Hallo Ihr Lieben,
bei meiner Mutter hat sich eine neue Stufe der Eskalation ergeben und wir stehen vor der ultimativen Frage: Pflegeheim?
Erst mal zu meiner aktuellen Situation. Dass ich im Rollstuhl bin, spielt jetzt erst mal nur eine sekundäre Rolle, heißt aber, dass ich ohnehin schon eingeschränkt mobil bin. Seit einigen Monaten habe ich starke Schmerzen im rechten Knie, weshalb ich meine wöchentlichen Besuche bei meinen Eltern erstmal von 3x (Mi/Fr/So) auf 2x (Fr/So) reduziert habe. Einfach weil der Treppenabsatz vom Keller zur Tiefgarage zum einen schmerzhaft zum anderen riskant wg. Sturzgefahr ist.
Vor zehn Tagen wurde das Knie operiert, wodurch ich seitdem gar nicht zu meinen Eltern kam, eben wegen des Treppenabsatzes, der meinen Fuß durch den ohnehin schon verformten Gang im rechten Winkel nach außen dreht. D.h. die Hauptlast der persönlichen Betreuung liegt derzeit bei meinem Bruder.
Nun zu meiner Mutter. Dass sie sich seit geraumer Zeit bei Nachbarn, zu denen meine Eltern niemals Kontakt hatten, für ein paar Minütchen auf die leere Terrasse setzt und wieder geht, erfuhr ich erst vor einigen Wochen von der direkten Nachbarin besagter Nachbarn und Freundin meiner Mutter. Deren Zugang zum Garten ist offen, also keine Gartentür und die Terrasse liegt zur Straße. Gegen diese 'Besuche' hatten die Nachbarn nichts einzuwenden, sie säße ja nur da und schaut in die Luft.
Im Laufe der Zeit sank die Hemmschwelle meiner Mutter, sodass sie, auch wenn die Nachbarn da waren und selbst auf der Terrasse saßen, einfach aufs Grundstück ging und fragte, ob sie sich dazu setzen dürfe. Auch hier hatten die Nachbarn nichts dagegen.
Letzte Woche begann sie, im Garten 'zu arbeiten' und das Gartenhäuschen umzuräumen - ganz so, als wäre es ihr Garten. Das ging den Nachbarn dann doch zu weit. Sie schalteten ihre Nachbarin/Moms Freundin ein. Die schlug sofort bei meinen Eltern auf, nahm sie mit zu den 'Geschädigten', wo sie sich entschuldigen sollte und versprechen, ab sofort das Grundstück nicht mehr zu betreten. Natürlich wussten alle Beteiligten, dass das Versprechen einer Dementen zu 99 % nicht vertrauenswürdig ist, hofften aber, dass - gerade durch die inzwischen angebrachte Kette - eine Hemmung eintreten würde.
Diese Taktik funktioniert seit zwei Jahren bei einer anderen Nachbarin, bei der sie auch immer wieder unaufgefordert ins Haus ging. Die alleinlebende alte Dame, die selbst größere körperliche Einschränkungen hat, erschrak jedes Mal fast zu Tode. Auch hier ging Freundin mit Mom zu ihr und sie erhielt ein regelrechtes Verbot, das Haus zu betreten. Seit dem war sie nicht mehr dort.
Die Kette funktionierte nur kurz. Inzwischen schlüpft sie einfach unten durch und rupft Unkraut - und auch gepflanzte Blumen. Die inzwischen resoluteren Nachbarn informierten wieder die Freundin und komplimentierten sie aus dem Garten. Jetzt leistet meine Mutter Widerstand mit der Begründung, das sei doch schließlich ein Garten. "Ja," erwiderten die Nachbarn, "aber kein öffentlicher.".
Gestern Abend schluckte ich die bittere Pille und rief bei den Nachbarn an. Es war ein sehr verständnisvolles Gespräch, in dem ich viele weitere Vorkommnisse erfuhr.
Einmal, Nachbarin lud gerade das Auto ein und ging nochmal zurück ins Haus, holte noch etwas, drehte sich um und meine Mutter stand neben ihr - IM Haus. Sie sagte mir, nicht auszudenken, wenn sie meine Mutter eben nicht gesehen hätte, in Urlaub gefahren wäre und sie eingeschlossen hätte.
Auch das Ausmaß der 'Besuche' meiner Mutter kannte ich nicht. Sie sagte, teilweise bis zu zehn bis 15 Mal/täglich und jedes Mal wusste sie vom vorherigen Besuch nichts mehr.
