr geehrter Herr Ferdinand,


    laut dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) kann die Teilhabe von behinderten Menschen am gesellschaftlichen Leben auch durch Eingliederungshilfe unterstützt werden. Diese Leistung kann parallel zu den Leistungen der Pflegeversicherung beantragt werden. Kostenträger ist in der Regel der Sozialhilfeträger.


    Ist die Behinderung nach Erreichen der Altersgrenze eingetreten, wird die Eingliederungshilfe als Hilfe zur Pflege gewährt. Dabei gelten die gleichen Einkommens- und Vermögensgrenzen wie bei der Hilfe zur Pflege in der ambulanten Pflege.


    Hier ist ein Link eines Regionalbüros in Nordrhein-Westphalen, in dem die Leistungen der Pflegeversicherung und der Eingliederungshilfe meines Erachtens gut erläutert werden:


    https://alter-pflege-demenz-nrw.de/wp-content/uploads/2020/03/Beratungsstandpunkt-Schnittstellen-Eingliedeurngshilfe-SGB-XI-SGB-XII.pdf


    Hinweise zum Persönlichen Budget im Zusammenhang mit den Leistungen der Pflegeversicherung und der Eingliederungshilfe finden Sie auf der Seite 6 des Dokumentes.


    Für eine gezielte und tiefergehende Beratung empfehle ich Ihnen die Kontaktaufnahme zu einem Anbieter der "Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung" (EUTB).


    Näheres dazu und eine Übersicht der Beratungsstellen finden Sie unter:


    Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) | www.teilhabeberatung.de



    Ich hoffe, dass ich Ihnen damit weiterhelfen konnte.



    Mit freundlichem Gruß


    Birgit Spengemann

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