Beiträge von Wissenssucherin

    Hallo,


    ich bin mir nicht sicher, ob mein Eintrag in dieser Kategorie richtig ist - ich wähle sie, weil das Thema ständig "Konflikte" auslöst. Wenn unpassend, bitte einfach verschieben.


    Ihr anderen da draußen im Demenzdschungel, es wäre schön, wenn ihr mir eventuell sagen könntet, ob ihr Ähnliches erlebt habt, bzw. wie ihr damit umgehen würdet?


    Folgende Situation: Meine Schwiegermutter, die sich im mittleren Demenzstadium befindet hat in den letzten Monaten doch deutlich abgebaut. Sie ist ein Mensch, der außer Fernsehen nie besondere Hobbies hatte, früher Lesen und Rätsellösen, doch das wurde schon vor 15 Jahren oder länger aufgegeben, "weil das freut mich nicht mehr"... Jetzt wäre sie dazu einfach nicht mehr in der Lage, da viel zu komplex.


    Was sie aber immer gerne getan hat, war fort zu gehen, wohin auch immer; sie wollte immer und überall dabei sein, man könnte ja was verpassen. Möglicherweise rührt das Punkt eins davon, dass sie in ihrem Elternhaus eine Art "Stammtisch" hatten, der jahrzehntelang dort immer tagte und sie bis vor 9 Jahren dort auch ein kleines Geschäft führte (täglicher Kontakt mit Klatsch und Tratsch) und sie Punkt 2 andererseits ab ca. 30 eine Landwirtschaft führte, wo das tägliche Kühemelken doch Abstriche an das oft frühabends stattfindende Gesellschaftsleben forderte.


    Nun ist es so, dass sie richtig danach giert und lechzt, irgendwo "raus" zu kommen. Bekomme ich Besuch, ist sie schneller anwesend, als ich piep sagen kann. Und bleibt auch bis zum bitteren Ende. Bekommt sie mit, dass ich mit den Kindern schnell eine Runde spazieren gehe, geht sie mit - Punkt. Völlig unaufgefordert oder ohne zu fragen verfolgt sie mich auf Schritt und Tritt - außer ich kündige vorher dezidiert an, zu irgendwelchen in ihren Augen "Jungen" zu gehen. Erfährt sie irgendwo, dass sich in der Nachbarschaft etwas rührt, will sie dabei sein, sagt ständig, sie möchte mit dem Zug reisen oder auf einen Berg gehen (haben wir schon gemacht mit ihr, sie fragt immer wieder nach). Es geht mittlerweile so weit, dass, kaum sieht sie mich, wie ich mich in das Auto setze, mit erwartungsvoll freudigen Grinsen auf das Auto zugeht und wartet, dass ich sie mitnehme. Und dann, wenn ich einfach fahre, enttäuscht dasteht, wie ein kleines Kind. Sie ist nämlich davon überzeugt, dass ich etwas unheimlich Tolles vorhabe - zu 95 Prozent bringe ich aber bloß die Kinder zum Zahnarzt oder hole ein Ersatzteil für eine Maschine oder... Erzählt mir mein Schwager bei einem kurzen Besuch, dass ein guter Freund der Familie in einer Woche in die Gegend kommt, steht sie beim nächsten Mal, als ich meine Kinder ins Auto setze da und will mit. Weil wir fahren ja jetzt zu dem Freund. Und davon ist sie felsenfest überzeugt. Und beleidigt, weil ich sie nicht mitnehme. Aber erstens fuhren wir ganz wo anders hin, zweitens war der Freund noch nicht mal in der Gegend und drittens war sie gar nicht dabei, als mein Schwager davon erzählte - sie hat wohl wieder am Fenster gelauscht. Und da ihr der Freund sehr wichtig ist, blieb das wohl im Gedächtnis haften.
    Mal davon abgesehen, dass wir beide ein paar Mal unglaubliches Glück hatten - sie hat kein Gefühl mehr für die Gefahren des Autos und stellt sich einfach dahinter oder in die Fahrlinie oder... ist das Ganze für mich mittlerweile doch sehr belastend.


    Und nun der Kern des Problems: Grundsätzlich kann ich sie verstehen. Sie war immer ein geselliger Typ, mitten drin in "Neuigkeiten" und sie sehnt sich nach Abwechslung. Sie ist körperlich top fit, kann sich aber nur mehr schwer beschäftigen (diesem Thema könnte ich andere ellenlange Einträge widmen) und ihr ist schlichtweg langweilig. Völlig verständlich.


    Aber hier kommt das große ABER: Nimmt man sie dann tatsächlich wo hin mit, dann ist sie mit der Situation völlig überfordert. Trottet beim Spazierengehen beispielsweise wie ein kleiner Hund hinter mir her und klebt an mir, wie eins meiner kleinen Kinder. Kennt sich nicht aus, stiert vor sich hin oder - im besten Fall, wenn es ein guter Tag ist konfabuliert sie in einem fort irgendwelche Geschichtchen zu den Dingen und Plätzen an denen wir vorbeikommen, an denen man merkt, dass sie grade völlig überfordert ist und das überspielen möchte.
    Nehmen wir sie beispielsweise mit zu einer Geburtstagsfeier oder einfach einem gemütlichen Zusammensitzen bei einem ihrer Kinder, dann ist sie die ersten paar Minuten noch damit beschäftigt, die "üblichen Geschichtchen", die sie immer und überall erzählt, "beizutragen"; nach spätestens 10 Minuten sitzt sie da, wie ein Häufchen Elend und starrt ins Nirwana. An den Gesprächen beteiligt sie sich nicht, ich denke, sie kann mit deren Dynamik nicht mehr umgehen und wenn doch kurz, dann wirft sie wieder irgendetwas ein, dass sie schon 8x erwähnt hat (meist eine Erinnerung aus ihrer Kindheit) und stiert dann wieder schweigend vor sich hin. Wenn's sein muss stundenlang. Dabei strahlt sie eine beinahe greifbare Unruhe aus. Ist es etwas bei dem wir Stehen, stellt sie sich zu mir und starrt mich erwartungsvoll an so à la "Bringst du mich jetzt endlich heim"? Letztens nahm sie eines ihrer Kinder mit auf die Feier und ich kamm nach der abendlich Arbeit erst später nach und wollte auch mal sitzen und genießen - kaum war ich da, fixierte sie mich auf der Stelle, ich konnte förmlich spüren, wie unbehaglich ihr zumute ist und sie darauf wartet, dass ich diese unerfreuliche Situation für sie auflöse.
    Bekommt sie etwas zu trinken, stürzt sie es in Windeseile hinunter (etwa eine Flasche Cider in 3 Minuten) was anfangs noch in dezenten Damenspitzen endete, jetzt lehnt sie meist nach einem Getränk Nachschub ab (ich glaube, weil es für sie zu anstrengend ist aus dem Gewimmel aus Flaschen und Gläsern am Tisch ihres zu finden, darum trinkt sie es ja sofort aus); für Essen hat sie null Gefühl mehr. Es kann passieren, dass sie in 20 Minuten 8 Stück Kuchen verputzt oder sich, wenn man sie lässt jedes verfügbare Kotelett schnappt, von dem der Grillmeister angibt, es sei fertig - wenn es zu spät bemerkt wird, isst sie bis zum späteren Erbrechen, weil sie Punkt eins glaub ich nicht mehr weiß, dass sie schon gegessen hat und Punkt zwei von der fremden Situation so überfordert ist, dass sie sich "beschäftigen " will. Das tut sie dann auch mit Klogehen - wie das Amen im Gebet fängt sie, dauert der Aufenthalt etwas länger an, an, das Klo aufzusuchen (was zuhause, wenn nichts ihr kleines Universum tangiert, noch so halbwegs funktioniert), weiß aber auch dort nicht mehr, was sie tun soll, zieht sich dort völlig nackt aus und so weiter und so fort. Und ist natürlich auch nicht erfreut, wenn man sie hineinbegleiten will. Und will 5 Minuten später wieder aufs Klo. Sprich, die Besuche sind für sie ehrlich gesagt eine einzige Überforderung und für mich mittlerweile einfach nur eine einzige Unerfreulichkeit, weil ich ihr absolutes Unbehagen und ihre stumme Aufforderung ich, als ihr "Anker" möge sie doch jetzt aus dieser Situtation herausholen immer spüre.


    Nun könnte man noch argumentieren, dass sie dort trotzdem etwas Tapetenwechsel hat aber das Ganze setzt sich leider zuhause fort. Nach so einem Besuch ist sie 2, 3 Tage lang total verwirrt und Herr Alzheimer tanzt Tango. Wie das Amen im Gebet bermerke ich seit geraumerZeit, dass jeglicher Ortswechsel auch zuhause in ihrer sicheren Umgebung kleine, bildlich gesprochene Erdbeben auslöst. Und es scheint, als dauerten die Verwirrungsphasen immer länger an.


    Nun habe ich mit ihren Kindern und den Nachbarn vereinbart, dass wir sie nicht mehr aus ihrer heimatlichen Umgebung rausholen (ihr Radius dort ist ein sehr großer, sie geht auch von früh bis spät über die Wiesen und Waldränder spazieren und "pflückt Beeren" und "klaubt Steine"). Wer ihr Abwechslung verschaffen will, der möge sie bitte in ihrer heimatlichen Umgebung besuchen, dort kann sie - meines Empfindens nach - die Beschäftigung und Zuwendung am besten "spüren und verarbeiten". So weit so gut.
    Am Wochenende war dann eins ihrer Kinder da, das sehr weit weg wohnt und selten kommt und dann normalerweise mit ihr ziemlich viel "rumfliegt" zu den anderen Geschwistern und nach dessen Besuch meine Schwiemu normalerweise wie das Amen im Gebet furchtbar durcheinander ist. Möglicherweise war es ein Zufall, aber diesesmal verbrachten sie auf meine Bitte hin den Tag zuhause und meine Schwiegermutter war am nächsten Tag auffällig gut gelaunt und auch die von mir erwarteten Tangoeinlagen von Herrn Alzheimer ließen vergeblich auf sich warten. Es war, als habe ihr der Besuch diesesmal so gut getan, dass ihre Laune enorm gehoben wurde- was sonst nicht der Fall war.


    Allerdings ändert es nichts daran, dass sie, wenn sie mitbekommt, dass wir irgendwo hin fahren oder hin gehen immer dabei sein will und dann, wenn sie von mir "zurückgewiesen" wird, tagelang beleidigt ist (sie erzählt das dann den Nachbarn, der Pflegerin unserer Uroma, allen die sie findet) und mich das Ganze sehr belastet. Ich fühle mich richtig verfolgt und habe ein schlechtes Gewissen, weil sie mir das Gefühl gibt ich sperre sie ein und schließe sie aus - aus purem Egoismus.


    Kennt ihr das? Bin ich mit meiner Theorie, dass die Ortswechsel ihre Verwirrungszustände bloß verstärken und sie nichts davon hat auf dem Holzweg? Für eure Erfahrungen diesbezüglich wär ich sehr dankbar.


    Liebe Grüße Wissenssucherin

    Hallo Frau Sachweh!


    Seit meinem Arzteintrag hier sind Jahre ins Land gegangen und heute bin ich zufällig darauf gestoßen und ich wollte ihnen gerne berichten, was seitdem passiert ist.


    Vorneweg möchte ich gleich eines klarstellen: Das was ich jetzt berichten werde, ist MEIN Weg mit MEINER individuellen Situation klar zu kommen, ich sehe ihn nicht als Aufforderung oder Empfehlung an andere, es mir gleich zu tun. Aber möglicherweise regt er bei Mitlesenden einfach einen Denkprozess an. Mir selbst hilft es oft ungemein einfach still die Beiträge mit zu lesen, um andere Blickwinkel zu erhaschen.


    Den Stress vor den Arztterminen hab ich mittlerweile minimiert. Das hat mehrere Gründe. Das Ganze mit Kalender, wie in meinem Ursprungsbeitrag, hat sich mittlerweile erledigt, weil meine Schwiegermutter in ihrer Demenz so weit fortgeschritten ist, dass sie zeitlich völlig desorientiert ist. Sie lebt in den Tag hinein und unterscheidet lediglich zwischen Hell und Dunkel. Aber das reicht auch für sie. Sie lebt unbedarft wie ein kleines Kind, das ist irgendwie schön, wenn sie verstehen, was ich meine. Ich bin inzwischen übergegangen, gar nichts mehr im Vorhinein anzukündigen, da es Herrn Alzheimer bildlich gesprochen zum Instanttangotanzen auffordert. Wenn etwas ansteht, dann wird sie unmittelbar davor informiert - und hat so keine Zeit aus lauter Nervosität den Alzheimertango schon im Vorhinein zu tanzen.


    Ein weiterer Grund, warum sich der Stress mit den Arztterminen (in unserem speziellen Fall die halbjährlichen Psychiaterbesuche) drastisch reduziert hat, ist der, dass ich diese Besuche so nicht mehr wahrnehme. Darum auch mein Hinweis, dass dies lediglich als Erfahrungsbericht gewertet werden soll und nicht als Empfehlung zur Nachahmung.


