Hallo an alle!
Nachdem ich dieses Forum entdeckt habe, habe nicht aufhören können, eure Berichte zu lesen - gewisse sogar nicht nur einmal. Die Bestätigung, dass man (natuerlich) nicht der einzige Mensch mit einer dementen Mutter ist, tut wirklich richtig gut.
Ausserdem erkenne ich mich und unsere "Situation" in vielen eurer Berichte wieder und verstehe, dass ich (man könnte fast schon sagen) ein bisschen "Glueck" gehabt habe und der Zufall doch wirklich sehr geholfen hat.
Ich lebe seit ueber 30 Jahren im Ausland (arbeite und habe meine Familie dort) während meine Mutter in Deutschland lebt. Nachdem mein Vater verstorben war, war sie alleine im Haus - das hat viele Jahre gut geklappt.
Bei unseren regelmässigen Telefongesprächen habe ich irgendwann notiert, dass nicht mehr alles so okay ist, aber lange nicht verstanden, was da eigentlich wirklich los war. Sie selber erzählte mir immer, wie gut es ihr geht und ich mir keine Sorgen machen soll und das alles "ganz wunderbar ist" - ich wurde aber mehr und mehr hellhörig und ueberlegte, wie ich sie zum Arzt bekomme, um sie durchchecken zu lassen samt einen Test durchfuehren zu lassen ("Ich brauch nicht zum Arzt, mir geht es blendend"!)
Erst als meine Mutter akut erkrankte, ihre Zuckerwerte sehr erschreckend waren und sie sich nach einer schweren Diskussionen mit mir am Telefon endlich bereit erklärte, mit der Feuerwehr ins Krankenhaus gebracht zu werden, sind viele Puzzle-Teile an ihren Plats gefallen.
Sie wurde damals wegen Darmkrebs akut operiert und während ihres Aufenthaltes wurden derartige Verhaltensabweichungen festgestellt, dass beschlossen wurde, sie direkt in die Geriatrie zur Beobachtung einzuweisen. Dort wurde "beginnende Demenz" festgestellt. Ich konnte es einrichten, nach ihrem Krankenhausaufenthaltes zwei Wochen bei ihr zu sein und während dieser intensiven Zeit ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen, wie sehr sich meine Mutter verändert hat und welche Probleme es gab.
Mit Hilfe der Socialarbeiterin des Krankenhauses haben wir einen Pflegedienst organisiert; Einkaufshilfe angeheuert (es gab fast nichts zu Essen im ganzen Haus!) Treppenlift eingebaut, einen Notruf installiert - aber das war auch alles, was meine Mutter an Hilfe akzeptiert hat. Eigentlich wollte ich auch gerne dass sie Hilfe zum Essen machen annimmt, um regelmässiges Essen sicherzustellen - aber da war die Grenze fuer sie erreicht und meine Mutter warf mir das erste Mal vor, was fuer eine schlechte Tochter ich sei und was sie getan hätte, um DAS zu verdienen - und verweigerte die Unterschrift des Vertrages. Mehrere Male während dieser zwei Wochen wurde sie - wenn nicht alles nach ihrem Willen verlief - aggressiv und fast handgreiflich. In dieser Zeit musste ich lernen, Entscheidungen gegen den Willen meiner sehr dominanten Mutter zu treffen - aber alles zu ihrem Wohl.
Dann kam Corona und die einzige Möglichkeit mit ihr in Verbindung zu sein war das Telefon.....
Ich habe allerdings während dieser Zeit alles mögliche ueber Demenz gelesen und versucht so viel Wissen wie möglich zu sammeln und mehr und mehr ueberlegt, wie ich sie dazu kriege in ein Heim zu gehen (auch da wieder war ich die allerschlechteste Tochter, die so etwas ueberhaupt in den Mund nimmt und ich habe nicht nur ein Mal den Hörer "ins Ohr" geknallt bekommen!
