Hallo in die Runde,
ich hoffe, Ihr hattet trotz allem schöne Weihnachtsfeiertage.
Mein Vater ist vor eineinhalb Wochen gestorben. Sein Herz hat aufgegeben und er ist einfach eingeschlafen, was mich für ihn froh macht. Ich hatte befürchtet, er würde sich in den letzten Tagen der Atemnot vielleicht wehren, aber er wurde von der Hausärztin sehr gut palliativ versorgt. Ich hatte ein paar Tage vor seinem Tod einen schönen Moment mit ihm, als er sich bei meiner Berührung beruhigte und nicht mehr hustete und stöhnte.
Nun gibt es viele neue Dinge zu lernen, neue Herausforderungen: Meine Mutter, die schon immer sagte, sie wolle vor ihm sterben, ist im wahrsten Sinne des Wortes un-tröstlich. Sie trauert noch viel stärker und schlimmer, als ich es mir je schlimm ausgemalt habe. Sie weint schrecklich viel und wirkt wie ein verlassenes Kind. Sie bringt auch die Worte Ehemann und Papa durcheinander. Wenn wir von unserem Papa sprechen, denkt sie daran, dass ihr Mann und ihr Vater jetzt tot sind. Es ist ihr auch egal, wenn meine Schwester und ich sagen, warum willst Du denn jetzt sterben, wir sind doch auch noch da? Ihre Antwort ist, wir seien erwachsen, wir brauchen niemanden.
Das Schlimmste ist, dass sie zwischendurch immer wieder vergisst, dass er gestorben ist und fragt, wo er sei, unterbewußt spürt, dass etwas nicht stimmt und so lange bohrt, bis ich sage, er ist doch gestorben. Dann weint sie so herzzerreißend wie am Tag seines Todes. Sie war bei ihm und hat ihm die Hand gehalten, danach hat sie ihn abwechselnd fürchterlich beschimpft und wieder beweint. Als ich mit ihr aus dem Zimmer gegangen bin als er abgeholt wurde, hatte sie es bei der Rückkehr zum ersten Mal vergessen, dann fiel es ihr wieder ein, weil die Bestatter eine Rose auf sein leeres Bett gelegt hatten. Diese Zusammenbrüche, manchmal zweimal während eines Besuches, sind grausam.
Jetzt steht die Frage im Raum, nimmt man sie mit zur Trauerfeier oder nicht? Was sagt Ihr hier, im Forum der Schwarmintelligenz?
Für sie ist es schon immer eine schreckliche Vorstellung, verbrannt zu werden und ich fürchte schon beim Anblick der Urne samt Foto ihres Mannes wird sie zusammenbrechen.
Der Psychiater der PIA sagte, sie müsse mitkommen, um abschließen zu können. Ich habe überlegt, eine Verwandte zu bitten, sich um sie zu kümmern und wenn es ganz furchtbar würde, dass sie dann mit ihr schon vorgeht ins Café.
Gestern am Telefon war sie ganz in ihrer Außenfassade, sie hatte Besuch von einer Bewohnerin, die anscheinend ihre Nähe sucht und sich offensichtlich ein bißchen um sie kümmert. "Wir sitzen hier und erzählen" und wimmelte mich schnell ab. Das macht sie auch wenn ich sie besuche, dass sie nach einer halben Stunde immer sagt, wenn Du etwas vorhast, kannst Du ruhig gehen, um im gleichen Moment wieder fürchterlich zu zittern und zu weinen anzufangen, dass ich mich gar nicht traue zu gehen. Sie weint auch, "weil sie gar nichts mehr kann", schon beim Schuhe anziehen oder umziehen bricht sie in Tränen aus.
Jedenfalls berichtete ich meiner Schwester von dem schönen Moment mit der Mitbewohnerin - sie hatte vorher das Gegenteil erlebt bei ihrem Besuch: Eine sehr schlecht gelaunte Mutter, die alles gepackt hatte und sofort nach Hause wollte... Klar, dass diese Episode für meine im Ausland lebende Schwester ganz viel schlimmer war als für mich das letzte halbe Jahr mit den ständigen Attacken meines Vaters, "Nach Hause!!!!"... Aber das nur nebenbei.
Meine Mutter hat schon immer sehr viel Angst alleine, im Dunkeln, überhaupt. Im Januar soll sie jemanden ins Zimmer bekommen, ich würde das erst einmal ausprobieren wollen, bevor ich mich um ein Einzelzimmer kümmern würde. Ich glaube, das wäre nicht gut für sie, auch wenn sie jetzt Angst hat, "wer da wohl kommt", denn man ist ja auch prinzipiell misstrauisch gegen alle anderen Menschen. Andererseits hat sie eben diese große Fähigkeit, nach außen Fassade zu wahren. Am Tag seines Todes kamen ganz viele der Belegschaft des Heimes kondolieren, jedes Mal sagte sie, da kann man halt nichts machen, das ist halt so, jeder muss sterben - um sich hinterher herzzerfetzend auf ihn zu werfen, zu weinen und ihn zu beschimpfen. Das hat sich mehrmals wiederholt.
Im Heim gibt es einen Krätze-Ausbruch, meine Mutter sieht verheerend aus und natürlich habe ich mich angesteckt, als ich sie tröstend im Arm hielt. Das wieder loszuwerden, hatte ich dann auch noch zu allem, was man eh schon zu tun hat mit Beerdigung usw., am Hals... Hab es hinbekommen, uff.
Viele liebe Grüße
Nelly