Demenz und Wahn

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  • Urlaubsfahrt 22:

    Auf der Fahrt in unser gebuchtes Hotel fuhren wir mit den Eltern durch ländliches Gebiet. Da wurde Schwiegermutter panisch und behauptete, wir wollten sie und ihren Mann hier irgendwo aussetzen oder abliefern. Sie schrie, weinte und jammerte bis wir endlich in unserem Hotel angekommen waren.


    22. März 23:

    Meine Frau und ich waren an diesem Mittwoch Abend wie jede Woche zum Tanzkurs. Schwiegermutter wollte uns nicht weglassen und jammerte, was sie denn tun solle, „falls etwas passiert“. Als wir nach 20 Uhr wieder zu Hause waren, erhielten wir einen besorgten Telefonanruf von einer Verwandten. Meine Mutter hatte bei zwei Verwandten angerufen und behauptet, meine Frau und ich wollten sie umbringen.


    30.März 23:

    Wie jeden Abend kommt der Pflegedienst, um meinen Vater (Pflegegrad 5) bettfertig zu machen. Mutter steht weinend vor der Badetür, hinter der er versorgt wird, und behauptet, der Pflegedienst wolle ihr ihren Mann wegholen und mitnehmen.


    Seit einigen Monaten versuchten wir für Schwiegermutter eine ambulante psychiatrische Pflege zu bekommen. Nach etlichen Absagen bei psychiatrischen Fachärztinnen, meldeten wir uns mit einer Überweisung der Hausärztin bei der offenen Sprechstunde der gerontopsychiatrischen Abteilung der Uniklinik. Dort bekamen wir innerhalb kürzester Zeit einen Termin. Dieser Termin war heute. Schwiegermutter erklärten wir, dass dieser Arzttermin nötig sei, damit sie (wieder) eine wöchentliche Gesprächspartnerin für ihre Probleme bekommt. Zwar kommt zweimal die Woche für sie eine persönliche Betreuerin vom Pflegedienst, aber die kann nicht so gut Deutsch und unterstützt sie vor allem in praktischen Dingen. Schwiegermutter war aber der festen Überzeugung, dass wir sie nun endgültig loswerden und sie in der Klinik abladen wollten. Sie wollte sich im Arztzimmer nicht setzen und verweigerte alle persönlichen Fragen. Unpersönliche Fragen - welches Datum heute? welcher Wochentag? welcher Monat? wie heißt unser Bundeskanzler? - wusste sie nicht zu beantworten.

    Der Arzt ließ sich von meiner Frau erzählen, was uns hierher geführt hatte, und fand unsere Bitte für eine psychiatrische häusliche Krankenpflege (pHKP) mit wöchentlichen Terminen für angemessen und nützlich und gab uns die ärztliche Verordnung dafür mit. Psychopharmaka kommen dabei nicht zum Einsatz.
    Nach der Sprechstunde verabschiedete sich Schwiegermutter nicht vom Arzt und sagte zu ihm: „Ich hoffe, ich sehe Sie nie wieder!“


    Buchenberg mit Frau

    Einmal editiert, zuletzt von Buchenberg ()

  • Hallo Buchenberg mit Frau,


    diese Termine , sowohl in der Vorbereitung und Durchführung, als auch in der Nachsorge nehmen viel Nervenkraft in Anspruch.

    Daher freut es mich mit, dass die von euch angeregte Verordnungfür psychiatrische häusliche Krankenpflege für Schwiegermutter nun beginnen kann.

    Habt ihr einen entsprechenden Anbieter vor Ort?! Häufig das nächste Problem.


    Harzhexi

  • Wir wohnen mitten in der Großstadt und haben fast alles in Fussnähe. Ansonsten hast du ganz recht, die Vorbereitung des heutigen Termins kostete uns rund 20 Stunden.

    Aber wie wird Schwiermutter auf die Therapeutin reagieren?

  • Ein sehr interessanter Beitrag.


    Große Anerkennung für diese Leistung!


    Haben Sie schon Erfahrungen mit einer Psychotherapie bei Demenz inkl. Wahn? Funktioniert das?

  • Gestern Abend waren meine Frau und ich wie jeden Mittwoch im Tanzkurs. Unsere Telefone waren abgestellt. Bei unserer Rückkehr fanden wir diesen Anruf des ambulanten Pflegers auf dem AB:


    Mittwoch Abend, 31.5.2023, 19:30 Uhr


    „Schönen guten Abend, Frau B.,

    es tut mir leid, dass ich Sie stören muss, aber ich kann heute leider nicht Ihren Vater versorgen, weil Ihre Mutter lässt mich einfach nicht dran. Sie ist total aufgeregt, droht mir jetzt mit Polizei. Also ich bin schon seit 40 Minuten so ungefähr hier bei Ihnen in der Wohnung, aber ich kann echt nichts machen. Wie gesagt, sie lässt mich nicht ran. Ihr Vater ist jetzt auch so, stört sich irgendwie und kommt nicht mit ins Bad. Ich hab nur Blutzucker gemessen, spritzen lässt er sich auch nicht.