    Hierfür meine Beweggründe: Meine Schwiegermutter verbindet mit der Ärztin unbewusst "Böses" und sobald sie sie sieht, gerät sie außer sich und Herr Alzheimer tanzt auch Tage und Wochen danach nicht nur Tango sondern gleichzeitig Walzer und Quickstep mit ihr.
    Jeder Besuch dort läuft gleich ab: Es wird der Minimental Status Test gemacht, der Uhrentest. Dann fragt die Psychiaterin noch meine Schwiegermutter, wie es ihr geht, diese berichtet dann aus ihrer Sicht (natürlich ist alles wunderbar, sie kocht, putzt, wäscht und macht alles selber - und nichts davon entspricht der Wahrheit). Dann fragt mich die Psychiaterin ob das stimmt - und ich soll neben meiner Schwiegermutter sagen, dass nichts davon der Wahrheit entspricht. Über die emotionalen Auswirkungen auf meine Schwiemu, wenn ich tatsächlich die Wahrheit sagen würde zu disktutieren, erübrigt sich, denke ich. Dann fahren wie heim, meine Schwiegermutter ist tagelang völlig verstört und das wars - bis in einem halben Jahr.
    Und von dem ganzen Stress ganz abgesehen ist meine persönliche Meinung von diesem sturen Festhalten der Ärztin am MMSE keine sehr positive. Er mag zur Abklärung, ob ein Demenzverdacht besteht, oder um sich ein ganz grobes Zustandsbild zu verschaffen durchaus das Mittel der Wahl sein - aber wozu halbjährlich meine Schwiemu dem für sie als Horror empfundenen Prozedere aussetzen? Dieser Test ist viel zu oberflächlich, ist viel zu eindimensional um das tatsächliche Ausmaß, wie es ihr wirklich geht, abzubilden. Und die anschließende Schilderung alles ist toll, alles geht selber - ja gut und schön, aber wie gesagt, hat meine Schwiegermutter auch nur irgendeinen greifbaren Benefit von dem Prozedere, von der Zahl, die die Ärztin in ihren Bericht schreibt?


    Dann habe ich mich eines Tages zuhause hingesetzt und habe überlegt, warum wir dahin fahren, und wer welchen Nutzen davon hat. Ich habe eigentlich gar nichts davon. Nicht einmal ein Ergebnis des MMSE. Das landet in den Arztarchiven, die ja meine Schwiegermutter angehen, nicht mich. Und diese selbst nimmt logischerweise keine Einsicht, weil sie sich von diesem Teil der Realität schon vor geraumer Zeit verabschiedet hat. Ihr selbst bringt das Ganze keinen Nutzen für ihre aktuelle Situation. Im Gegenteil, es ist immer zutiefst aufwühlend für sie.


    Dann habe ich überlegt, ob es nicht doch einen Nutzen von den Besuchen gibt. Gibt es. Punkt eins, sollten die Medikamente nicht mehr greifen und ihre Verfassung damit untragbar werden, könnte die Ärztin dort andere Wege einschlagen. Punkt zwei, braucht man für diverse Ansuchen (zum Beispiel um Erhöhung des Pflegegeldes) aktuelle Gutachten.


    Anschließend habe ich für uns beide eine Kosten- Nutzenrechnung aufgestellt und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich ihr, die halbjährlichen Besuche erspare. Aus dem Grund, weil sie keinen greifbaren Vorteil im Alltag bieten.


    Nun waren wir schon lange nicht dort und ich kann sagen, wir leben gut damit. Es hat uns in der Zwischenzeit 4 Mal emotionalen Stress und massive Erschütterungen ihres Zustandes erspart. Das bringt meiner Schwiegermutter und auch mir im Alltag am meisten, denke ich. Ende des Jahers werden wir wieder einmal hingehen, weil wir um Erhöhung des Pflegegeldes ansuchen werden. Sollte bis dahin irgendetwas eintreten, was ärztliche Überprüfung anzeigt, dann natürlich früher. Aber ich bin mit meiner Entscheidung, über die ich sehr lange nachgedacht habe sehr glücklich und bin froh, aus dem "in einem halben Jahr wieder"-Schauerkreislauf ausgebrochen zu sein und selbst Eigenverantwortung für meine Schwiegermutter und mich ergriffen zu haben - und diese auch vertreten zu können. Ich will nicht sagen, dass ich dafür plädiere Arztbesuche nicht ernst zu nehmen. Aber ich plädiere dafür, sich eigenverantwortlich damit auseinander zu setzen, da in der ganzen Maschinerie die wenigsten Ärzte die Zeit und Kapazitäten haben, genauer auf die individuelle Situaiton eingehen zu können und deswegen landet man hie und da einfach in einem Stresskreislauf der nichts bringt. 4 Arztbesuche weniger hören sich nach Peanuts an - aber wenn man mitten drin ist, können die dadurch gewonnenen Ruhepausen Gold wert sein.

    Hallo Herr Hamborg,
    ich habe die Zeit heute am Feiertag genutzt und mich mal wieder etwas im Forum umgesehen - sie haben gebeten um Erfahrungen mit "vermeintlicher Todessehnsucht", und es sind ja schon ein paar Beiträge gekommen.


    Meine persönlichen Erfahrungen damit: Ich habe vom Universum die seltene Kombination von zwei Demenzerkrankten Damen im Viergenerationenhaus bekommen. Einerseits meine Schwiegermutter mit der Diagnose präsenilem Alzheimer. Die meinte im "ersten" Stadium (wobei ich jetzt von der Dreiteiligen Skala ausgehe, es gibt ja verschiedene Modelle), es wäre ja besser, wenn man nicht mehr sei, wenn alles bergab gehe. Das war aber in der Anfangsphase, wo sie koginitiv noch in der Lage war, sich Gedanken über das tatsächlich Ausmaß zu machen. Die Angst, die sie in ihrer Lage gehabt haben muss, muss unvorstellbar sein. Zu wissen, dass man sich selbst verliert. Zu wissen, dass man nicht mehr in der Lage sein wird, einfachste Dinge zu tun. Die Angst zu "verblöden". Die Angst, wie das alles wird. Die Gewissheit, wie es einmal enden wird. Schrecklich. Schrecklich verständlich, diese Gedanken.


    Mittlerweile ist sie in der mittleren Phase, ist völlig darauf angewiesen, dass wir ihr Umfeld so organisieren, dass sie halt drin "rumwurschteln" kann - was aber, so denke ich, ganz gut gelungen ist, denn sie ist eigentlich gut gelaunt ihn ihrer eigenen Welt. Mein Bauch sagt mir, sie hat den allergrößten Teil der Zeit keine Ahnung, wie es um sie steht, aber ist noch so fit, dass sie sich in ihrer kleinen Welt (wir leben auf einem großen Bauernhof) so bewegen kann, wie sie es möchte, oder sich zutraut. Und was schiefgeht begradigen wir eben ohne viel Federlesens. Sie wirkt eigentlich unbedarft wie ein kleines Kind und hat schon sehr lange keine "Nicht-mehr-sein"- Wünsche geäußert.


    Dann lebt bei uns noch die Schwiegermutter meiner Schwiegermutter. Diese ist 98 und hat keine diagnostizierte Demenz - ganz einfach aus dem Grund, weil ich es ihr in dem Alter sicher nicht mehr antue, sich durch die ärztliche Diagnoseprozesse begeben zu müssen. Aber ich bin überzeugt, dass sie an, salopp ausgdrückt, "Altersdemenz" leidet.
    Diese Dame hat ihr Lebtag gearbeitet. Immer. Von Früh bis Spät. Und hatte nie Hobbies. Wie es halt früher so war. Bedingt durch ihre bewegte Lebensgeschichte und die ärmlichen und schwierigen Verhältnissen, in denen sie ihr Leben bestritt, war auch nie Zeit für Hobbies oder Ähnliches. Als ich sie damals mit 87 Jahren kennenlernte, kochte sie täglich für die ganze Familie, beschäftigte sich am Acker, putzte (oder tat halt ihrem Alter und Gebrechen entsprechend das, was sie dafür hielt) und in der restlichen Zeit tat sie halt allerlei, was sie für Nützlich erachtete - auch wenn das in den Augen der jüngeren Generation eher zu Problemen führte. Aber sie meinte es nur gut und wollte helfen - auch wenn es für uns sehr schwierig war. Mittlerweile mit 98 hat sie kaum mehr 15 Prozent Sehvermögen aufgrund einer Makuladegernation , ist schwerhörig, ziemlich langsam auf den Beinen - aber immerhin, sie ist es noch und mithilfe von Pants und Krücken wollen wir das auch erhalten, so lange es geht.
    Sie hat so lange gearbeitet, bis es aufgrund der körperlichen Gebrechen wirklich absolut nicht mehr ging.


    Und nun sind ihre Tage furchtbar lange. Ich habe damals, als sich der rasche Abbau abzeichnete, versucht, abzufedern, sie zu beschäftigen. Hobbies hatte sie nie - das wurde mit faul gleichgesetzt, wurde abgelehnt. Sie wollte dann immer auf meine Kinder aufpassen, das macht in ihrem Weltbild eine Uroma - aber ich konnte sie ihr beim besten Willen nicht überlassen, dazu waren sie zu klein - und sie selbst fast blind, schwerhörig und mit Krücken auch nicht in der Lage dazu. Was sie leider schwer kränkte, sie bezog es auf sich und ihre Person. Ich brachte bergeweise Wolle, versuchte es mit "die Kinder brauchen..., ich keine Zeit, kannst du bitte helfen?" - der Ansatz funktionierte gut, sie freute sich, fühlte sich gebraucht. Und ich wusste, dass die Sachen nicht brauchbar sein würden, aber es ging mir darum, ihr das Gefühl zu geben, mir eine Stütze zu sein. Leider ließ sie aber ihr Körper, ihre Augen, ihre Finger völlig im Stich, dass sie absolut keine Werkstück irgendwie ihren Vorstellungen entsprechend anfertigen konnte, und es machte sie selber so fertig, dass sie nicht mehr konnte, wie sie wollte, dass sie alles ablehnte - sie wolle ja meine wertvolle Wolle nicht verschwenden. Ich organisierte vom Roten Kreuz einen Besuchsdienst, der einmal in der Woche kam und mit ihr ein Weilchen plaudern sollte - aber das verweigerte sie. Die sähen ja nur, "dass sie nichts mehr arbeiten könne, während wir Jungen hinten und vorne mit Arbeit eingedekct sind, die denken, ich bin faul und lasse euch im Stich". Sie wehrte sich dagegen und war so verzweifelt, wenn so ein Besuch kam, dass ich es aufgab. Und sie resignierte.



    Dann ging es los, dass sie sich nichts mehr aus dem Kühlschrank nahm bzw. zuvor immer fragte, ob sie etwas nehmen dürfe -wenn überhaupt nur Brot und Milch - weil "wer nichts arbeitet, der darf nicht essen". Ich denke, das war ein Satz ihrer Kindheit in den 20er Jahren, als die Situation alter Menschen bei uns am Land wirklich schrecklich und weit weg von jeder Pension oder Rente war. Und das hat sich eingebrannt bei ihr. Oder sie nahm irgendwelche Reste oder Abfälle, "für den Hund" und verspeiste sie selbst. Grub aus der Biotonne ihrer Meinung noch genießbare Dinge aus und trug sie in ihren Schrank. In der Zwischenzeit hat sich das erledigt, da ich eine Pflegerin engagiert habe, die ihr das Essen serviert und die Uroma ohne Hilfe nicht mal mehr das Essen auf ihrem Teller findet, weil sie so schlecht sieht. Mittlerweile kann sie auch nicht mehr lesen, nicht mehr fernsehen oder Radio/Cds hören, weil sie, abgesehen von ihrer körperlichen Beeinträchtigung, dem Ganzen nicht mehr folgen kann, das alles ist ihr zu komplex geworden.
    Sie verbringt ihre gesamte wache Zeit mehr oder weniger "beschäftigungslos", außer, wenn sich jemand Zeit nehmen kann, kurz mit ihr zu plaudern oder aus dem alten Schullesebuch kurze Märchen vorzulesen, das genießt sie, das überfordert sie nicht. Sie sieht kaum, sie hört kaum und ist mir ihren Gedanken, von denen sie merkt, dass etwas nicht mehr stimmt, nicht mehr so ist, wie es war; sich ärgert, weil ihr so vieles nicht mehr einfällt, alleine. Es gibt niemanden mehr in der Umkreis in ihrem Alter, alle bereits verstorben. Sie muss sich fühlen wie ein Ufo, alles was ihr vertraut war ist anders geworden, mal abgesehen von ihrem Zimmer. Und sie fühlt sich nutztlos. Weil "wer nicht arbeitet, der soll ja Anstand haben und sterben". "Es wäre ja besser, wenn ich nicht mehr bin." "Wie kommst du dazu, dass du mich pflegen musst, ich bin ja ein nutzloses altes Weib". Sie braucht mittlerweile sehr viel Pflege und es ist ihr zutiefst zuwider, jemandem zur Last zu fallen. Aber gleichzeitig ist sie so dankbar dafür.


    Und hier gehe ich mit Ihnen Herr Hamborg, völlig konform. Ich denke nicht, dass sie tatsächlich sterben will. Im Gegenteil, sie lechzt nach Leben. Wer will den schon all seiner Fähigkeiten beraubt und bar jeden (zumindest solchen seiner eigenen Definition) Sinnes hier sein? Insbesondere mit ihrer uralten Doktrin, dass nur Arbeitende etwas wert sind?
    Wenn ich mit ihr alte Lieder singe, blüht sie auf. Singt vor lauter Freude die gleiche Strophe 5x hintereinander, um dann noch einmal zu fragen, ob sie die schon gesungen hätte? Als ich letztes Jahr schwanger war, spielten wir ein wenig (ich weiß nicht, ob sie den Film kennen) "50 erste Dates" - Was, du kriegst wieder ein Baby???? - und jeden Tag freute sie sich wie verrückt und erzählte von ihren Kindern. Es ist schwierig, sie zu erreichen, sie kann leider kaum mehr Unterhaltungen führen, weil sie ihnen nicht mehr folgen kann, aber sie ist zu so tiefer Freude fähig, wenn man einen Zugang erwischt- so wie das Singen uralter Lieder. Und es ist unglaublich rührend und überwältigend zu spüren, wie sehr sie sich über eine eine Umarmung freut. Sie will leben. Sie will Spaß haben. Sie will sich geliebt und gebraucht fühlen. Aber leider tut sie dass den Großteil der Zeit nicht. Und es ist uns leider nur möglich, ihre kurze Glücksmomente zu bescheren. Ich habe in den letzten 10 Jahren akzeptieren lernen müssen, dass ich nicht in der Lage bin, ihr so viel Freude zu geben, wie sie gerne hätte, weil ich es einfach nicht schaffe. Ich würde dabei zugrunde gehen. Und es tut mir halt sehr weh zu sehen, wie sehr sie eigentlich mit ihren "ich soll ja nicht sein" nach dem Leben, an dem sie nicht mehr teilhaben kann, lechzt. Und ich kann sie nur für kurze Weilchen da raus holen.


