Hallo,
ich bin neu hier im Forum, da ich nun im Familienkreis auch einen Demenzpatienten habe. Davon weiß ich aber erst seit gestern.
Aber mal von vorne: meine Schwiegermutter hat seit ca 15 Jahren einen Lebenspartner, bei dem sie auch schon fast von Anfang an lebt. Der Mann ist wie sie selbst inzwischen 70 und war zu Berufszeiten Ingenieur, d.h. er ist der Typ Mensch, der sich sein Leben lang immer peinlich genau an Regeln und Vorgaben gehalten hat. Mit Sachen, die nicht irgendwie geregelt sind, hatte er wohl schon immer ein Problem, insbesondere dass die Gesundheit nicht immer vorhersagbar ist, macht ihm kopfmäßig ganz schön zu schaffen. In seinem Fall war das bisher hauptsächlich seine Diabetes und sein nachlassendes Augenlicht, denn er hat bei seiner Mutter miterlebt, welche Probleme die bekommen hat, als sie im hohen Alter erblindet ist. Seine größte Angst war bisher immer, irgendwann mal an Demenz zu erkranken, weil auch sein schon vor Jahrzehnten verstorbener Vater daran erkrankt war. Nun, laut meiner Schwiegermutter hat sie ihn letztes Jahr mit viel Überredung endlich dazu gebracht, sein Auto abzugeben und sich nur noch von ihr fahren zu lassen, weil er (nach ihrer Aussage) teils lebensgefährliche Fahrmanöver gebracht hat, als wüsste er nicht, dass es Verkehrsregeln gibt. Damals hat sie das selbst noch auf sein nachlassendes Augenlicht geschoben.
Nun, als ich gestern (wie jeden Sonntag) zum Essen bei ihnen war, ist mit aufgefallen, dass die Hände merklich zitterten, er äußerst wortkarg war, in 45min hat er ein einziges Wort gesagt, sondern sonst nur gebrummt oder mit dem Finger drauf gezeigt, wenn er was wollte. Ich hatte mich schon seit einigen Tagen gewundert, dass meine Schwiegermutter ihm spricht, als hätte sie ein kleines Kind vor sich und die Antworten auch inhaltlich eher Sachen waren,wo man überlegt "Wieso fragt der sowas ?".Gestern abend hat meine Schwiegermutter nun in unserer allabendlichen Skype-Sitzung gegenüber ihrer Tochter (d.h. meiner Frau) und mir die Katze aus dem Sack gelassen, dass sie seit etwa 1,5 Wochen weiß, dass er an Demenz leidet. Das kam raus, nachdem sie ihn zum Arzt geschleift hat, weil er in der letzten Zeit immer mehr Ausfallerscheinungen hatte. Wortfindungsstörungen und deutliche Gedächtnisprobleme zum Beispiel. So muss sie ihm seit 2 Wochen bei der Morgen-/Abendtoilette helfen,weil er immer häufiger vergisst, welche Schritte er als Nächstes machen muss. Noch weit unangenehmer: er pinkelt seit einigen Tagen öfters in die Hose,weil er zwar zur Toilette geht, aber dort tatsächlich vergisst, dass man für die entsprechende Tätigkeit schon die Hose aufmachen muss. Sprich: er pinkelt quasi vor dem Klo stehend in die Hose und merkt es selbst erst, weil die Hose nass ist.
Meine Frage als bislang eher Außenstehender: ist es normal,dass als Demenzpatient in vergleichsweise kurzer Zeit derart stark abbaut oder liegt da eher die Wahrscheinlichkeit nahe, dass er selbst vielleicht schon viel eher von seiner Krankheit wusste und es einfach verheimlicht hat,weil es nicht in seinen "durchgeplanten Lebensstil" passte ?
Anfängerfrage: baut man tatsächlich so schnell ab ?
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Herzlich willkommen, Werniman!
Um auf Deine letzte Frage einzugehen: weiß er jetzt, dass er an Demenz erkrankt ist? Oder anders: ist es ihm wirklich bewusst und was das bedeutet?