    Also ich muss leider schon gehen. Wie gesagt, wenn es möglich wäre, dann rufen Sie mich bitte zurück. Ich kann Ihnen dann alles erklären.“


    Buchenberg

  • Hallo @Buchenberg,

    ich glaube, meine Mutter war genauso wie deine Schwiegermutter ... Als mein Vater noch lebte, musste erst jeder ihn behandelnde Arzt an ihr vorbei und sie gebärdete sich z.T. wie ein Pitbull-Terrier. (Sie war allerdings auch früher eine sehr kluge und durchsetzungsfähige Frau).


    Ihre eigenen Pflegekräfte hat sie rausgeworfen ... und die riefen dann ebenso verzweifelt bei mir an: "Was soll ich machen? Ihre Mutter lässt mich nichts machen. Sie schimpft die ganze Zeit." Dies hat sich erst mit fortschreitender Demenz und dem Wechsel ins Heim einigermaßen gegeben. Wir kamen leider nicht dagegen an - da führte kein Weg rein.


    Liebe Grüße

  • Guten Morgen,


    nun entstannt für alle Beteiligten, euch inbegriffen, eine angespannte Situation in dieser neuen Betreuungsform (erinnere ich mich richtig? Start im Juni).


    Ich hoffe mit, dass deine Schwiegermutter langsam Vertrauen aufbauen wird und kann mir ebenfalls vorstellen, dass sie beschützen und bestimmen wollte.


    Viel Kraft für euch!


    Harzhexi

  • Oh nein! Da wird Deine Mutter Deinen Vater wahrscheinlich „beschützen“ wollen vor der fremden Frau. Oder eifersüchtig sein?!

    Hallo Mauerflower,
    ja, Eifersucht gegen Pflegerinnen gibt es auch, aber gestern war W. im Dienst, ein Mann, dem sie schon selbstgestrickte Socken geschickt hatte.

    ich glaube, meine Mutter war genauso wie deine Schwiegermutter ... Als mein Vater noch lebte, musste erst jeder ihn behandelnde Arzt an ihr vorbei und sie gebärdete sich z.T. wie ein Pitbull-Terrier. (Sie war allerdings auch früher eine sehr kluge und durchsetzungsfähige Frau).

    Danke, dass du uns im Forum nicht "vergessen" hast.
    Die Situation bei uns zu Hause ist deshalb besonders schlimm, weil Schwiegervater täglich Insulin und andere Medizin benötigt. Auch das hat sie nicht zugelassen. Meine Frau und ich sind ziemlich verzweifelt.
    Ich glaube eher, Schwiegermutter betrachtet ihren kranken Mann als privates Eigentum, das ihr persönliche Macht gibt. Ihrem Mann fliegen immer noch alle Herzen zu, ihr nicht.

  • Lieber Buchenberg, oh ich habe euch keineswegs vergessen, aber ich musste selbst mal wieder durch das Tal der Traurigkeit wandern (kriechen!), wo einem sogar die Worte fehlen ...


    Ja, was hinter so einem "beschützendem" Verhalten steckt, kann man nur eingeschränkt ergründen. Meist ist es eine Mischung aus allem. Die Demenz reißt den Verstand in Stücke und aus den Resten konstruieren sich die Dementen ihre "neue" Wirklichkeit. Da steht altvertrautes Verhalten neben völlig Neuem. Ich versuche auch immer, das wahre System dahinter zu finden, aber ich glaube, das ergründet niemand so ganz.


    Ich bin immer mehr dazu übergegangen, das Verhalten meiner Mutter als gegeben hinzunehmen und über Strategien und Tricks nachzudenken, wie man das Schlimmste vermeiden kann. Auch das hat natürlich Grenzen und dies liegt eben auch an der Unberechenbarkeit der Dementen, die fast NICHTS mehr verstehen können, selbst wenn es für den Moment so wirkt.


    Im Fall deiner Schwiegermutter heißt das: entweder auf das Glück der Veränderung (durch Vergessen) hoffen oder bei den Pflegern erst mal wieder ein paar Mal danebenstehen, um die wehrhafte Schwiegermutter vom Ehemann fernzuhalten.