    So viel dazu. Wie üblich habe ich einen langen Roman verfasst. Aber diese komplexe Thematik, diese unglaublich emotionalen Gedankengänge verdienen wohl auch diesen Raum.

    Hallo Sebastian,


    deine Geschichte zeigt große Parallelen zu unserer. Auch bei meiner Schwiegermutter wurde mit 60 die Diagnose Alzheimer gestellt, auch bei ihr ging es mit "Kleinigkeiten" wie Orientierungs- und Erinnerungshoppalas los. Und ja, bis zu einem gewissen Grad erkenne ich auch das Thema "Fröhlichkeit" im weiteren Sinne wieder.


    Wann genau sich das Alzheimer tatsächlich eingeschlichen hat, wissen wir nicht, viele Sachen bestanden schon Jahre vorher und wurden einfach als Teil ihrer Persönlichkeit gedeutet - aber meine Schwiegermutter lachte auch immer Fragen oder Unangenehmes quasi "weg".
    Fragte man sie, wie lange ihr Mann tot sei, lachte sie. Erklärte vielleicht, das wisse sie nicht mehr, wenn überhaupt. Aber sie lachte, war fröhlich und lenkte irgendwie damit ab. Fragte man sie, wieviele Enkelkinder sie hat, lachte sie, pfuh, da müsse sie nachdenken. Und damit war abgelenkt. Fragte man sie, was es zum Mittagessen gegeben hatte, lachte sie. Und so nach dem Muster ging es dauernd. Schon Jahre, bevor die Diagnose gestellt wurde.


    Im Umkreis wurde das nicht gedeutet, das wäre "halt sie", wurde immer gesagt. Aber mir fiel auf, dass sie dadurch von allem, über das sie nicht reden wollte oder konnte, bzw. mit deutlicher hervortretender Krankheit kognitiv nicht mehr in der Lage dazu war, ablenkte. Denn auch wenn der Fragende in der Runde bei Tisch eigentlich keine Antwort auf seine Frage bekam, sie saß da, lachte, strahlte auf eine eigene Art und Weise "Fröhlichkeit" aus - und die gute Laune wollte irgendwie niemand durch Nachbohren, weil sie ja eigentlich keine brauchbare Antwort gegeben hatte, zerstören. Und so wurde das Lachen zu ihrer Copingstrategie Nummer 1, je weiter die Krankheit fortschritt. Was auch immer es früher war, ob es das Alzheimer war oder tatsächlich ihre Persönlichkeit, jetzt ist es definitv ein allgegenwärtiges Ablenkmanöver. Alle Unsicherheiten durch Lachen und Lächeln übertünchen - eine vermeintlich "gute Laune" vortäuschen, die keiner durch lästiges Nachfragen zerstören wollte.


    Das mit dem "An den Haaren ziehen" kenne ich zwar nicht - aber es stellte sich bei einer Magenspiegelung aufgrund einer Gastritis heraus, dass sie einige riesige Bezoare hat - sie dürfte sich wohl in der Nacht die Haare abkauen. Und in den ersten Jahren ihrer Krankheit hatte sie auch diverse emotionale Ausbrüche, massive Stimmungsschwankungen. Die sind mittlerweile aber so gut wie verschwunden. Ich denke, dass das am Fortschreiten ihrer Demenz liegt und sie sich ihrer Krankheit absolut nicht bewusst ist. Ich habe diese Ausbrüche damals immer als Verzweiflung gedeutet, weil sie doch Momente der Krankheitseinsicht hatte, das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, Angst - total verständlich, denke ich. Mittlerweile lebt sie in ihrer eigenen kleinen Welt, ist fröhich und zufrieden - weil sie gar nicht mehr bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Meistens zumindest. Ich bin kein Arzt, denke aber, sie ist kognitiv nicht mehr in der Lage im gleichen Maße, wie noch vor ein paar Jahren, über ihre Krankheit und über sich selbst zu reflektieren.


    Auch was die vermeintliche Aggressivität von Demenzerkrankten angeht, kann ich berichten, dass ich diese auch jetzt, 4 Jahre nach der Diagnose, Gott sei Dank nicht erlebe. Die stärksten Trigger meiner Schwiegermutter sind zwar Emotionen, besonders Dinge, über die sie sich (warum auch immer) ärgert und ihr Unmut äußert sich auch - aber eben in ihrer Laune, in ihren Selbstgesprächen, in der Art wie sie sich "beschäftigt"; sie ist nicht aggressiv gegen mich und meine Familie, weder verbal noch körperlich. Ich bin sehr dankbar dafür und hoffe, dass es so bleibt. Und ich wünsche dir, dass deine Mutter vielleicht auch so ein Fall ist, der euch das erspart. :)


    Viel Kraft wünsch ich euch!

    Hallo Bartleby,


    das ist ja eine vertrackte Situation, in der du da steckst. Das Ganze ist so schon schwierig genung und dann auch noch aus dieser Entfernung...


    Ob ich dir irgendwie helfen kann weiß ich nicht, vielleicht kann ich einfach ein paar Denkanstöße geben- was dir daraus zusagt, nimm dir raus und den Rest ignorier einfach! ;)


    Eine Abklärung halte ich für unbedingt notwendig, ob es jetzt Demenz (welche Form davon auch immer), Depression, alkoholabhängig oder ganz etwas anderes ist, auf jeden Fall scheint massiver Handlungsbedarf gegeben.


    Wenn ein anderes Familienmitglied das Problem nicht sieht (passiert leider oft, ich nenne das die "Kopf-in-den-Sand Haltung - was ich nicht sehe, das ist nicht da...) ist das natürlich für dich sehr schwer - ich hab die Erfahrung gemacht, dass nach einem Arztbesuch ein sachlicher Befund, wo schwarz auf weiß steht, was Sache ist, oftmals größeren Eindruck macht, als alles Erzählte von einem selbst...


    Zum Arzt: Erste Anlaufstelle ist meist der Hausarzt. Der verweist einen in der Regel dann weiter an einen Facharzt. Bei uns war es so, dass uns zu einem Termin beim Psychiater geraten wurde. Wir leben aber auch am Rande der Peripherie; je nachdem wo du wohnst, gibt es Gedächtnisambulanzen und Sonstiges. (Meine Schwiegermutter wurde dann vom Psychiater sofort weiterverwiesen auf eine gerontopsychiatrische Station zur Abklärung). Ich weiß nicht, wie das in Deutschland funktioniert, aber wenn du nur 3 Wochen Zeit hast und tatsächlich einen Versuch wagst, würd ich das im Vorhinein abklären und gegebenenfalls gleich einen Termin vereinbaren. Sprich das Thema, deine Sorgen und deinen Zeitmangel gleich an, versuch dich nicht abwimmeln zu lassen. Möglicherweise kannst du gleich einen Termin beim Facharzt ergattern? Erkläre deine Situation, vielleicht hast du Glück und gelangst an eine einfühlsame Person am anderen Ende der Leitung! :)


    Was die Verweigerung des Arztbesuchs angeht - aus deinen Schilderungen schließe ich, dass deine Mutter überfordert zu sein scheint, den Inhalt von Briefen richtig zu erfassen, gehe ich recht in dieser Annahme?
    Als bei uns bezüglich Arztbesuch beim Psychiater einfach nichts funktionierte griff ich zu folgender Notlösung, in der Post war ein "Brief von der Versicherung" (hatte ich gemacht) in dem stand, dass ein Arztbesuch fällig sei, begründet als eine Art stichprobenartige Untersuchung, die routinemäßig durchgeführt werde - bei Nichteinhaltung werde die Rente/Pflegegeld gekürzt. Mag drastisch klingen - hat aber wunderbar funktioniert. Natürlich habe ich den Brief mit meiner Schwiegermutter gemeinsam gelesen und habe mich gehörig mit ihr zusammen darüber empört, was das denn solle, so ein doofer Arztbesuch, das sei ja wohl eine Frechheit - aber das gekürzte Geld wäre schon schlimm, da müsse man halt in den sauren Apfel beißen... ;) Solidarität hilft!
    Wie es bei deiner Mutter ist, weiß ich nicht, aber meine Schwiegermutter dreht am sprichwörtlichen Rad, wenn sie weiß, dass so ein Termin ansteht, was für sie enorm stressig und eine große Belastung ist (Angst verstärkt die Symptome) und ist Tage vorher ein nervliches Wrack und gereizt und fertig und... - und du/ihr Umfeld dann natürlich auch. Solltest du tatsächlich zu so einem Versuch ansetzen wäre es möglicherweise hilfreich, wenn der Termin eben schon steht und du möglichst kurzfristig davon berichtest. Du könntest ja vereinbaren, den Termin für sie zu machen, da du ohnehin noch Arbeit beim Computer machst und die Nummer viel schneller rausfinden kannst und ja - vielleicht hast du ja "Glück" und einen Termin am nächsten/übernächsten Tag "ergattert"? ;)


    Zum Prozedere des Arztbesuches: Ich kann deine Situation aus der Ferne nicht beurteilen, aber bei meiner Schwiemu ist es so, dass ich unbedingt bei jedem Arztbesuch mit hinein zum Arzt gehe - einfach deswegen, weil es sonst unmöglich ist, zu wissen, was da drinnen tatsächlich besprochen worden und vorgefallen ist. Meine Schwiegermutter vergisst das auch alles und konfabuliert dann die wildesten Sachen zusammen - vom Unterschreiben einer Patientenverfügung (was nie auch nur irgendwie angesprochen wurde vom Arzt) angefangen bis zu sie müsse jetzt 8 Wochen ins Krankenhaus und dann auf Reha... - Schau, dass du unbedingt mit hinein kannst, wie sollst du sonst wissen, was der Arzt tatsächlich gemacht hat und was, wie besprochen und vereinbart wurde. Sollte dir das aus welchen Gründen auch immer nicht möglich sein, könntest du, wenn du den Termin vereinbarst gleich einen im Anschluss für dich selber vereinbaren; ich habe die Erfahrung gemacht, dass Ärzte leider oftmals nicht bereit sind, spontan bzw überhaupt Auskünfte ohne Termin zu geben. Also musst du vielleicht, sollte es deiner Mutter spanisch vorkommen, "wenn du schon mal in Deutschland und zufällig beim Psychiater bist" nochmal schnell selber rein zum Arzt, um etwas abzuklären, du machst dir nämlich große Sorgen um einen Freund da drunten in Australien, der Probleme hat und du brauchst kurz eine Auskunft....


    Das mit dem Autofahren ist so eine Sache, ob deine Mutter jetzt tatsächlich Demenz hat oder nicht, das rücksichtslose Fahrverhalten kenne ich von meiner Schwiegermutter auch und liegt oft an der schlichtwegen Überforderung und Überflutung von Reizen und das nicht in der Lage sein, auf spontane Gegebenheiten adäquat zu reagieren. Da das Ganze ein sehr sensibles Thema ist (stellt es doch das Wegnehmen eines riesengroßen Teiles von Selbstbestimmung und Selbständigkeit dar), ist es vielleicht gut, eine Abklärung beim Arzt abzuwarten - meiner Schwiegermutter wurde auf der gerontopsychiatrischen Station sofort nahegelegt, sie solle das Autofahren sein lassen. Mangels Krankheitseinsicht glaubte sie immer, sie dürfe bald wieder fahren, sie habe ja nichts und fieberte darauf hin. Darauf sprach ich mit ihrem Hausarzt, der in ihrer Weltanschauung eine "Instanz" ist und der teilte ihr das nochmal mit - begeistert war sie nicht, aber sie hörte auf ihn - von Ärzten (Pfarrern? Nachbarn? Guten Freunden? Vertrauenspersonen? Wer ist in deiner Mutters Welt eine Respektsperson/Instanz?) kann man vieles leichter akzeptieren als von Fammilienmitgliedern...


    Nicht zuletzt - hat deine Mutter in der Umgebung ein "Netz"? Bezugspersonen? Jemandem, mit dem du reden kannst, der sich vielleicht nach Erklärung der Situation bereit erklärt, ein wenig nach ihr zu schauen und im Bedarfsfall Kontakt mit dir aufnimmt? Bei Erledigungen hilft? Solche Personen müssen mit großer Sorgfalt ausgewählt werden, braucht es doch jede Menge Vertrauen in diese, bzw. großes Einfühlungsvermögen und Verständnis ihrerseits, wenn deine Mutter "seltsame" oder "unangebrachte" Sachen macht - aber solche Engel gibt es tatsächlich, vielleicht hast du ja Glück und weißt so jemanden.


    Und ich würde dir unbedingt raten, dich an eine Beratungsstelle und/oder Selbsthilfegruppe zu wenden. Einerseits um konkrete Hilfestellungen und Info zu bekommen und andererseits für dich und deine Seelenhygiene. Die Situation ist sehr belastend und darüber reden/schreiben zu können, seine Unsicherheiten, Ängste und das (meist völlig unbegründete) schlechte Gewissen anzusprechen und mit jemandem teilen zu können, hilft ungemein in solch schwierigen Situationen.


    Vielleicht hast du ja irgendeine Anregung gefunden. Ich wünsch dir auf jeden Fall viel Kraft! LIebe Grüße und dir und deiner Mutter alles Gute

    Hallo Anette, ich kann eure Gedankengänge bezüglich psychischer Belastung für euren Vater sehr gut verstehen.


    Aber mal abgesehen davon bin ich im Zweifelsfall immer für eine Abklärung - eben auch unter dem angesprochenen Aspekt der Behandlung. Auch wenn alles auf eine Demenz hindeutet, können die Auffällligkeiten auch andere Ursachen haben. Insofern würde ich in dieser Situation wohl eher zu einer konkreten Absicherung tendieren.


    Sollte es tatsächlich Demenz sein, so kann man diese natürlich nicht stoppen - aber es können je nach Stadium durchaus Maßnahmen gesetzt werden, um das Fortschreiten weniger rapide verlaufen zu lassen - je früher, desto besser. Und um zu wissen, in welchem Stadium sich dein Vater befindet, müssens zuerst einmal Untersuchungen angestellt werden, geschaut, um welche Art der Demenz sich überhaupt handelt; das ist individuell total verschieden, Ferndiagnosen so gut wie unmöglich.


