Wie bringt man den Erkrankten dazu, sich vor Dritten nicht zu verstellen?

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  • Was habt ihr für Tricks, um eure demenzkranken Eltern/Partner dazu zu bringen, sich vor Dritten (besonders: Ärzten) halbwegs realistisch zu präsentieren?


    Bei meinem Vater ist es jetzt so, er hat weiter abgebaut und ist völlig durcheinander, ständig sind Sachen verloren, die Orientierung ist weg, er hat häufig Wahnvorstellungen (Leute sind im Haus, manchmal alte Geschäftspartner, manchmal Einbrecher). Manchmal ist er aggressiv (besonders, wenn man ihn korrigiert), aber zumeist eher ängstlich-klammernd, und seit einigen Wochen ist er oft auch nur ein Häufchen Elend (bin ja so durcheinander, einige Male hat er sogar gesagt, "bringt mich zu einem Arzt, der mir hilft").


    Tja, Arzt klappt natürlich nicht sofort, und wenige Tage später will er dann nicht zum Termin, ihr spinnt wohl, mir fehlt nichts. Wenn es dann doch klappt, ihn hinzubringen, dann verstellt er sich unglaublich. Mir fehlt doch nichts, ich bin sehr zufrieden, wenn ich Hilfe brauchen würde, dann würde ich es natürlich merken und mir welche besorgen. Obwohl er Fragen zu Datum/Jahreszeit/Ort/etc überhaupt nicht mehr beantworten kann, ist er sonst so überzeugend, dass die Ärzte alle meinen, dem fehlt wirklich nichts. "Ihr Vater ist ja ein netter Mann" heisst es dann, oder wenn er bei dem völlig nutzlosen MOCA Test 20 (von 30) Punkte hat, dann heisst es, Anfangsverdacht auf beginnende Demenz. Nachdem er die Behandlung ablehnt, will man ihm nichts verschreiben, das wir ihm dann unterjubeln könnten. Eine Neurologin meinte, das müsste man gerichtlich machen. Womit sich die Schlange in den Schwanz beisst, als Nicht-Mediziner würden die doch erst recht sagen, dem Mann fehlt nichts.


    Etwas anders ist es, wenn Leute länger vorbeikommen und sich mit ihm unterhalten. Wir versuchen es ja mit einer Freiwilligen. Die kennt er auch nach dem 10. Besuch nicht, und wenn sie dann dasitzt, fragt er Dutzende Male alle Paar Minuten das Gleiche (sind Sie mit dem Auto da, ach sie sind aus ..., ich bin in ... geboren, da sind wir ja fast Nachbarn gewesen). Die Dame merkt auch, wie sehr er klammert und z.T. aggressiv wird. Ziel ist ja die Entlastung meiner Mutter, aber wenn die dann mal weg will, dann dreht er völlig durch.


    Meine Frage ist jetzt, wie kann man ihn bei Ärzten (oder auch Pflegestufe Gutachtern) dazu bringen, die Fassade fallen zu lassen, und sich darzustellen, wie er wirklich ist? Denen vorher eine Liste geben, fragen Sie ihn doch mal, welche Verwandten noch am Leben sind? Wenn er irgendwelche grandiosen Geschichten erzählt (mache Börsengeschäfte im Online-Banking), bei welcher Bank sind Sie denn und wie loggt man sich da ein? Zum Weltgeschehen befragen, und zwar ohne ein Thema vorzugeben (er hat keine Ahnung, was in der Ukraine passiert, aber wenn das Gespräch drauf kommt, ist er entweder lautstark dafür oder dagegen, und die Leute glauben was er erzählt, auch wenn man oftmals eigentlich erkennen müsste, dass es Blödsinn ist).


    Er leidet selbst unter seiner Situation (von meiner Mutter ganz zu schweigen), und ich würde ihm gerne helfen, aber die Routine unter Protest zum Arzt bringen -- mir fehlt doch nichts -- unverrichteter Dinge wieder nach Hause muss man nicht ständig wiederholen.

  • Leider habe ich keine Idee, wie man das anstellen könnte, mir kommt eher vor, das ist wie bei Kindern, die sich woanders von ihrer glänzenden Seite zeigen und da gar nichts spielen, sondern es in dem Moment sind.

    So merken auch unsere dementen Angehörigen nicht, dass sie da schauspielen, sondern reißen sich unbewusst ganz toll zusammen - aber sie können gar nicht anders.

    Ich kenne das haaklein genauso auch von meiner Mutter. Da sagen dann auch die im Notfall gerufenen Sanitäter: "Sie ist wahrscheinlich ein bisschen dehydriert, aber sonst noch recht fit im Kopf!"

