Hallo,
ich bin mir nicht sicher, ob mein Eintrag in dieser Kategorie richtig ist - ich wähle sie, weil das Thema ständig "Konflikte" auslöst. Wenn unpassend, bitte einfach verschieben.
Ihr anderen da draußen im Demenzdschungel, es wäre schön, wenn ihr mir eventuell sagen könntet, ob ihr Ähnliches erlebt habt, bzw. wie ihr damit umgehen würdet?
Folgende Situation: Meine Schwiegermutter, die sich im mittleren Demenzstadium befindet hat in den letzten Monaten doch deutlich abgebaut. Sie ist ein Mensch, der außer Fernsehen nie besondere Hobbies hatte, früher Lesen und Rätsellösen, doch das wurde schon vor 15 Jahren oder länger aufgegeben, "weil das freut mich nicht mehr"... Jetzt wäre sie dazu einfach nicht mehr in der Lage, da viel zu komplex.
Was sie aber immer gerne getan hat, war fort zu gehen, wohin auch immer; sie wollte immer und überall dabei sein, man könnte ja was verpassen. Möglicherweise rührt das Punkt eins davon, dass sie in ihrem Elternhaus eine Art "Stammtisch" hatten, der jahrzehntelang dort immer tagte und sie bis vor 9 Jahren dort auch ein kleines Geschäft führte (täglicher Kontakt mit Klatsch und Tratsch) und sie Punkt 2 andererseits ab ca. 30 eine Landwirtschaft führte, wo das tägliche Kühemelken doch Abstriche an das oft frühabends stattfindende Gesellschaftsleben forderte.
Nun ist es so, dass sie richtig danach giert und lechzt, irgendwo "raus" zu kommen. Bekomme ich Besuch, ist sie schneller anwesend, als ich piep sagen kann. Und bleibt auch bis zum bitteren Ende. Bekommt sie mit, dass ich mit den Kindern schnell eine Runde spazieren gehe, geht sie mit - Punkt. Völlig unaufgefordert oder ohne zu fragen verfolgt sie mich auf Schritt und Tritt - außer ich kündige vorher dezidiert an, zu irgendwelchen in ihren Augen "Jungen" zu gehen. Erfährt sie irgendwo, dass sich in der Nachbarschaft etwas rührt, will sie dabei sein, sagt ständig, sie möchte mit dem Zug reisen oder auf einen Berg gehen (haben wir schon gemacht mit ihr, sie fragt immer wieder nach). Es geht mittlerweile so weit, dass, kaum sieht sie mich, wie ich mich in das Auto setze, mit erwartungsvoll freudigen Grinsen auf das Auto zugeht und wartet, dass ich sie mitnehme. Und dann, wenn ich einfach fahre, enttäuscht dasteht, wie ein kleines Kind. Sie ist nämlich davon überzeugt, dass ich etwas unheimlich Tolles vorhabe - zu 95 Prozent bringe ich aber bloß die Kinder zum Zahnarzt oder hole ein Ersatzteil für eine Maschine oder... Erzählt mir mein Schwager bei einem kurzen Besuch, dass ein guter Freund der Familie in einer Woche in die Gegend kommt, steht sie beim nächsten Mal, als ich meine Kinder ins Auto setze da und will mit. Weil wir fahren ja jetzt zu dem Freund. Und davon ist sie felsenfest überzeugt. Und beleidigt, weil ich sie nicht mitnehme. Aber erstens fuhren wir ganz wo anders hin, zweitens war der Freund noch nicht mal in der Gegend und drittens war sie gar nicht dabei, als mein Schwager davon erzählte - sie hat wohl wieder am Fenster gelauscht. Und da ihr der Freund sehr wichtig ist, blieb das wohl im Gedächtnis haften.
Mal davon abgesehen, dass wir beide ein paar Mal unglaubliches Glück hatten - sie hat kein Gefühl mehr für die Gefahren des Autos und stellt sich einfach dahinter oder in die Fahrlinie oder... ist das Ganze für mich mittlerweile doch sehr belastend.
Und nun der Kern des Problems: Grundsätzlich kann ich sie verstehen. Sie war immer ein geselliger Typ, mitten drin in "Neuigkeiten" und sie sehnt sich nach Abwechslung. Sie ist körperlich top fit, kann sich aber nur mehr schwer beschäftigen (diesem Thema könnte ich andere ellenlange Einträge widmen) und ihr ist schlichtweg langweilig. Völlig verständlich.
Aber hier kommt das große ABER: Nimmt man sie dann tatsächlich wo hin mit, dann ist sie mit der Situation völlig überfordert. Trottet beim Spazierengehen beispielsweise wie ein kleiner Hund hinter mir her und klebt an mir, wie eins meiner kleinen Kinder. Kennt sich nicht aus, stiert vor sich hin oder - im besten Fall, wenn es ein guter Tag ist konfabuliert sie in einem fort irgendwelche Geschichtchen zu den Dingen und Plätzen an denen wir vorbeikommen, an denen man merkt, dass sie grade völlig überfordert ist und das überspielen möchte.