    Ich möchte auch noch ganz andere, praktische Aspekte ansprechen: Ich weiß nicht, wie die Situation diesbezüglich in Deutschland aussieht aber ich/wir könnten diverse Unterstützungen/Förderungen ohne schriftliche Diagnoe gar nicht nutzen. Möglicherweise ist dein Vater in einem Stadium, in dem das noch nebensächlich erscheint; aber sollte es sich tatsächlich um Demenz handeln, dann werden irgendwann Zeiten anbrechen, in denen ihr merkt, dass sich auf einmal eine Unmenge Dinge eingeschlichen haben, bei denen er/ihr Hilfe und Unterstützung brauchen werdet, um seinen veränderten Bedürfnissen gerecht zu werden. Und wie gesagt, bei uns geht da jede Menge nicht ohne schwarz auf weiß Bestätigung eines Facharztes. Konkrete Beispiele: Anträge um Pflegegeld oder dessen Erhöhung brauchen einen (aktuellen!) fachärztlichen Befund, ansonsten kann die Demenz nicht berücksichtigt werden - was sie erfahrungsgemäß sowieso nie in dem tatsächlichen Ausmaß wird. Auch gibt es bei uns einen jährlichen Unterstützungstopf für pflegende Angehörige; wenn diese Vertretung brauchen (zB bei Krankheit oder Urlaub). Normalerweise bekommt man diese Unterstützung erst ab Pflegestufe 3 - aber wie gesagt, der tatsächliche Zeitaufwand, der durch die Demenz entsteht wird im hießigen Feststellungsverfahren viel zu wenig berücksichtigt,. Bei diesem Topf aber kann man Unterstützung schon ab Pflegestufe eins beziehen -wenn fachärztlich nachgewiesen werden kann, dass die Person an Demenz erkrankt ist.
    Das sind vielleicht für euch noch alles Punkte, die in weiter Ferne liegen - aber vielleicht irgendwie doch einmal Realität werden könnten.


    Und zu guter Letzt: Ja, ich kenne diese Situation mit dem seelischen Zusammenbruch. Und diesen will man nicht verantworten. Ich habe das Ganze auch mitgemacht und wollte auch nicht für seelisches Leid meiner Schwiegermutter "verantwortlich" sein. Trotzdem haben wir es getan. Und ja, natürlich war die Zeit der Diagnosefindung und Stellung eine sehr fordernde, für uns alle, aber besonders für die Schwiegermutter nicht schön.
    Auf jeden Fall aber würde ich es wieder tun. Punkt eins wegen der Klarheit, die endlich herrscht. Das schlechte Gewissen, ihr adäquate
    Behandlung oder was auch immer zu verwehren ist damit vom Tisch. Außerdem kann man, sobald man weiß, worum es sich tatsächlich handelt, sich Informationen und konkrete Hilfe holen. Alles worüber ich informiert bin, kann ich als Pflegende/Begleitende besser verstehen und mich wappnen - das geht aber natürlich nur, wenn ich weiß, worum es sich tatsächlich handelt.
    Und nur, weil es keine Diagnose gibt, sollte nicht pauschal angenommen werden, dass der Betroffene somit keine Ahnung hat und unbelastet ist - auch wenn Demenzbetroffene oft absolute Weltmeister im Überspielen, Kaschieren und "Vertuschen" sind merken sie ja doch, dass irgendetwas nicht stimmt, sind oft insgeheim verunsichert, verängstigt und verwirrt und versuchen das zu überspielen, damit niemand etwas merkt. Also ist eine nicht gestellte Diagnose leider keine Garantie um die Betroffenen vor Schmerz zu bewahren.


    Bei uns war es dann damals so, das natürlich "die Welt zusammenbrach" für die Schwiegermutter, das war auch für mich mehr als belastend ihr Leid zu spüren. Aber Krisen gehen vorüber. Ich kann an der Demenz selbst nichts ändern, weiß aber, dass sie die Unterstützung bekommt die sie braucht und ICH selbst kann viel besser damit umgehen, habe mich viel informiert und schlau gemacht - und das kommt IHR zugute, da ich ihre tägliche Begleiterin durch den Demenzdschungel bin. Die Weltuntergangsstimmung hat sich - so wie jeder Schmerz wieder beruhigt. Und außerdem neigen nicht unbedingt viele Demenzerkrankte zu Krankheitseinsicht - in der Welt meiner Schwiegermutter ist diesbezüglich mittlerweile alles in Ordnung - die Pflaster, die ich ihr täglich klebe, die Medikamente, die Hilfe und Unterstützung, die ich ihr täglich angedeihen lasse - für alles hat sie eine (oft sehr abenteuerliche) Erklärung für sich selbst parat - weil krank ist sie nicht. ;) Ich glaube, das ist eigentlich ein sehr schöner Schutzmechanismus der Demenz - je nach Stadium wird das dann einfach völlig uminterpretiert - so dass die Betroffenen selbst eine Erklärung für die Situation haben, mit der sie sich wohl fühlen. Mit der Realität hat das oft wenig zu tun, aber das ist völlig egal - Hauptsache meine Schwiegermutter fühlt sich damit wohl und kann die Situation so akzeptieren.


    Vielleicht waren ein paar Punkte dabei, die euch in eurem Entscheidungsprozess etwas helfen können. Ich wünsch euch alles Gute und viel Kraft, wie auch immer ihr euch bezüglich Diagnosestellung entscheidet.

    Klar, wenn die Hauptbezugs- und Pflegeperson nicht einverstanden ist, dann wird das nichts... Und ich finde es auch toll, dass du unbedingt dabei sein willst, um sie zu unterstützen - ich habe auch schon viele "gutgemeinte" Aktionen diverser Gutmenschen dann aushalten dürfen, weil die sind nach zwei Stunden ja wieder weg sind...


    Schön, wenn dein Vater auf deinen Mann hört. Wäre das möglicherweise ein Hebel, bei dem du bei deiner Mutter ansetzen könntest? Wenn dein Mann, der ja quasi "Experte für den Zugang" zum Vater oder so ist, das auch für eine gute Idee hält... Vielleicht kann er sie überzeugen von dem Experiment?
    Das mit dem Frust kann ich gut verstehen - auch wenn er mit einem Augenzwinkern gemeint ist! ;) Wir sind die, die Himmel und Hölle und A und Z und sonstiges in Bewegung setzen und für unsere Lieben tun - aber andere werden weit mehr gewürdigt! Das kratzt am Lack! :D :D :D


    Wie lange hält denn die Fernsehfixierung schon an? Könnte es möglicherweise eine "Phase" sein?


    Ich drück dir die Daumen, dass du eine Lösung findest

    Hallo Alex,
    ich finde, wenn du wissen möchtest, was passiert, wenn der Fernseher "nicht funktioniert", dann solltest du es einfach ausprobieren! Ich finde die Idee sogar richtig gut! Was soll es denn schaden? Gesundheitlichen Schaden trägt dein Vater jedenfalls auf keinen Fall davon, soviel steht mal fest! ;) Im schlimmsten Fall ist er momentan aus der Bahn geworfen - aber das können zahllose andere Kleinigkeiten auch machen, das sind Angehörige von Alzheimerpatienten gewohnt.
    Also warum nicht? Stell den Strom ab. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Oder (keine Ahnung, wie fit dein Vater in dieser Hinsicht ist) vielleicht reicht es den Stecker zu ziehen und hinter dem Gerät "zu verstecken", da "muss sich das erst ein Fachmann ansehen" - dann wäre eine "Langzeitstudie von 2,3 Tagen möglich, ohne dass den ganzen Tag der Strom im Wohnzimmer futsch ist...


    Allerdings löst es vielleicht nicht das Problem, dass du bei - dann etwaigen möglichen gemeinsamen Aktivitäten, "weil der Fernseher ja sowieso nicht geht" - dann trotzdem "alleine da sitzt". Meine Schwiegermutter beispielsweise ist immer ganz versessen darauf, etwas zu unternehmen, oft Dinge, die ihr früher richtig Spaß gemacht haben. Aber im Endeffekt ist es nicht das schöne gemütliche Erlebnis wie früher, sondern sie sitzt da, redet nichts und starrt nur stier vor sich hin und erwartet, unterhalten zu werden- weil sie nicht mehr in der Lage ist die ganzen mittlerweile ungewohnten Reize und Dinge zu verarbeiten. Selbst kleine Ortswechsel (auch wenn sie vor ihrer Krankheit täglich dort war) machen ihr zu schaffen - alles, was nicht die vertrauten 4 Wände sind, überfordert sie. Nichtsdestotrotz giert sie danach.
    Wir sind oft nicht so davon begeistert, weil statt eines schönes Erlebnisses mit Spaß und gemeinsamen Unterhaltungen bugsieren wir sie von Punkt A zu Punkt B und haben selber jede Menge Stress dabei, von Entspannung keine Rede - aber da sie nach wie vor danach lechzt, handeln wir nach "der Wille geht für's Werk", weil sie sich so darauf freut. Und sie kann den Nachbarn stolz erzählen, wo sie war - auch wenn sie dann an Details, oder was tatsächlich war, absolut nix in Erinnerungen behält außer dem Ortsnamen, als Folge von der Reizüberflutung.
    ABER: Vielleicht ist es bei deinem Vater ganz anders?
    Und selbst wenn es das "alleine" dasitzen nicht löst, vielleicht tut sich etwas anderes auf?


    Ich bin gespannt, wie dein Experiment läuft! ;)


    Liebe Grüße

    Hallo Mari,


    die meisten Dinge, die mir dazu einfallen, wurden von den anderen schon geschrieben, zwei drei Dinge fallen mir dazu noch ein und vor allem, ja, es gibt viele Gleichgesinnte, denen es völlig ähnlich geht und die vor dem gleichen Dilemma stehen. Du bist nicht allein!


    Bei meiner Schwiegermutter verhält es sich ähnlich, die Aussage von Herrn Gust, dass die realistische Selbsteinschätzung sich völlig verabschiedet, kann ich nur zu 100 % unterschreiben. Faktisch verhält sich meine Schwiegermutter wie ein manchmal unbedarftes, manchmal unwissendes, manchmal fürchterlich bockiges Kind, "weiß" aber sehr wohl noch, dass sie kein Kind ist - was es sehr heikel macht Dinge zu umschiffen - aber jeder Fall und jede Persönlichkeit ist anders, darum gibt es kein allgemein gültiges Patentrezept, was beim einen funktioniert oder nicht, kann sich für andere Demenzerkrankte völlig anders auswirken.


    Was mir geholfen hat - oder besser zuerst eins vorweg: Ich bin per se völlig gegen Lügen. Aber nachdem ich oft genauso "gegen eine Wand" von Konflikten gerannt bin, und nichts mehr ging und alle Beteiligten an der Grenze der Frustrationstoleranz waren, habe ich einfach einen Weg gefunden, der für uns in unserer Situation geholfen hat. Und da der die gesamte Situation deutlich entspannt und vorangebracht hat, kann ich den für uns auch vertreten.


    Zum Thema Hausarzt: Ich bin in einer ähnlichen Situation, ich bin auch nur sehr bedingt mit diesem zufrieden; ein Wechsel käme nie infrage, weil meine Schwiegermutter Stein auf Bein auf ihn schwört und damit basta. Bei uns kam dann mal ein "Brief von der Versicherung" reingeflattert, da müsse mal eine Untersuchung gemacht werden, sonst könne es Kürzungen bei der Pension geben. Natürlich habe ich mich furchtbar mit ihr zusammen empört; so ein Käse, was solle das, warum man bei so "Stichproben" denn so Pech hätte - aber man muss wohl oder übel, weil die Pension kürzen, nein, das geht auch nicht.... Und zack, da ging das Unmögliche auf einmal.


    Zum Thema Hygiene: Was die Wäsche betrifft ist das Problem, dass meine Schwiegermutter von Haus aus noch nie die Ordentlichste war - und damit dann der ohnehin nicht hohe Sauberkeitsgrad dann mit der Demenz in den allertiefsten Keller rasselte. Sie wehrte sich mit Händen und Füßen, sie könne das ja selber. Beziehungsweise, wenn ICH das für sie machte, dann war das okay, aber ich bin in meiner jetzigen Situation mit Kindern, Haus, Hof, Betreuung zweier dementer Damen völlig überlastet gewesen. Ich habe dann auch oft einfach, wenn sie nicht da war, die Wäsche gesammelt, gewaschen, rein in den Kasten und fertig. Punkt. Ohne Erklärung. Wenn sie doch mal nachfragte, dann erklärte ich einfach, ich selber wollte gerade waschen, und hätte die Trommel nicht voll beladen können und deswegen ihre mitgewaschen zwecks Vermeidung von Verschwendung und so.... Vielleicht geht das irgendwie, das du zuwenig Wäsche hast und es viel wirtschaftlicher wäre? - Falls es für dich überhaupt eine tragbare Option wäre, das selber zu waschen.
    Mittlerweile habe ich das Ganze auch ausgelagert, aber ich weiß nicht, ob das bei dir irgendwie möglich ist. Die Sache ist die, ich habe auch noch die 97jährige Schwiegermutter meiner Schwiegermutter im Haus, für die wir mittlerweile eine 24h Betreuung haben, weil ich absolut an meine Grenzen gestoßen war. Diese Pflegerin wohnt (wir alle wohnen in einem riesengroßen Haus, aber mit getrennten Haushalten) im gleichen Geschoß sprich Haushalt wie meine Schwiegermutter, ist aber offiziell nur für die ältere der beiden zuständig. Es läuft so, dass ich nach wie vor für Medikation und sämtliche andere Belange meiner Schwiemu zuständig bin - alles andere würde diese nicht zulassen, weil in ihren Augen ist ihre eigene Schwiemu alt und doof und sie tut alles, um (in ihren Augen) ja nicht auf eine Stufe mit ihr zu sein (war schon vor der Demenz so). Den Haushalt versorgt jetzt die Pflegerin mit - "weil, weißt du, sie kriegt ja dafür bezahlt, dass sie für Urli putzt. Und die hat ja die gleiche Küche. Da wärst du ja schön blöd, wenn die Urli eh dafür bezahlt...". Die Wäsche ging am Anfang trotzdem gar nicht. Sie "ist ja nicht wie die Urli", das kann sie ja selber - da half wieder das Argument mit der halb leeren Trommel. Mittlerweile akzeptiert sie es tadellos. Ich muss nur regelmäßig (wenn sie beim Fernseher sitzt oder so) mal eben in ihr Zimmer gehen (kann ich wunderbar mit der Ausrede, ich müsse mal eben was bei den Medikamenten ergänzen), und dieses durchsuchen - um dann eben benutzte Unterhosen aus dem Nachtkästchen, zusammengeknüllte Shirts unter dem Bett und alles mögliche und unmögliche aus dem Kasten in den Wäschekorb zu transportieren. Wäre sie dabei - no way. Kriegt sie es nicht offensichtlich mit (was ja in ihren Augen und aus ihrer Sicht ein absolutes "Sichtbarwerden" ihrer Defizite sein muss), dann ist es für sie okay, wenn die Wäsche auf einmal gewaschen da liegt.


