Liebes Forum,
ich lese schon seit geraumer Zeit still mit und möchte mich gerne vorstellen:
ich (w, 54) betreue meine Mutter seit Januar 2021 in einem Pflegeheim in meiner Stadt. Im Dezember 2020 war der Mann meiner Mutter verstorben, nicht unerwartet aber plötzlich. Die beiden hatten bis dahin gemeinsam in einem Einfamilienhaus ca. 300km entfernt von mir und den anderen Kindern gewohnt und sich selbst versorgt.
Die Demenzerkrankung meiner Mutter begann so langsam, so schleichend, dass ich im Rückblick nicht mit Bestimmtheit sagen kann, wann „es“ begonnen hat. Wenn ich so darüber nachdenke, dann sind mir erste Veränderungen (Wesen, Antrieb, etc.) aufgefallen, als sie Anfang 70 war – jetzt ist sie 83 Jahre alt. Im Laufe der Jahre wurde uns Kindern klar, dass die beiden sich nicht mehr gut um sich selbst kümmern konnten, vieles geriet in Schieflage (Haushalt, Garten, Reparaturen, Bankangelegenheiten, Gesundheitsvorsorge, etc. …). In Akut-Situationen, z.B. wenn beide krank waren, oder der Mann meiner Mutter ins Krankenhaus musste, ließen meist entweder ich oder eine der Stiefschwestern alles fallen, fuhren die 300 km zu ihnen und zogen ein Notfallprogramm durch. Wäsche waschen, Putzen, Kochen, Arzttermine, Medikamente richten, usw. und so fort. Sobald es ihnen besser ging, duften wir wieder gehen. Jede Hilfestellung, die wir für sie organisiert hatten – Putz- und Haushaltshilfe, Einkaufsdienst, Sozialstation, Gartenservice – wurde wieder abbestellt, sobald wir aus dem Haus waren. Meine Mutter hatte schon längst keine eigene Meinung mehr, sondern folgte in allem ihrem Mann.
Wie in so vielen Fällen, die hier geschildert wurden, fehlten meiner Mutter und ihrem Mann jegliche Einsicht in die Situation. Die beiden wollten partout keine Veränderung – keine Haushaltshilfe, keine pflegerischen Angebote, keinen seniorengerechten Bad-Umbau, keinen Notfallknopf, kein Essen auf Rädern, und auf gar keinen Fall einen Umzug in die Nähe eines Kindes. Sie beharrten störrisch darauf: „Wir können doch alles noch selbst, wir brauchen keine Hilfe!“
Im Nachhinein habe ich von Bekannten erfahren, dass sich die beiden im letzten halben Jahr vor dem Tod des Mannes nur noch von Brot, Marmelade und Käse ernährt haben (… Alkohol war leider auch ein Thema …) und nichts mehr gekocht wurde. Im Haus herrschte völliges Chaos (z.B. Essensreste, Müll, Insektenbefall und Ungeziefer) es gruselt mich heute noch, wenn ich daran denke …
Kurz nach der Beerdigung habe ich meine Mutter ins Auto gesetzt und mit zu mir genommen. Mir war klar, dass ich sie aus verschiedenen Gründen nicht bei mir zuhause pflegen kann und will, daher habe ich mich umgehend um einen Pflegeplatz bemüht. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie Pflegegrad 3 und die Demenz war offensichtlich. Ich hatte Riesen-Glück und bekam für sie (mitten im Corona-Lockdown!) einen Platz in einem Pflegeheim in meiner Nähe, ein Einzelzimmer mit eigenem Bad. Am Tag ihres Einzugs brachte ich sie dorthin, räumte ihren Schrank ein, erzählte ihr etwas von Kurzzeitpflege und Kur, verabschiedete mich und hatte im Auto dann einen Heulkrampf …
Jetzt sind 2 Jahre vergangen und ich bin endlich soweit, dass ich mich wieder ein wenig entspannen kann. Das erste Jahr war schlimm, volles Programm: Vorwürfe, Beleidigungen, Wut und Zorn, das meiste davon gegen mich gerichtet, da ich (so sieht sie es) für ihre Lage verantwortlich bin. Was ich daraus gelernt habe: ich habe die harten, die wichtigen Entscheidungen zum Wohle meiner Mutter getroffen und ihr Verhalten mir gegenüber muss ich aushalten, denn es gab keine Alternative. Im Laufe des 2. Jahres hat sich alles etwas entspannt – meine Mutter scheint allmählich „anzukommen“. Sie redet nun davon, dass wir jetzt das Haus verkaufen könnten (ist vor anderthalb Jahren passiert …), da sie ja dort nicht „allein“ leben könnte. Meine Standard-Antwort bis heute: „Ja, gute Idee, das machen wir – ich kümmere mich darum“.
Euch allen hier ein herzliches „Danke“ – das Mitlesen hat mir durch schwierige Zeiten geholfen, denn ich wusste: 1) ich bin nicht allein und 2) es wird besser und das Leben geht weiter. Ich habe vor einigen Jahren (mit Hilfe eines Therapeuten) beschlossen, nicht mehr verbittert zu sein, wenn das Leben mal schwierig wird und bewusst nicht mehr die Opferrolle einzunehmen. Seitdem geht es mir deutlich besser.
Liebe Grüße, SunnyBee