Hallo liebes Forum,
ich bin seit einigen Monaten stille Mitleserin und bei jedem Lesen kommen die Tränen wegen der vielen Schicksale, die ihr alle ertragen müsst. Ich weiß nicht, worauf ich mit meinem Post hinaus will, aber vielleicht muss ich mir etwas von der Seele schreiben.
Ich bin 31 Jahre alt, lebe in einer aufrechten Beziehung (wir wollen im Juli heiraten), habe 2 Schwestern (40 und 45) und - seit Juni vergangenen Jahres - nur mehr meinen Vater (77), nachdem meine Mama im Alter von 66 innerhalb von 10 Wochen an Krebs verstorben ist.
Meine Mama war wie eine Heilige. Sie lebte zusammen mit meinem schon seit längerem Demenz-Anzeichen zeigenden Vater und meiner seit ihrer Geburt an schwer erkrankten Tochter (die 45jährige Schwester) auf unserem kleinen Hof, kümmerte sich um die Pflege meines Vaters und meiner Schwester, die Mitarbeitenden, alles administrative, die Versorgung, die Events, den Wein, das Obst, einfach alles. Ich selbst lebe ca. 50km entfernt, meine andere Schwester (die gesunde) lebt im Ausland. Die Beziehung zwischen mir und meiner Mama war ungebrochen gut bis zu ihrem Tod, mit meinem Vater und meiner Schwester hat sie sich zusehends nicht mehr verstanden (warum und wieso, dazu gleich mehr). Meine andere Schwester lebt im Ausland mit ihrem Mann + Kind und lebt ihr eigenes Leben und kommt zu Weihnachten, Ostern, Geburtstage, Ferien etc. regelmäßig auf Besuch.
Mein Vater ist pensionierter Arzt und vor allem körperlich schon lange schwer eingeschränkt, ging schon die letzten 2 Jahre nur mehr am Rollator (behauptet natürlich, die Corona Impfung wäre Schuld) und ist mittlerweile nach einem Bandscheibenvorfall im Sept im Rollstuhl und zusehends Harn (und auch Stuhl) inkontinent. Aufgrund des Bandscheibenvorfalls und eines längeren KH Aufenthaltes hat er zudem starke Medikamente (Morphiumtabletten + Pflaster!) verschrieben bekommen, die er auch sehr, sehr gerne bis heute nimmt. Aufgrund des Situation haben meine Geschwister und ich auf Biegen und Brechen mit viel Widerstand eine Betreuung für ihn organisiert: wir haben uns die Pflegerin "aufgerissen", die meine Mama die letzten Tage vor ihrem Tod zu Hause betreut hat, beim Betrieb angestellt und diese betreut meinen Vater nun Mo bis Fr von in der Früh bis am späten NM. Weil meine kranke Schwester meinen Vater nicht mehr aushält im Alltag (was ich verstehe), ist sie in eine kleine Wohnung gezogen in der Nähe und kommt ab und zu auf Besuch vorbei.
Mein Vater war immer eine sehr zwiegespaltene, narzisstische Persönlichkeit. Nach außen hin der tolle, große Macher, bei allen beliebt und angesehen (so ein toller Arzt, lol), hat sich immer als "Familienoberhaupt" definiert und sich auch so benommen. Aufgrund seines multimorbiden Zustandes wurde er natürlich immer grantiger, depressiver und anstrengender (bring mir das, tu das, etc.) und meine Mama hat das alles glaub ich nicht mehr ausgehalten, aber die Beziehung zu meinem Vater zwischen mir und ihm wurde eigentlich besser bzw. neutraler. Ich konnte mich über die Jahre lang und gut abgrenzen, oder wusste, wenn es mir zuviel wird - die drei sind eh gut versorgt - ist eh meine Mama da, und so leid es mir tat, es war halt so.
Mit ihrem Tod hat sich das natürlich schlagartig geändert. An den Wochenden sind mein Freund und ich (weil die Pflegerin da nnicht da war) immer zu ihm gefahren, habe ihn geduscht, gekocht, Haushalt gemacht, ihn wieder gebadet wenn er Durchfall hatte, Leibstuhl beim Bett entleert etc. Körperlicher Pflege (auch Fremdpflege, wobei immer mit großem Widerstand zunächst) ist er auch zugänglich, und es macht mir selbst nichts aus. Aufgrund des Sitatuation haben wir jetzt für die Wochenende eine Bekannte, die in der Pflege gearbeitet hat, die am Wochenende auf ihn aufpasst. Aber was ich nicht mehr aushalte: er ist derartig normaler Kommunikation nicht mehr zugänglich - er führt Monologe, schreit herum, wenn man ihn unterbricht, wird aggressiv bei Dingen/Aussagen, die keinerlei Anlass dafür bieten, ruft mich am Tag sage und schreibe 20 Mal an, erzählt mir immer wieder das gleiche, zB 3 Tage hintereinander: Er will Leute (seine Freunde) einladen, die Pflegerin soll kochen, sie kocht so gut, ich sage ihm: ok gut, mach das, warum nicht - er legt wieder auf, um mich dann schreiend anzurufen, wenn mir das nicht recht sei, dann wolle er mit mir nichts mehr zu tun haben. Oder: Er erzählt wirres Zeug über meine Mama, dass sie ihn betrogen hätte, und dass er nicht glaube, dass sie an Krebs, sondern an AIDS gestorben sei und er auch AIDS habe (sic!). Er ist sehr auf mich fixiert, wenn es "gut" läuft ist er der liebe Papa, der sich nach mir erkundigt, mich braucht, etc.