Die Wahrscheinlichkeit, dass es bei Diagnosestellung schon lange Zeit unerkannt (auch von seiner Frau) vorhanden war - ein gewisses Maß an zunehmender Schusseligkeit, Vergesslichkeit wird ja meist älter werdenden Menschen locker zugestanden - ist sehr hoch. Damit würde sich dann der scheinbar sehr schnelle Abbau erklären lassen, weil es einfach eine kontinuierliche Verschlechterung wäre.
Allerdings werden hier fast alle "Demenzerfahrenen" bestätigen können, dass im Verlaufe der Demenz durchaus auch immer wieder Schübe auftreten können, in denen sich Zustände massiv verändern/verschlechtern und manchmal sogar überraschende Verbesserungen aufzutreten scheinen(!), die dann Hoffnungen wecken, die sich aber nicht dauerhaft erfüllen.
Auf jeden Fall gut, dass Du gleich so schnell hierher gefunden hast, hier findest Du sicherlich Antworten auf viele Fragen.
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Hallo Werniman,
erstmal willkommen hier. Ich versuche mich mal an einer Antwort.
Was du unbedingt erfragen solltest ist, um was für eine Demenzform es sich handelt. Dies müsste der Arzt deiner Ma mitgeteilt haben. Symptome ähneln sich zwar, unterscheiden sich aber ebenso deutlich. Möglich ist ein Abbau wie du ihn beschreibst aber durchaus, das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen.
Deine Frage würde ich tatsächlich erstmal darauf reduzieren, ob er von seiner Krankheit wusste. Das verheimlichen halte ich einerseits für ganz üblich, andererseits aber auch für unabsichtlich, da viele Prozesse schleichend schlechter werden und demnach gerade zu Anfang nicht als Krankheit respektive Demenz erkannt werden. Man spricht ja häufig auch von normaler Altersvergesslichkeit und auch jüngere Leute können sich ja nicht davon freisprechen vergesslich zu sein, oder auch Dinge durcheinander zu bringen.
Die Persönlichkeit spielt dabei natürlich eine Rolle. Wenn er, wie du schreibst, sein Leben lang immer an genauen Regeln orientiert war und dementsprechend oft peinlich genau war (ich kenne da aus eigener Erfahrung einen Fall
), dann wird er möglicherweise auch größere Anstrengungen unternommen haben gegen erste Krankheitszeichen vorzugehen. Ob er dies aber überhaupt selbst als Demenz erkannt hat, möchte ich zumindest in Frage stellen (s.o.). Aus deiner Frage lese ich einen gewissen Groll heraus, welchen ich in Bezug auf den Umstand dass auch mein Opa scheinbar bewusst Dinge verheimlicht hat, verstehen kann. Von solchen Emotionen solltest du dich (sofern ich sie richtig eingeschätzt habe) schnellstmöglich entfernen, denn auch wenn es viele Möglichkeiten gibt, so glaube ich nicht, dass eine Demenz mit dem Ziel verheimlicht wird, anderen gezielt zu schaden.
Auch das Autofahren ist natürlich so eine Sache. An irgendeinem Punkt wird es leider gefährlich, aber diesen Punkt (selbst) zu erkennen ist schwierig oder gar unmöglich. Ich würde behaupten, dass das nachlassende Augenlicht hier den Prozess schlicht beschleunigt hat. Umso besser, dass deine Schwiegermutter hier wohl schon einen der großen Kämpfe gewonnen hat.
Ansonsten wäre es eben hilfreich die Art der Demenz zu kennen. Das es mittel- bis langfristig generell schlechter wird ist ja bekannt. Allerdings kann ich dir aus eigener Erfahrung sagen, dass z.B. bei einer vaskulären Demenz die Fähigkeiten auch im Tages- und Wochenverlauf stark schwanken können. Es gab Tage an denen konnte mein Opa nicht mehr mit einem Messer umgehen, nur um zwei Wochen später plötzlich damit zu beginnen sich reichhaltig belegte Brote zu schmieren (inkl. Schneiden und Co). Auch im Bereich Inkontinenz konnte ich extreme Schwankungen beobachten.
