Wie geht es euch - Kapitel V

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    • Offizieller Beitrag

    Hallo Zimt,

    solche Schreiphänomene, wenn sie anhalten, belasten die Situation extrem. Und es ist auch meine berufliche Erfahrung, dass bei allem Wissen rund ums Thema, es eine Suchbewegung bleibt.

    Auch Spezialisten wie ein Hans-Werner Urselmann kennen die Grenzen:


    "Was machen nun Pflegende, wenn ein Mensch mit Demenz schreit oder ruft? Die Aktivitäten richten sich zunächst direkt auf das Verhalten des schreienden Menschen und auf die Schreisituation, die es zu befriedigen und/oder zu befrieden gilt. Der Versuch und Irrtum steht dabei zuerst im Vordergrund der unterschiedlichen Strategien. Pflegende wollen wissen, warum schreit der Mensch mit Demenz und sie wollen zielgenau intervenieren können, wobei allen nonverbalen Signalen besondere Bedeutung zukommt. Eine Pflegende sagte mir, wir agieren geradezu in einem „Klima des detektivischen Wissenwollens“. Wir versuchen ein Schreimuster zu erkennen, wir achten auf die Tageszeit, die Schreidauer, Intensität, den Schreibeginn und z.B. auch auf das Schreiende. Wohlwissend, dass der Schrei- und Rufanlass nicht immer gefunden werden kann. Es werden die intrinischen und die extrinischen Faktoren, also die von innen bzw. außen wirkenden Einflussfaktoren analysiert und in ein Gesamtbild platziert. Die wahrscheinlichste Schreiursache tritt in den Mittelpunkt und der Versuch- und Irrtumsablauf folgt. Hierbei kommt dem Fachwissen und der Erfahrung der Pflegenden besondere Bedeutung zu.".

    Ich habe das selbst eine handvoll Mal erlebt und kann Ihnen aus meiner Perspektive sagen: es gilt, Ihre Frau Mutter zu unterstützen und zugleich die Bedürfnisse der Umgebung zu berücksichtigen: nichts daran muss Ihnen unangenehm sein - niemand kann was dafür.

    Es grüßt Sie

    Jochen Gust

  • Als ich sie gefragt habe, warum sie so schreit, hat sie mir - und das kling ziemlich klar - geantwortet, weil sie Angst hat. Und ich ahne, wovor... Es ist furchtbar.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Zimt, angsterfüllte Schreie sind für alle Beteiligten eine erhebliche Belastung, deshalb möchte ich den Detektiv-Gedanken von Jochen Gust aufgreifen.


    1. Lässt sich Ihre Mutter beruhigen, wenn Sie da sind?
    2. Wie lange wirkt der Besuch nach?
    3. Gibt es schon eine angstlösende Bedarfsmedikation?
    4. Gibt es Hinweise auf mögliche Schmerzen, die infolge der Demenz nicht eingeordnet oder geäußert werden können?
    5. Mit welchen andere Form der Linderung und palliativen Pflege hat das Heim Erfahrung?
    6. Nimmt Ihre Mutter die Infusionen an, sodass zumindest die Wirkungen der Austrocknung begrenzt sind?


    Das Heim müsste mit einem Hospizdienst und vielleicht auch einem Palliativ-care-Team zusammenarbeiten, fragen Sie bitte, ob Sie und Ihre Mutter von dieser Seite eine Unterstützung bekommen!

    Ihnen wünsche viel Kraft und Selbstfürsorge in der Begleitung Ihrer Mutter auf diesem Weg! Ihr Martin Hamborg

  • Hallo Herr Hamborg,


    ich kann natürlich nicht beurteilen, wie viel meine Mutter schreit, wenn ich nicht da bin, aber ich stelle fest, dass sie auch Rufe ausstößt, wenn ich da bin. Ich versuche, sie zu beruhigen, aber sie ruft dann auch immer wieder unvermittelt "Hallo" bzw. immer mehr Unartikuliertes. Bez. Palliativ-Team hat das Heim schon den behandelnden Arzt kontaktiert, es ist jetzt in Prüfung, ob sie dafür in Frage kommt. Medikamente werden immer schwieriger, da sie alles ausspuckt. Nahrung behält sie mittlerweile nur noch im Mund, ohne sie herunterzuschlucken.