    Wir standen dann eben auch permanent neben den Pflegern ... wodurch diese dann nicht wirklich mehr eine Unterstützung für uns waren.

    Hofft also am besten, dass sich diese destruktiven Persönlichkeitsmerkmale mit fortschreitender Demenz verlieren oder zumindest abmildern.

  • Herzlichen Dank für eure mitfühlenden Worte! Für mich war es jetzt das erste Mal, dass ich die "schmerzlindernde" Wirkung eurer Forenbeiträge spürte.


    Aufregung und Ärger bei mir und meiner Frau über die Katastrophe am Mittwochabend haben sich beruhigt. Der Schmerz kam daher:


    1). Die erst seit Jahresbeginn neu gefundene Balance zwischen unseren Pflegeanforderungen und unserem eigenen Leben ist (wieder mal) zerstört.
    Bisher konnten wir an einem Abend zum Tanzkurs (18:30) und an einem anderen Abend ein Studentinnen-Konzert (19:30) in der Musikhochschule besuchen. Das ist nicht mehr möglich.
    Das ist eben das Grausame an der Demenz: Niemand kann sich in einem „Normalzustand“ einrichten, es kommen immer neue Rückschläge und Zuspitzungen. Die einzige, aber wenig schöne Hoffnung, die hier im Forum am Leben gehalten wird, ist das Warten auf einen antriebslosen Dämmerzustand des/der Kranken.


    2) Wären wir am Mittwoch zu Hause gewesen, hätten wir das Drama verhindern können. Wir hatten daher eine Mitschuld an dem Vorfall. Auch das schmerzt. Und dann ist da noch die nagende Frage: Wie viel Prozent ist ihrer Krankheit geschuldet, und was ist bei ihr Kalkül und Mittel für ihre Zwecke?


    Unsere neue Work-Care-Life-Balance sieht (hoffentlich) so aus:

    a) Ab sofort können wir die beiden Alten abends nicht mehr allein lassen, bevor der Pflegedienst kommt. Wir haben aber einen anderen Tango-Kurs gefunden, der erst um 20:30 beginnt. Dann liegen die beiden längst im Bett.

    b) Die Konzertsitten in der Musikhochschule sind nicht streng. Wenn wir eine halbe Stunde nach Beginn des Konzertes dort ankommen, können wir uns während eines Applauses in den Saal schleichen. Ein Zweidrittel-Konzert ist schöner als kein Konzert.

    c) Mit der Schwägerin – unsere Urlaubsvertretung – haben wir gesprochen. Sie sieht die Probleme ähnlich wie wir. Der Schwiegermutter hatten wir die Abschrift von der telefonischen Klage des Pflegers zu lesen gegeben, hofften aber vergeblich auf einen Funken von Einsicht. Immerhin hat sie unser Gesprächsangebot nicht zum Anlass genommen, um uns an allem und jedem die Schuld zu geben. Das ist normalerweise ihre Strategie, wenn wir sie auf einen Fehler oder ein Problem hinweisen.


    Buchenberg und Frau

    Einmal editiert, zuletzt von Buchenberg ()

  • Lieber Buchenberg und Frau,

    ich finde es toll, wie ihr trotz der Einschränkungen Nischen für euch findet - das ist so wichtig, für euch und eure Beziehung. Wenn man Kleinkinder hat, ist es ja ähnlich, so war meine Tochter mit Mann letzte Woche dankbar, dass sie nur mal ne Stunde ohne die drei Kleinkinder wegkonnten, weil ich dort war, nach 1,5 Jahren 1 Std. als Paar...

    Das einzig Sichere im Leben ist ja bekanntlich die Veränderung und die Demenz eurer Schwiegereltern wird unweigerlich fortschreiten, wie und wann auch immer dann erneut Anpassung erforderlich ist. Aber da wir ja wissen, wir sind keine 20 mehr und fühlen uns nicht mehr unsterblich, müssen wir irgendwie immer das Beste aus jedem Tag machen ;)

    Mir scheint, ihr kriegt das gut hin :!:

  • Das einzig Sichere im Leben ist ja bekanntlich die Veränderung und die Demenz eurer Schwiegereltern wird unweigerlich fortschreiten, wie und wann auch immer dann erneut Anpassung erforderlich ist.

    Dieses einzig Sichere ist auch wirklich das Belastende: immer wenn man denkt, man hat sich mit der unguten Situation wieder gut eingerichtet, schlägt die Veränderung zu und meist in Momenten, in denen es am wenigsten passt, man am wenigsten damit rechnet.


    Von daher sehe ich bei Euch, Buchenberg, auch keine Schuld, denn woher hättet Ihr wissen sollen, dass das, was jetzt mehrmals funktioniert hat, so daneben gehen sollte.