    Niemand, der/die nicht häufig mit dieser dementen Person zu tun hat, wird bei nur seltenen, vielleicht gar noch kurzen Begegnungen merken können, wie heftig es wirklich ist. Das geschieht dann erst bei schwereren Graden.

    Was Dir leider nicht weiterhilft, sondern höchstens das Gefühl vermitteln kann, dass Du tust, was Du kannst - aber das hat eben Grenzen.

    Die Demenz unserer Angehörigen lehrt uns so oft einfach nur unsere Ohnmacht deutlich wahrnehmen. :|

    • Offizieller Beitrag

    Hallo OiOcha,

    das Phänomen, dass Sie beschreiben, ist allen Angehörigen und Profis nur allzu bekannt. Man nennt das "dissimulieren", d.h. der Kranke tut so, als wäre er gesund. Das tritt insbesondere dann auf, wenn er/sie mit "Autoritätspersonen" konfrontiert wird.

    Wichtig ist: Es handelt sich bei diesem Phänomen nicht um einen bewußten Akt, der von dem Demenzkranken gezielt gesteuert wird. Das macht es für Kontaktpersonen nicht leicht; selbst Pflegeprofis denken dann manchmal, dass der Demenzkranke eigentlich gesund ist, und die Demenz nur vorspielt. Das Gegenteil ist der Fall!

    In der Regel findet man das auch schnell heraus, indem man Fragen stellt, die den Demenzkranken aus seiner "Gesund-Rolle" heraus bringen.

    Beispiel: der Arzt (oder der MdK-Gutachter) fragt den Kranken, ob er denn morgens alles noch alleine bewerkstelligen kann. Das wird der Kranke oftmals bejahen. Die Fassade fängt aber an zu bröckeln, wenn man ihn/sie bittet, doch mal aufzuzählen, was er/sie denn alles so am Morgen macht.

    Erfahrene Neurologen kennen das Phänomen und lassen sich entsprechen auch nicht so leicht "hinters Licht" führen. Viele Hausärzte lassen sich aber durch die Fassade täuschen.

    Hier hilft nur, den Arzt vorher auf dieses Phänomen aufmerksam zu machen und entsprechende "Tricks" zur Entlarvung anzuwenden.

    Fazit: Es ist vergebliche Liebesmüh zu versuchen, den Demenzkranken von seinem Verhalten (so zu tun, als sei er/sie gesund) abzubringen.

    Wir wissen leider nicht ganz genau, was sich da im Gehirn abspielt, aber abtrainieren lässt sich dieses Verhalten nicht.

    Bleiben Sie gelassen und werfen Sie dem Demenzkranken niemals sein Verhalten vor. Er oder sie kann es nicht verändern!


    Beste Grüße von

    Klaus Pawletko

  • Hallo OiOcha,


    was du beschreibst ist (leider) ganz normal. Ich kenne das auch zu gut. Es ist da leider ein bisschen eine Glücksspiel bei den richtigen Ärzten/Gutachtern zu landen.


    Zumindest bei der Pflegebegutachtung hatten wir Glück im zweiten Anlauf. Die Dame konnte das alles (trotz telefon) sehr gut enschätzen. Genauso die Dame bei der Pflegeberatung die alle 6 Monate kommt, diese schaut direkt durch seine Fassade (und auch meine ... ). Was ich damit sagen will, viele Fachleute die ERFAHRUNG mit Demenzkranken haben lassen sich nicht so leicht täuschen. Das merke ich gerne im Gespräch danach wenn mein Vater bereits nicht mehr dabei ist.

    Ein Patentrezept wie du deinen Vater dazu bringst seine Fassade fallen zu lassen habe ich leider nicht. Was bei mir hilft ist absolute Offenheit beim Arzt. Ich mache das gerne Vorweg und bitte z.b. Vorab mit dem Arzt reden zu können. Ich lege da alles auf den Tisch weil das nicht der Platz für Peinlichkeiten ist.

    Ich habe auch die komplette Krankenakte sauber sortiert (ich will von allem eine Kopie!) mit dabei, jeder Befund, Blutwerte, Medikamentenplan etc und bin vorbereitet ... sehr viele Ärzte schätzen das sehr und sind dann auch eher bereit den Aussagen des pflegenden gehör zu schenken


    Und ja wenn es um etwas spezielles geht (z.B. diese weiterhin elendigen Diskussionen ob ich als Begleitperson wegen Coronamaßnahmen dabei sein darf) dann scheue ich mich auch nicht (mehr) irgend einen Zustand etwas zu überspitzen.

  • Vielen Dank für eure Ratschläge!

    Leider habe ich keine Idee, wie man das anstellen könnte, mir kommt eher vor, das ist wie bei Kindern, die sich woanders von ihrer glänzenden Seite zeigen und da gar nichts spielen, sondern es in dem Moment sind.