Einmal traf sie vor dem Haus auf den Herrn Nachbarn, sprach ihn an, ob er denn neu hergezogen sei, sie kenne ihn ja gar nicht. Genau den Herrn, dessen Terrasse sie seit Monaten 'belagert'…
Als mein Bruder gestern bei den Eltern war, rief ich an und er stellte den Ton laut. In diesem Gespräch ließ ich alle 'bösen' Worte fallen, die ich für nötig hielt (in der Hoffnung, der Schock ließe etwas in ihr gären): Hausfriedensbruch! Übergriffigkeit! Polizei! - und das böseste aller Worte: Pflegestelle!
Sie flehte regelrecht "Da will ich nicht hin. Ich versprech's, ich geh nicht mehr rüber. Ich versprech's! Ich versprech's!". Es trieb mir die Tränen in die Augen, weil ich weiß, dass sie es ja tatsächlich so meint, aber in einer Minute von dem Gesprochenen nichts mehr weiß. Nicht nur das, sie glaubt schlichtweg nicht, dass sie 'so etwas macht'.
Was die Vollmacht der Pflege angeht, stehen mein Bruder und ich in der zweiten Reihe. Die erste Entscheidungsvollmacht liegt bei unserem Vater. Ihn haben wir gestern eindringlich in die Pflicht genommen:
1. Absperren! Es darf ihr nicht mehr möglich sein, jederzeit das Haus zu verlassen.
Wir können uns (wie bisher) nicht mehr darauf verlassen, dass sie zur Freundin geht. Bisher war unsere Auffassung 'Wo soll sie schon hin? Das Dorf ist überschaubar. Sie geht einmal um den Stock und vielleicht noch in die Kirche.'. Pustekuchen. Sie geht unaufgefordert in wahllos offene Türen, ohne überhaupt zu wissen, wer dort wohnt. Und das ist nur das, was wir wissen oder zugetragen bekommen.
2. Aufstehen! Es kann nicht sein, dass mein Vater bis 11/halb 12 schläft und sie in dieser Zeit alleine ist. Er hat uns versichert, er kümmert sich.
Das habe ich ihm gestern Abend, bei unserem täglichen Telefonat nochmal eingetrichtert. Seine Antwort war: "Wenn zugesperrt ist, muss ich ja nicht aufstehen!". Wir werden sehen, wie er seine Verantwortung umsetzt - wohl wissend, dass, sollte es nicht funktionieren, die nächste Option nur noch das Pflegeheim ist.
Aktuell kommt zu meiner Mutter ein Pflegedienst 3x3Std./Woche. Das deckt bei weitem nicht ab, was nötig wäre.
Seit einigen Wochen lege ich meinem Vater die 24-Stunden-Betreuung wieder nah. Vor zwei Jahren war ich mit der Organisation schon so weit, dass wir unmittelbar vor einem Beratungstermin standen, da zog er die Reißleine und stoppte das ganze Vorgehen. Sie könnten damit nicht umgehen, dass eine fremde Person dauerhaft im Haus wäre.
Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, hat mir die Dame vom Pflegedienst gesagt, wenn die demente Person 'zum Abhauen neigt', werden wir keine Pflegeperson finden, die diese Verantwortung übernehmen wird.
Da meine Mutter im letzten Jahr viermal die Küche fast in Brand steckte, ist sie inzwischen eine Gefahr für sich und andere geworden. Auch das glaubt sie nicht, wenn wir es ihr erzählen.
Das nächste Pflegeheim ist im Nachbardorf, aber die werden sicher nicht auf uns warten. Ich weiß auch gar nicht, wie es dann weiter geht… Rufe ich an und melde meine Mutter an? Warteliste? Schnellere Aufnahme aufgrund Gefahr für sich und andere bzw. Sicherheitsvorkehrung? Können sie sagen 'Nein, wir nehmen nur eigene Dorfbewohner auf.'?
Meine Aufgabe diese Woche ist, einen erneuten Pflegegradantrag für meinen Vater zu stellen. Der Pflegedienst meiner Mutter hat mir angeboten, mit mir die Dokumente durchzugehen und zu besprechen. Wenn auch er einen Pflegegrad hat, besteht vielleicht die Möglichkeit, mehr und längere Einsätze zu erhalten.
Mit ratlosen Grüßen
Zebulon