    Was persönliche Hygiene angeht... Wie gesagt, auch damit hat sie es nie sonderlich genau genommen... Und ich hatte anfangs sehr damit zu kämpfen, weil ich dann glaubte, jetzt, wo ich die Verantwortung übernommen habe, müsse ich sie auf den "normalen" Standard bringen... Beziehungsweise hab ich mich von diversen Nachbarn und Angehörigen unter Druck setzten lassen (oder ihn mir selber gemacht?) - derweil meine Schwiemu nicht dement war, da war sie halt wie sie war. Nicht sonderlich reinlich. Punkt. Aber jetzt wo sie krank wurde, da war auf einmal ich zuständig, und da gingen die langen Nägel (die sie IMMER hatte!) und die ungewaschenen Füße nicht mehr... - weil auf einmal war ich das, die das zuließ, die Schwiemu ist ja krank, wie kannst du sie so verwahrlosen lassen... - obwohl die persönliche Hygiene gar nicht mal so abnahm im vergleich zu vorher oder wie beispielsweise die Wäsche.
    Viel Frust und Erfahrung später bin ich jetzt mittlerweile so weit (und kann das auch "besorgten Nachbarn" gegenüber so vertreten, dass ich mich dabei gut und sicher fühle), dass ich der Meinung bin, dass jeder Mensch seine eigene Vorstellung von Hygiene hat, die nicht unbedingt mit meiner oder einer gängigen Norm hundertprozent gleichen müssen. Und ich habe auch keine Lust, meiner Schwiegermutter ständig vor Augen zu führen, welche Defizite sie hat - denn nichts anderes ist es für sie, wenn ich ihr auf einmal jeden Tag die Nägel putze - was sie auch früher NIEMALS getan hätte. Ich selber könnte so nicht leben, aber wenn sie alle anderthalb Wochen duscht, dann ist es FÜR SIE okay - und gesundheitlich nicht gefährlich. Wenn sie mal eine ganze Woche die gleiche Kleidung anzieht (ich bin froh, dass sie das noch recht und schlecht selber macht) dann sehe ich das so, dass ich ihr ihre Selbstbestimmung lasse. Den n wenn ich das auch noch für sie übernehme, nehme ich ihr wieder ein Stück Selbstautonomie.


    Ich gehe völlig mit Herrn Gust konform, dass das Hinweisen auf Defizite die Erkrankten sofort auf die Barrikaden bringt - auch wenn wir dieses Hinweise so nicht auf den ersten Blick erkennen. Aber das liegt einfach daran, dass die Realität für Demenzerkrankte eine andere ist wie für uns und sich darum dreht, Defizite, die sie unbewusst ja doch spüren, zu "vertuschen". Darum habe ich mittlerweile gelernt, keine "DU Sollst, DU musst, DU" sondern "ES" bzw ICH- Botschaften zu vermittelnt. Bei meiner Schwiemu klappt's wunderbar.
    Beispiel stinkige Wäsche: Ich sage nicht (auch wenn ich das primär so sehe), du ..., mir ist aufgefallen, dass DEINE Wäsche... oder DU duftest, oder... Nö, besser funktioniert, Mensch, ..., gell diese Woche war's so richtig heiß. Mann, ich habe so geschwitzt, du auch? MEINE Kleidung, die war sooo was von verschwitzt, da hab ich gleich alles waschen müssen, jetzt riecht wieder alles gut. Was hältst du denn davon, wenn ich deine Wäsche auch gleich dazu raus in die Sonne hänge, sonnengetrocknete Wäsche ist sooo fein, ja das find ich auch, wie früher.
    Bzw. Boa, ich war gerade duschen, weil weißt du, mich hat's schon richtig gejuckt. Dich auch? Ja bei der Trockenheit zur Zeit, der Staub? Schau mal, deine Haut ist auch schon richtig trocken. Ich hab da so ein tolles Duschgel, das würd dir vielleicht gut tun...


    Hört sich vielleicht affig und übertrieben an, aber so in die Richtung läuft's. Und bringt sie dann dazu tatsächlich duschen zu gehen und das Duschgel zu testen.
    Sie legt auch ständig ihre Kleidung - wenn überhaupt vollständig - völlig verdreht und verkehrt an. Sag ich, du ... , deine Hose ist verkehrt rum, schämt sie sich und schafft es in 10 verzweifelten Versuchen nicht, sie richtig anzuziehen. Sage ich, Mensch guck mal, du hast so eine Hose wie ich, da glaub ich auch immer ich schlupf richtig rein und merke dann jedesmal, dass ich doch anders rum rein hätte müssen, das ist zu doof, mit den mordernen Hosen... - dann klaptt das für sie viel besser.


    Und hin und wieder - wieder stimme ich mit Herrn Gust überein - gibt es Dinge, über die kann man sich nicht hinwegmogeln, die setzt man fest und damit aus, basta. Bei meiner Schwiegermutter betrifft das (unter anderem) das Nägelzwicken, was sie immer hasste und sehr eigene Vorstellungen davon hatte, wie das aussehen soll und es für sie ein absoluter Einbruch in die Intimpspähre war, dass ich ihre geliebten (für mich "ungustiösen) Fingernägel stutzte - von der Fußhygiene ganz zu schweigen. Ich habe alles versucht, alle Umschiffungen und nichts funktionierte. Sie war gerkänkt und beleidigt und ich frustriert, denn ganz ehrlich, so eine furchtbar tolle und gschmackige Angelegenheit ist das für mich auch nicht - und dafür, dass ICH das machte, war sie auch noch sauer...
    Und interessanterweise fand ich heraus, dass es trotzdem am besten funktioniert wenn ich sage, so, ..., ich habe den Kindern grade die Nägel geschnitten, jetzt machen wir deine gleich mit, dann ist das erledigt setzt dich bitte. Punkt. Aus. Seltsamerweise geht das ohne Widerstand von statten. Halleluja. Wenn ich auch sagen muss, dass ich da eh laaaange die Augen zudrücke, bis ich handle - weil meine Vorstellung von Nägelhygiene in ihren Augen eine Bevormundung darstellt. Und da gilt es die Waage zu halten zwischen ihrer Selbstautonomie und notwendiger (?) Hygiene. Und ich stimme Jutta völlig zu: Das ist eine Folge der Krankheit, für die man sich nicht zu schämen braucht. Ich für mich kann es verantworten, ihre Nägel noch wachsen zu lassen, auch wenn andere "gutmeinende" (aber faktisch ahnungslose) Außenstehende der Meinung sind, das gehöre nun auf der Stelle erledigt, weil das geht nicht an. Nein! Es geht sehr wohl an. Es ist bloß ungewohnt. Aber sie hat dadurch ihren Frieden und so weit ich es zulassen kann, ihre Selbstbestimmung. Und erst, wenn es wirklich nicht mehr geht dann greife ich ein.


    So, das war jetzt ein langer Roman. Aber vielleicht ist die eine oder andere Anregung dabei, die etwas helfen könnte. Alles Gute!

    Hey Ana,


    ich kenne das Problem, das du schilderst ganz genau. Man will einfach nicht direkt neben der betroffenen Person dem Arzt haarklein schildern, was dessen Defizite sind und konkrete Beispiele noch einmal aufwärmen - menschlich bringt einen das in eine einfach unmögliche Zwickmühle.


    Leider hab ich auch festgestellt, dass das ziemlich vielen Ärzten völlig wurscht ist, wenn man nicht selbst im Vorfeld versucht, das Thema irgendwie zu regeln kriegt man da Null Hilfe. Einmal hab ich sogar mit einem Arzt im Vorfeld gesprochen und der meinte dann lapidar: "Da müssen Sie jetzt durch." Das war's.


    Konkretes Beispiel, wie wir die ersten Besuche beim Psychiater geregelt haben: Ich habe im Vorfeld dort angerufen und mein Problem geschildert. Anfangs kam zwar null Verständnis aber auf meinen eigenen Vorschlag hin, das Ganze zu verschriftlichen, bekam ich die Erlaubnis dazu. Per Mail (ich weiß nicht wie die Situation in Deutschland rechtlich aussieht) wollten sie es aus angeblich rechtlichen Gründen nicht annehmen, aber man machte mir den Vorschlag, das Geschriebene im Vorfeld per Post zu schicken oder selbst in den Briefkasten zu werfen. Ich hab also alle Beobachtungen und was mir auffiel in einen Brief gepackt und weggeschickt.
    Ich muss gestehen, ich hatte riesige Angst, dass die Ärztin erwähnen könnte, dass ich den Brief geschrieben habe, bzw. sagen würde "lt Ihrer Schwiegertochter..." - aber die Ärztin nahm den diesbezüglichen Hinweis im Brief, in dem ich um absolute Vertraulichkeit bat, tatsächlich ernst und es hat super geklappt! Vielleicht passt die Lösung auch für dich?
    Viel Glück und Kraft!

    Hallo Ana,
    ich kann dir keine fachlichen Tipps geben, aber ich weiß genau, wie es dir geht. Meine Schwiegermutter war vor vor einiger Zeit auch auf der Gerontopsychiatrie - bei uns ging es allerdings damals generell um die Abklärung, welche Krankheit sie nun tatsächlich hat - es war präseniler Alzheimer.
    Ich kann dich und deine Zweifel sehr gut verstehen, man fühlt sich einfach mies und "verantwortlich" und hat große Angst, der Person Unrecht zu tun.
    Wie du beschreibst hatte auch meine Schwiegermutter (zumindest nach außen hin, "Herr Alzheimer" ist ein sehr guter Schauspieler und Kaschierer) jede Menge klare Momente und konnte sich jede Menge merken - nur um dann trotzdem wieder jede Menge Blackouts zu haben, die auch meist dann waren, wenn wir nicht da waren - klar, dann war sie ja allein in der fremden Umgebung. Es zeriss mir damals das Herz, die "normale" Frau auf dieser Station mit (nicht meine Wortwahl, die meiner Schwiemu) "lauter Kaputten und Wahnsinnigen" zu lassen. Ich zweifelte ständig daran, dass das richtig war, fühlte mich dafür verantwortlich, dass sie auf der Station war und meine Selbstzweifel gingen soweit, dass ich schon glaubte, ICH sei Schuld an dem Ganzen, weil ICH behaupten würde sie hätte Defizite, was das Ganze überhaupt ins Rollen brachte - und eigentlich ist ja alles gar nicht so schlimm...- Die Zeit war sehr hart für meine Schwiegermutter und mich.


    Aus heutiger Sicht bin ich sehr froh, dass sie dort war. Die 14 Tage sind auch einmal zu Ende gegangen. Die Art ihrer Krankheit wurde durch jede Menge Tests abgesichert, sie wurde medikamentös eingestellt, so dass das wirklich funktioniert. Die ersten Medikamente vertrug sie nämlich gar nicht, was sich jeweils erst mit 1,2,3 Tagen Verzögerung zeigte. Zuhause wäre ich mit der Situation (durch das Unwohlsein, das Nicht-Vertragen, die Angst, die Wut, die Schlechte Laune tanzte Herr Alzheimer Tango) völlig überfordert gewesen. Natürlich wünscht man keinem Menschen einen Aufenthalt auf so einer Station, aber manchmal ist es trotzdem - langfristig gesehen - besser. Die Abklärung der tatsächlichen Ursachen funktioniert - so denke ich - auf lange Frist aufgerechnet besser bei einem stationären Aufenthalt, wo wirklich alle nötigen Tests und zusammenhängende Beobachtungen unter Absprache aller Untersuchenden und Pfleger im gleichen Haus stattfinden - ohne ständig (würdet ihr das ambulant machen) von einem Arzt zum nächsten, von einem Termin zum anderen mit jeder Menge Wartezeit und Verwirrung und so weiter zu hetzen.


    Ich habe keine Ahnung, wie die Situation in Deutschland rechtlich aussieht, ich kann dir nur raten: Informiere dich, halte mit den Ärzten engen Kontakt, was, wie, wo passiert und poche auch sehr streng darauf, dass der Aufenthalt so lange wie nötig aber so kurz wie möglich gehalten wird. Ich habe schon festgestellt, dass, wenn ich aus den Ärzten nicht ganz schlau wurde, oft das Pflegepersonal auf der Station ein offenes Ohr für mich hatte und gewisse Sachverhalte nochmal erklärte. Aber bitte, fühle dich nicht verantwortlich - zumindest nicht in dem Sinn, dass es deine Schuld ist.


    Alles Gute und viel Kraft für dich und deine Mutter.

    Hallo Lovis,


    ich schreibe hier, um dir Mut zu machen. Ich bin kein Experte und habe keine Ahnung, was die ganzen Krankheitsbilder, die du beschrieben hast nun exakt bedeuten und sich auswirken, aber ich war letztes Jahr um diese Zeit ähnlich verzweifelt.