    Meine Mutter sagt mir das auch häufig, es ist wie bei einem kleinen Kind. Wobei dann irgendwie auch nicht, weil Kinder nachdem sie einige Male die heiße Herdplatte angefasst haben, lernen, das nicht mehr zu tun, während bei Demenzpatienten Sachen wie Erklären, Bitten, Schimpfen nicht zu Lernen, Einsicht, o.ä. führen.

    In der Regel findet man das auch schnell heraus, indem man Fragen stellt, die den Demenzkranken aus seiner "Gesund-Rolle" heraus bringen.

    Beispiel: der Arzt (oder der MdK-Gutachter) fragt den Kranken, ob er denn morgens alles noch alleine bewerkstelligen kann. Das wird der Kranke oftmals bejahen. Die Fassade fängt aber an zu bröckeln, wenn man ihn/sie bittet, doch mal aufzuzählen, was er/sie denn alles so am Morgen macht.

    Erfahrene Neurologen kennen das Phänomen und lassen sich entsprechen auch nicht so leicht "hinters Licht" führen. Viele Hausärzte lassen sich aber durch die Fassade täuschen.

    Hier hilft nur, den Arzt vorher auf dieses Phänomen aufmerksam zu machen und entsprechende "Tricks" zur Entlarvung anzuwenden.

    Der von mir schwarz angeleuchtete Teil ist eigentlich naheliegend. Ein guter Arzt sollte eigentlich Nachfragen stellen, und dann würde man sofort merken, dass er durcheinander ist. Bin geschockt, dass eine erfahrene Fachärztin für Geriatrie sowie eine uns von der Demenz-Organisation vor Ort empfohlene Neurologin das nicht auf die Reihe bekommen haben. Vom regulären Hausarzt vorher sowie einem völlig überlasteten Neurologen mal ganz zu schweigen.


    Ich hatte vor den jeweiligen Besuchen natürlich ein Email zum Hintergrund geschickt, und die Ärztinnen haben dann auch vorab mit mir telefoniert. Gleichwohl ist das Maximum, was man nach dem Besuch bekommt dann so ein Befund: "In der heutigen klinischen Erstuntersuchung präsentierte sich der Patient freundlich zugewandt und sehr kooperativ. Die orientierende kognitive Testung zeigte leichtgradige Defizite in mehreren Domänen. Unter Berücksichtigung der ausführlichen glaubwürdigen fremdanamnestischen Angaben besteht in Zusammenschau jedoch der Verdacht einer beginnenden dementiellen Entwicklung, möglicherweise vom Alzheimer-Typ." Und wie gesagt, er meint, ihm fehlt nichts, deshalb darf man nichts verschreiben.


    Mir ist schon klar, dass man dem Erkrankten nichts an- oder abtrainieren kann, aber ich denke, man könnte z.B. realistischeres Verhalten provozieren. Z.B. könnte meine Mutter den Alkoholkonsum ansprechen, es ist möglich, dass er dann agggressiv würde. Oder man könnte ihm sagen, ich gehe jetzt, kommst halt heim, wenn Du fertig bist, das würde vielleicht den Klammer-Reflex bzw. Ängste auslösen. Oder wie gesagt, eine Reihe von Fragen, die sie ihm stellen soll.

    Ich habe auch die komplette Krankenakte sauber sortiert (ich will von allem eine Kopie!) mit dabei, jeder Befund, Blutwerte, Medikamentenplan etc und bin vorbereitet ... sehr viele Ärzte schätzen das sehr und sind dann auch eher bereit den Aussagen des pflegenden gehör zu schenken

    Das ist halt vielleicht bei uns auch das Problem, meinem Vater fehlt ausser der Demenz nichts. Es ist unglaublich, er hat bessere Laborwerte als ich, niedrigen Blutdruck, usw. Und er erzählt sehr glaubwürdig, dass ihm nichts fehlt. Insofern gehe ich schon davon aus, dass die Ärzte halt denken, das ist doch ein rüstiger Rentner, warum ist der nicht auf Kreuzfahrt in der Karibik.


    Ein möglicher Ansatzpunkt, den ich zum Thema "man sieht ihm nichts an" verfolgen möchte, ist meiner Mutter zu sagen, sie darf ihn vor Arztbesuchen nicht schön machen. Er duscht aus Eigeninitiative nie und zieht sich nur ordentlich an, wenn sie ihm das sagt. Soll er halt mal drei Tage ungeduscht und ungekämmt beim Arzt ankommen, vielleicht würde dann die obige Frage "können Sie noch alles bewerkstelligen" doch hinterfragt mit, "wann haben Sie denn das letzte Mal geduscht?"

