Hallo Herr Hamborg,
danke für Ihre Nachricht. Erst heute habe ich den Beitrag von Leiselaut mit dem Titel "Demenz und Nierenversagen" entdeckt,
Herr Gust schrieb ihr daraufhin und beantwortet damit auch meine Frage:
Delir in Folge / Zusammenhang mit der OP / Ortswechsel etc. . Eine Demenz an und für sich ist bereits risikosteigernd eine Delir zu erleiden ...
Kontinuität ist für Ihren Herrn Vater sicher wichtig, mehrfache Ortswechsel in kurzer Zeit würde ich nach Möglichkeit vermeiden...
Bei meinem gestrigen Besuch war ich in Begleitung eines sehr guten Bekannten, den ich aus der Demenzgruppe kenne. Es war mir wichtig von ihm eine Einschätzung bezüglich meiner Mutter aber auch der Einrichtung zu erhalten. Er ist durch den Aufenthalt seiner inzwischen verstorbenen Frau vertraut mit den Abläufen in einer Pflegeeinrichtung ist, begleitet dort bis zum heutigen Tag ein Ehrenamt.
Er war von der körperlichen Verfassung meiner Mutter begeistert, bemerkte natürlich auch die Veränderungen im kognitiven Bereich. Mir wurde bewusst, dass meine Wahrnehmung in jedester Hinsicht durch meine Angst und meine Schuldgefühle überlagert sind. Auf meine Frage, ob er an meiner Stelle meiner Mutter eine momentan nicht erforderliche OP zumuten würde, kam sofort ein entschiedenes "Nein!".
In diesen drei Wochen ihres Aufenthaltes habe ich einen sehr angenehmen Kontakt mit der stellvertretenden Heimleiterin geknüpft, an die ich heute morgen ebenfalls die Frage im Hinblick auf die OP gerichtet habe. Ich hatte die Frage noch nicht einmal ausgesprochen, da fiel sie mir bereits ins Wort: "Nein, auf gar keinen Fall!"
Ihre Aussage Herr Hamborg, dass es in der Demenz überhaupt nicht vorhersehbar ist, ob Sie sich entscheidet zu kämpfen oder loszulassen ist für mich von entscheidender Bedeutung. Wenn ich das Verhalten meiner Mutter richtig übersetze, dann ist ihr Lebenswille nicht sehr ausgeprägt, wie mir auch mein Bekannter bestätigte.
Mein seit 41 Jahren verstorbener Vater hatte in jungen Jahren ein Nahtoderlebnis. Er schwärmte regelrecht davon, wie schön es auf der anderen Seite sei: "Wenn ihr wüßtet, wie schön Sterben ist, dann hättet ihr nicht solch eine Angst davor" waren immer seine Worte. Daher gingen wir mit diesem Thema in unserer Familie ganz natürlich um.
Die Äußerungen meiner Mutter hierzu in den letzten sechs Monaten waren ambivalent und reichten von "... ich wünschte unser Herrgott würde mich bald holen" bis zu "ich hoffe, ich habe schon ein paar schöne Jahre". Ich kann das beim besten Willen nicht einordnen.
An dieser Stelle möchte ich gerne aus sehr wertvollen Buch für mich (bereits an anderer Stelle im Forum erwähnt) zitieren:
Huub Buijssen "Die magische Welt von ALZHEIMER" 30 Tipps, die das Leben mit Demenzkranken leichter und erfüllter machen
"Tipp 26 - Verabschieden Sie sich von Schuldgefühlen" ...Es ist eine enorme emotionale Belastung, wenn wir mitansehen müssen, wie eine geliebte Person langsam aus dem Leben gleitet. Wir ertragen es nicht, machtlos dabei zusehen zu müssen. Wir ertragen es nicht, keinerlei Kontrolle über das Leben zu haben. Das wollen und können wir nicht wahrhaben. Hinter allen Schuldgefühlen steckt also ein kindliches Allmachtsgefühl, der Gedanke, selbst ein Stück weit Gott zu sein. Die psychologische Bedeutung von Schuld ist daher das Bestreben nach Kontrolle über unser Leben. Da unser Bedürfnis nach Kontrolle zu groß ist, sind Schuldgefühle hartnäckig."
Das beschreibt meinen inneren Konflikt sehr treffend.
Kommende Woche, am 08. März soll das Vorbereitungsgespräch in der Klinik stattfinden. Spätestens am Montag möchte ich der Klinik und der Heimleitung meine endgültige Entscheidung mitteilen. Dieses Wochenende möchte ich mir noch die Zeit geben, um über alles in Ruhe nachzudenken. Sollten sich in der Zwischenzeit bei meiner Mutter jedoch Beschwerden einstellen, würde ich einer OP zustimmen. Dann liegt alles in Gottes Hand. Herausfordern werde ich das Schicksal keinesfalls.
P.S. Während ich diese Zeilen schreiben holen mich meine Erinnerungen ein. Die älteste Schwester meiner Mutter verstarb vor 11 Jahren nach einem sehr schweren Asthmaanfall im RTW. Da man ihren Leichnam weder zurück in ihre Wohnung, noch in die Klinik bringen durfte, wurde sie reanimiert. Die Folge waren ca. sieben qualvolle Wochen für meine Tante. Da sich mein Onkel nicht in der Lage sah, die Entscheidung zu treffen, die Geräte abzuschalten, übertrug er meiner Mutter eine Notbetreuung. Ich sehe heute noch die Qual in den Augen meiner Mutter. Mit der Bitte, über diese Entscheidung noch eine Nacht schlafen zu dürfen, fuhren wir nach Hause. Sie war wie versteinert und nicht mehr ansprechbar. Es gelang uns, am kommenden Tag noch das Palliativteam der Klinik um Unterstützung zu bitten. Meine Mutter willigte unter Tränen und Aufgebot ihrer letzten Kraft ein. Die jüngste Schwester meiner Mutter, die sie begleitete, hat ihr das wohl bis heute nicht verziehen. Während der Vorbereitung die Geräte abzuschalten, platzte meiner Tante die Galle. Die Palliativschwester signalisierte, dass der Moment des Abschieds gekommen sei. Beim Verlassen der Klinik erreichte sie noch innerhalb des Gebäudes die traurige Nachricht vom Tod ihrer geliebten Schwester.
Meine Tante bat mich Jahre vor ihrem Tod, die Patientenverfügung für sie zu übernehmen, ich sträubte mich jedoch erfolgreich mit Händen und Füßen. Ich sah mich außerstande, eine solche Verantwortung zu übernehmen. Nun geht dieser Kelch doch an mich weiter.
Es grüßt Sie herzlich
Elisabetha