    Meine Schwiegermutter (mit präsenilem Alzheimer, 60 Jahre), bekam letztes Jahr um diese Zeit ein künstliches Knie. Vor der OP gab es zwar deutlich spürbare "Aussetzer" was das Kognitive anging, körperlich brauchte sie jedoch null Unterstützung (weder bei Hygiene noch bei sonst was).


    Nach der OP, im Spital, war ihr Zustand aber völlig in den Keller gesackt. Natürlich war ihr Gedächtnis durch den Stress, die Angst, den Ortswechsel und die Schmerzen völlig außer Gefecht - das Ganze ging aber so weit, dass sie schlicht und einfach nicht fähig war, mit Krücken zu gehen. Sie brauchte beim Toilettengang, bei allen Verrichtungen der Hygiene auf einmal Hilfe, klagte und jammerte ständig über ihren Harnkatheder - der ihr jedoch nicht entfernt wurde, weil sie einfach nicht fähig war, alleine zu gehen. Nicht etwa wegen des Knies, sondern weil sie schlichtweg nicht in der Lage war, sich zu merken, wie sie ihre Krücken benutzen sollte. Und falls sie es doch einmal so leidlich selbst schaffte (kam auch einmal vor), oder jemand von uns Angehörigen sie stützte, glaubte sie, das WC hinter der Kastentür, oder am Gang,... zu finden bzw. fand ihr Bett nicht mehr, wenn sie zurückkam (obwohl in allen anderen jemand lag).


    Die Prognose war damals auch denkbar düster, bei uns ist zwar die Versorgungs- und Pflegelage anders (bin aus Ö), aber es wollte sie auch keine Rehaanstalt oder sonstiges übernehmen, mit der Begründung, ihr Alzheimer sei viel zu schwerwiegend um ihr Knie therapieren zu können (das aber Nachbehandlung dringend brauchte!).
    Es war schlimm. Die Pfleger teilten uns lapidar mit, von nun an brauche sie einfach rund um die Uhr jemanden und wir sollten uns darauf einstellen, jede Nacht mit Babyphone in ihrem Zimmer, oder ganz bei ihr zu schlafen und so weiter und so fort. Angesichts unserer damaligen persönlichen Situation (u.a. ein Neugeborenes mit 3 Wochen und ein anderes Kleinstkind), schien alles eine Katastrophe zu sein.
    Sie kam dann (ein Wunder, dass wir einen Platz bekamen) auf Remobilisation, wo das Personal wirklich, wirklich ein Hammer war und es zumindest fertigbrachte (sie entließ sich nach nur einer von vier vorgesehenen Wochen selbst), dass sie mit Krücken halbwegs humpeln konnte. Wahnsinn, wie sich diese Leute um sie bemühten!


    Nun, ein Jahr später: Meine Schwiegermutter verrichtet wieder alles selbst - problemlos (mal abgesehen von kleinen Dingen, die "Herr Alzheimer" halt etwas erschwert), was die Motorik angeht. Ihr Gedächtnis ist wieder in weit besserem Zustand als im Spital und generell ist ihr Gesamtzustand insgesamt gesehen, besser als vor der OP selbst. Alleine der Ortswechsel in ihre vertraute Umgebung bewirkte jede Menge und mit viel Geduld, besserte sich auch der Rest.


    Ich bin kein Experte, und kann dir auch nicht verbindlich sagen, wie es weiter geht. Aber wir sind ein Fallbeispiel dafür, dass sich scheinbare Katastrophen manchmal wieder in Luft auflösen. Ich wünsch euch alles, alles Gute!

    Hallo Frau Sachweh,


    danke für Ihre aufmunternden Worte und die Anregungen - das mit dem "Erklärenlassen" hab ich heut schon versucht - kommt gut an. Ihr "Fachgebiet" ist die Landwirtschaft und alte Rezepte.


    Wenn ich das Ganze so überblicke, merke ich einfach, dass viel von dem Ganzen einfach MIR Probleme macht, weil ich so ein furchtbar gefühlsduseliger Mensch bin, der Gefühle aufsaugt wie ein Schwamm. Ich schaffe es schwer, mich abzugrenzen. Aber naja, mit einem Hof, sehr kleinen Kindern, einer 96-jährigen Uroma im Haus und eben meiner Schwiegermutter ist furchtbar viel los und ich bin die Ansprechperson für jeden und alles. Da fällt es eben oft furchtbar schwer abzuschalten, irgendwas ist immer. Und da ich so ein Harmoniesuchti bin, nehm ich mir alles zu Herzen. Darum bin ich Ihnen sehr dankbar für Ihre wirklich brauchbaren und alltagsorientieren Tipps und freundlichen Worte, die sehr aufbauen.


    Danke!

    Liebe Frau Sachweh,


    vielen Dank für Ihre (wie immer) prompte Antwort. Auch ich bin mittlerweile zum Schluss gekommen, dass die gewählte Vorgehensweise die beste ist - mehr ist einfach nicht zu machen, durch die Aufregung muss ich einfach durch.


    Zum Grund für die "Häufigkeit" der Untersuchungen: Soweit ich weiß ist der Grund, dass das Medikament, dass sie bekommt, zwar sehr gut anschlägt, allerdings schon in der höchsten Dosierung verabreicht wird. Sollte sich ihr Zustand verändern, müsste das Präparat gewechselt werden. Außerdemgeht es auch darum, dass die Prognose meiner Schwiegermutter aufgrund ihres verhältnismäßig jungen Alters leider denkbar schlecht ist.
    Dinge, wie die Notwendigkeit der Überprüfung der Wirksamkeit der Medikamente meiner Schwiegermutter zu erklären, bringt leider nichts - habe ich versucht. Kommt in (um ihre Bücherregalmetapher zu benutzen) das oberste Regal und ist sofort weg. Weil eben Dinge, wie bevorstehende Arzttermine (oder schlicht und einfach "Emotionen) ein "Dauerbeben" auslösen.


    Zu ihren anderen Punkten: Wenn ich so wie sie beschrieben haben reagiere (was ich in der Regel tue), ändert es im Großen und Ganzen gar nichts. Das Gute daran ist ja, dass sie es nicht auf mich projiziert und mir glaubt, wenn ich ihr sage, dass es mir sehr Leid tut aber dass wir das nun mal miteinander durchstehen müssen - ihr Frust richtet sich nicht gegen mich. Aber die Aussetzer, ihre Nervosität, ihre Reizbarkeit und - für mich am schlimmsten - ihr Leid, dass sie empfindet übertragen sich halt sehr auf mich, da wir im gleichen Haus leben. Wahrscheinlich ist das Ganze dann eher mein Problem, weil ich nicht weiß, wie ich das Ganze von mir fortschieben kann.


    Zu ihren anderen Anregungen: Ich weiß, es erweckt vielleicht den Eindruck, dass ich alles abblocke, aber ich finde leider kaum etwas, dass ich konkret anwenden könnte. Die Sache ist die, dass meine Schwiegermutter aus einem sehr bildungsfernen Milieu stammt und außer Arbeit "nichts kennt". Wir sagen im Spaß immer, sie sei das personifizierte Sprichwort "Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht" - das war schon vor ihrer Krankheit so und verstärkt sich jetzt im Laufe ihrer Krankheit zusehends. Sie war immer schon sehr wählerisch und probierte Dinge, die sie nicht kannte oder die etwas anders waren, als gewohnt, aus Prinzip nicht und konnte sehr ungehalten werden, wenn man sie dazu bewegen wollte (was wohl, soweit ich aus ihren Kindheitserzählungen schließe, viel mit ihrem Vater, zu dem sie kein gutes Verhältnis hatte, liegt; eine Art "Protesthaltung"). Das betrifft so ziemlich alle Lebensbereiche, angefangen von Essen, bis zu Freizeitbeschäftigung (außer Fernsehengibt es nichts).
    Handmassagen, Wellnessbad, etc. sind Dinge, die ich selbst heiß liebe - meine Schwiegermutter allerdings würde mich anschauen und sich fragen "Oh Gott, was will sie denn jetzt, spinnt sie?" Möglichweise würde sie sogar zulassen, dass ich das mache - weil sie sich in der Regel an das hält, was ich sage, sie sieht mich irgendwie als "Führungsperson" - aber sich schrecklich unwohl fühlen und das Ganze "aussitzen" und froh sein, wenn es vorüber ist.


    Ich persönlich halte die Anregungen mit den (Hör)büchern für sehr gut, aber ich weiß, dass das bei meiner Schwiegermutter nicht ankommen würde. Lesen tut sie kaum mehr was, außer kurze Zeitungsartikel. Sie sagt immer, sie habe "keine Lust" mehr - ich vermute aber eher, dass sie einfach "nicht mehr mitkommt", das Gelesene zu lange und zu komplex ist. Hörbücher sind für sie Nonsens - ich selber höre nämlich mit Leidenschaft solche, was sie belächelt und für eine Modeerscheinung hält. Sie weigert sich strikt, an einer Gedächtnisgruppe oder Ähnlichem teilzunehmen ("i bin ja ned blöd"), genauso, wie an den örtlichen Seniorengruppen (wo eigentlich alle ihre Bekannten und Freunde dabei sind), weil sie ist ja "ned alt". Sie verbindet mit dem Begriff "alt" sehr negative Dinge. Mein Bauch (und der ist meistens der richtige Ratgeber) sagt mir, dass, wenn ich ihr Lektüre zum Thema gebe, sie sehr ungehalten wird. Sie ignoriert das Thema Alzheimer lieber und will nichts davon hören - was ich aber auch gut verstehen kann. Wie würde es mir an ihrer Stelle gehen, wenn ich weiß, dass ich sukzessive alles vergessen würde? Ich würde es auch, so gut es geht, aus meinem Alltag verdrängen und den so normal leben, wie ich kann.


    Nichtsdestotrotz habe ich ihre Anregung ernst genommen und am Abend ein Glas Weißwein (auch wenn ich den hasse, aber sie liebt ihn) zusammen mit ihr getrunken. Und ich glaube, dass das Thema "Handmassage" vielleicht in einem späteren Stadium helfen kann - wenn andere Kommunikation völlig versagt.
    Denn das ist ein weiteres Problem, dass mir eben so zusetzt, wenn ich sehe, dass sie leidet: Wenn es mir nicht gut geht, dann suche ich Kontakt, will gedrückt und gehalten werden, möchte Zuwendung und darüber reden. Und natürlich ist dies auch mein Muster, wenn ich sehe, dass es jemandem anders schlecht geht. Meine Schwiegermutter ist das komplette Gegenteil, bzw wäre sie es vielleicht gar nicht, hat das aber nie gelernt. Will man sie umarmen versteift sie sich völlig. Reden war noch nie ihre Stärke; Gefühle, Zuwendung und Liebe offen zeigen auch nicht - schon bei ihren Kinder nicht. Auf gut Deutsch: Will man sie trösten, das "Programm", dass man für emotionale Notfälle eben hat, dann blockt sie völlig ab. Versteckt sich hinter einer Mauer, und das Gefühl, eine eben solche zu umarmen, hat man dann auch. Sie fühlt sich damit sichtlich unwohl, weil sie nie gelernt hat, das zuzulassen.
    Da liegt mein Problem: Ich sehe, dass sie leidet und starke Emotionen erlebt, Trauer, Verzweiflung. Und genau diese Emotionen sind Herrn Alzheimers "Trigger", aber ich weiß nicht, wie ich zu ihr durchdringen soll. Beim letzten Mal habe ich mich dann einfach hingesetzt und ihr einen Brief geschrieben. Ihr gesagt, dass sie sie bleibt, trotz Alzheimer und ihr keiner nehmen kann, was sie in ihrem Leben alles geschafft und geleistet hat. Und dass Zuwendung nicht nach dem Datum fragt und Gernhaben egal ist, was man alles vergessen hat.
    Ob der Brief irgendwas gebracht hat, weiß ich nicht. Geöffnet hat sie ihn, das weiß ich, weil ich das Kuvert gesehen hab.


    Haben sie vielleicht noch irgendeine Idee, wie ich "hinter die Mauer" dringen kann? Eine Form des Trostes, die sie annehmen kann? Eine Idee, die ich in meiner Betriebsblindheit nicht erkenne?


    So, entschuldigen Sie den langen Roman. Danke für's "Ausweinen" lassen.


    Liebe Grüße


    die Wissenssucherin

    Hallo da draußen,


    ich suche ein paar Erfahrungsberichte bzw. Tipps zum Thema Arztbesuche.


    Meine Schwiegermutter, die an präsenilem Alzheimer leidet, muss 1 bis 2 Mal pro Jahr zur Psychiaterin.


    Sie verbindet sehr viel Negatives mit diesen Besuchen - was kein Wunder ist. Nach unserem ersten Besuch dort im letzten Jahr kam sie 3 Tage später sofort zur Abklärung ins Spital, musste dort 14 Tage bleiben (für meine Schwiegermutter, die schon immer ein Stubenhocker war, das Allerschlimmste) und kam dann eben mit der Diagnose Alzheimer heim. So weit völlig verständlich.


    Die Sache ist nun die: Sobald meine Schwiegermutter erfährt, dass so ein Termin ansteht (und sei dieser auch erst in 2 Wochen) bedeutet dies für sie emotionalen Stress pur, sie schläft kaum, ist sichtlich niedergeschlagen und reizbar und die "Aussetzer" treten vergleichsweise massiv gehäuft auf. Natürlich bedeutet das, dass ich (als ihre Hauptbezugsperson) das auch "mitausbade" - sowohl ihre Laune, die Aussetzer, die ich dann irgendwie ausgleichen muss und vor allem, dass ich sehe, dass sie "leidet" setzen auch mir sehr zu. Kurz: Wir haben beide großen Stress damit.


    Ich habe nun nach dem letzten Desaster beschlossen, sie so kurz wie möglich vorher zu informieren. Ich verheimliche es nicht, sondern schreibe es groß in ihren Kalender - nur sonderlich oft konsultiert sie diesen nicht. Bzw. achtet gar nicht darauf, was darin steht, weil sie sich darauf verlässt, dass ich alles für sie manage - aber immerhin kann ich im Falle des Falles argumentieren, es habe ja dort gestanden.