  • Bei den Fachärzten wäre vielleicht mal ein Anruf bei der Pflegeberatung sinnvoll. Bei mir war das das rote Kreuz. Die möchten/ dürfen? zwar keine direkten Arztempfelungen geben und man muss dort den richtigen am Telefon haben aber wenn man Glück hat kommt so eine Aussage "viele unserer Kunden mit Demenz sind bei xy" da gibt es eine gute Chance das der Arzt auch was taugt.


    Je nach Krankheitsstadium gibt es auch Dienste für Palliativversorgung ähnlich wie Pflegedienste. Diese haben oft Partnerärzte in vielen Fachbereichen auf der Homepage. Auch da kann man vielleicht Anregungen für Fachärzte finden die im geriatrischen Bereich tätig sind und auch echte Erfahrung haben (ist bei mir z.B. der Hausarzt, das Verständnis für die vielfältigen Probleme ist da deutlich größer)

  • Eine Neurologin (die wir dann nie mehr besuchten) meinte z.B. in flapsig- vorwurfsvoll-lustigem Ton zu mir "Was wollen sie denn - sie (meine Mutter) ist doch für ihr Alter gut drauf. Mitschwingender Vorwurf: "Haben Sie etwa vor, Ihrer alten Mutter was Böses zu tun, sie gar entmündigen zu lassen?"

    Wir sind glaube ich auch an eine Ärztin geraten, die uns verdächtigt, meinem Vater etwas böses zu wollen. Ich war ihr gegenüber wahrscheinlich zu offen, die hätte wahrscheinlich hören wollen, wir wollen nur das Beste für den Patienten, werden uns selbstverständlich aufopfernd kümmern. Und ich habe gesagt, natürlich will ich, dass es ihm gut geht, aber meine Hauptsorge ist, meine Mutter zu schützen.


    Na ja, die Dame wollte nichts verschreiben, weil mein Vater ihr ja erzählt hat, wie toll es ihm geht und dass er nichts nehmen will.


    Die Wahnvorstellungen werden immer schlimmer. Am Sonntag hat er mich etliche Male mit wirren Geschichten angerufen, und schliesslich gesagt, er sei so durcheinander, müsste unbedingt zum Arzt. Blöderweise hat natürlich kein Arzt offen zu der Zeit, sonst hätte ich ihn ins Auto gepackt und wäre losgefahren. Meine Mutter hat dann ein "Protokoll“ mit ihm geschrieben, wo die Probleme beschrieben werden, und er hat es unterschrieben.


    Am Montag wollte er natürlich nichts mehr davon wissen, als ich vorgeschlagen habe, du wolltest doch mal zum Arzt. Habe der Ärztin dann ein Email geschickt und das "Protokoll" angehängt.


    Als Antwort kam: "es tut mir sehr leid, dass die Erkrankung für Ihren Vater und die Familie so spürbar und schmerzlich voranschreitet. Vielleicht ergibt sich hieraus jedoch die Möglichkeit einer Therapie, da Ihr Vater zumindest zeitweise erlebt, dass mit ihm gesundheitlich etwas nicht in Ordnung ist. Für eine direkte medikamentöse Behandlung wird das nicht ausreichen, da er ja wohl die Zusammenhänge immer wieder vergisst, aber vielleicht für eine spezifische Diagnostik in der Gedächtnisambulanz in Großhadern, die die Tür für weitere Optionen öffnen könnte. Wenn Sie glauben, ihn dazu motivieren zu können, vereinbaren Sie doch bitte dort einen Termin (siehe mitgegebener Flyer)."


    Sie will ganz offensichtlich mit uns nichts zu tun haben.


    Habe mir jetzt eine andere Strategie überlegt. Habe bei einer Psychiaterin einen Termin für meine Mutter ausgemacht. Die soll ihr ihre ganzen Sorgen mal berichten (die ja zu 95% auf meinen Vater zurückgehen), und dann werden wir bei der gleichen Ärztin einen Termin für meinen Vater machen. Vielleicht ist die dann eher bereit, etwas zu verschreiben, wenn beide bei ihr Patienten sind.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo OiOcha, die Mail der Nervenärztin lese ich nicht so kritisch. Offensichtlich ist bei ihr angekommen, wie schwierig und schmerzhaft die Situation für die ganze Familie ist. Das haben Sie ihr deutlich machen können.