    Ich sehe sie immer mehr auf das Ende des Weges zusteuern. Ich, und auch die Pflegekräfte, haben den Eindruck, dass sie leben will, aber sie hat einfach vergessen, wie man lebt. Ich wünschte mir auch, sie könne etwas bekommen, wodurch ihr die Ängste genommen werden und sie sich entspannen kann.


    Den Verfall bis zum bitteren Ende mit ansehen zu müssen, ist furchtbar, und ich habe mir so etwas nie vorstellen können.


    Gestern habe ich das Buch gefunden, das sie vor vielen Jahren für mich ausgefüllt hat ("Alles über meine Mutter"). Es hat mich sehr ergriffen, aber auch berührt, ihre Worte, die sie voller Lebenskraft geschrieben hat, zu lesen. Das Buch ist mir aber auch ein Trost, da es eine Art Vermächtnis ist und ich dadurch quasi mit ihr kommunizieren kann, was so nicht mehr möglich ist. Auf diese Weise werde ich in gewisser Form immer mit ihr verbunden bleiben.


    LG Zimt

  • Hallo Zimt,

    Es tut mir sehr leid, was deine Mutter und damit auch du als Zuschauerin mitmachen müsst. Das stelle ich mir sehr schwer vor, wenn man sich so ohnmächtig fühlt. Ich würde auf jeden Fall mal den zuständigen Arzt nach etwas Angstlösendem fragen als Medikation. Das gibt man Menschen mit fortschreitender Krebserkrankung doch auch. Damit könnte doch nun keine Verschlechterung mehr passieren, also für mich klingt es nach Bedarf von palliativer Versorgung. Wenn deine Mutter nicht mehr schlucken kann, würde ich ihr wirklich nur noch einen angenehmen Übergang "auf die andere Seite" wünschen, wenn es denn meine Mutter wäre ..

    Alles Liebe für dich/euch!

  • Heute erfahre ich von dem Pflegedienst, dass der Arzt oder Ärztin (durch den Heimwechsel kenne ich sie noch nicht persönlich) offensichtlich eine Palliativversorgung abgelehnt habe. Ich habe die Vorsorgevollmacht und erwarte, dass man bei solchen Entscheidungen Rücksprache mit mir nimmt. Angeblich will er/sie eine Patientenverfügung sehen. Erstens gibt es die nicht und zweitens wäre es mir neu, dass das eine Voraussetzung für eine Palliativversorgung wäre.


    Ich bin irritiert und "not amused". Am Montag werde ich direkt mit der Praxis Kontakt aufnehmen. Es kann ja wohl nicht sein, dass man einem Menschen in so einem Stadium keine Erleichterung gewährt.


    LG Zimt

  • Hallo Zimt,

    Du machst eine sehr schwere Zeit durch!

    Ich vermute die Ärztin will (intravenöse?) lebenserhaltende Maßnahmen. Palliativversorgung zielt ja nur auf Schmerzfreiheit, nicht auf Lebenserhaltung.

    Liebe Grüsse

    Buchenberg

  • Hallo Zimt,


    ich würde in jedem Fall das Gespräch mit der Ärztin suchen. Ich habe damals auch Mails geschrieben, wenn etwas sehr wichtig gewesen ist und die Erreichbarkeit schlecht gewesen ist. Meist hat die Ärztin dann nach der Sprechstunde zurückgerufen. Die Ärztin wird sicher ihren Standpunkt erklären können.


    Was Du hier beschreibst mit der Essensverweigerung und auch alles andere, das bedarf in meinen Augen eine palliative Begleitung, denn ein solcher Zustand kann sich schnell verschlechtern. Ich würde mit einem Hospiz sprechen. Die kennen meist auch die Ärzte und sie können einem meist auch etwas weiterhelfen.