Nach und nach verschlechterte sich ihr Zustand - als wir Ende vorigen Jahres zu Besuch bei ihr waren, habe ich einen Schock bekommen - sie hatte mindestens 20 Kilo zugenommen, war richtig verwahrlost und verschmutzt, trug dreckige Sachen und das Haus sah schlimm aus. Musste also wieder einmal während meines Aufenthaltes alles mögliche organisieren, das Haus auf Vordermann bringen und habe jeden Tag mehrmals versucht, sie zum Duschen zu ueberreden..... wenn ich zu intensiv mit dieser Bitte war, war ich schon wieder mal jemand der sich unglaublich schlecht ihr gegenueber verhält und der Meinung ist, sie sein "ein Schwein"....
Meine Gedanken, wie ich sie dazu kriege, in ein Heim zu ziehen häuften sich, da jetzt auch die Angst dazukam, dass sie sich verläuft, krank wird da sie im Schlafanzug auf dem Sofa mit offener Terassentuer schlief oder sie andere Dinge tat, die gefährlich fuer sie enden könnten.
Ich musste wieder heimreisen (mit schlechtem Gewissen, nicht alles tun haben können, was vielleicht nötig gewesen wäre) und auch diesmal kam mir der Zufall zu Hilfe. Diesmal in Form eines Sturzes, bei dem meine Mutter diesmal selber den Notruf betätigt hatte und sie wieder ins Krankenhaus gebracht wurde (trots ihres Protestes, alleine im Haus bleiben zu wollen).
In dieser Nacht erhielt ich einen Anruf vom behandelnden Arztes, dass meine Mutter einen Herzstillstand hatte.....wäre sie zu Hause geblieben, wäre sie verstorben. Diesmal konstatierten die Ärzte, dass meine Mutter absolut nicht mehr alleine im Haus bleiben kann und darf und nachdem ich einen Heimplatz organisieren konnte, erhielt ich Hilfe mit der direkten Ueberfuehrung vom Krankenhaus ins Heim.
Ich brauchte also nicht diejenige zu sein, die alleine die Entscheidung trifft, meine Mutter ins Heim zu geben.
Dort ist sie nun schon eine zeitlang und scheint sich wohl zu fuehlen. Es ist ein schönes Heim mit nettem Personal - eigentlich alles schön und gut - aber trotzdem ist das schlechte Gewissen manchmal sehr intensiv, da ich nicht "gleich um die Ecke wohne" und es nicht so leicht einzurichten ist, mal kurz zu ihr zu fahren um sie zu besuchen.
Ich regle alles via Internet, Outlook und Telefon von hier aus und bin eigentlich erstaunt, wie gut das Meiste klappt. Bin im Nachhinein sehr froh, dass wir schon lange bevor meine Mutter erkrankte die Geschichte mit einer Vollmacht und auch Bankvollmacht erledigt hatten - dies ist jetzt wirklich sehr hilfreich und ich kann nur jedem raten, an diese Dinge "in Zeit" zu denken und einzuleiten.
Ich fuehle mich aber doch recht niedergeschlagen und habe verstanden, dass ich eigentlich trauere. Trauere, weil ich meine Mutter eigentlich schon jetzt verloren habe - trauere, weil ich unsere schönen Telefongespräche vermisse und trauere, da ich das gemeinsame Lachen vermisse. Trauere, da ich weiss, dass sie mich/uns irgendwann nicht mehr erkennen wird oder nicht mehr treffen möchte. Geniesse aber die kurzen Telefongespräche (wenn sie das Telefon hört und Lust hat zu reden) - auch wenn es immer die gleichen Themen sind und ich meine Mutter selber den Inhalt wählen lasse - auch wenn es immer öfter um Dinge geht, die nicht wahr sind oder die vor mehreren Jahren passiert sind.
Vielen Dank ihr Lieben, ist wirklich schön, sich mal alles von der Seele zu schreiben.
Ich hoffe, dass ich vielleicht jemandem, der wie ich im Ausland lebt, Mut machen kann, dass es wirklich geht, vieles zu ordnen und zu erledigen, trotz das man nicht in der Nähe sein kann.