    Ich hätte mir gewünscht, dass sie neben dem Hinweis auf die Gedächtnissprechstunde mit Ihnen und Ihrer Mutter am "richtigen Umgang" in der festgefahrenen Situation arbeitet. Vielleicht gibt es ein entsprechendes Beratungsangebot in der Gedächtnissprechstunde. Eine Behandlung mit Psychopharmaka würde sicher den Problemdruck senken - aber diese wirken nur, wenn Ihr Vater dauerhaft und freiwillig die Medikamente nimmt. Wenn es vor Ort die Möglichkeit gibt, wäre hier eine "Soziotherapie" das angemessene fachliche Angebot, mit Glück könnte auch eine Ergotherapie mit dem Schwerpunkt Demenz mittel- bis langfristig Erfolg haben.


    Für diese Behandlungswege brauchen die Profis (eigentlich) Ihre Informationen. Auch ich erlebe in diesen Fällen eine hohe situative Kompetenz in der demenz- oder suchttypischen Fassade u.a. der Bagatellisierung. Oft frage ich gezielt nach oder provoziere mit dem was ich weiß - so wie Sie es geschrieben haben. Deshalb ist Ihre Fremdanamnese sehr hilfreich und ermöglicht mit dem Außenblick eine Einschätzung über mögliche Interventionen. (Eigentlich) sollten Profis nach Ihren Erkenntnissen und Tipps fragen, wie im Gespräch mit einer hohen Wahrscheinlichkeit der Selbstschutz der Fassade "bröckelt" oder zerbricht. So können schnell entsprechende Anzeichen erkannt werden, ohne den Selbstschutz / Würde zu gefährden.


    Ihre Idee, die Hilflosigkeit in kritischen Situation mit einem Protokoll festzuhalten hat m.E. zumindest bei der Neurologin gewirkt und ist eine super Idee!!


    Der Medizinische Dienst hat den Auftrag, die Stimmigkeit der Einschätzungen zu überprüfen. Auch da sollten Ihre Fremdbefunde und Ihr Beispiele "ankommen". Aber es gibt leider auch "Profis", die sich nichts sagen lassen wollen.


    Aber das Verständnis und die klare Analyse der Situation sind noch keine Lösungen in gerontopsychiatrischen Krisen oder prekären Lagen. Es ist der erste Schritt für ein Maßnahmenpaket in dem die Psychoedukation - das Lernen der Person und des familiären Umfelds - viel wirksamer sind, als Medikamente.

    Für akute Notsituationen und Gewalt ist weniger der niedergelassene Psychiater wichtig. Wenn der sozialpsychiatrische Dienst über die Situation genau informiert ist, kann er gemeinsam mit dem Richter angemessen und schnell handeln. Konnten Sie auf dieser Ebene schon etwas erreichen?

    Ihnen allen ein schönes Wochenende, Ihr Martin Hamborg

  • Hallo Herr Hamborg, vielen Dank für das Feedback!


    Zum Thema Psychopharmaka einnehmen würde ich sagen, das halte ich jetzt für ein weniger großes Problem als noch vor ein Paar Wochen. Mein Vater kam vor ca. 2 Wochen zum Frühstück und sagte, er hätte sich gerade eine Zecke rausgezogen. Er erzählt ja viel Blödsinn, aber zum Glück hat sich meine Mutter das mit der Zecke gemerkt, und als sich einige Tage später die "Wanderröte" (Zeichen von Borreliose) zeigte, brachte sie ihn zum Arzt. Er nimmt jetzt täglich ganz brav seine Antibiotika -- natürlich würde er nie selbst dran denken, aber wenn meine Mutter sie ihm gibt, dann nimmt er sie ohne Probleme. Insofern denke ich, unser Problem ist nicht die Pillen-Einnahme, es ist, erstmal was verschrieben zu bekommen. Meine Mutter hat Anfang August einen Termin bei einer Psychiaterin, ich hoffe, dass dabei was rauskommt.


    Wir müssen wirklich was tun, denn es wird mit Wahnvorstellungen und Ängsten zur Zeit von Woche zu Woche schlimmer. Meine Mutter muss ihn oft kurz alleine lassen, z.B. um am Friedhof das Grab zu wässern. Oder manchmal reicht es, wenn sie sich zum Mittagsschlaf hinlegt oder im Garten arbeitet. Er findet sie nicht und gerät in Panik -- dann entweder alle Paar Minuten ein Anruf bei mir, oder er macht irgendwelchen Blödsinn, irrt rum und ruft Leute an. Gestern hat er wohl einige Male bei der Polizei angerufen. Und leider nimmt er die Helfer, die ihn beaufsichtigen sollen nicht an -- die Dame, die jetzt vielleicht schon 10 Mal da war erkennt er nie, und seit neuestem hat er anscheinend Angst, dass sie was klauen könnte, was diese Woche dazu geführt hat, dass er seinen Laptop und die Telefonanlage abgebaut und versteckt hat.