Ist dir denn bei deinen wöchentlichen Besuchen rückblickend etwas aufgefallen? Bei uns war es z.B. so, dass wir lange vor der Diagnose bzw. des begründeten Verdachts immer mal wieder sagten, er wäre "tüddeliger" geworden. Heute würde ich das sicherlich als erste Anzeichen umdeuten, an eine Demenz habe ich jedoch sehr lange nicht gedacht. Zumal auch davon auszugehen ist, dass er bzw. auch dein Schwiegervater natürlich auch darum bemüht war, bei euren Besuchen "fit" zu sein.
Unabhängig davon wie sich die Symptomatik entwickelt, erachte ich es als unumgänglich schnellstmöglich einen Antrag auf Überprüfung der Pflegebedürftigkeit zu stellen (falls noch nicht geschehen). Vielleicht ist deine Schwiegermutter ein guter Partner, denn offenbar war sie ja auch resolut genug, ihm das Autofahren zu "verbieten". Viel wert ist auch, dass ja offenbar eine ärztliche Behandlung bereits erfolgt ist.
LG
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Danke für eure Antworten. Um welche Form von Demenz es sich handelt,weiß ich leider (noch) nicht,aber soweit ich das meinen ersten eigenen Recherchen nach herausfinden konnte, scheint wohl speziell das Zittern hauptsächlich bei der Lewy-Körperchen-Demenz vorzukommen. Aber wie gesagt: ist nur eine Vermutung meinerseits, ich habe noch keine näheren Infos dazu. Da beide Rentner ist und wir hauptsächlich via Skype kommunizieren (da meine Frau in den USA lebt), ist es nicht so einfach, da ungestört drüber zu reden,wenn der Lebenspartner in der Nähe ist und zuhört. Denn ihm wäre es gewiss nicht recht, dass wir davon wissen. Da kommt wohl wieder der Punkt ins Spiel, dass er halt ein Paragraphenreiter war/ist und solche "körperlichen Unzulänglichkeiten" nicht unbedingt in die Welt posaunt. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass er nicht selbst gemerkt hat, dass die geistige Leistungsfähigkeit nachlässt, eher dürfte es so eine Art "nicht wahr haben wollen und daher ignorieren/verheimlichen" sein.
Ich selbst sehe den Mann ja 1x pro Woche und das einzige, was mir in den letzen Monaten wirklich bewusst aufgefallen ist, ist der Umstand,dass er zunehmend "grummliger" zu werden schien, was ich aber eher den Augenproblemen (Glaskörpertrübung, er musste alle 3-4 Wochen zum Augenarzt,um sich eine Spritze abzuholen) zuschrieb. Im Nachhinein betrachtet, könnte man natürlich auch denken, dass er selbst schon wusste oder zumindest ahnte, dass da noch mehr im Busch ist.
Heute will meine Schwiegermutter dann eine Pflegeberaterin von einem Pflegedienst anrufen, um sich da mal beraten zu lassen, wie es diesbezüglich weitergeht, wie man den entsprechenden Antrag auf Prüfung der Pflegebedürftigkeit stellt etc. Denn sie selbst ist auch nicht mehr ganz so fit, so dass es wohl zunehmend schwer für sie werden wird,ihn da noch ihm Rahmen ihrer Möglichkeit selbst zu pflegen. -
Hallo Werniman,
willkommen im Forum.
Die User haben Ihnen bereits viele Antworten geliefert. Allgemein spricht man bei Demenz, von einer stark variablen "stillen Phase". Damit ist jene Zeit gemeint, in der das Gehirn bereits geschädigt ist, jedoch nach außen keine Zeichen erkennbar sind, keine wahrnehmbaren Symptome auftreten. Das können Jahre oder gar Jahrzehnte sein.Verläufe sind stark variabel und von der Demenz an sich, aber auch von vielen anderen Faktoren abhängig, z.B. vom sonstigen allgemeinen Gesundheitszustand etc. pp. Diabetes und (Direkt)Verwandschaft sind beides Faktoren, die das Risiko an einer Demenz zu erkranken, erhöhen können.