Er nimmt die Medikamente wie Smarties, deswegen hatten wir letztes Wochenende auch wieder ein sehr 'schönes' Erlebnis: Er hat mich um Mitternacht angerufen, bei ihm sei eingebrochen worden, er höre Stimmen, und ein kleiner Hund sei da (der sei eh lieb). Wegen des "Einbruchs" hat er selbstständig die Polizei angerufen, die dann auch gleich gekommen sind, mit denen hab ich dann telefonisch konferiert - sie können ihn nicht gegen seinen Willen mitnehmen, wenn keine Fremdgefährdung vorliegt. Als er wieder runter gekommen ist von seinem Trip, war es ihm ultra peinlich und er war wieder ganz lieb...
Gestern gab es dann aber wieder einen Eskalationsmoment für mich. Meine Schwester im Ausland hat meinen Vater und meine kranke Schwester darüber informiert, dass sie ihre kleine Einliegerwohnung der in Hauptstadt verkaufen werden (was ja deren Angelegenheit ist). Mein Vater ist derart ausgerastet: hat mich und meinen Freund angerufen, uns beschimpft, wir würden unter einer Decke stecken, mein Freund sei überheblich, etc. Ich habe heute meinen Vater angerufen und ihm gesagt, dass er sich bitte entschuldigen möge, widrigenfalls ich nicht mehr bereit bin, ihn besuchen zu kommen. Er würde sich nicht entschuldigen und hat aufgelegt.
Der Hausarzt ist ein Freund der Familie, kommt alle ca. 3 Wochen vorbei, infiltriert ihm das Kreuz, ist aber sonst für nix aus meiner Sicht (Morphium ist super?). Mein Vater war schon vor der Medikation tlw verwirrt, konnte sich Sachen schlecht merken, Daten/Fakten (die man ihm sagt) nicht merken, nur Geschriebenes. Hat aber keine offizielle Demenzdiagnose (gegen Tests hat er sich immer gewehrt). Ich denke, bei ihm ist es eine Mischung aus allem: Demenz, Depression, Medikation und seine tolle Persönlichkeit.
Ich bin am Rande der Verzweiflung wegen meines kranken Vaters (und meiner kranken Schwester). Ich bin jung, eigentlich voller Leben, aber alles Schöne wurde mir genommen und es wird von Tag zu Tag schlimmer.
Die Betreuung ist nun am Tag sichergestellt (Mo bis So) - am Abend bzw. in der Nacht ist er alleine (geht eh früh ins Bett, so um 18h), wehrt sich aber gegen zusätzliche Unterstützung (ich will einen offiziellen Pflegedienst dahinter haben, der immer wieder schauen kommt). Einen Notknopf lehnt er vehement ab.
Ich übernehme alle administrativen Belange die ihn, bzw. den "Betrieb" (2 MA) betreffen. Ich organisiere Events nur sporadisch, bzw. wenn Kunden auf mich zukommen, mehr will nicht (wegen ihm). Ich bin VZ berufstätig und habe mein eigenes Leben und bin durch den Tod meiner Mama da reingerutscht. Wenn ich vorgeschlagen, dies oder das ändern zu wollen - zB die Etiketten, neue Homepage etc. (mit dem Hintergedanken, viel aufs Next Level heben zu wollen), wurde ich angeschrien (er möchte aber, dass ich es "übernehme"), weil ihm meine Vorschläge nicht gefallen.
Mittlerweile verspüre ich so eine derartige Wut. Wut auf ihn, Wut auf meine älteren Geschwister, die selber krank bzw. im Ausland sind, Wut auf diese Unzugänglichkeiten, und auf diese Respektlosigkeiten. Und wütend, dass ich in diesem ganzen Trubel nicht mal wirklich um meine Mama trauern konnte, die ich so sehr geliebt habe und noch immer über alles Liebe. Das Leben ist so ungerecht.
Ich kann & will nicht mehr. Ich möchte ein Ticket nach Rio de Janeiro buchen und nie, nie mehr zurück kommen.
Danke für euer Durchlesen. Ich glaube, das musste raus.