  • Hallo OiOcha, eine Idee habe ich noch: Vielleicht ist es für die Diagnostik hilfreich, wenn Sie die Psychiaterin schriftlich zur Symptomatik informieren. Viel Erfolg, Ihr Martin Hamborg

    Hallo Herr Hamborg -- Vielen Dank für die Empfehlung! Ich hatte bei allen Arztbesuchen vorher ein Email geschickt und in zwei Fällen sogar vorab mit der Ärztin telefoniert. Ich denke mittlerweile fast, das war eher hinderlich, weil meine Schilderung so gar nicht übereinstimmte mit dem strahlenden Bild, das mein Vater dann beim Termin abgab. Bei einer Ärztin nehme ich sogar an, dass wir ins Erbschleicher/die wollen dem Mann was Böses Schema gerutscht sind.


    Es gibt einen gewissen Fortschritt zu berichten. Am Montag war meine Mutter bei einer Psychiaterin und hat ihr Leid geklagt. Die hat wohl einigermaßen verstanden, dass man bei meinem Vater was tun muss, und er hat jetzt nach den Sommerferien einen Termin.


    Geschickterweise hat sie meiner Mutter gesagt, sie solle sich nichts gefallen lassen -???- was dazu führte, dass meine Mutter in den letzen Tagen zwei üble Streits vom Zaun gebrochen hat:


    Am Dienstag sollte wieder die Betreuerin kommen. Vormittags hatte er einen Friseurtermin, wo er nicht hin gefunden hat, meine Mutter war also schon geladen. Mit der Betreuerin ging es die letzten Wochen manchmal leidlich gut, einige Male sogar sehr gut, halt immer nach Tagesform. Aber wir haben ihm immer gesagt, die kommt, um meine Mutter zu unterstützen. Am Dienstag sagt ihm meine Mutter, die kommt für DICH, du hast Demenz, bist total vertrottelt, usw. Natürlich will er die Dame dann nicht. Kennt er nicht, braucht er nicht, lehnt er ab. Ich saß im Zug und es kamen alle 2-3 Minuten Anrufe. Dann ist meine Mutter mit der Dame zum Einkaufen gegangen und er hat sich beruhigt.


    Gestern dann wieder ein riesen Streit, er hätte Demenz, sie wolle nicht mehr, usw. Wieder zahllose Anrufe, er wolle sich trennen, usw. Hat sich sogar Notizen gemacht (wirre Notizen, aber immerhin) für ein Gespräch.


    Gleichzeitig wird es mit den Wahnvorstellungen immer schlimmer. Sieht ständig Leute, die nicht da sind, und hat jetzt auch einige Male versucht, uralte Nummern von z.B. seinen Eltern anzurufen (sieht man auf der Anrufliste). Die wenigen Male, wo ihn meine Mutter kurz allein lässt, baut er irgendwelchen Mist. Gestern kam ein Anhörungsbogen von der Polizei, die waren wohl vorige Woche mal da (lt. Anhörungsbogen zum wiederholten Mal), und hätten jetzt gerne für die unnötige Anfahrt €136 (soweit uns nicht ein Grund einfällt). Mein Vater erinnert sich natürlich nicht daran, dass überhaupt jemand da war bzw. was er gemacht hat.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Oiocha, danke für das Beispiel, wie sehr ein gut gemeinter Expertenrat nach hinten los gehen kann.

    Durch die Erlaubnis der Psychiaterin, dass Ihre Mutter sich nicht alles gefallen lassen müsse, liest es sich fast so, als wenn die Krise auf einen Höhepunkt zusteuert, an dem Entscheidungen getroffen werden können.

    Wie schätzen Sie aktuell die Gefahr häuslicher Gewalt ein?


    Die Anrufe bei der Polizei wären für mich ein Hinweis darauf, dass Ihre Eltern eine Hilfe von außen erwarten. Damit sind die Einsätze nicht "unnötig" sondern ein dringender Hilferuf in einer eskalierenden Wahnerkrankung.

    Vielleicht finden Sie so gemeinsam den richtigen Moment für eine Klinikeinweisung?

    Haben Sie schon unterstützenden Kontakt zum sozialpsychiatrischen Dienst aufbauen können oder wurden Sie dort auch verkannt, als Kind, dem es nur ums Erbe ginge?


    Immerhin lese ich eine positive Entwicklung aus Ihrem Beitrag: Habe ich es richtig verstanden, dass sich Beide an Sie wenden und von Ihnen Hilfe wünschen? Bekommen Sie damit den Auftrag, entscheiden zu dürfen oder ist das jetzt überinterpretiert?

    Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Klarheit, Ihr Martin Hamborg

  • Hallo Herr Hamborg! Vielen Dank für Ihre Zeilen!