Nehmen wir sie beispielsweise mit zu einer Geburtstagsfeier oder einfach einem gemütlichen Zusammensitzen bei einem ihrer Kinder, dann ist sie die ersten paar Minuten noch damit beschäftigt, die "üblichen Geschichtchen", die sie immer und überall erzählt, "beizutragen"; nach spätestens 10 Minuten sitzt sie da, wie ein Häufchen Elend und starrt ins Nirwana. An den Gesprächen beteiligt sie sich nicht, ich denke, sie kann mit deren Dynamik nicht mehr umgehen und wenn doch kurz, dann wirft sie wieder irgendetwas ein, dass sie schon 8x erwähnt hat (meist eine Erinnerung aus ihrer Kindheit) und stiert dann wieder schweigend vor sich hin. Wenn's sein muss stundenlang. Dabei strahlt sie eine beinahe greifbare Unruhe aus. Ist es etwas bei dem wir Stehen, stellt sie sich zu mir und starrt mich erwartungsvoll an so à la "Bringst du mich jetzt endlich heim"? Letztens nahm sie eines ihrer Kinder mit auf die Feier und ich kamm nach der abendlich Arbeit erst später nach und wollte auch mal sitzen und genießen - kaum war ich da, fixierte sie mich auf der Stelle, ich konnte förmlich spüren, wie unbehaglich ihr zumute ist und sie darauf wartet, dass ich diese unerfreuliche Situation für sie auflöse.
Bekommt sie etwas zu trinken, stürzt sie es in Windeseile hinunter (etwa eine Flasche Cider in 3 Minuten) was anfangs noch in dezenten Damenspitzen endete, jetzt lehnt sie meist nach einem Getränk Nachschub ab (ich glaube, weil es für sie zu anstrengend ist aus dem Gewimmel aus Flaschen und Gläsern am Tisch ihres zu finden, darum trinkt sie es ja sofort aus); für Essen hat sie null Gefühl mehr. Es kann passieren, dass sie in 20 Minuten 8 Stück Kuchen verputzt oder sich, wenn man sie lässt jedes verfügbare Kotelett schnappt, von dem der Grillmeister angibt, es sei fertig - wenn es zu spät bemerkt wird, isst sie bis zum späteren Erbrechen, weil sie Punkt eins glaub ich nicht mehr weiß, dass sie schon gegessen hat und Punkt zwei von der fremden Situation so überfordert ist, dass sie sich "beschäftigen " will. Das tut sie dann auch mit Klogehen - wie das Amen im Gebet fängt sie, dauert der Aufenthalt etwas länger an, an, das Klo aufzusuchen (was zuhause, wenn nichts ihr kleines Universum tangiert, noch so halbwegs funktioniert), weiß aber auch dort nicht mehr, was sie tun soll, zieht sich dort völlig nackt aus und so weiter und so fort. Und ist natürlich auch nicht erfreut, wenn man sie hineinbegleiten will. Und will 5 Minuten später wieder aufs Klo. Sprich, die Besuche sind für sie ehrlich gesagt eine einzige Überforderung und für mich mittlerweile einfach nur eine einzige Unerfreulichkeit, weil ich ihr absolutes Unbehagen und ihre stumme Aufforderung ich, als ihr "Anker" möge sie doch jetzt aus dieser Situtation herausholen immer spüre.
Nun könnte man noch argumentieren, dass sie dort trotzdem etwas Tapetenwechsel hat aber das Ganze setzt sich leider zuhause fort. Nach so einem Besuch ist sie 2, 3 Tage lang total verwirrt und Herr Alzheimer tanzt Tango. Wie das Amen im Gebet bermerke ich seit geraumerZeit, dass jeglicher Ortswechsel auch zuhause in ihrer sicheren Umgebung kleine, bildlich gesprochene Erdbeben auslöst. Und es scheint, als dauerten die Verwirrungsphasen immer länger an.
Nun habe ich mit ihren Kindern und den Nachbarn vereinbart, dass wir sie nicht mehr aus ihrer heimatlichen Umgebung rausholen (ihr Radius dort ist ein sehr großer, sie geht auch von früh bis spät über die Wiesen und Waldränder spazieren und "pflückt Beeren" und "klaubt Steine"). Wer ihr Abwechslung verschaffen will, der möge sie bitte in ihrer heimatlichen Umgebung besuchen, dort kann sie - meines Empfindens nach - die Beschäftigung und Zuwendung am besten "spüren und verarbeiten". So weit so gut.
Am Wochenende war dann eins ihrer Kinder da, das sehr weit weg wohnt und selten kommt und dann normalerweise mit ihr ziemlich viel "rumfliegt" zu den anderen Geschwistern und nach dessen Besuch meine Schwiemu normalerweise wie das Amen im Gebet furchtbar durcheinander ist. Möglicherweise war es ein Zufall, aber diesesmal verbrachten sie auf meine Bitte hin den Tag zuhause und meine Schwiegermutter war am nächsten Tag auffällig gut gelaunt und auch die von mir erwarteten Tangoeinlagen von Herrn Alzheimer ließen vergeblich auf sich warten. Es war, als habe ihr der Besuch diesesmal so gut getan, dass ihre Laune enorm gehoben wurde- was sonst nicht der Fall war.
Allerdings ändert es nichts daran, dass sie, wenn sie mitbekommt, dass wir irgendwo hin fahren oder hin gehen immer dabei sein will und dann, wenn sie von mir "zurückgewiesen" wird, tagelang beleidigt ist (sie erzählt das dann den Nachbarn, der Pflegerin unserer Uroma, allen die sie findet) und mich das Ganze sehr belastet. Ich fühle mich richtig verfolgt und habe ein schlechtes Gewissen, weil sie mir das Gefühl gibt ich sperre sie ein und schließe sie aus - aus purem Egoismus.
Kennt ihr das? Bin ich mit meiner Theorie, dass die Ortswechsel ihre Verwirrungszustände bloß verstärken und sie nichts davon hat auf dem Holzweg? Für eure Erfahrungen diesbezüglich wär ich sehr dankbar.
Liebe Grüße Wissenssucherin