    Nun zum heutigen Kommunikationsdilemma: Morgen Vormittag ist dieser Termin, schon das ganze Monat am "Novemberblatt" ersichtlich. Eigentlich wollte ich es ihr morgen Früh kurzfristig mitteilen, damit sie möglichst wenig Zeit um Sorgenmachen hat.
    Allerdings ist es nun so, dass meine Schwiegermutter es grundsätzlich mit Körperhygiene und ähnlichem nicht sonderlich genau nimmt (das war schon vor der Demenz so, darum greife ich auch kaum ein, weil sie ansonsten nur noch mehr das Gefühl hat "nicht zulänglich" zu sein ) - aber interessanterweise legt sie Wert darauf, vor Arztterminen duschen zu gehen. Da ich befürchtete, dass sie sich morgen dann zu allem Übel auch noch schrecklich unwohl fühlt, weil sie ja nicht geduscht ist (ein Arzt stellt in ihrem Weltbild eine große Autorität dar), habe ich es ihr dann doch heute gesagt, mit dem Hinweis, falls sie noch duschen wolle - was sie auf der Stellte tat.


    Und was folgte war vorauszusehen: wie auf die Sekunde einsetzende schlechte Laune, Verwirrtheit, allerlei Hoppalas und vor allem: Ich sehe, dass sie schrecklich leidet. Sie weiß eigentlich, dass diese Termine irgendwann anstehen, fragt mich unter dem Jahr hie und da "wann den jetzt eigentlich der Termin bei dieser "Haut" (sprich böse Frau) sei, es stehe ja mal einer an, aber in dem Moment hat das Hirn leider das berüchtigte Brett vorm Kopf. Warum sie denn da schon wieder hin müsse? Was das solle? Sie wäre doch heuer schon mal dort gewesen? Und vor allem: "Die hat mich doch schon für blöd erklärt. Wieso muss ich da wieder hin?" In meiner Schwiegermutters Weltsicht bedeutet dement=blöd. Ich habe ihr dann neutral, ohne weitere Erklärungen oder auf etwas anderes erklärt, dass sie halt leider 1 bis 2 Mal dahin müsse. Punkt. Und ihr gesagt, dass sie nicht blöd sei, sondern Alzheimer habe - was gar nichts miteinander zu tun habe.


    Mein Bauch sagt mir, dass die gewählte Vorgehensweise wohl das machbare Maximum an Stressersparnis ist und ich den Rest einfach mit ihr durchstehen muss (das Schlimmste kommt erst, wenn wir nachhause fahren und sie tagelange deprimiert ist und heult, weil sie sich danach "blöd" und als "Trottel" fühlt - sie merkt ja, trotz sehr eingeschränkter Krankheitseinsicht, dass etwas nicht mit ihr stimmt), aber ich würde gerne wissen, wie die anderen solche leidlichen Termine handhaben? Und vor allem: Kennt ihr das mit dem "ich bin dement-ich bin blöd?" - wie geht ihr damit um, wenn eure Lieben so darunter leiden, weil sie eine Phase der Krankheitseinsicht haben?


    Danke!

    Liebe Frau Sachweh, liebe Grunella,


    vielen Dank für Ihre raschen Antworten. Es tut sehr gut, zu sehen, dass sich jemand für meine Fragen und Probleme interessiert.


    Frau Sachweh, der Vergleich mit dem Regal ist äußerst anschaulich und erklärt das Ganze sozusagen von selbst. Und Grunella, es beruhigt mich, wenn das Phänomen auch bei anderen auftritt. Ich war sehr beunruhigt, weil ich eben dachte, das Langzeitgedächtnis bliebe eigentlich heil. Das mit dem "Großen Ganzen" stimmt ganz sicher - die Emotionen bleiben meiner Beobachtung nach immer gleich, egal wie die Details ausfallen.


    Es hilft auf jeden Fall, zu wissen, dass man, wenn man Fragen und Anliegen hat, Menschen findet, die einem Antworten geben. Dann lässt sich manche Situation wieder mit mehr Elan und Geduld meistern.


    Danke

    Hallo,


    ich bin mir nicht sicher, in welche Kategorie mein Eintrag gehört. Sollte er hier unpassend sein, bitte verschieben! danke.


    Meine Schwiegermutter, bei der präsenile Alzheimerdemenz diagnostiziert wurde (nach Ansicht der Ärztin beim letzten Besuch mit dem letzten Screening "mittelschwer", allerdings war dies nach einer OP; und jetzt, über den Sommer, wo sie viel draußen war, sich wieder bewegen konnte und das in heimischer Umgebung, habe ich doch eine deutliche Besserung des Zustandes bemerkt), bemerke ich, so wie ganz normal für diese Krankheit ist, dass sie auf einmal sehr viel von Vergangenem redet. Von ihrer Kindheit, dem Tod ihres Mannes... Und ich bin auch froh, dass sie mit mir darüber spricht, sie hat nämlich sehr viel erlebt und durchhalten müssen - nur das Reden zählte nie zu ihren Stärken. Sie hat immer alles reingefressen in sich. Oft kommen nun in diesen Gesprächen kleine Details ans Licht, manchmal traurig, manchmal schön und lustig, mit denen sie mit anderen Familienmitgliedern noch nie gesprochen hat.


    Nun zu meiner eigentlichen Frage: Möglicherweise bin ich schlichtweg nicht ausreichend informiert, aber ich habe zum Thema Demenz immer zu Hören bekommen, dass (zumindest in den frühen Stadien) das Langzeitgedächtnis unangetastet bleibt und das Kurzzeitgedächtnis eingeschränkt ist. Dass sich Betroffene an lange Vergangenes problemlos erinnern, nur eben der "Arbeitsspeicher" beeinträchtigt ist.
    Deswegen habe ich auch immer das Erzählte von "früher" alles geglaubt und teils auch so an die Familienmitglieder weitergegeben. Nun ist es aber so, dass ich merke, dass meine Schwiegermutter nicht nur vor kurzem Erlebtes, sondern auch Dinge, die schon 1,2 oder mehr Jahrzehnte zurückliegen nicht mehr richtig zuordnen kann.


    Ein Beispiel: Ich weiß , dass sie erst nach ihrer Hochzeit ihren Hausarzt wechselte. Und erst nach dessen Pensionierung zu ihrem jetzigen kam. Nun erzählte sie mir gestern beispielsweise, dass sie auf ihren jetzigen Arzt so große Stücke hält (tut sie tatsächlich), dass sie immer schon - auch vor ihrer Hochzeit von ihrem damaligen Wohnort zu diesem Arzt gefahren sei. Auf mein vorsichtiges Nachfragen, erklärte sie, dass sie nach der erfolgreichen Rheumatherapie so begeistert gewesen sei, dass sie die langen Wege in Kauf genommen hätte, nur um bei diesem Hausarzt zu sein.
    Die Diagnose Rheuma hat sie aber erst vor etwa 10 Jahren gestellt bekommen. Geheiratet hatte sie vor 34 Jahren.


    Anderes Beispiel: Bis vor etwa 10 Jahren gab es in unserem Haus immer Neufundländer.
    Auch im Elternhaus meiner Schwiegermutter (in dem sie bis vor 5 Jahren täglich war,) gab es bis vor ca. 12 Jahren immer Hunde - was ich bis vor kurzem gar nicht wusste. Nun erzählte sie mir gestern, sie habe hier, in unserem Haus auf die Anschaffung von Neufundländern bestanden, weil es diese eben in ihrem Elternhaus auch schon immer gab und sie wollte die Tradition mit den Neufundländern unbedingt fortführen. Soweit, so gut. Nur dass es, so wie ich gestern zufällig erfahren habe, nie Neufundländer waren, die es in ihrem Elternhaus gab. Im Gegenteil, es waren immer kleine Hunde, die mit den großen Zottelbären keinerlei Ähnlichkeit hatten. Die Neufundländer beruhten auf der Idee ihres Mannes - die sie dann begeistert teilte.


    Dies nur zur Verdeutlichung des Musters. So und so ähnlich laufen gerade täglich Gespräche ab. Ich korrigiere sie nicht, wenn ich merke, dass etwas offenkundig nicht stimmen kann. Ich will sie nicht beschämen. Ich merke aber, dass sie sich nach und nach, ihre Vergangenheit etwas "umbaut".


    Ist es normal, dass auch Dinge, die Jahrzehnte zurückliegen, durcheinander gebracht werden? Die Hunde waren ja Teil ihrer Kindheit. Ich dachte immer, dieser Bereich des Gedächtnisses bliebe unangetastet? Oder das Spital, in dem sie Ihre Kinder zur Welt brachte, ist auch mittlerweile ein anderes - obwohl das Ganze zum Teil 40 Jahre zurückliegt. Oder bedeutet dies vielleicht einfach, dass die Krankheit langsam fortschreitet?


    Das Ganze ist nun so weit, dass ich mit meiner innerlichen Einstellung hadere. Da ich schon oft "eingefahren" bin und ihr Geschichten und Dinge geglaubt habe, und Ihnen nachgegangen bin, die dann tatsächlich gar nicht so waren, teils frei erfunden, trete ich ihr leider oft mit der Einstellung "ich höre dir gern zu und freue mich, dass du mir so viel erzählst - aber glauben tu ich das Ganze nur bedingt" gegenüber - und schäme mich dann dafür, weil es ja trotzdem genauso sein kann, dass das eben Erzählte stimmt. Das Ganze ist ein Problem in mir drinnen, aber es beschäftigt mich sehr. Besonders angesichts der Tatsache, dass ich ihre Hauptbezugsperson im Alltag bin.


    Gibt es Erfahrungen hierzu. Kennt das jemand hier?

    Hallo Tochter272,
    ein wenig erinnern mich deine Schilderungen an meine Situation. Bei meiner Schwiegermutter wurde letztes Jahr mit 59 präsenile Alzheimerdemenz diagnostiziert. Auch wir leben in einem sehr, sehr kleinen Dorf "hinter'm Mond gleich rechts", auch bei uns kennt natürlich jeder jeden und da der Großteil (der ohnehin nur wenigen) Bewohner längst in Pension ist und außer dem Garten und den paar Hühner nicht viel Beschäftigung hat, wird natürlich mit Argusaugen beobachtet, wer was wann tut...


    Ansonsten stellte sich die Sachlage bei uns genau umgekehrt dar: ICH hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmt und alle anderen (auch die teilweise im Haus lebenden Geschwister meines Mannes) taten alles als "ganz normal" ab.


    Wie gesagt, Gott sei Dank schafften wir es damals, das Ganze abklären zu lassen - und leider hatte ich mit meinen Befürchtungen recht. Nun leben wir also schon über 1 Jahr mit der Diagnose - und trotzdem ist es nach wie vor so, dass mich besuchende Geschwister, wenn sie mich nach dem momentanen Befinden ihrer Mutter fragen, oft etwas ungläubig anschauen, bzw. "wohlmeinende" Nachbarn ständig Kommentare wie "Du, die hat doch gar nix! Ich hab sie heut beim Einkaufen/kurz auf einen Kaffee/beim Vorbeigehen gesehen, da hätt ich nichts bemerkt" abgeben. Und leider auch so ziemlich alles, was meine Schwiegermutter so erzählt, ungefiltert glauben.


    Gott sei Dank ist die Demenz noch nicht extrem weit fortgeschritten. Es gibt ja verschiedenste Verlaufsunterteilungen, aber nimmt man die 3phasige ist sie wohl irgendwo am Beginn der zweiten einzuordnen. Die Krux an der Sache: Es unterliegt die Verfassung meiner Schwiegermama massiven Schwankungen. Es gibt Tage, an denen zweifele ich selbst an der Diagnose und dann wieder Tage, an denen ich mich nach der Medikamentiennahme um halb 7 in der Früh schon gegen einen Tag, der viel Gelassenheit von mir fordern wird, wappne.
    Sie selbst ist sich der Krankheit und ihrer Einschränkungen kaum bewusst und hat eine Menge "Abwehr" - oder "Täuschungsstrategien" im Repetoire. Diese setzt sie auch ständig ein - mein Bauch sagt mir aber, dass sie das nicht bewusst tut. Früher waren das einfach "Marotten" von ihr, heute erfüllen sie aber einen ganz anderen Zweck - weil es sich aber um "gewohnte" Sachen handelt, werden sie von anderen nicht so wahrgenommen.
    Erzählt man ihr etwas, gibt sie wie aus der Pistole geschossen zur Antwort, das wisse sie schon, das habe ihr dieser oder jener schon erzählt... - Später stellt sich oft heraus, dass sie in Wirklichkeit nicht weiß, worum es geht.
    Fragt man sie etwas, was sie nicht weiß, oder dass sie überfordert (zum Beispiel, wie viele Enkelkinder sie hat), lacht sie einfach. Eigentlich total unpassend, aber es lenkt ab. Und die Leute sind es gewohnt, weil sie das früher, nachdem ihr Mann starb immer so machte, wenn sie über etwas nicht reden wollte oder konnte.
    Auch "reimt" sie sich jede Menge Dinge zusammen - erzählt beispielsweise den Nachbarn ich sei auf einer Betriebsfeier und komme erst am Abend zurück - wenn ich in Wirklichkeit nur kurz einkaufen bin. Die Geschichten an sich sind ja schlüssig, darum fällt es nicht auf, dass das eigentlich nicht stimmt.
    Und genau das ist der springende Punkt: Im Falle meiner Schwiegermutter geht es darum, mit ihr "Zusammenhänge" zu leben, umd die Krankheit erkennen zu können. Eine halbe Stunde mal Kaffee trinken oder telefonieren reicht nicht aus, um irgendetwas zu erkennen. Was soll schon "schief gehen", wenn man eine Weile in einer stressfreien Situation quatscht? Wie soll man schon wissen, dass das, was sie erzählt, vielleicht in Grundzügen stimmt, die Details aber völlig frei erfunden sind? Was soll man daraus schließen, wenn sie ohne Probleme Kaffee zubereitet, weil gerade das einer jener Automatismen ist, der - im Gegensatz zu vielem anderen- noch problemlos funktioniert? Was beweist es schon, sie "beim Einkaufen" zu sehen, wie sie zielstrebig eine Taschentuchpackung nimmt und munter quatscht - wenn man nicht sieht, dass man den Einkaufszettel aufgrund von Beeinträchtigungen beim Schreiben kaum lesen kann, einen Gang weiter die Orientierung völlig im Eimer ist und ich ihr die Geldbörse daheim schon so präpariert habe, danit sie einfach und stressfrei zahlen kann und das Ganze nicht zu einem peinlichen Erlebnis wird, das Tage nachwirkt? Gut und schön, dass die Nachbarn immer bemerken, dass sie noch problemlos telefonieren kann - dass sie nach dem Auflegen den Hörer nicht auflegen kann und immer damit zu mir kommt, sehen sie nicht. Und wie gesagt, das alles unterliegt enormen Schwankungen. Kein Tag ist wie der andere. Ihre "Trigger", so habe ich herausgefunden, sind "Stress" (wobei meine Schwiegermutter von Dingen gestresst wird, die für uns völlig normal sind) und Emotionen. Das volle Ausmaß erschließt sich erst, wenn man mit ihr gemeinsam den Alltag lebt, Tag für Tag. Andere Familienmitglieder, die zwar im gleichen Haus leben, aber den Großteil des Tages außer Haus sind, bekommen das meiste gar nicht mit- weil die Konstanz fehlt. Sie wissen nicht, was nach dem Gespräch, das sie geführt haben passiert. Oder was sie darüber erzählt. Sie haben nur "einzelne" Begegnunen, aus dem Kontext gelöst. Und sehen eben - abgesehen von "großen Aussetzern", die gottlob aber nur einen Bruchteil der Symptome ausmachen, nur jene Dinge, die noch halbwegs funktionieren - oder beweisen, wie gut die Ablenkungsmanöver funktionieren.