    Ich habe mal nachgeforscht was es mit der Polizei auf sich hat. Wir haben eine Alarmanlage im Haus, und anscheinend hat mein Vater da einige Male den Notrufknopf gedrückt. Allerdings war es lt. den dann angerückten Beamten kein Notfall, sondern er wusste wohl einfach nicht, wofür der Knopf ist, und konnte dann den Alarm nicht abstellen. Bin jetzt im Gespräch mit Alarmfirmen, die da ggf. eine Lösung bieten können (mit Fokus: hilfsbedürftige Senioren, nicht Einbrecher). €136 pro Anfahrt müssen gezahlt werden (da kein Einbruch), aber ich habe der Dienststelle meine Nummer gegeben, und vorgewarnt, dass mein Vater Demenz hat.


    Zum Thema Hilfe wünschen, ein klares Nein. Habe es dann mit meinen Eltern besprochen, mein Vater wusste von nichts und meinte, wir spinnen wohl.


    Müssen jetzt noch gut 4 Wochen auf seinen Termin warten, dann können wir hoffentlich anfangen, ihm Pillen gegen Unruhe/Ängste/Wahnvorstellungen zu geben. Dann hoffe ich auch auf einen Bericht der neuen Psychiaterin, die ihn nicht wieder also so wahnsinnig fit darstellt -- dann würde ich mich auch um einen Pflegegrad kümmern.

  • Hallo OiOcha,


    wir, mein Bruder und ich - mit Zustimmung unseres Vaters, haben meinen Eltern auch einen Notfallbutton eingerichtet, allerdings nicht zur Polizei sondern einen sog. Hausnotruf, der in unserem Fall beim Malteser Hilfsdienst landet. Vorangegangen sind mehrere Stürze beider, die bei beiden zu Krankenhausaufenthalten führten.


    Es wird hierzu ein kleiner Tresor an einer von außen zugänglichen Stelle angebracht, indem der Haus-/Wohnungsschlüssel ist. Der Tresor ist nur mit einem Code zu öffnen, der in unserem Fall beim MHD hinterlegt ist.


    Wir haben die Einstellung für das Gerät im Haus bewusst so vornehmen lassen, dass der rote Button leuchtet - was die falsche Entscheidung war. Gleich am ersten Wochenende hat meine Mutter (dement/Pflegegrad 3) gleich dreimal den Button gedrückt, weil sie ihn 'abschalten' wollte. Die Dame beim Hausnotruf war jedes Mal sehr freundlich und meinte, alles OK, lieber einmal umsonst gedrückt, als im Notfall gar nicht.


    Wir haben dann drum gebeten, den leuchtenden Button wieder 'lichtlos' zu stellen. Seit dem ist der versehentliche Notruf nicht mehr passiert und ich vermute, im Notfall ist der Button auch schon vergessen.


    Vielleicht wäre ein Hausnotruf für deine Eltern auch eine Idee. Hier kommt nicht gleich die Polizei, sondern der Hausnotruf ruft sofort an und erkundigt sich nach der Situation. Erst dann wird der Notdienst informiert. Nur der alarmierte Krankenwagen erhält dann den Tresor-Code für den Schlüssel.


    Viele Grüße und stark bleiben :)

    Zebulon

  • Wir haben dann drum gebeten, den leuchtenden Button wieder 'lichtlos' zu stellen. Seit dem ist der versehentliche Notruf nicht mehr passiert und ich vermute, im Notfall ist der Button auch schon vergessen.

    Vielen Dank für den Ratschlag, Zebulon! Wir hatten einen Hausnotruf vom Roten Kreuz bei meiner Großmutter, die keine Demenz hatte, aber 98 und fast blind war. Sie ist dann irgendwann gestürzt, und anstatt den Alarmknopf auf ihrem Halsumhänger zu drücken, lag sie einfach die ganze Nacht auf dem Boden, bis jemand kam. Gehe also wie du sagst auch davon aus, dass sowas bei Demenz wenig bringen würde. Aber probieren kann man es.

  • Das ist ja tragisch! So soll's natürlich nicht laufen. Da können wir Angehörige planen, vorausschauen und organisieren wie wir wollen, was nützt es, wenn es im Bedarfsfall nicht genutzt wird oder werden kann - aus welchen Gründen auch immer.


    Wir haben noch den 'Vorteil', dass mein Vater auch im Haus lebt, allerdings zeigt sich bei ihm auch schon eine gewisse Verwirrtheit - was ich bisher für mich unter dem Deckmäntelchen des Stresses verbucht habe. Diese Scheuklappen werde ich wohl langsam ablegen müssen... - schön nach dem Motto 'weil nicht sein kann, was nicht sein darf' ;(


    LG und durchhalten!

