Das ewige Vergessen

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  • Hallo ihr Lieben ,

    Heute mal ein neues Thema :

    Wie sollte man damit umgehen, wenn ein Mensch mit fortgeschrittener Demenz nach längst verstorbenen Angehörigen fragt ?

    Wenn ich meiner Mutter (92) wahrheitsgemäß antworte, dass ihre Mutter nicht mehr lebt, ist sie wütend, dass ihr keiner was gesagt hat, sie nicht mal mit zur Beerdigung war (ihre Mutter ist seit 45 Jahren tot..)

    Wenn ich so tue, als lebe sie noch, will sie so schnell wie möglich nachhause, damit sie sich noch um sie kümmern kann, solange die Mutter noch lebt.

    Heute rief sie mit Unterstützung einer Pflegerin an, ganz aufgeregt, sie habe einen Anruf bekommen, ihr Bruder sei gestorben (seit 16 Jahren tot) . OK, da hätte ich sagen können, dem geht's gut, aber sie war eben ganz sicher und nicht geträumt, dass sie diesen Anruf bekommen hat.. ich habe also beschwichtigt, dass sie es wohl vergessen hat, wie wir alle mal was vergessen und wir alle zusammen bei der Beerdigung waren. Na, das wüsste sie ja wohl, wie sie denn sowas vergessen solle..

    Also da bin ich gerade ratlos


    Wie macht ihr das? Meine Mutter ist dann oft so entsetzt, was sie alles vergisst.

    Liebe Grüße

    Rose60

  • Hallo Rose

    ich glaube nicht, dass es Demenzkranken um bündige Antworten geht. Ich glaube, wenn sie nach einer Person fragen, ist ihnen diese Person gerade präsent und beschäftigt sie.

    Darauf könnte man gut mit Rückfragen reagieren. "Weisst du noch, als du mit ihr/ihm das und das gemacht hattest?"

    Oder ein Foto von der angesprochenen Person heraussuchen...

    "Unsere" Ergotherapeutin arbeitet häufig mit

    alten Fotoalben und gräbt damit in der Erinnerung. Wir haben auch (im Internet) ein Memory mit Fotos von Familienmitgliedern machen lassen.

    Im übrigen ist auch ein Erschrecken über das eigene Vergessen schnell vergessen.

    Grüsse von B.

    2 Mal editiert, zuletzt von Buchenberg ()

  • Liebe Rose60 -


    meine Mutter spricht momentan auch sehr oft davon, dass ihre Mutter da war, ihre Mutter zum Arzt gegangen ist usw. Das ist etwas anders als bei Dir, weil meine Mutter nicht fragt, sondern erzählt. Ich lasse sie tatsächlich von ihrer Mutter sprechen. Es scheint ihr gut zu tun. Und nach ein paar Minuten springt sie zu anderen Themen.

    Liebe Grüße, Tanja

  • Danke an Buchenberg und Tanja.

    Habe mich nun auch nochmal von Heimmitarbeitern beraten lassen, es ist schwierig und ich muss je nach Situation reagieren. Ich habe schon zigmal die ganz klare Frage, ob ihre Mama noch lebt, ehrlich verneint, jedesmal traurig und entsetzt, wie sie das vergessen konnte, das ist wirklich eine sehr blöde Demenzphase, wenn man noch leicht reflektiert ist :|

    Nun eben am Telefon - bin schon zwei Wochen krank und konnte nicht hin - dass sie doch mal versuchen will, ihre Mama anzurufen. Sie könne nur Tel.nr.nicht finden, da konnte ich "adäquat" reagieren, dass ich die Nummer gerade auch nicht weiß und sie dann nicht länger vom suchen abhalten will... Boah, man kommt sich da doch echt fies vor, so oder so..

    Dann finde ich es bei deiner Mutter, Tanja, noch angenehmer, dass die Mutter da war, meine meint ja nun immer sie muss schnell nachhause, damit sie ihre Mama noch sieht.

    Wieder eine neue Phase inmitten der ganzen Phasen..

    Liebe Grüße

  • Die Phase als es tatsächlich und ganz konkret um längst verstorbene Personen ging, begann bei uns vor einigen Jahren: (Wo sind denn die Eltern? - sie sind seit über 50 Jahren tot). Wo ist denn .... (Name meines Vaters)? - er ist seit 10 Jahren tot. Anfangs habe ich ihr ehrlich geantwortet, später nur noch beiläufig reagiert.

    Selbst bis vor Kurzem meinte meine Mutter, ich solle "die Eltern" (also ihre) grüßen. Ich bin jedesmal ein bisschen verblüfft, kriege jedoch schnell die Kurve.

    Zu Hause meinte meine Mutter, ihre Eltern wären im selben Haus.


    So komisch das klingt - bei uns war das eine recht unproblematische Sache und ich habe mich schnell daran gewöhnt. Auf die Frage nach den Eltern habe ich z.B. gesagt: Ja, da kümmere ich mich nachher mal drum, da müssen wir mal schauen ... aber jetzt müssen wir erst mal ...


    Ich denke, das funktioniert bei jedem anders, weil die dementen Personen auch verschieden sind.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Rose60, Ihre Frage wird auch in der Fachwelt kontrovers diskutiert. Da die Wahrheit wie bei Ihrer Mutter zu großer Traurigkeit führt, ist die Realitätskonfrontation in dieser Phase nicht mehr zu empfehlen.


    Auch die Lüge hat erhebliche Nebenwirkungen, in Schulungen sage ich: manchmal sind Menschen mit Demenz wie Lügendetektoren, sie erkennen wer es gut mit ihnen meint und wer sie anlügt. Auch wenn die Lüge erstmal beruhigt, verändert sich meine Beziehung zu dem Menschen.


