In Euren Worten finde ich mich absolut wieder. Die Strategie, etwas nicht geradezurücken, was objektiv nicht stimmt, versuche ich auch, gelingt mir aber nicht immer, weil es so gegen mein Naturell ist. Meine Mutter hat z.B. die Angewohnheit, immer wieder Stromkabel zu ziehen und Verteilersteckdosen aus der Ecke zu räumen und auszustellen. Natürlich hat sie das nicht gemacht, sondern irgendjemand vom Personal … Aber dann ist großes Gejammer, sie hat kein Fernsehen, kein Radio. Am Anfang sind wir noch zu ihr geeilt, um alles wieder ans Netz zu bringen, mittlerweile muß sie warten, bis ich Zeit habe. Ich weiß, dass sie die Strippe gezogen hat, aber ich lasse sie in ihrem Glauben, und gut ist. Im Prinzip kann man ihr nur nach dem Munde reden, um Ruhe zu haben. Wir haben nur die Wahl, unser Verhalten anzupassen, der Demente kann das nicht mehr.
Was mir sehr fehlt, ist die Kommunikation auf Augenhöhe. Wenn ich etwas erzähle, merke ich, dass sie nicht mehr in der Lage ist, mir zu folgen. Ihre Gespräche drehen sich um immer dieselben Themen (das sind wahrscheinlich die, die sich in ihr Gedächtnis eingeprägt haben) in immer denselben Worten. Ich bemerke, dass ich auch schon stereotyp darauf reagiere. Kein Wunder, wenn man 100x dasselbe hören muß… Aber das ist eben auch ein Lernprozeß, den wir durchmachen müssen.
Von vielem, was meine Mutter früher ausgemacht hat, habe ich schon Abschied genommen. Manche ihrer Charaktereigenschaften, in erster Linie leider negative, haben sich auch verstärkt. Ihre Empfindlichkeit gegenüber Kritik, Ablehnung von Vorschlägen anderer und Rechthaberei haben sich leider potenziert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Demenz entweder kindlich-naiv (meine Schwiegermutter, die Alzheimer hatte) oder bösartig macht (meine Mutter). Wenn meine Mutter ihre lieben Momente hat (die es natürlich auch gibt), freue mich. Und ihre Bösartigkeit ist Ausdruck ihrer tiefen Verunsicherung, das ist mir klar.
Die Pflegedienstleiterin meinte sogar, dass die Bösartigkeit mir gegenüber ein Zeichen der Vertrautheit ist, weil sie sich mir gegenüber so zeigen kann, wie sie will, „ohne Filter“. Manchmal sage ich mir, dass sie mir damit eigentlich ihre Liebe zeigt, auch wenn man das lieber auf andere Weise hätte. Ich merke natürlich auch, dass sie sich an mich klammert, ich bin ja auch die einzige Konstante in ihrem Leben. Man hat mir berichtet, dass sie sich vor Tagen, als sie komplett verwirrt war, auf den Weg zu mir gemacht hat. Ich wohne nur wenige Minuten von der Seniorenanlage entfernt, möchte aber nicht, dass sie allein unterwegs ist. Sie ist zwar noch relativ gut zu Fuß, aber ihr fehlt doch mittlerweile die Umsicht, um sicher durch den Verkehr zu gelangen. Angeblich war sie wohl an unserer Tür, hat aber nicht angeklingelt und ist unverrichteter Dinge wieder zurückgegangen. Die Pflegedienstleiterin hat sie dann aufgegriffen und im Foyer platziert, aber auch da ist sie wieder ausgebüxt, und ich habe sie dann auf dem Zufahrtsweg vorgefunden.
Ich bin nur froh, dass ich meinen Mann habe, der sich sehr lieb um meine Mutter kümmert, der kein Problem hat, quasi jedes Wochenende und jeden freien Tag mit ihr zu verbringen. Er hat durch die Alzheimer-Erkrankung seiner Mutter auch schon Erfahrung. Am Anfang hat meine Mutter kein gutes Haar an ihm gelassen, aber inzwischen weiß sie ihn zu schätzen. Lustig, dass sie sich immer erkundigt, wie es ihm geht, aber nie, wie es mir geht…
Vielleicht werden wir versuchen, sie wieder für eine gewisse Zeit in der gerontopsychiatrischen Tagesklinik unterzubringen, auch um ggf. die Medikation überprüfen zu lassen. Das hat ihr vor 2 Jahren insgesamt gut getan und auch für eine gewisse Zeit stabilisiert. Wir möchten eben auch, dass sie so lange wie möglich in dem betreuten Wohnen bleibt.
Danke für den Austausch mit Euch. Es tut sehr gut, zu wissen, dass man mit seinen Erfahrungen nicht allein ist. LG Zimt