    Zebulon

    2 Mal editiert, zuletzt von Zebulon ()

  • Das ist ja tragisch! So soll's natürlich nicht laufen. Da können wir Angehörige planen, vorausschauen und organisieren wie wir wollen, was nützt es, wenn es im Bedarfsfall nicht genutzt wird oder werden kann - aus welchen Gründen auch immer.


    Ich bin z.Zt. auf der Suche nach Hilfsmitteln gegen Verlaufen usw (siehe Diskussion hier: Vorbeugung verlaufen) aber leider erweist sich das bei uns als äußerst schwierig, wegen Themen wie aufladen und dabeihaben. Es ist ja jeder Fall anders, aber ich denke bei meinem Vater wäre an Alarmknopf drücken o.ä. eher nicht zu denken. Er merkt sich nichts mehr, und es ist unmöglich, ihm etwas beizubrigen. Aber probier' ruhig alles aus; es ist besser, wenn man sich später keine Vorwürfe macht, hätt' ich nur so ein Notrufsystem installiert.

  • Heute glaube ich, zum Thema "sich bei dritten verstellen" einen Beitrag leisten zu können, allerdings fast schon unterhaltsam.


    Wir waren zu Besuch bei meiner Mutter anlässlich ihres 97. Geburtstags. Außer meinem Mann und mir war meine Schwester da, die auch schon ein paar Tage länger dort war und sich um Muttern kümmerte, und die Schwester meiner Mutter (88J,). Meine Mutter hatte mich seit ich nach Ostern bei uns mal Erdbeerroulade gebacken hatte und wir das am Telefon besprachen, drum gebeten, ihr zum Geburtstag eine mitzubringen, weil sie die so gerne mag.

    Aber wenn wir bei den folgenden (fast täglichen) Anrufen auf das Thema kamen, war sie regelmäßig sehr erstaunt, dass ich ihr eine Erdbeerroulade bringen wollte. Es kam, wie es kommen musste: eine Bekannte, die auch unsere Mutter täglich versorgt, hatte zwei Kuchen gebacken und meine Schwester nochmal zwei aus dem Tiefkühler geholt, damit genügend Angebot da ist und niemand wusste etwas von der angekündigten Roulade. Die hatte ich natürlich für die Fahrt über 300km gut verpackt (vorher eingefroren, damit sie stabiler bleibt) und meine Schwester war zuerst etwas fassungslos, was sie denn damit nun auch noch anfangen sollte. Nur meine Zusage, dass ich den Rest wieder mitnehmen kann, half ihr weiter.

    Dann gings an Kaffee und Kuchen: Mutter, die ja fast blind ist, fragte, welche Kuchen es gibt und wer sie gemacht hat. Brav zählte meine Schwester alle fünf Sorten auf mitsamt deren Herkunft. Kaum war sie fertig, fragte unsere Mutter: was haben wir eigentlich für Kuchen? - Dieses Spiel wiederholte sich sicherlich 10 Mal, dazwischen aß auch Mutter zwei Stücke, eines davon die Erdbeerroulade, um nach einer Weile zu fragen, welche Kuchen es gibt, welchen sie denn essen soll, dann sehr erstaunt, dass sie schon Erdbeerroulade gegessen hat, wo die denn herkommt ... Und dann bekam sie einen Anruf: Am Telefon war sie plötzlich eine hellwache Plauderin, die ihrem Gegenüber sinnvolle, interessierte Fragen stellte, vermutlich passende Antwort gab und sie konnte sich recht spritzig mit guter Stimme rund 20 Minuten unterhalten.

    Dann fragte sie wieder nach den Kuchen, es folgten mehrere Runden davon, dann der nächste Anruf: und wieder war eine sehr interessierte, hellwache Frau dran, der man eher den 80. Geburtstag zugetraut hätte und jede Demenz als bösen Verdacht weit weggewiesen hätte. Auch dieses Telefonat dauerte knapp eine halbe Stunde, danach kamen wieder die Fragen nach dem Kuchen.

    Wenn wir uns unterhielten, saß sie zwar da und schien zuzuhören (da mein Mann und meine Tante inzwischen auch auf Hörgeräte angewiesen sind, war es auch keine zu leise Unterhaltung) aber sie schien letztlich den unkomplizierten Gesprächsinhalten nicht mehr folgen zu können.

    Wir mussten dann wegen der weiten Strecke wieder zum Heimweg aufbrechen, sie erinnerte sich schon nicht mehr, wer angerufen hatte und am folgenden Tag wusste sie nicht mehr, dass überhaupt jemand angerufen hatte.

    Aber die Anrufenden selbst werden sie sicher als "noch total fit in dem Alter" wahrgenommen haben.

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