    Aber Ihr seid flexibel genug, für Euch eine neue Lösung gefunden zu haben und dazu wünsche ich Euch, dass sie wieder für einige Zeit passt.

  • Wären wir am Mittwoch zu Hause gewesen, hätten wir das Drama verhindern können. Wir hatten daher eine Mitschuld an dem Vorfall. Auch das schmerzt. Und dann ist da noch die nagende Frage: Wie viel Prozent ist ihrer Krankheit geschuldet, und was ist bei ihr Kalkül und Mittel für ihre Zwecke?

    Lieber Buchenberg, das ist ja das Schlimme an der Demenz ... diese Unberechenbarkeit, an der auch wir gescheitert sind. Es ist nichts auf längere Sicht planbar. Insofern KÖNNT ihr nicht schuld sein, wenn eine neue Extremsituation eintritt.

    Und ebenso ist alles Verhalten der Dementen von der Krankheit durchzogen und teilweise auch motiviert. Mag sein, dass da frühere Persönlichkeitseigenschaften zum Vorschein kommen, aber es ist letztlich zweitrangig. Die Hausärztin meiner Mutter sagte einmal zu mir: "Denken Sie daran, das ist nicht mehr ihre Mutter, die sie kennen." Ich konnte das erst nicht glauben, aber es stimmt, wenn auch auf eine Weise, die schwer vorstellbar ist.

    Die einzige, aber wenig schöne Hoffnung, die hier im Forum am Leben gehalten wird, ist das Warten auf einen antriebslosen Dämmerzustand des/der Kranken.

    Ja, schön ist das keineswegs, und doch sehe ich es als Gnade auf einem unvergleichlich tragischen Weg aus der Welt. Wir mögen manches als antriebslos aus unserer Sicht beurteilen, allein die Dementen fühlen es so nicht. Lies doch mal (wenn du magst) die Erinnerungen an Walter Jens, den Philosophen und Rhetoriker, der an Alzheimer erkrankte und dessen ebenso berühmte Witwe Inge Jens sehr berührend (wie ich finde) darüber schreibt.


    Ich finde es wunderbar, wie du mit Familie versuchst, das Beste aus der Situation zu machen. Das ist uns leider nicht so gut gelungen.


    Was du über deine Schwägerin schreibst, kann ich mir nur zu gut vorstellen. Hatte heute ein ebenso verstörendes Gespräch mit dem Bruder (+ Familie) meiner Mutter. Der fand wohl nach einem (!) Besuch das Pflegeheim meiner Mutter nicht so passend. Großartig ..., solche Meinungsäußerungen helfen hervorragend weiter (Ironie aus), zumal, wenn sonst kein großes Interesse bestand. Ich glaube, da muss man sich ein dickes Fell wachsen lassen. Alles Liebe für dich und deine Frau.

  • Lieben Dank für eure Gedanken!


    Es ist aber ein Nachtrag nötig:

    Bei der Neuplanung unserer Pflege-Life-Balance war meine Frau zu kurz gekommen.

    Tango und Konzerte sind vor allem meine Vorlieben, sie liebt Freiwasserschwimmen und Nähen.

    Wir haben vereinbart, dass sie beides weiter ausüben wird.

    Liebe Grüße!
    Buchenberg und Frau


    P.S. Gestern war der erste APD-Termin des Therapeuten vom Geronto-Psychiatrischen Zentrum, für den wir uns wochenlang die Hacken abgelaufen hatten. Schwiegermutter machte großes Drama, will die wieder mal Polizei rufen. Meine Frau und ich sind auf Abstand gegangen und haben bis heute morgen die Verbindungstür zwischen unseren beiden Wohnungen abgeschlossen - zum ersten Mal in den dreieinhalb Jahren gemeinsamen Wohnens.

    Wir werden noch einen zweiten Versuch mit einer TherapeutIN machen, ohne Hoffnung auf Erfolg. Wenn Schwiegermutter auch diese therapeutische Hilfe verweigert, marschiert sie wohl auf eine Einlieferung in die Psychiatrie zu.

    4 Mal editiert, zuletzt von Buchenberg ()

  • Viel Kraft auf diesem neuerlich massiv erschwerten Weg wünsche ich Euch und dass doch noch eine positive Überraschung möglich wird.

  • Lieber Buchenberg,

    ihr meistert die Situation sehr gut und vor allem macht ihr das gemeinsam, du und deine Frau. Das gibt einem Kraft. Doch irgendwann ist vermutlich ein Punkt angekommen, wo man an der Situation was ändern muss.

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