Meine Frau und ich pflegen in unserem Haushalt ihre dementen Eltern. Bei ihrer Mutter (88) wurde vaskuläre Demenz vor zwei Jahren diagnostiziert. Sie ist notorisch unzufrieden und depressiv. Bei ihrem Vater (92) wurde 2016 vaskuläre Demenz diagnostiziert. Er ist fast immer ausgeglichen und mit sich und seinem Leben ganz zufrieden. Diese beiden Beispiele zeigen mir: Demenz allein macht nicht unglücklich.
Die Psychologen sagen: Glück wird im Hirn durch Endorphine erzeugt und diese „Glückshormone“ werden als Belohnung für ein Positiverlebnis ausgeschüttet. Welche Positivfaktoren bestimmten das Leben des Schwiegervaters? Als Jahrgang 1930 entkam er knapp dem Dienst in der Hitlerarmee. Er lernte Schlosser in einer Fabrik, die Gasturbinen produzierte, bildete sich in der Abendschule zum Anlagentechniker weiter und war in ganz Europa, in Afrika und Asien auf Montage und fand in allen Ländern Respekt und sogar Freundschaften. Dabei blieb er Familienmensch und nahm, wann immer es ging, Frau und Kinder mit ins Ausland.
Schwiegermutter wollte von klein auf Lehrerin werden, ihre Eltern ließen sie aber nicht studieren. Sie lernte das Friseurhandwerk und sollte den Laden ihrer Eltern übernehmen. Sie sagt von sich selbst:
„Glücklich war ich bis zum achten Lebensjahr. Dann wurde meine nächste Schwester geboren.“ Mit den beiden Schwestern verlor sie ihre Einzigartigkeit. Sie ist eine narzisstische Persönlichkeit, die Zeitlebens mit depressiven Phasen zu kämpfen hatte.
Demenz ist sicherlich für jeden Betroffenen eine enorme seelische Belastung. Wir können aber annehmen, dass eine narzisstische Persönlichkeit, die sich für etwas „Besseres“ hält, unter Demenz besonders schwer leiden muss.
Diese Krankheit untergräbt das übersteigerte Selbstbewusstsein und raubt den Narzissten ihren Nimbus der Außergewöhnlichkeit. Demenzkranken mit narzisstischer Persönlichkeit kann man es nie recht machen. Sie wollen immer, was sie gerade nicht haben, und sind unersättlich in ihrem Wunsch nach Aufmerksamkeit und Zuwendung. Die Demenz kehrt alle hässlichen Seiten des Narzissmus hervor, die vorher vielleicht verborgen blieben: Selbstsucht, Selbstmitleid und Missachtung aller anderen bis zu verbaler und körperlicher Aggression.
Es ist nicht die Demenz, die unglücklich macht. Ich glaube, wer in seinem „Leben vorher“ gelernt hat, Zufriedenheit und Glück zu empfinden, der bewahrt sich diese Fähigkeit auch in den Zeiten der Altersdemenz. Das zeigt mir der demente Schwiegervater. Wer aber sein ganzes Leben notorisch unzufrieden war, der wird noch unglücklicher in der Demenz. Das sehe ich an der dementen Schwiegermutter.
Liebe Grüße von Buchenberg