Hallo FrankR,
wenn Sie Ihre Schwiegermutter so lange wie möglich vor einer Unterbringung in einem Heim oder einer Demenz-WG bewahren wollen, müssen Sie sich sicher darauf einstellen, dass Sie und Ihre Frau immer mehr zu Animateuren und "Motivationstrainern" werden müssen, sowie zu Vorbildern oder Rollenmodellen, von denen sie abschauen kann, wie z.B. Nahrungsaufnahme geht: Menschen mit Demenz vergessen früher oder später das Essen und Trinken. Sie verlieren oft den eigenen Antrieb, sich zu bewegen, oder sich selber zu beschäftigen. Je weniger sie sich allerdings bewegen, desto schlechter funktioniert die Durchblutung (also letztlich auch das geschädigte Gehirn), desto schlechter wird die Lunge belüftet, Muskulatur und Gleichgewichtssinn bauen ab - was die Sturzgefahr erheblich erhöht. Deshalb ist es wichtig, beispielsweise das Laufen für Ihre Schwiegermutter attraktiv zu machen: Sie also nicht nur zum Spazieren aufzufordern, sondern (je nach ihren individuellen Vorlieben oder Interessen) einen Spaziergang zum nächsten Spielplatz oder Wildgehege, wo man Kinder/Tiere beobachten kann, oder als Endziel der Mühe ein Eiscafé oder ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte in Aussicht zu stellen. Überdies weckt mehr Bewegung auch den Appetit und erinnert die Erkrankte vielleicht auch ans Essen.
Je öfter sie mangels Nahrung und Flüssigkeit unterzuckert und dehydriert ist, desto öfter können völlig verwirrte Phasen vorkommen, und desto schneller scheint, von außen betrachtet, der Abbau vonstatten zu gehen. Von daher wäre es gut, wenn Sie möglichst oft mit ihr essen würden und sie auch, etwa mittels Trinkritualen (Sprüche, Anstoßen, etc.), mehrmals am Tag zum Trinken animieren könnten. Oft ist der Widerstand viel geringer, wenn wir den Betroffenen nicht nur mahnend, besorgt oder gewissermaßen mit dem Zeigefinger drohend nahelegen, wie wichtig Flüssigkeit ist, sondern eben mit ihnen zusammen trinken und dies "feiern", ritualartig gestalten... und im Laufe der Zeit versuchen, herauszufinden, ob auch diese Person besser auf süße und bunte Getränke reagiert, wie viel Menschen mit Demenz.
Und was die Geschichten Ihrer Schwiegermutter angeht, die Sie als verworren und "Quark" empfinden: In sehr vielen Fällen steckt hinter dem, was uns "gaga" erscheint, ein sinnvoller und sogar wahrer Beitrag zu einem Gesprächsthema - wir Gesunden merken es nur nicht sofort, weil die Erkrankten oft sprachliche Probleme haben und Wörter verwechseln oder Begriffe selber erfinden, wenn ihnen die passenden, "richtigen" Worte nicht einfallen. Mit etwas detektivischem Spürsinn kann man oft herausfinden, worüber der- oder diejenige spricht! Ich würde Ihnen sehr raten, sich einmal mit dem Thema Kommunikation mit Menschen mit Demenz zu befassen (Dazu gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Büchern und Infomaterialien, auch auf dem Wegweiser Demenz unter der Rubrik Alltagssituationen), wenn Sie ihr gerecht werden und den Kontakt nicht abbrechen lassen wollen.
Wichtig und für Menschen mit Demenz entlastend ist auch, wenn wir die Verantwortung über ein Misslingen der Verständigung auf unsere Kappe nehmen (obwohl natürlich in vielen Fällen die Demenz verantwortlich dafür ist, dass man Äußerungen der Betroffenen nicht mehr inhaltlich verstehen kann) - also sagt, dass man heute leider eine lange Leitung hat, schwer von Kapee ist, ihn/sie leider nicht versteht, und entweder das Thema wechselt, oder tröstend auf einen späteren Zeitpunkt verweist. Versuchen Sie, neben all' dem, was Ihnen als unverständlich und fehlerhaft auffällt, auch die Anteile der Äußerungen Ihrer Schwiegermutter wahrzunehmen, die angemessen, richtig sind... und sich immer wieder vor Augen zu führen, dass die Erkrankten eigentlich mit bewundernswerter Tapferkeit und Kreativität trotz allem, was die Demenz ihnen nimmt, mit uns in Kontakt zu bleiben.
Manchmal führt die Demenz auch dazu, dass sie Erlebnisse aus Vergangenheit und Gegenwart nicht mehr voneinander unterscheiden können, weil ihnen das Zeitgefühl abhanden kommt. Sie erzählen dann von Erlebnissen, die entweder nie, oder vor vielen Jahren passiert sind (oder passiert sein könnten), als wären sie gerade eben geschehen. Oder dass sie Personen verwechseln, oder von lang Verstorbenen sprechen, als hätten sie sie gerade eben noch auf der Straße getroffen. Sie schreiben ja, dass Ihnen ein würdervoller Umgang wichtig ist: Bitte korrigieren Sie Ihre Schwiegermutter in solchen Situationen nicht, sondern gehen Sie auf den emotionalen Gehalt des Erzählten ein: Lachen Sie mit, wenn das Gesagte offenbar lustig ist, trösten Sie, wenn Sie frustriert oder ärgerlich erscheint, und schimpfen Sie mit, wenn sie sich offenbar ärgert - auch, wenn Sie nicht so genau wissen, worüber sie inhaltlich redet.
Und da Menschen mit Demenz Körpersprache erstaunlich sensibel wahrnehmen, ist es auch sinnvoll, sich ein Augenrollen oder Kopfschütteln in Situationen zu verkneifen, in denen Ihnen Gesagtes oder Getanes völlig verrückt vorkommt - das kriegen sie nämlich leider mit. 
Freundliche Grüße
S. Sachweh