    Lebenserhaltende Maßnahmen können eine zweischneidige Sache sein. Es kommt auf den Zustand des Patienten an und da sollten doch mehrere Positionen gesehen werden. Die Sache mit der fehlenden Patientenverfügung ist in dem Falle leider ein Problem. Da kommt es dann tatsächlich auf den jeweiligen Arzt und dessen eigene Einstellung an.

    Ich kenne Personen in meinem nahen Umfeld, die da weniger Hilfreiches erlebt haben. Ein anderer Arzt hingegen hat sofort dafür gesorgt, das der Patient eine bestmögliche letzte Betreuung bekommen hat.


    Ich hoffe, Du findest die richtige Unterstützung für Dich

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Zimt, die Frage des Arztes würde ich nicht nur negativ sehen, denn Sie beschreiben ja auch, dass die Pflegekräfte einen Lebenswillen wahrnehmen und die Schluckstörung als Folge der Demenz erklären, dann ist der nächste Schritt -wie beschrieben - eine logotherapeutische Abklärung.


    Auf der anderen Seite klingt alles was Sie schreiben nach einer palliativen Pflege, in der die Ängste und ggf. Schmerzen so professionell wie möglich behandelt werden sollten.

    Es ist also ein echtes ethisches Dilemma und der Arzt braucht für seine Entscheidung Argumente für den mutmaßlichen Willen, - der natürlich am deutlichsten in einer Patientenverfügung erfasst ist. Diese Einschätzungen in dem ethischen Spagat können nur Sie dem Arzt geben, insofern wünsche ich Ihnen heute ein gutes Gespräch, Ihr Martin Hamborg

  • Leider hat die Ärztin sich trotz meiner Bitte um Rückruf nicht bei mir gemeldet, und die Praxis ließ sich später telefonisch gar nicht erreichen.


    Lt. Aussage der Pflegedienstleitung sieht sie meine Mutter nicht im Sterbeprozeß, sie hat offensichtlich keine Schmerzen, die Vitalzeichen sind intakt. Daher sei sie kein akuter Fall für Palliativbehandlung. Für mich hörte sich das auch so an, dass es durch die Palliativbehandlung mit aller Art von Medikamenten bei den alten Menschen dann sehr schnell zu Ende geht. Diese Erfahrung haben wir auch bei meiner Schwiegermutter gemacht.


    Eine medikamentöse Forcierung des Endes löst bei mir wiederum auch Unbehagen aus. Ich möchte nicht vor einer Entscheidung stehen, wo quasi ich den Daumen hebe oder senke.


    Ich möchte nur, dass meine Mutter nicht leidet und Ängste und/oder Schmerzen hat.


    LG Zimt

  • Meine Mutter ist heute Nachmittag verstorben.

    Sie war die letzten drei Tage nicht mehr ansprechbar, lag in einer Art Agonie mit offenen Augen. Ein Palliativteam hat ihr den letzten Weg erleichtert. Ich war noch bei ihr, und als ich mich verabschiedet habe, hat sie nur noch ganz schwach geatmet. Kurz nachdem ich weg war, bekam ich dann die Nachricht. Ich war fast bis zur letzten Minute bei ihr (die allerletzte Minute hätte ich auch nicht gewollt); vielleicht wollte sie ja sogar erst endgültig gehen, als ich weg war. Es war alles sehr friedlich, das Heim hat auch dazu beigetragen, dass es würdig abgelaufen ist. Mit Duftdiffusor, sie war immer frisch angezogen, ich war verblüfft, wie glatt und pfirsichartig ihre Haut am Ende noch war.

    Ich bin traurig und wehmütig, aber es ist gut so, wie es ist. Man muss es akzeptieren, wenn der Weg zu Ende ist.