Grundsätzlich sind Menschen mit Demenz, wie alle Menschen eben, bemüht, Fehler, Defizite und Unzulänglichkeiten so lang wie möglich zu verdecken bzw. nicht wahrhaben zu wollen und Normalität aufrecht zu erhalten. Das ist erstmal einfach zutiefst menschlich - und wird im Einzelfall lange durchgehalten, im Großen wie im Kleinen. Wir alle sind darum bemüht und auch darauf bedacht, uns Selbstbestimmung und Autonomie zu erhalten. Bewußt und unbewußt. Auch dadurch kann es sein, dass Dritten dann das Auftreten "plötzlich" vorkommt. Einfach weil die Fassade aufrechterhalten werden konnte, Defizite kompensiert werden konnten. Irgendwann geht das dann nicht mehr.
Das ist auch ein Problem in der Hinsicht, dass Mediziner und andere Hilfe häufig dadurch relativ spät greifen können.
Es ist gut, wenn Ihre Schwiegermutter sich beraten lässt und frühzeitig Möglichkeiten nutzt, sich unterstützen zu lassen.
Die erfahrenen Angehörigen hier haben Sie ja bereits darauf hingewiesen, wie wichtig das ist und wie unterschiedlich und schwankend sich die Verläufe darstellen können.
Es grüßt Sie
Jochen Gust -
Grundsätzlich sind Menschen mit Demenz, wie alle Menschen eben, bemüht, Fehler, Defizite und Unzulänglichkeiten so lang wie möglich zu verdecken bzw. nicht wahrhaben zu wollen und Normalität aufrecht zu erhalten. Das ist erstmal einfach zutiefst menschlich - und wird im Einzelfall lange durchgehalten, im Großen wie im Kleinen. Wir alle sind darum bemüht und auch darauf bedacht, uns Selbstbestimmung und Autonomie zu erhalten. Bewußt und unbewußt. Auch dadurch kann es sein, dass Dritten dann das Auftreten "plötzlich" vorkommt. Einfach weil die Fassade aufrechterhalten werden konnte, Defizite kompensiert werden konnten. Irgendwann geht das dann nicht mehr.
Das ist auch ein Problem in der Hinsicht, dass Mediziner und andere Hilfe häufig dadurch relativ spät greifen können.Ja, genau so ist es bei ihm auch, die Fassade ist ihm wichtig. Wo er vermeiden konnte, dass sein tatsächlicher Zustand rauskommt, da hat er es bislang vermieden. Ich kann das gut verstehen, denn als Depressionspatient gehts mir ganz ähnlich. Man empfindet es irgendwie als peinlich, wenn man irgendjemandem gegenüber eingestehen muss, nicht mehr korrekt zu "funktionieren". Zumindest bei Krankheiten, die man eben nicht schon äußerlich sehen kann.
Aktueller Zwischenstand: gestern früh ist er plötzlich zusammengesackt und konnte plötzlich gar nicht mehr sprechen, sondern hat nur noch irgendwelche brummende oder fiepsende Geräusche von dich gegeben. Meine Schwiegermutter hat dann in ihrer Panik gleich den Notarzt gerufen, der ihn ins Krankenhaus mitnahm. Dort soll er nun ausführlicher untersucht werden. Im Krankenhaus wurde dann routinemäßig gleich mal ein Corona-Test gemacht...positiv. Ich habe meiner Schwiegermutter dann auf dem Arbeitsweg gleich auch mal einen Test besorgt und vorbeigebracht. Ebenfalls positiv. Und da ich selbst am Sonntag noch zum Essen dort war, für mich selbst auch gleich 2 Tests mitgebracht..der erste von gestern abend war negativ, aber da waren ja auch erst knapp 30h rum. -
Hallo Werniman, mit dieser neuen Information möchte ich kurz die Antwort von Herrn Gust ergänzen.
Den Notarzt zu rufen war eine gute Entscheidung, denn so kann Ihr Schwiegervater gründlich untersucht werden. Manchmal werden "Demenzschübe" durch akute Krankheiten ausgelöst oder durch ein Delir - das ist vereinfacht gesagt der meist organisch bedingte Zusammenbruch wichtiger Leistungen im Gehirn. Beides kann und muss behandelt werden und dann zeigt sich erst, wie weit die Demenz fortgeschritten ist. Ist Ihre Schwiegermutter bereit, nach der Entlassung die erforderlich Hilfe anzunehmen?
Ihr Martin Hamborg
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