    Einige der Dinge, die du betreffend deine Mutter aufzählst, sind in der Anfangsphase meiner Schwiegermutter auch aufgetreten: Gedächtnislücken, schleichendes Zurückziehen aus gewissen Bereichen, Ängstlichkeit, und sie wurde auf einmal mir gegenüber "anhänglich", ich rutschte damals in die "Organisator/Beschützer/Problemreglerrolle".


    Ich will dir nun mit meiner Schilderung keinesfalls Angst machen und behaupten, deine Mutter hätte sicher Demenz, ganz und gar nicht. Und ohne eigehende Untersuchung könnte dies auch kein Arzt, denke ich. Wozu ich dich aber ermutigen möchte: Es gibt gewisse Symptome und Hinweise, die einfach darauf hindeuten, dass deine Mutter möglicherweise gesundheitliche Probleme welcher Art auch immer haben könnte.
    Du selbst wirst ja schon hellhörig und überlegst hin und her, was das sein könnte. Und wie du bereits festgestellt hast, kann es eine Menge Ursachen geben, auch Depressionen, oder vielleicht etwas ganz anderes.
    Was ich hier mit meinem Schreiben bezwecken wollte ist dir zu zeigen, dass du dem Thema "Demenz" nicht völlig ablehend gegenüber stehen solltest. Es ist sehr gut möglich, dass deine Mutter nicht davon betroffen ist, aber schließ die Krankheit bei deiner Ursachensuche nicht von vorneherein aus Angst davor aus. Wie ich dir hoffentlich verständlich machen konnte, ist es oft sehr diffizil und benötigt viel Einfühlungsvermögen und Blicke "hinter die Kulissen", um diese Krankheit tatsächlich zu erkennen.


    Beobachte viel, vernetze dich mit Bezugspersonen, sei hellhörig. Und nicht zuletzt ist es denke ich klar, dass man, wenn man schon so viele Zweifel und Sorgen hat, wohl möglichst bald eine ärztliche Abklärung ins Auge fassen sollte. Man muss ja nicht gleich mit Spatzen auf Kanonen schießen, es könnte ja beispielsweise mit einem Gang zum Hausarzt (zum Beispiel unter dem Deckmantel einer Routinevorsorgeuntersuchung) beginnen.
    Aber bitte nimm einfach die Aussagen der Nachbarn ernst und gehe ihnen auf den Grund. Sind sie unbegründet - wunderbar! Haben sie doch recht: Je früher die Krankheit erkannt wird, desto früher könnt ihr lernen, damit umzugehen, eurer Mutter den Alltag so zu "modifizieren", dass sie ihn möglichst gut und so weit wie möglichst selbstständig bewältigen kann und desto mehr wertvolle und schöne Zeit könnt ihr noch zusammen genießen.
    Denn mittlerweile habe ich in unserem Argusaugennest mit den ständigen Kommentaren von den Beobachtern gelernt: "Die hat ja nix. I merk ja nie was" ist einerseits ein Kompliment für mich und meine Unterstützer, denn das heißt, dass wir mit dem was wir tun, meine Schwiegermama tatsächlich gut unterstützen, sie kommt noch gut zurecht (und Gott weiß, ich habe schon viele Situationen erlebt, in denen es absolut nicht so war) und andererseits beweist es, dass die Diagnose Demenz nicht bedeutet, dass das Leben nun trist und vorbei ist.


    Ich wünsch euch alles Gute!


    Wissenssucherin

    Hallo Pusteblumig,


    ich möchte mich hier melden, weil mich dein Fall sehr an den meiner Schwiegermutter erinnert. Ich bin kein Experte, aber vielleicht können dir ja Erfahrungsberichte von anderen etwas weiterhelfen.


    Los ging es damit, dass mir vermehrt auffiel, dass diverse Sachen, die sie erzählte, so nicht ganz stimmen konnten (wie dein Kalendereintrag).
    Im Alltag kam sie scheinbar noch wunderbar zurecht, aber ging es um etwas, wo sie die "Verantwortung" hatte (so wie die Medikamente deiner Katze), funktionierte das nicht mehr - als hätte sie Panik etwas falsch zu machen. Auch diverse "narrensichere" Erklärungen, schriftliche Step-by-Step Anleitungen versagten total - bei einfachsten Dingen, wie zum Beispiel in der Frühe auf einen Knopf zu drücken, um den Milchtank zu waschen (was sie zuvor über ein Jahr lang jeden Tag getan hatte). Sie erklärte sich vielleicht bereit, solche Dinge zu machen, hatte aber im Vorfeld schon merkbar Bammel und wenn dann tatsächlich die "Leistung" abgerufen werden sollte (im konkreten Beispiel ging es also darum, dass sie die Waschanlage mittels einem einzigen Knopfdruck einschalten sollte, wenn niemand daheim war) - ging es schief. Ein anderer Knopf wurde gedrückt, es wurde darauf vergessen, sie schaltete eine andere Waschanlage ein; ja einmal ging es sogar soweit, dass sie uns völlig verzweifelt bei einem Termin anrief, sie wisse nicht, wie man den Strom da draußen abschalte. Auf meine entgeisterte Frage, warum sie denn das tun wolle, antwortete sie entrüstet: Ja weil du ja auf den Zettel geschrieben hast, dass ich das machen soll. Besagter Zettel hing direkt neben dem Waschautomaten und enthielt die Botschaft, sie möge bitte auf den ganz linken Knopf drücken. Kein Wort von Strom oder ähnlichem.


    Soweit die Parallelen zu deinem Fall. Vielleicht gibt es ja noch mehr Anzeichen, die du hier nicht erwähnt hast.


    Was bei uns die Sachlage (anfangs) etwas schwierig machte, war, dass mir (vielleicht weil ich erstens noch nicht so lange im Haus bin, wie andere Familienmitglieder, und deswegen etwas weniger "betriebsblind" war, bzw. ich trotzdem mit ihr im gleichen Haus wohne und die anderen Geschwister meines Mannes nicht mehr im Haus leben) schon lange diverse Sachen auffielen, meine geäußerten Befürchtungen, dass etwas eventuell nicht stimme, anfangs abgeschmettert wurden.


    Bei meiner Schwiegermutter war es so, dass sie diverse Dinge ständig wiederholte, also zum Beispiel 5x am Tag erzählte - "Das hat sie immer schon gemacht. Das ist, weil sie vor der Pension ein kleines Gasthaus hatte und alle Gäste sich gegenseitig das Gleiche erzählt haben".


    Sie verwechselte fallweise Wochentage, glaubte beispielsweise freitags es sei Sonntag.
    Immer wieder vergaß sie beim Kochen Zutaten, oder auf die Beilagen; vergaß eine halbe Stunde zuvor Vereinbartes. - "Das ist wegen des Pensionsschocks. Das kommt von den Medikamenten!" (zusätzlich leidet meine Schwiegermutter nämlich auch an Rheuma).


    Was mir aber am stärksten auffiel, war, dass, wenn nur eine Kleinigkeit von ihrem gewohnten Trott abwiech, die "Aussetzter" ganz gehäuft auftraten. Beispiel: Seit Jahrzehnten molk meine Schwiegermutter morgens und abends die Kühe - täglich.
    Nun war es auf einmal so, dass, wenn irgendeine Kleinigkeit anders war als sonst, zum Beispiel mein Mann eine schlagende Kuh für sie molk und dann wieder ging, vielleicht die Milch einer kranken Kuh in einen separaten Tank gemolken werden musste, eine Kuh gekalbt hatte und nun wieder gemolken wurde - alles Dinge, die seit Jahrzehnten zu ihrem Alltag gehörten und faktisch ganz normal waren - alles schief zu gehen begann. Sie molk vielleicht die eine Hälfte der Kühe, die andere nicht, weil sie meinte, mein Mann hätte dies erledigt - obwohl dieser klar kommuniziert hatte, dass er nur die eine gemolken hätte und der Rest laufe ab wie gewohnt. Sie schloss vielleicht den Tank nicht an, molk Kühe, die nicht gemolken hätten werden sollen, vergaß den Melkstand zu waschen und so weiter und so fort. Beispiele dieser Art gäbe es zahlreiche, das Grundprinzip blieb immer gleich.


    Sie hielt auch immer starr an Gewohnheiten fest, teils an der Grenze zu stur. Beispiel: Seit Jahren nahm sie Medikamente zwecks Rheuma und kaputtem Knie, sie hatte sich immer selbst darum gekümmert. Alle 5 Wochen musste sie zur Infusion und nahm dort ihre Medikamente mit. Als nun das Intervall auf 6 Wochen verlängert wurden, gingen logischerweise die Medikamente aus und meine Schwiemu bekam Beschwerden und klagte sehr darüber. Da sie jeden Tag einkaufen und damit beim Hausarzt vorbei fuhr, riet ich ihr, sie solle einfach kurz bei diesem vorbeischauen und die Medikamente abholen. Das lehnte sie rigoros ab, das gehe so wie immer beim Infusionstermin mit - und klagte ständig über ihre Beschwerden. Auch solche Dinge traten gehäuft auf.


    Wie gesagt hatte ich schon lange Befürchtungen geäußert, die aber von ihren Kindern abgetan wurden. Ich war aber der Meinung, selbst wenn es "von den Medikamenten" käme, gehöre es mal abegklärt, weil es immer mehr wurde. Eine Chance hatte ich dann, als meine Schwiegermutter selbst einer Schwägerin gegenüber zugab, sie sei so vergesslich und wundere sich darüber. Als sie daraufhin (nachdem sie vor lauter Angst und Aufregung nächtelang nicht geschlafen hatte) zu mir kam und erzählte, sie hätte einen Termin in der Stadt und traute sich nicht hinfahren, sie hätte solche Angst nicht hinzufinden (bis jetzt war sie immer selbst gefahren), wurden auch die anderen hellhörig. Zu besagtem Termin bei der Rheumatologin begleitete meine Schwägerin sie und sprach das Thema "vergesslich" an. Diese gab ihr dann eine Überweisung zur Psychiaterin, wohin ich sie begleitete. Diese führte einen MMSE (Screening zur Abklärung des Verdachtes auf Demenz) durch und verband mich noch in dessen Verlauf mit einer befreundeten Ärztin der Landesnervenklinik, die mir mitteilte, es bestehe schwerer Demenzverdacht, wir sollten gleich die Woche darauf gleich mit meiner Schwiemu ins Spital kommen und müssten damit rechnen, dass sie 14 Tage bleiben müsse.
    Ja, leider bekamen sie dann die Diagnose "präseniler Alzheimer" gestellt. Trotz aller Tragik und Trauer war es trotzdem gut, endlich zu wissen was los war, viele Zwischenfälle, die wir einfach nicht verstanden hatten bekamen plötzlich einen Sinn und mittlerweile verstehe ich auch zum Großteil ihre "Trigger" und wir haben ihren Alltag und Zuständigkeiten so "umgebaut", dass sie im Normalfall noch sehr selbstständig und ohne gröbere Zwischenfälle ihren eigenen Haushalt führen kann, was für sie sicher das Angenehmste und Vertrauteste ist


    So, soviel zu diesem Roman. Was ich dir in deiner Situation raten würde: Die von dir beschriebene Symptomatik kann auf eine Demenz hinweisen - muss aber nicht. Beobachte genau, ob noch weitere Anzeichen auftreten, schreib konkrete Vorfälle vielleicht auch auf - hilft bei Gesprächen mit Ärzten oder auch Verwandten bezüglich Diagnosestellung.
    Halten die Anzeichen an, ist es sicher ratsam die Sache baldigst abzuklären. Fällt deiner Mutter selbst auf, dass sie vergesslich ist? Wenn sie bei dir darauf gereizt reagiert (vielleicht aus Scham, Angst?), hat sie vielleicht eine/n andere/n Vertraute/n , z.B. Partner, andere Kinder, Freunde, die das Thema vielleicht vorsichtig ansprechen könnten? Konkret könnten dir in diesem Fall auch Haus- oder andere Ärzte helfen, welche Schritte zu setzten wären. Auch Anlaufstellen für Angehörige helfen dir - und verurteilen dich sicher in keinster Weise.


    So. Entschuldige die endlose Litanei, aber vielleicht kann sie dich etwas bestärken. Vielleicht lässt du mich ja wissen, wie es weiter geht.


    Liebe Grüße und alles Gute


    die Wissenssucherin