  • Liebe Zimt,

    Meine herzliche Anteilnahme!! Du hast die letzte Zeit soviel mitansehen müssen und warst oft ratlos , das ist sehr traurig. Und dann ist sehr gut nachvollziehbar, wenn nun bei aller Wehmut und Trauer auch Erleichterung sich breitmacht, vermutlich wird es ein Wechselbad von alldem .

    Nun ist es recht schnell gegangen und du hast wohl mehr Vorahnung gehabt als die Pflegekräfte oder Ärzte . Wie gut, dass doch noch ein Palliativteam aktiv war.

    Liebe Grüße,

    Rose60

  • Hallo Zimt,


    auch ich möchte dir meine Anteilnahme aussprechen.
    Vieles wird dich bewegen und ich wünsche dir Kraft und Hoffnung auf deinem zukünftigen Weg.


    Harzhexi

  • Hallo Zimt, auch ich will Dir meine Anteilnahme bekunden.

    Es klang in Deinen letzten Posts schon so durch, dass es mich nicht mehr verwundert. Deine Mutter ist ihren letzten Weg gegangen und ich glaube, es war eine Art, die für Euch beide gut war.

    Mein Eindruck ist der gleiche, wie der von Rose: Du hast es gefühlt, dass es dem Ende zu geht. Ich wünsche Dir Frieden mit diesem Ausgang und einen guten weiteren Weg damit.

  • Hallo Zimt,


    ich möchte dir ebenfalls mein herzliches Beileid aussprechen. Ganz viel Kraft wünsche ich dir für die nächste Zeit.


    Es freut mich für dich/euch das du im Heim eine "gute" Erfahrung in den letzten Tagen deiner Mutter gemacht hast. Mir erging es ähnlich und das Gefühl das der Übergang so friedlich wie möglich für meinen Papa war, war mir in den letzten 5 Wochen ein großer Trost.

  • Liebe Zimt, ich sende dir von Herzen mein Mitgefühl. Deine Mutter ist den letzten schweren Weg gegangen und sie hatte dabei dich und Menschen, die sie hielten und unterstützten. Allein das zählt! Natürlich wirst du sie vermissen und wehmütig sein (das Wort ist sehr zutreffend), aber du weißt auch, dass sie zum großen Teil längst in einer anderen Welt war - der Geist ist aufgrund ihrer Demenz schon vorausgegangen. Da ist es tröstlich, dass ihr weiteres auch körperliches Leid erspart geblieben ist. Du selbst wirst bald in ein ruhigeres eigenes Leben zurückfinden, in dem Schönes und gute Erinnerungen neben das Wehmütige treten ...


    Ich habe immer mit großer innerer Anteilnahme mitgelesen, was du geschrieben hast, auch wenn ich selbst ein wenig im Hintergrund war. Alles Liebe nun für dich!

  • Allen ganz herzlichen Dank für die lieben, mitfühlenden Worte.


    Mir wird erst jetzt bewußt (wenn man mittendrin ist, reflektiert man nicht, sondern agiert), wie grausam die Demenz ist. Ja, es stimmt, sie hat mir meine Mutter, wie sie einmal war, schon vor Jahren geraubt. Ein Trost für mich ist das Buch, das sie über ihr Leben für mich gemacht hat. Das ist meine wahre Mutter, und es ist schön, dass ich somit immer noch mit ihr in Kontakt treten kann. Sie war, obwohl klein und zart, körperlich so stark; wäre diese blöde Demenz nicht gewesen, sie hätte noch sehr lange und sehr gut leben können.


    Die Demenz hat meinem Mann und mir unsere Mütter genommen, und ich wünsche mir so sehr, dass die Medizin eines Tages den Schrecken dieses Leidens mindern kann.


    Ich bedanke mich auch für den aufbauenden, konstruktiven Austausch in diesem Forum. Es hat mir immer gut getan, hier Rat und Hilfe zu finden.


    Auf diesem Wege Euch allen alles Liebe und Gute, Kraft, aber vor allem auch Lebensfreude.


    LG Zimt

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