    Am besten ist es zu validieren, z.B. es wäre so schön, wenn sie jetzt da wäre ... Deine Sehnsucht kann ich gut verstehen, weißt Du noch wie... oder Du hast oft erzählt, dass ...

    Dabei steigen wir in einen sicheren Ort aus der Vergangenheit ein, die Tipps, die Sie, Buchenberg, schrieben, haben sich bewährt und sind eine Quelle für Ideen.


    Wenn jemand zur Mutter aufbrechen will, nutzen wir die Bewegung und gehen gemeinsam mit dem Ziel, eine eigene fürsorgliche Beziehung aufzubauen, nach dem Motto "Gut dass Sie mich getroffen haben".

    Das Ablenken und Überspielen bietet auch viele Möglichkeiten, aber manchmal hilft nur das "Mitspielen" - auch der Expertenstandard "Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz" erlaubt dies...

    Gibt es noch weitere Erfahrungen, die sich bei diesem Thema bewährt haben?

    Ihr Martin Hamborg

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Rose60,

    die Mutter ist für viele Demenzkranke das Synonym für Geborgenheit und Sicherheit. Insofern kann ich die Empfehlungen nur unterstützen, dieses Bedürfnis aufzugreifen. Das funktioniert oft gut, indem man schöne Erinnerungen an Situationen mit der (verstorbenen) Mutter wachruft.

    Eine gänzlich andere Erfahrung habe ich mit der Frage nach dem Alter des/der Erkrankten gemacht. Allerdings nicht: " wie alt bist jetzt eigentlich", sondern: " was bist Du nochmal für ein Jahrgang"? "Und was für ein Jahrgang ist Deine Mutter?" Das kann in Einzelfällen zu der "Erkenntnis" führen, dass die Suche nach der Mutter wohl doch vergeblich ist. Auch hier gilt: Versuch macht klug.

    Ales Gute wünscht Klaus Pawletko

  • Vielen Dank, Herr Hamborg und Herr Pawlettko, für Ihre Ideen. Also ich werde nun versuchen, situationsgemäß dadurch zu kommen..

    die Sehnsucht nach der Mama und ihrem Lieblingsbruder ist sehr ausgeprägt in den letzten Wochen. Es passt halt alles nicht zusammen. Manchmal kann meine Mutter sogar noch ihr Alter errechnen, wenn sie den derzeitigen Jahrgang erfragt und sie weiß meist ihren eigenen. Trotzdem eben nicht die Logik, dass ihre Mama dann wohl nicht mehr lebt.. jedenfalls ist mir nun klar, dass es nichts bringt, sie mit der Realität zu konfrontieren, weil es ja eh schnell weg ist..

    Nur wenn ich bejahen würde, dass die Mama noch lebt und es ihr gut geht, will sie so schnell wie möglich nachhause.. anstrengend!

    Ganz auffallend finde ich, dass sie nie nach ihrem Mann fragt seit drei Jahren (der nicht gut zu ihr war)

    Bin gespannt wie lange diese Phase dauert..

    Liebe Grüße an alle und einen schönen ersten Advent! <3

  • Hallo Rose, bei meiner Mutter war überdeutlich zu spüren, dass ihr Mann (mein Vater) immer mehr aus der Erinnerung verschwand - er ist jetzt quasi nicht mehr da. Gelöscht!!!!

    Sie hatte aber mit ihm eine wirklich gute Gemeinschaft und laaaaange Ehe (sie sind buchstäblich füreinander durchs Feuer gegangen).


    Auch ich bin praktisch irgedwie gelöscht, zuerst emotional (das entnahm ich bestimmten Unterhaltungen mit dem Pflegepersonal), jetzt erkennt sie mich teilweise schon nicht mehr.


    Die Elterm sind zumindest bruchstückhaft heute noch "da" bzw. relevant, obwohl auch da immer weniger zu merken ist.


    Ich finde es teilweise schon schlimm, denn wenn ich z.B. zu Besuch komme und sie behandelt mich gleichgültiger als den Stuhl auf dem sie sitzt. Dann komme ich mir völlig überflüssig vor.

    Aber, ich kann damit gut meinen Frieden machen. Ich sehe, dass sie zufrieden ist, nicht leidet, gut umsorgt ist und trete recht problemlos ab von der Bühne. Ich finde diese Phase wesentlich entspannter als die vorherigen ....


    Es ist aber eine Phase der Demenz, in die wohl die meisten kommen, oder sehe ich das falsch?

  • Liebe schwarzer Kater,

    Ich verstehe dich gut und denke, nach einem kleinen Schrecken könnte ich auch wie du mit dem Nicht-erkennen klarkommen (sage ich jetzt..). Hauptsache zufrieden - auf jeden Fall. Meine Mutter hat mein Leben lang ziemlich an mir (und meinen Geschwistern)geklammert, da würde ich mit mehr Abstand gut zurecht kommen.

    Liebe Grüße

  • Ihr Lieben!

    Mit den Fragen nach längst verstorbenen Geschwistern und Freunden habe ich mich auch seit kurzem auseinandersetzen muessen.

    Bis jetzt ist es mir gelungen, ohne direkte Antwort und mit abweichenden Themen klarzukommen, aber ich hatte mir auch schon vorher grosse Gedanken gemacht, wie meine Mutter mit einer ehrlichen Antwort klarkommen wuerde. Sehr, sehr schwieriger Punkt!!! Bin dankbar fuer eure Berichte, wie ihr dieses Problem hantiert habt!

    Liebe Gruesse

    Liebe Gruesse

    Weit Weg

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